Film
Deutscher Titel Abteil Nr. 6
Originaltitel Hytti nro 6
Produktionsland Finnland, Estland, Deutschland, Russland
Originalsprache Finnisch, Russisch
Erscheinungsjahr 2021
Länge 112 Minuten
Altersfreigabe
Stab
Regie Juho Kuosmanen
Drehbuch Andris Feldmanis,
Juho Kuosmanen,
Livia Ulman
Produktion Emilia Haukka,
Jussi Rantamäki
Kamera Jani-Petteri Passi
Schnitt Jussi Rautaniemi
Besetzung
  • Seidi Haarla: Laura
  • Juri Borissow: Ljoha
  • Julija Aug: Natalia
  • Dinara Drukarova: Irina
  • Tomi Alatalo: Sascha
  • Polina Aug: Rezeptionistin
  • Galina Petrowa: Bahnangestellte

Abteil Nr. 6 (Originaltitel Hytti nro 6, internationaler englischsprachiger Titel Compartment No. 6) ist ein Filmdrama von Juho Kuosmanen, das im Juli 2021 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes seine Premiere feierte und Ende März 2022 in die deutschen Kinos kam. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Rosa Liksom. Compartment No. 6 wurde von Finnland als Beitrag für die Oscarverleihung 2022 in der Kategorie Bester Internationaler Film eingereicht.

Handlung

Die Handlung spielt Ende der 1990er Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion in Russland. Die finnische Archäologiestudentin Laura lebt in Moskau in einem sie faszinierenden intellektuellen Milieu und hatte eigentlich mit ihrer Geliebten Irina eine Reise nach Murmansk geplant, um dort die neuentdeckten Kanosero-Petroglyphen, antike Felsmalereien, zu besichtigen. Weil Irina jedoch wegen ihrer Arbeit verhindert ist, fährt Laura allein. Die Fahrt auf der Murmanbahn soll über zwei Tage dauern.

Im Zug muss sie das ihr zugewiesene Zweite-Klasse-Abteil Nr. 6 mit dem Russen Ljoha teilen, der im Bergwerk von Murmansk Arbeit finden will. Er beginnt sofort sich zu betrinken und fragt Laura, ob sie gegen Geld Sex mit ihm haben will. Um unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen, meidet sie ihr Abteil, bis Ljoha einschläft. Es gelingt ihr auch nicht, mittels Schmiergeld ein anderes Abteil zu erhalten.

Als der Zug in Sankt Petersburg hält, will Laura die Reise abbrechen und nach Moskau zurückkehren, aber nach einem Telefonat mit Irina, in dem ihr klar wird, dass diese sie nicht vermisst, fährt sie doch weiter. Bis zum nächsten Halt fährt eine dreiköpfige Familie in ihrem Abteil mit. Ljoha und Laura kommen danach doch noch ins Gespräch. Als Laura bei einem weiteren Halt Tee holt, bemerkt sie, wie ein Finne von der Zugbegleiterin abgewiesen wird, weil er kein Ticket für ein Abteil hat. Dieser versteht allerdings kein Russisch. Laura lädt ihn ein, in ihr Abteil zu kommen. Ljoha missfällt der neue Gast, doch Laura freundet sich schnell mit ihm an. Kurz vor der Nacht verlässt er den Zug. Nach der Verabschiedung merkt Laura, dass er ihre Videokamera gestohlen hat. Das macht sie sehr traurig, weil auf dieser all ihre Erinnerungen an Moskau gespeichert waren. Ljoha enthält sich trotz seiner vorherigen Abneigung eines Seitenhiebs ihr gegenüber, sondern bedauert das Vorkommnis ebenfalls.

Beim nächsten Halt bleibt der Zug die ganze Nacht über stehen. An diesem Ort wohnt Ljohas Großmutter. Er lädt Laura ein, mit ihm die Nacht in ihrem Haus zu verbringen. Laura lehnt zunächst ab, willigt dann aber ein, als Ljoha hartnäckig bleibt. Sie trinken miteinander Wodka und schaffen es am nächsten Morgen gerade noch rechtzeitig zurück zum Zug. Kurz vor der Endstation kommen sich Ljoah und Laura sehr nahe. Es beginnt ein Wechselspiel zwischen Nähe und Zurückweisung. Laura offenbart Ljoha, dass sie ihn heimlich beim Schlafen gemalt hat. Sie fordert ihn auf, auch sie zu malen. Dieser beginnt, will sein Bild aber nicht vorzeigen. Nach weiteren Irritationen kommt es zu einer innigen Umarmung und zum Kuss. Laura will die Kontaktdaten austauschen, Ljoha wehrt aber ab.

