Vulgärökonomie

Vulgärökonomie (aus „vulgär“ und „Ökonomie“) kennzeichnet im Sprachgebrauch des Marxismus eine ökonomische Betrachtungsweise, die von dem Alltagswissen der ökonomischen Akteure ausgeht. Sie entspricht somit deren Standpunkt und beschränktem Gesichtskreis und bleibt dabei in der Betrachtung der wirtschaftlichen Vorgänge an deren Oberfläche und auf niedrigem wissenschaftlichen Niveau. Der Begriff wird so auf Karl Marx zurückgeführt.

„Die Vulgärökonomie, die ‚wirklich auch nichts gelernt hat‘, pocht hier, wie überall, auf den Schein gegen das Gesetz der Erscheinung. Sie glaubt im Gegensatz zu Spinoza, daß die Unwissenheit ein hinreichender Grund ist.“

Nach der Methodologie des Marxismus fallen Wesen und Erscheinung einer Sache nicht zusammen; sonst wäre nämlich eine wissenschaftliche Erklärung nicht erforderlich. Die vulgärökonomische Anschauung missverstehe das damals augenfällig Gegebene als Naturnotwendigkeit und übersehe dabei die geschichtliche Bedingtheit der jeweils gegebenen Gesellschaftsformation.

Marx verband mit dem Begriff „Vulgärökonomie“ die Einschätzung, dass ab einem bestimmten Punkt der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft die herrschende Klasse nicht mehr am Fortschreiten ökonomischer Erkenntnisse interessiert sei, sondern stattdessen nur noch an der Verbreitung wirksamer Ideologie zur Verschleierung und/oder Rechtfertigung des politischen und gesellschaftlichen Status quo.

„Soweit sie bürgerlich ist, d. h. die kapitalistische Ordnung statt als geschichtlich vorübergehende Entwicklungsstufe, umgekehrt als absolute und letzte Gestalt der gesellschaftlichen Produktion auffaßt, kann die politische Ökonomie nur Wissenschaft bleiben, solange der Klassenkampf latent bleibt oder sich in nur vereinzelten Erscheinungen offenbart.“

Für Marx fällt die Entstehung der klassischen Nationalökonomie, bei deren krönendem Abschluss David Ricardo in seiner Verteilungstheorie den Gegensatz der Klasseninteressen noch völlig unverblümt ausspricht, in die Periode des noch unentwickelten Klassenkampfs zwischen Lohnarbeit und Kapital. Hernach erfüllt die vulgärökonomische Literatur nach der Wirtschaftskrise 1830 und der Zuspitzung des Klassenkampfs der an die Herrschaft gelangten Bourgeoisie gegenüber dem erstarkenden Proletariat fast nur noch die Funktion der „Apologetik“ der jeweils bestehenden Verhältnisse. Nach Marxens Ideologietheorie gehört immer die – nächste – Zukunft einer revolutionär aufstrebenden Klasse. Für Theodor Geiger ist Marx demnach kein "Panideologist" (wie etwa Karl Mannheim); denn immer war also jeweils das Denken dieser Klasse "relativ richtig", d. h. im Einklang mit dem Geschichtsverlauf. Die relative Richtigkeit ist mit anderen Worten einfach eine zeitlich bedingte Standort-Adäquatheit des Denkens.

In dem Werk von John Stuart Mill sieht Marx einen "geistlosen Synkretismus" am Werke, der die nicht mehr zu ignorierenden Ansprüche des Proletariats mit denen der Bourgeoisie auszugleichen suche, also ein "Versuch, Unversöhnbares zu versöhnen". Im Falle Deutschland fehlten der ökonomischen Wissenschaft erst die direkte Anschauung kapitalistischer Produktionsverhältnisse, danach machten die Zuspitzung der Klassenkämpfe eine theoretisch hochstehende Wissenschaft unmöglich, so dass die Deutschen die wissenschaftlichen Dogmen vorwiegend aus dem Auslande importierten. Um die Fahne Bastiats, des "flachsten und daher gelungensten Vertreters vulgärokonomischer Apologetik", scharten sich vorwiegend die unternehmungslustigen Geschäftsleute.

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