Nordamerikanische Kulturareale
Die nordamerikanischen Kulturareale sind geographische Räume, in denen eingeborene Ethnien leben, die nach dem Konzept der Kulturareale (culture area) der US-amerikanischen Ethnologen Franz Boas, Robert Lowie und Clark Wissler aufgrund ähnlicher Lebensweisen bei übereinstimmenden Umweltbedingungen eine ähnliche Kultur und Lebensweise aufweisen. Dieses Konzept der kulturvergleichenden Sozialforschung beruht allerdings auf der jüngsten historischen Verbreitung und Lebensweise vor der Kolonialisierung bzw. vor der Bildung der modernen Nationalstaaten.
Die Einteilung Nordamerikas zeigt demnach ein Bild, das so zu keinem Zeitpunkt real existiert hat. Während der europäische Einfluss an der Atlantikküste bereits im 16. Jahrhundert zu einer erheblichen Akkulturation und später Assimilation geführt hat, führte der Einfluss im hohen Norden erst im 20. Jahrhundert zu kulturellen Anpassungen, die das Konzept einheitlicher Kulturen in Frage stellte. Die Problematik der zeitlichen Eingrenzung wird besonders deutlich beim Kulturareal „Prärie und Plains“: Die nordamerikanischen Reiterkulturen entstanden erst durch die europäische Expansion im Laufe des 18. Jahrhunderts, indem einige Stämme das Pferd übernahmen und (auch unter dem Druck nach Westen ausweichender Völker des Ostens) in die bislang fast unbesiedelten Steppen vordrangen.
Obwohl viele Ähnlichkeiten augenfällig sind, ist die konkrete Abgrenzung (vor allem sehr großer) Areale umstritten, weil das Konzept zu viele willkürliche Festlegungen enthält: Welche Kulturgüter werden für die Definition eines Areales herangezogen? Wie wird „Ähnlichkeit“ definiert? Wo beginnt und wo endet sie? Welche Verfälschungen verursacht die europäischen Sichtweise? Wie vereinbart sich das statische Arealmodell mit dem permanenten Kulturwandel? Daher spielen die Kulturareale heute in der Wissenschaft nur noch eine untergeordnete Rolle; etwa, um sich einen Überblick über die (historische) kulturelle Vielfalt eines Kontinentes zu verschaffen.
Das populärste Modell der Kulturareale Nordamerikas stammt von Clark Wissler (1912) und wurde 1939 von Alfred Kroeber überarbeitet.
Für Nordamerika hat sich die Unterteilung in zehn Kulturareale durchgesetzt:
- Arktis: nördliche Teile von Alaska und Kanada, Grönland
- Subarktis: südliche Teile von Alaska und Kanada
- Pazifische Nordwestküste: Westküste von Alaska und Kanada
- Plateau: das Interior Plateau in British Columbia, Kanada, – geprägt durch den Fraser River und West Road (Blackwater) River mit dem Fraser-Plateau sowie dem Thompson River und dem Thompson Plateau und das südliche durch den Columbia River geprägte Columbia Plateau in Teilen der US-Staaten Washington, Oregon und Idaho zwischen der Kaskadenkette und den Rocky Mountains (manchmals als Columbia Basin um das Flussgebiet in British Columbia erweitert)
- Prärie und Plains: zwischen den Rocky Mountains im Westen und dem Mississippi River im Osten sowie dem Rio Grande in Texas im Süden und dem North Saskatchewan River im heutigen Kanada im Norden
- Nordöstliches Waldland: von den Großen Seen und Neufundland bis North Carolina
- Südöstliches Waldland: von South Carolina bis an den Golf von Mexiko
- Kalifornien
- Großes Becken: umfasst die gleichnamige Landschaft im heutigen Nevada, erstreckt sich jedoch zwischen den Rocky Mountains und der Sierra Nevada in Nevada, einigen angrenzenden Teilen von Oregon, Kalifornien, Idaho, Wyoming und Utah
- Südwesten: von den US-Staaten der Four Corners Arizona, New Mexico, Colorado und Utah bis zum Norden Mexikos (Sonora, Chihuahua, Coahuila, Nuevo León und Tamaulipas)