Wojciech Jaruzelski

Wenn man sich nicht geliebt oder verstanden fühlt, wenn niemand mit einem spielen will und wenn man dann eine geladene Waffe findet, dann machen sich Gewaltphantasien ungezügelt breit. Doch anstatt den sonst üblichen Weg des klassischen Amokläufers zu gehen, entschied sich Wojciech Jaruzelski zu warten und es der Welt einmal im großen Stil zu zeigen. Wahrscheinlich lag es aber daran, dass er keine Waffe gefunden hat.

Dieser Artikel behandelt den Bio-General. Für seinen Bruder im Geiste, den Autoknacker J 3 siehe Jaruzelski III
Satellit!
Der nachstehende Text erweitert den Zusammenhang des Hauptartikels Polen.

Jugend

So malte sich der junge General (l.) seine Zukunft aus: als Napoleon (r.), dem Retter Polens, reitet er siegreich umher.

Wojciech, der Junge mit dem kleinen, eckigen Kopf und der zu großen Brille, litt seit seiner frühesten Kindheit an Einsamkeit. Er galt als kontaktscheu, zurückgebliebenhaltend und introvertiert. Erschwerend kam hinzu, dass er sich gern verkleidete und als Napoleon ausgab. Selbst von den Kindergärtnerinnen verlangte er, dass sie ihn mit Mon Général anzureden hätten, was jedoch nie eingehalten wurde. Die Schmollecke war dementsprechend sein bevorzugter Aufenthaltsort.

Auch in der darauffolgenden Schulzeit trat keine Besserung ein. Nur die Uniform änderte sich. Grüner Drillich wurde ab jetzt zu seinem Markenzeichen. Glücklicherweise fielen die Deutschen 1939 in Polen ein und der jugendliche Außenseiter fiel optisch nicht mehr ganz so unangenehm auf. Zu seinem größten Bedauern empfanden seine Eltern den Krieg mit Deutschland als nicht ganz so positiv. Die Familie Jaruzelski verließ Polen, um in Litauen ein neues Leben beginnen zu können. Dummerweise fielen hier kurze Zeit später russische Soldaten ein und deportierten die Emigranten. Unter strenger russischer Bewachung leisteten Wojciech und sein Vater Zwangsarbeit in einem Gebirgslager ab. „Schneidig, diese Aufseher!“ entfuhr es Wojciech, dann kassierte er eine Ohrfeige von seinem Vater.

Militärische Laufbahn

Die Abwendung der eigenen Familie von ihrem Einzelkind war ein weiterer Meilenstein in der geistigen Verkrustung des jungen Jaruzelskis. Enttäuscht und verbittert trat er als polnisches Kanonenfutter in die russische Armee ein und beendete (seiner Meinung nach) den Zweiten Weltkrieg. Danach machte er sich mit Hochdruck an die Aufrüstung einer polnischen Armee, die ihn 1956 wegen seines eckigen Kopfes zum General ernannte. Ab diesem Zeitpunkt ließ Wojciech seinen Vornamen ganz offiziell in General ändern und verbot den Medien unter Androhung der Todesstrafe, ihn jemals anders als General Jaruzelski zu nennen. Was jetzt noch fehlte, war ein schöner Krieg. Doch die Lackaffen im Kreml und Weißen Haus beschränkten sich ja darauf, einen Kalten Krieg ohne Polens militärische Mithilfe zu führen. Das wollte der General denen da oben nie verzeihen.

Prager Frühling

1968 bahnte sich die ersehnte Lösung an: in Prag wollten die Menschen fröhliche Lieder singen, was von der damaligen Sowjetunion als den personifizierten Angriff auf den Bolschewismus gesehen wurde. Grund genug, hier mal so richtig mit den Säbeln zu rasseln und den tschechischen Sängern mittels russischer Panzer den Mund zu verbieten. Der General wartete wie elektrisiert auf sein Einsatzkommando. Immerhin konnte er damals durchsetzen, dass die militärische Ost-Allianz sich auf sein Betreiben hin Warschauer Pack nennen durfte. So etwas verpflichtet. Doch der gewünschte Hilferuf der UdSSR blieb aus. Beleidigt liquidierte der General 1.735 „Politische“ und hoffte vergebens auf einen neuen Krieg.

