Éamon de Valera [ˈeːəmən də vəˈleːra] (* 14. Oktober 1882 in Manhattan (New York); † 29. August 1975 in Dublin), auch kurz Dev, war ein irischer Politiker. Er war seit der Gründung des Irischen Freistaats mehrmals Ministerpräsident (insgesamt 24 Jahre) und Oppositionsführer, in mehrere seiner Regierungen zugleich Außenminister, Vorsitzender der Partei Fianna Fáil von 1926 bis 1959 und schließlich von 1959 bis 1973 dritter Präsident von Irland. Seine politische Karriere dauerte mehr als 50 Jahre an.
Leben
Kindheit und Ausbildung
De Valera wurde als Sohn des Kuba-Spaniers Juan („Vivion“) de Valera, geboren 1853 im spanischen Baskenland, und dessen irischer Ehefrau Catherine („Kate“) Coll in Manhattan als George De Valera (1910 Namensänderung in Edward) geboren. Ab seinem zweiten Lebensjahr wuchs er bei seinen Großeltern mütterlicherseits in Knockmore in der irischen Grafschaft Limerick auf. Er besuchte dort die Schule und studierte anschließend am Blackrock College in Dublin Mathematik. Nach Abschluss des Studiums wurde er Professor und Lehrer für Mathematik an verschiedenen Hochschulen und Schulen.
Erste politische Aktivitäten
In dieser Zeit knüpfte er auch erste Kontakte mit der irischen nationalen Bewegung. Er erlernte die irische Sprache und schloss sich 1908 der offiziell unpolitischen, real jedoch als Sammelbecken von Nationalisten fungierenden Conradh na Gaeilge (englisch Gaelic League) an. 1913 war er Gründungsmitglied der paramilitärischen Irish Volunteers. Er beteiligte sich 1916 am Osteraufstand in Dublin gegen die britische Herrschaft in Irland und wurde nach dessen Scheitern verhaftet und zum Tode verurteilt. Da er jedoch in den USA geboren war und daher die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, wurde dieses Urteil in eine lebenslange Gefängnisstrafe umgewandelt, die er in Sussex allerdings nur teilweise verbüßte.
Die Gründung des irischen Staates
1917 wurde er amnestiert und übernahm den Vorsitz von Sinn Féin und wenig später den der Irish Volunteers. Im Mai 1918 wurde er erneut verhaftet und während der Haftzeit für Sinn Féin ins britische Unterhaus gewählt. De Valera floh jedoch und setzte sich in die USA ab, wo er aufwendig für den irischen Unabhängigkeitskampf warb.
Als 1919 das neue, von Großbritannien nicht anerkannte, irische Parlament Dáil Éireann zusammentrat, wurde De Valera im April nach Cathal Brugha, der den Posten für ihn freigehalten hatte, zum zweiten irischen Premierminister unter dem Titel Príomh Aire bzw. President of the Dáil Éireann gewählt. Im August 1921 wählte das Dáil ihn zum Präsidenten der (offiziell nicht anerkannten) Irischen Republik. Als aufgrund der einseitigen Unabhängigkeitserklärung durch das Dáil Éireann der irische Unabhängigkeitskrieg (Anglo-Irish War, Black-and-Tans War) begann, reiste de Valera in die USA, um dort – äußerst erfolgreich – finanzielle und – weniger erfolgreich – politische Unterstützung für die irischen Rebellen zu finden.
Den 1921 unter der Leitung von Michael Collins unterzeichneten anglo-irischen Vertrag, der u. a. die Teilung der Insel in einen unabhängigen Freistaat und ein weiterhin zum Vereinigten Königreich gehörendes Nordirland bedeutete, erkannten viele Iren, auch De Valera, nicht an. Dieser trat als Präsident zurück, worauf mit Arthur Griffith als Präsident der Irischen Republik und Michael Collins als Vorsitzender der britisch legitimierten Provisorischen Regierung zwei Regierungen folgten, und führte im darauf beginnenden irischen Bürgerkrieg die Rebellen gegen die neue, reguläre irische Armee an. Schon im August 1922 wurde William Thomas Cosgrave neuer Regierungschef, ab Inkrafttreten des Anglo-Irischen Vertrags unter dem Titel Präsident des Exekutivrats, nachdem Griffith und Collins (letzterer in einem Hinterhalt erschossen) beide im selben Monat verstorben waren. 1923 ordnete de Valera an, dass seine Leute die Waffen niederlegen, wodurch der Bürgerkrieg ein Ende fand. De Valera hatte gemeinsam mit Weggefährten entschieden, dass der Weg zur vollständigen irischen Unabhängigkeit nur auf parlamentarischem, nicht auf militärischem Wege gegangen werden könne, weshalb er in den nächsten Jahren der politische Widersacher Cosgraves wurde.
Der parlamentarische Weg
1926 gründete er vor allem aus Sinn-Féin-Mitgliedern die Partei Fianna Fáil, deren Vorsitzender er wurde. 1932 wurde seine Partei stärkste Kraft im irischen Parlament und De Valera wurde an W. T. Cosgraves Stelle zum Präsidenten des Exekutivrats gewählt. Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung bestand in der Abschaffung des im Anglo-Irischen Vertrag festgeschriebenen Eides der irischen Parlamentsmitglieder (Teachtaí Dála) auf die britische Krone. 1937 ließ er eine neue Verfassung einführen, nach der er nun irischer Premierminister (Taoiseach) wurde. Das Amt des Taoiseach hatte er durchgehend bis 1948 inne und danach noch zweimal (1951–1954 und 1957–1959). Von 1959 bis 1973 war De Valera irischer Staatspräsident.