In Murmansk erkundigt sich Laura, wie sie zu den Petroglyphen kommen kann. Sie erfährt aber, dass es im Winter keinen befahrbaren Weg gibt. Bei einem Telefonat zeigt sich Irina an dieser Nachricht nicht interessiert. Laura fährt zu dem Bergwerk, in dem Ljoha arbeitet, und gibt dort eine Nachricht für ihn ab. Daraufhin kommt er zu ihrem Hotel. Er will ihr helfen, zu den Petroglyphen zu gelangen. Sie fahren mit dem Auto zum Kanosero. Dort überreden sie Arbeiter, sie zu den Petroglyphen zu bringen, obwohl erst am Vortag jemand bei der Überfahrt auf dem Wasser verunglückt ist. Laura entdeckt die Inschriften und ist glücklich. Beide sind gelöst und toben im Schnee umher. Auf dem Rückweg kommen sie in einen Schneesturm. Zurück beim Bergwerk verlässt Ljoha das Taxi, ohne dass die schlafende Laura es merkt. Er hinterlässt ihr jedoch seine Zeichnung von ihr aus dem Zug.

Produktion

Der Film basiert auf dem Roman Hytti nro 6 von Rosa Liksom aus dem Jahr 2011. Regie führte Juho Kuosmanen, der gemeinsam mit Andris Feldmanis und Livia Ulman Liksoms Roman lose adaptierte. Während die Reise im Roman in die Mongolei führte, sind die Protagonisten im Film auf dem Weg von Moskau ins nordrussische Murmansk und damit in eine Region, um die es zwischen Russland und Finnland immer wieder Konflikte gab. Michael Meyns erklärt in seiner Kritik, um das fragile Verhältnis der Nationen und damit auch das Verhältnis Lauras zu Ljohas zu verstehen, helfe es zu wissen, dass Finnland gut einhundert Jahre russisches Großfürstentum mit weitreichender Autonomie war. Finnland wurde erst nach der Gründung der Sowjetunion zum ersten Mal in seiner Geschichte vollständig unabhängig und entging dann in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs nur knapp dem Schicksal, das die baltischen Staaten ereilte, die von der Sowjetunion besetzt wurden.

In den Rollen von Laura und Ljoha, die sich das titelgebende Abteil teilen, sind Seidi Haarla und Juri Borissow zu sehen. Julija Aug spielt die Schaffnerin Natalia, Tomi Alatalo ihren kurzzeitig Mitreisenden, den Gitarre spielenden Finnen Sascha und Lidia Kostina Ljohas Pflegemutter Lidia. Dinara Drukarova ist in der Rolle von Lauras Freundin Irina zu sehen.

Die deutsche Synchronisation entstand nach der Dialogregie von Andreas Müller im Auftrag der Rotor Film Frühmorgen & Lehmann OHG, Potsdam.

Der Film verwendet Musik, die Anfang der 1990er Jahre populär war, so den Eurodance-Klassiker Voyage, voyage von Desireless, der international ein großer Erfolg war und im Film dreimal zu hören ist, auch während des Abspanns.

Die Premiere erfolgte am 10. Juli 2021 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes, wo der Film um die Goldene Palme konkurrierte und den Großen Preis der Jury erhielt. Im August 2021 wurde er beim Karlovy Vary International Film Festival gezeigt, im September 2021 beim Toronto International Film Festival und beim Zurich Film Festival. Am 29. Oktober 2021 kam er in die finnischen und am 3. Dezember 2021 in die estnischen Kinos. In Deutschland war der Film erstmals im November 2021 beim Filmfestival Cottbus zu sehen. Im Dezember 2021 wurde er bei Around the World in 14 Films gezeigt. Der Kinostart in der Deutschschweiz erfolgte am 3. März 2022, in Deutschland am 31. März 2022 und am darauffolgenden Tag in Österreich.

Wegen des Ende Februar 2022 begonnenen Russischen Überfalls auf die Ukraine wurde der Film wie auch weitere russische Produktionen aus dem Programm einiger Filmfeste gestrichen. In Deutschland erwog die Kinokette Cinestar eine Streichung des Films aus dem Programm, entschied sich aber letztlich dagegen.

