Prähistorischer Schamanismus
Prähistorischer Schamanismus ist eine Bezeichnung für eine wissenschaftliche These, die als prehistoric shamanism in englischsprachiger Literatur verwendet wird, wenn aufgrund archäologischer Artefakte, die an rezente Phänomene schamanischer Praktiken erinnern, ein Zusammenhang mit einem bestimmten Schamanismus-Konzept postuliert wird. Schamanismus subsumiert diverse Phänomene „zwischen Religion und Heilritual“, die bei den als Schamanen bezeichneten spirituellen Spezialisten traditioneller Gesellschaften beobachtet werden. In deutschsprachiger Literatur ist die Bezeichnung ungebräuchlich.
Die Hauptindizien für schamanistische Phänomene im Paläolithikum sind Bestattungen, Fels- und Höhlenbilder, Idole sowie bestimmte Besonderheiten der Werkzeuginventare – wie etwa Geräte, die wegen ihrer Größe, Form, Zerbrechlichkeit und feinen Bearbeitung sicherlich nicht für den praktischen Einsatz gedacht waren, sondern vermutlich rituelle Bedeutung gehabt haben dürften. Auch für einen Schamanismus im Neolithikum existieren entsprechende Artefakte.
Als man im sogenannten „klassisch sibirischen Schamanismus“ drei Jahrtausende alte Felsbilder mit anthropomorphen Darstellungen entdeckte, die eine Art Geweihkrone tragen (wie es sie dort bis heute gibt), gingen russische Forscher davon aus, dass es bei diesen bis vor kurzem noch „ursprünglich“ lebenden Kulturen seit der Jungsteinzeit kontinuierlich Schamanen gegeben haben muss. Allerdings erklärten andere Forscher diese Darstellungen für jünger und verwiesen auf den potentiellen Einfluss des Buddhismus. Es gibt jedoch weitere Felsbildzonen der Erde – etwa der Aborigines Australiens, der San Südafrikas der kalifornischen Indianer sowie den Skythen zugeordnete archäologische Funde – die von einigen Forschern in Zusammenhang mit einem prähistorischen Schamanismus gesehen werden.
Die Begriffe Paläolithikum und Neolithikum werden in diesem Zusammenhang mit heute noch vorherrschenden traditionellen Wirtschaftsformen – also Jagen und Sammeln beziehungsweise Feldbau – in Verbindung gebracht. Einige Gruppen der Pygmäen, Damara und San, vereinzelte Völker Süd- und Südostasiens sowie Neuguineas und manche isolierte Völker Amazoniens leben bis in unsere Tage als Jäger und Sammler; und nicht-industrialisierter Pflanz- und Gartenbau sind immer noch weltweit – vor allem in den sogenannten Entwicklungsländern – stark verbreitet.
Wenngleich viele Fundstücke offensichtlich an schamanische Rituale erinnern, sind prinzipiell auch ganz andere Interpretationen möglich. Dass der Frühmensch religiöse Vorstellungen künstlerisch ausgedrückt hat, ist unbestritten, worum es sich dabei jedoch jeweils genau handelt, wird aufgrund der fragmentarischen Fundlage und fehlender Kontext-Informationen immer rätselhaft bleiben. Selbst die jüngsten, viel beachteten und gewürdigten Schlussfolgerungen des südafrikanischen Archäologen David Lewis-Williams und des französischen Archäologen Jean Clottes bleiben in vielerlei Hinsicht spekulativ und unbeweisbar.