Einstieg ins politische Geschehen

Der Prager Frühling brachte doch eine Wende im Lebenslauf des Generals. Sein unaufhörliches Kriegsgeschrei, sein hartes und imposantes Durchgreifen sowie erneut die sperrige Form seines Schädels stießen im Zentrums-Komitee (ZK) auf begeisterte Zustimmung. Der General wurde 1968 zum Verteidigungsminister bestellt. Jetzt konnte er selbst für die nötige gereizte internationale Stimmung sorgen, die wegbereitend einen richtigen Krieg anzetteln könnte. Mit Polen hat das ja schon einmal geklappt, erinnerte er sich rückblickend.

Solidarność

Was jedoch vom ZK vollkommen übersehen wurde, war, dass es im polnischen Volk eine böse Stimmung gegen den Krieg gab. Es gärte im polnischen Untergrund und nicht einmal der Geheimdienst konnte diese seismographischen Einschläge orten. Überall bildeten sich Zellen in konspirativen Wohnungen, wurden geheime Treffen zur Bildung einer Konterrevolution abgehalten und Flugblätter in englischer Geheimschrift verteilt (das ZK war dieser Sprache nicht mächtig und verbot sie daher allen Beamten und somit auch dem Geheimdienst). 1981 entlud sich die angestaute Wut und die Solidarność erblickte das Licht der Welt. Als Anführer wählte man den Mann mit dem mächtigsten Schnauzbart. So geriet Lech Wałęsa ins Licht der Öffentlichkeit. Was niemand ahnen konnte, war, dass es sich bei Wałęsa nicht um eine geborene Führernatur (für die er wegen seines Bartes gehalten wurde) handelte, sondern um einen Faulpelz, Drückeberger und Pausenüberzieher. Doch für die Bewegung war es zu spät. Gewählt war schließlich gewählt.

Wałęsas erste Forderung war daher auch die sofortige Arbeitsniederlegung (bei vollem Lohnausgleich!), was beim polnischen Volk ausgesprochen gut ankam. Selbst einige der Regierungsmitglieder fühlten sich von Wałęsas Aufruf angesprochen und legten ihre Arbeit nieder. Dummerweise änderte sich dadurch überhaupt nichts an den Regierungsgeschäften und ihre Solidaritätsbezeugungen blieben unbemerkt.

Der Ministerpräsident

Die ungünstige Tischanordnung machte einen Bruderkuss unmöglich. Die Politiker einigten sich in ungestörten Augenblicken wie diesen auf Füsseln.

Es drohte die gefürchtete Konterrevolution und Polens ZK musste schnellstens reagieren. Auch wenn schnell nicht gerade das Attribut ist, mit dem man Polen als Erstes verbindet, trafen die von der UdSSR eingesetzten ZK-Mitglieder zügig eine Entscheidung: sie ersetzten den amtierenden Ministerpräsidenten, unter dem die Solidarność erst entstehen konnte, durch den General und stellten durch diesen Entschluss die Weichen für Polens Zukunft.

Der General nahm das Amt freudig an und verhängte als erste Maßnahme (endlich, endlich!) das Kriegsrecht. Zusammen mit den ranghöchsten Militärs entwarf er Strategien zur Vernichtung der Solidarność. Er bildete Kessel, ließ, beseelt von der strategischen Größe Julius Cäsars seine Soldaten in Schildkröten- oder Quadratformation antreten, erhöhte das Rüstungsetat und setzte alles auf die psychologische Wirkung einer Machtdemonstration. Doch die weiterhin in kleinen, unauffindbaren Zirkeln operierenden Störenfriede zeigten sich unbeeindruckt. Jaruzelski blieb nichts anderes übrig, als die Solidarność zu verbieten. Die große Säuberungsaktion blieb aus, aber die Gegenbewegung konnte gestoppt werden, da die notwendigen Mitläufer sich durch das Verbot eingeschüchtert fühlten. Das polnische Volk galt als sehr gesetzestreu.