Rezeption

Kritiken

Der Film konnte bislang 93 Prozent aller bei Rotten Tomatoes erfassten Kritiker überzeugen und erhielt hierbei eine durchschnittliche Bewertung von 7,6 der möglichen 10 Punkte. Auf Metacritic erhielt der Film einen Metascore von 80 von 100 möglichen Punkten.

Die Variety-Kritikerin Jessica Kiang lobte vor allem die schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarsteller und nannte den Film eine „zutiefst entzückende“ Reise in eine Zeit vor der digitalen Revolution, in der jeder ein Handy in der Tasche hat und wir „die Fähigkeit verloren haben, jemals wirklich allein zu sein“.

Kritischer sah Joachim Kurz den Film in seiner Rezension für kino-zeit.de. Abteil Nr. 6 sei ein Film über „kulturelle Unterschiede und Annäherungen“, der vor allem zu Beginn „ziemlich lustig“ sei. Die Hauptfiguren hätten unterschiedliche Nationalitäten und Interessen und stammten aus verschiedenen sozialen Klassen, aber „bei aller Sympathie des Regisseurs für seine Figuren“ würden beide schlicht überhaupt nicht zusammenpassen. Für den Zuschauer bleibe unklar, was diese beiden Figuren über die eigentliche Reise hinaus zusammenhalten solle.

Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete den Film als „hinreißend komisches Roadmovie über zwischenmenschliche Missverständnisse und die heilsame Aufrichtigkeit echter Freundschaft.“

Themen und Motive

Michael Meyns schreibt in seiner Funktion als Filmkorrespondent der Gilde deutscher Filmkunsttheater, Laura und Ljoha verkörperten in Kuosmanens Adaption die Vertreter zweier Nachbarstaaten, die jahrzehntelang in einem engen, aber auch sehr fragilen Verhältnis gelebt hätten. Die kulturellen Unterschiede des Duos, ihre Vorurteile, aber auch die Ähnlichkeiten würden auf der langen Zugfahrt auf subtile Weise deutlich. So zurückgenommen Laura dabei agiere, so burschikos, fast grob, agiere Ljoha. Man könne diese Typisierung aber sicher nicht 1:1 auf die Nationen als Ganzes übertragen. Der episodische Reisefilm, ein Roadmovie auf Schienen, erzähle auf subtile Weise von der Annäherung zweier Menschen, die während einer langen Reise entdecken, dass sie viel mehr gemeinsam haben, als sie trennt.

Sebastian Seidler von epd Film schreibt, Juho Kuosmanen verzichte in seinem Film auf die genretypischen großen Wendungen und pathetischen Einsichten während einer Reise, die man sonst gewohnt ist. Abteil Nr. 6 sei einer dieser Liebesfilme für Leute, die Liebesfilme hassten, so Seidler weiter, vor allem aber sei es ein Film über Klassenunterschiede und Vorurteile, über die Sehnsucht danach, jemand anders zu sein, und die Rollen, die wir dabei spielen.

Auszeichnungen

Compartment No. 6 wurde von Finnland als Beitrag für die Oscarverleihung 2022 in der Kategorie Bester Internationaler Film eingereicht und im Dezember 2021 in eine Shortlist in dieser Kategorie aufgenommen. Im Folgenden weitere Nominierungen.

British Independent Film Awards 2021

  • Nominierung als Bester internationaler Independent-Film

Europäischer Filmpreis 2021

Golden Globe Awards 2022

  • Nominierung als Bester fremdsprachiger Film

Göteborg International Film Festival 2022

  • Nominierung im Nordic Competition
  • Auszeichnung mit dem FIPRESCI-Preis
  • Auszeichnung als Beste Schauspielerin (Seidi Haarla)

Independent Spirit Awards 2022

  • Nominierung als Bester internationaler Film

Internationale Filmfestspiele von Cannes 2021

Jussi 2022

  • Auszeichnung als Bester Film
  • Auszeichnung für die Beste Regie (Juho Kuosmanen)
  • Auszeichnung als Beste Hauptdarstellerin (Seidi Haarla)
  • Auszeichnung für das Beste Drehbuch (Andris Feldmanis, Livia Ulman und Juho Kuosmanen)
  • Auszeichnung für die Beste Kamera (JP Passi)
  • Auszeichnung für das Beste Make-up (Liina Pihel)
  • Auszeichnung für den Besten Filmschnitt (Jussi Rautaniemi)
  • Auszeichnung in der Kategorie Artwork (Kari Kankaanpää)