Einfluss
De Valera gilt als einer der einflussreichsten irischen Politiker des 20. Jahrhunderts. Er war wahrscheinlich der charismatischste Prominente im Irland seiner Zeit und eine Führungspersönlichkeit. Sein politisches und ideologisches Erbe ist heute stark umstritten. Unter seiner Führung entwickelte sich Irland zu einem Staat, der zwar formal demokratisch, aber innenpolitisch repressiv und außenpolitisch recht isoliert war.
De Valeras Neutralität im Zweiten Weltkrieg (wohl aufgrund der Abneigung Großbritannien gegenüber) war sehr umstritten. De Valera war der einzige Regierungschef weltweit, der nach dem Suizid Adolf Hitlers in einer deutschen Botschaft kondolierte. 1946 wandte Valera sich an die britische Botschaft und protestierte gegen die Todesstrafen beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. De Valera hatte sich Anfang 1938 in Dublin mit dem radikalen Rechtszionisten Wladimir Jabotinsky zu einem Gespräch getroffen. Das Treffen organisiert hatte der jüdisch-irische IRA-Aktivist Robert Briscoe. Den Peel-Teilungsplan für Palästina lehnte De Valera mit Blick auf Irland ab. Unabhängig davon arbeiteten die Irische Armee und der Geheimdienst während des Krieges mit den Alliierten eng zusammen.
Die bis heute gültige irische Verfassung von 1937, die das Amt des Generalgouverneurs durch das des Präsidenten ersetzte und die symbolische Verwendung der nur noch in wenigen Gebieten Irlands im Alltag gebräuchlichen irischen Sprache vorschrieb, geht wesentlich auf de Valera zurück. Die Erklärung der Unabhängigkeit Irlands mit dem Austritt aus dem Commonwealth of Nations 1949 wurde jedoch von seinem Widersacher John A. Costello beschlossen, als de Valeras Partei Fianna Fáil erstmals in der Opposition war.
Wirtschaftlich brachten diese langen Jahre für Irland wenig Fortschritt, die Massenauswanderung vor allem junger Menschen hielt an. Große Teile des inneren Lebens des Staats wurden auf Selbstgenügsamkeit in politischer und kultureller Hinsicht ausgerichtet. De Valeras Grundantwort auf die bestehenden Identitätsprobleme der irischen Gesellschaft bestand in der Rückbesinnung auf das, was er als die eigene kulturelle Tradition verstand. Dies entsprach weitgehend dem stark idealisierten Irland einer nicht näher definierten Vorzeit, in der England noch keinen Einfluss auf Irland ausübte.
Gleichzeitig vermochte er es häufig, seine Vorstellungen als Idealpolitik für Irland zu verkaufen. Ein überwiegend agrarisches Land, in dem die Familie das zentrale Element der Gesellschaft bildete und die Kinder abends am Kamin die Weisheit der älteren Generationen erfuhren, war daher das mit Abwandlungen fast allgegenwärtig propagierte Gesellschaftsideal. Dieses ließ jedoch einerseits andere Ideen und Konzepte nicht zu, andererseits funktionierte es angesichts der Wirtschaftsmisere selbst nicht. Das kulturelle Leben wurde von der Zensur zumindest mitbeherrscht. Viele der Grundentscheidungen für diese Politik werden De Valera selbst zugeschrieben. Dennoch hat vor allem De Valera dazu beigetragen, dass Irland im Gegensatz zu vielen anderen Exkolonien in diesen politisch und wirtschaftlich schwierigen Jahrzehnten ein weitgehend demokratisches Land blieb.
Literatur
- Tim P. Coogan: De Valera. Long Fellow, Long Shadow. Arrow Books, London 1995, ISBN 0-09-995860-0.
- Thomas R. Dwyer: Eamon De Valera. Macmillan, Dublin 1998, ISBN 0-7171-0964-X.
- Thomas R. Dwyer: De Valera. The man and the myths. Podbeg Books, Swords 1992, ISBN 1-85371-121-7.
- Ronan Faning: Éamon de Valera. A will to power. Faber & Faber, London 2015, ISBN 978-0-571-31205-4.
- Diarmaid Ferriter: Judging Dev. A reassessment of the life and legacy of Eamon de Valera. Royal Irish Academy, Dublin 2007, ISBN 978-1-904890-28-7.
- Anthony J. Jordan: Eamon de Valera 1882–1975. Irish, catholic, visonary. Westport Books, Dublin 2010, ISBN 978-0-9524447-9-4.
- Paul Schall: Rätsel Irland. Ein Volk im Zwiespalt. Verlag Arndt, Vaterstetten 1979, ISBN 3-920040-62-7 (Repr. d. Ausg. Eamon de Valera und der Kampf Irlands um seine Freiheit).
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Ronan Fanning: A Will To Power: Eamon De Valera. Harvard University Press, 2016, ISBN 978-0-674-97055-7, S. 3 (google.ie): De Valera was born on 14 October 1882 in the Nursery and Child's Hospital, Lexington Avenue, Manhattan, New York; the only child of Juan Vivion de Valera and Catherine ('Kate') Coll [..] Vivion de Valera had been born in 1853 in Spain's Basque Country
- ↑ The Earl of Longford: Éamon de Valera. Gill and Macmillan, Dublin 1970, ISBN 0-7171-0485-0, S. 1–2.
- 1 2 3 Dan Diner: Ein anderer Krieg – Das jüdische Palästina und der Zweite Weltkrieg, 1935–1942. 3. Auflage. Deutsche Verlags-Anstalt (Penguin Random House), München 2021, ISBN 978-3-421-05406-7, S. 91.
- ↑ Setzen, Florian Henning: Neutralität im Zweiten Weltkrieg: Irland, Schweden und die Schweiz im Vergleich. Hamburg 1997.