Rückgaben von Kulturgut kolonialer Herkunft
Kontroverse Diskussionen über Rückgaben von Kulturgut kolonialer Herkunft wurden bereits wenige Jahre nach der Unabhängigkeit ehemaliger europäischer Kolonien in den 1970er Jahren geführt. Dabei stehen sich Forderungen nach der Restitution von Kulturgütern aus Kontexten europäischer Kolonisation wie Skulpturen, Kultgegenständen, Manuskripten oder Archiven und selbst menschlicher Überreste (human remains) durch Länder bzw. ethnische Gruppen in Afrika, Asien, Ozeanien oder Amerika einerseits und andererseits ablehnende Stellungnahmen durch Vertreter von Sammlungen und Museen vor allem in Europa oder Nordamerika gegenüber. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wurden solche Diskussionen und Forderungen erneut und mit größerer Wirkung geäußert, so dass seit etwa 2020 eine Reihe von Kulturobjekten an Benin, Namibia, Nigeria, Indonesien oder Guatemala restituiert wurden.
Unter Restitution von Kulturgut, Kulturgütern oder Kulturerbe versteht man die Rückgabe oder Rückerstattung geraubter, unrechtmäßig enteigneter, erpresster oder zwangsverkaufter Kulturgüter an die legitimen Voreigentümer oder deren Rechtsnachfolger. Die Art, wie und von wem Kulturgut aus seinem ursprünglichen Entstehungszusammenhang entwendet wurde, ist vom konkreten Fall abhängig und wird von den beteiligten Institutionen, Personen bzw. Kommentatoren sehr unterschiedlich bewertet. Daraus ergeben sich juristische, (kultur-)politische oder moralische Diskussionen über die Rechtmäßigkeit des Anspruchs auf das jeweilige Kulturgut und seine eventuelle Restitution.
Neben dem meist längere Zeit zurückliegenden Erwerb von Kulturobjekten in kolonialen Kontexten stellen auch späterer Diebstahl und Hehlerei für den illegalen Handel mit Kulturgut, den Privatpersonen begehen, ein weiteres umfangreiches Feld von Diskussionen und Maßnahmen für den Schutz von Objekten dar und betreffen häufig ähnliche geografische Herkunft. Aufgrund nationaler Gesetzgebung und internationaler Übereinkommen, wie etwa der UNIDROIT-Konvention über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter, werden sie jedoch heutzutage als klare Rechtsverletzungen betrachtet und entsprechend verfolgt.
Zur Begründung von Restitutionen werden meist Informationen aus überstaatlichen Übereinkommen der UNESCO, der (Kunst-)geschichte, Provenienzforschung, internationalen kulturellen Zusammenarbeit und über die gesellschaftliche Bedeutung in den Herkunftsländern sowie das jeweilige Selbstverständnis von Sammlungen und Museen herangezogen. Durch den Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter aus öffentlichen Sammlungen in Frankreich von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy hat dieses Thema seit Ende 2018 international eine besondere Aufmerksamkeit und Dynamik erfahren. Die Diskussionen über Rückgaben stehen dabei auch im weiteren Kontext einer Dekolonisierung von Museen sowie neuer, daraus entstehender kultureller Beziehungen zwischen Europa bzw. Nordamerika und den Herkunftsländern im Sinne eines gemeinsamen, globalen Kulturerbes.