Palm Springs International Film Festival 2022

Literatur

  • Rosa Liksom: Compartment No. 6. ISBN 978-1-55597-747-4

Einzelnachweise

  1. Abteil Nr. 6. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 3. Februar 2022.
  2. Freigabebescheinigung für Abteil Nr. 6. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (PDF; Prüf­nummer: 211500/K).
  3. Alterskennzeichnung für Abteil Nr. 6. Jugendmedien­kommission.
  4. 1 2 David Rooney: 'Compartment No. 6' ('Hytti Nro 6'): Film Review. In: The Hollywood Reporter, 10. Juli 2021.
  5. Diana Lodderhose: 'Compartment No. 6's Juho Kuosmanen Says He Fulfilled His Dream To Shoot A Film In Russia, And On A Train. In: deadline.com, 20. November 2021.
  6. 1 2 Michael Meyns: Abteil Nr. 6. In: programmkino.de. Abgerufen am 22. Februar 2022.
  7. Abteil Nr. 6 in der Deutschen Synchronkartei
  8. Mark Asch: Compartment No. 6 – first-look review. In: lwlies.com, 11. Juli 2021.
  9. Hytti nro 6. In: festival-cannes.com. Abgerufen am 5. Dezember 2021.
  10. Compartment No. 6 / Hytti nro 6. In: kviff.com. Abgerufen am 5. Dezember 2021.
  11. Compartment No. 6 / Hytti nro 6. In: tiff.net. Abgerufen am 5. Dezember 2021.
  12. Compartment No. 6 / Hytti nro 6. In: zff.com. Abgerufen am 13. Dezember 2021.
  13. Compartment Number 6 – Hytti nro 6. In: outnow.ch. Abgerufen am 13. Dezember 2021.
  14. http://www.insidekino.com/DStarts/DStartplan.htm
  15. Abteil Nr. 6. In: film.at. Abgerufen am 19. März 2022.
  16. Christiane Peitz: Solidarität mit der Ukraine: Filmwelt debattiert über Boykott russischer Produktionen. In: tagesspiegel.de vom 18. März 2022.
  17. Gunda Bartels: Die Eisenbahnkomödie "Abteil Nr. 6" im Kino: Laura und der gute Russe. In: tagesspiegel.de vom 30. März 2022.
  18. Compartment No. 6. In: Rotten Tomatoes. Fandango, abgerufen am 28. August 2023 (englisch).
  19. Compartment No. 6. In: Metacritic. Fandom, abgerufen am 3. Februar 2022 (englisch).
  20. Jessica Kiang: ‘Compartment No. 6’ Review: An Offbeat Trainbound Love Story That Transports You Across Russia and Back in Time. In: Variety.com vom 10. Juli 2021.
  21. Joachim Kurz: Abteil Nummer 6 (2021). In: kino-zeit.de, abgerufen am 8. Januar 2022.
  22. Süddeutsche Zeitung: Neu in Kino & Streaming: Welche Filme sich lohnen – und welche nicht. Abgerufen am 7. September 2022.
  23. Sebastian Seidler: Abteil Nr. 6. In: epd Film, 25. März 2022.
  24. Clayton Davis: Oscars Shortlists Include Beyoncé, 'Spider-Man' and Two Jonny Greenwood Scores as France’s 'Titane' Is Snubbed. In: Variety, 21. Dezember 2021.
  25. Kupé nr 6. In: goteborgfilmfestival.se. Abgerufen am 12. Januar 2022.
  26. Här är vinnarna på Göteborg Film Festival 2022!. In: goteborgfilmfestival.se. Abgerufen am 7. Februar 2022. (Schwedisch)
  27. 2022 Spirit Awards Nominations: A24 Leads with 13, Four Women in for Best Director (Full List). In: IndieWire. 14. Dezember 2021, abgerufen am 23. Februar 2022 (englisch).
  28. 'Compartment No. 6' wins eight Finnish movie awards. In: err.ee, 7. Mai 2022.
  29. Patrick Hipes: Palm Springs Film Festival Sets 2022 Lineup; Roger Michell’s Final Film 'The Duke' To Close Fest. In: deadline.com, 7. Dezember 2021.
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