Es begann die Zeit der inneren Aushöhlung der Solidarność. Ziel des Generals war es, seinen Erzrivalen Lech Wałęsa gefangen zu nehmen und ihn einer gerechten Strafe zuzuführen. Wałęsa war schlau genug, sich im Untergrund versteckt zu halten und nicht durch Aktionen aufzufallen. Diese Haltung entsprach auch am Ehesten seinem Naturell. Wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigte, dann nur mit einer Karnevalsbrille und einer roten Tarnnase. Doch sein mächtiger Bart verriet ihn schließlich und die Schergen des Generals konnten ihn festsetzen. Im Gefängnis träumte Wałęsa von einer Schriftsteller-Karriere wie sie einst Karl May vorgelebt hat. Doch er rechnete nicht mit der Solidarität des polnischen Volkes. Anstatt ihn in Ruhe dem Müßiggang nachgehen zu lassen, forderten sie seine Freilassung und zogen ihn erneut ins Licht der Öffentlichkeit.

Der General musste schließlich klein beigeben. Noch bevor er Wałęsa liquidieren konnte, richteten sich auch Kameras, die nicht zu TV Polska gehörten, auf ihn und er musste unter dem Druck der weltweiten Solidarität Lech Wałęsa wieder frei lassen. „Dem werd’ ich Zahnpasta in die Schuhe drücken!“ verriet er Vertrauten unter vorgehaltener Hand. Doch Wałęsas Entlassung besiegelte das Schicksal des Generals.

Verrat und Anklage

Dieses in Berlin gemachte Foto führte der General (in Zivil) als Beweis für die Einleitung der Wende an.

1989 war es mit der alten Ordnung in Europa vorbei. Jaruzelskis Verbündete in der DDR wendeten sich von ihn ab und liefen in Scharen Richtung Westen, da sie den Namen Bananenrepublik Deutschland fast 40 Jahre lang falsch interpretierten. Der große Bruder UdSSR zerfiel und die Sache mit den Bruderküssen, an denen der General immer großen Gefallen fand, war vorbei. Einsam und ziemlich hilflos musste er mit ansehen, wie sein geliebtes Polen zu einer verwahrlosten Halbdemokratie verkam. Es wurde sogar eine Wahl, bei der das Ergebnis nicht vorgeschrieben war, abgehalten. Dies alles passte nicht mehr zu seiner Verständniskultur.

Die Folgen dieser „Wahlen“ waren verheerend. Nicht nur, dass der große General abgewählt wurde, nein, ausgerechnet sein erbittertster Gegenspieler, Lech Wałęsa, gewann diese Wahl und sollte Präsident werden. Jaruzelski rechnete jetzt mit dem Schlimmsten, schließlich hätte er es mit Wałęsa genauso gemacht, aber der tatenlose Streikführer legte kein besonderes Interesse an den Tag. Bartpflege und Autogramme geben füllten ihn vollständig aus. Da war einfach keine Zeit mehr für politische Taten. „Weichei!“ dachte der General, war aber auf der anderen Seite froh, noch seine Pension in Anspruch nehmen zu können.

Nachdem Lech Wałęsa schließlich wegen Unfähigkeit abgewählt wurde, kam erneut Bewegung ins Leben des Generals. Er musste sich jetzt für seine Taten während des Prager Frühlings und seines verhängten Kriegsrechts verantworten. Vor dem Gericht beteuerte er seine Unschuld („Das war ich nicht. Das war der Russe!“) und wies mehrfach darauf hin, dass er (seiner Meinung nach) letztendlich die Wende und damit die Demokratisierung Polens eingeleitet hat. Bis heute (2010) sind die Gerichte mit der Überprüfung dieser Aussagen beschäftigt. Dem General ist der Ausgang dieses Urteils egal, da er schwer Lungen- und Herzkrank ans Bett gefesselt ist, aber trotzdem fieberhaft an der Wiederherstellung der alten Ordnung arbeitet. Wenn diese Konterkonterrevolution vollzogen ist, wird er endlich mit seinen Widersachern abrechnen.

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