Veltlin – Valtellina

Das Veltlin bei Tirano

Lage Lombardei, Italien
Gewässer Adda
Gebirge Ortler-Alpen, Livigno-Alpen, Bernina-Alpen, Bergamasker Alpen
Geographische Lage 46° 10′ 0″ N,  52′ 0″ O
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Das Veltlin ([vɛlt'li:n] oder [fɛlt'li:n] (besonders schweiz.), italienisch Valtellina, lombardisch Valtulina, rätoromanisch Vuclina) ist das Tal der Adda mit seinen Seitentälern in Norditalien an der Grenze zur Schweiz.

Der Name ist wahrscheinlich abgeleitet von Tellius, dem heutigen Teglio, einem alten Dorf in der Mitte des Tales.

Lage und Geographie

Das Veltlin ist Teil der italienischen Region Lombardei und speziell der Provinz Sondrio. Es beginnt im Nordosten im Kessel von Bormio und endet mit der Mündung der Adda in den Comer See. Das Veltlin besteht aus zwei sehr unterschiedlichen Teilstücken: Das obere Veltlin ist ein enges, steiles, hauptsächlich in südlicher und südwestlicher Richtung verlaufendes Tal. Etwa von Tirano an verläuft das untere Veltlin breit und fast ohne Gefälle in westlicher Richtung.

Nach der Alpenvereinseinteilung der Ostalpen wird das obere Veltlin von der Ortlergruppe im Osten und den Livigno-Alpen im Westen gesäumt, während das untere Veltlin im Norden von der Berninagruppe und im Süden von den Bergamasker Alpen eingegrenzt wird. Nach SOIUSA-Einteilung zählt der Bereich auf der orographisch rechten Talseite zu den Westlichen Rätischen Alpen und die orographisch linke Talseite im Norden zu den Südlichen Rätischen Alpen und ab dem Apricapass zu den Bergamasker Alpen.

Das untere Veltlin ist Teil der großen Verwerfung (Periadriatische Naht), die die (zentralen) Ostalpen von den Südalpen trennt.

Vom oberen Veltlin führen das Stilfser Joch nach Südtirol, der Passo di Gavia ins Valcamonica, der Umbrailpass ins Münstertal, der Passo di Fraele ins Unterengadin und der Passo di Foscagno nach Livigno. Vom unteren Veltlin führen der Apricapass ins Val Camonica (und weiter über den Tonalepass ins Trentino), der Berninapass ins Oberengadin und der Murettopass ins Bergell.

Hauptort ist Sondrio, weitere bedeutende Orte sind Morbegno, Tirano, Chiavenna und Bormio. Im Tal leben ca. 180 000 Menschen.

Veltlin, von der Piazzola Alp (Sondrio) aus gesehen.

Gebietskörperschaften

  • Comunità Montana della Valchiavenna
  • Comunità Montana della Valtellina di Morbegno
  • Comunità Montana della Valtellina di Sondrio
  • Comunità Montana della Valtellina di Tirano
  • Comunità Montana Alta Valtellina

Geschichte

Antike

Das Veltlin wurde in der Antike von keltischen, ligurischen und etruskischen Stämmen besiedelt. Bei den römischen Schriftstellern Vergil, Martial und Plinius d. J. finden sich Hinweise auf die vorrömische Besiedlung des Tales. Mit den Ligurern soll auch der Weinbau in die Gegend gekommen sein.

Mittelalter

Im Frühmittelalter ließen sich auch Langobarden im Veltlin nieder, wie archäologische Funde zeigen. Das Tal ging dann im 8. Jahrhundert durch eine Schenkung Karls des Großen an die Abtei St. Denis bei Paris. Die Landeshoheit blieb mehrheitlich beim Bischof von Como. Die Talschaften Chiavenna, Poschiavo und Bormio waren jedoch zwischen den Bischöfen von Como und Chur umstritten. Im Namen der Bischöfe von Chur übten dort die Herren von Matsch die Vogteigewalt aus.

1335 fiel das Gebiet von Como an das Herzogtum Mailand. Bis 1348 sicherte sich Mailand auch das ganze Veltlin, inklusive Chiavenna, Bormio und Poschiavo. Letztere Talschaft schloss sich 1408 dem Gotteshausbund an und wurde damit Teil des Freistaats der Drei Bünde.

Die Bündner Herrschaft nach 1512

Schon 1486 hatten die Drei Bünde versucht, die Kontrolle über das Veltlin zu erlangen. Aber erst 1512 gelang ihnen im Zuge der Mailänderkriege der Eidgenossen die Eroberung der drei Talschaften Chiavenna, Veltlin und Bormio, die von da an ein Untertanenland des Freistaates der Drei Bünde bildeten. Dieser war ein zugewandter Ort der alten Eidgenossenschaft. Die italienischen Untertanengebiete waren in die Vogteien des Addatales Morbegno, Traona, Teglio, Tirano, Bormio (Worms) sowie Chiavenna (Cläven) und Piuro (Plurs) gegliedert.

Die drei Talschaften Chiavenna, Veltlin und Bormio hatten traditionellerweise unterschiedliche Rechte und Freiheiten. Die Bündner verpflichteten sich, die talschaftliche Selbstverwaltung, den Veltliner Talrat, zu respektieren und sich an die regionalen Statuten zu halten. Am meisten Autonomie besaß Bormio, wo nur die Administration in den Händen der Bündner Amtsleute lag, am wenigsten Rechte besaß das Veltlin, wo die ganze Jurisdiktion und die Administration in den Händen der Drei Bünde lagen. Die Untertanen bildeten gegenüber den Herrschenden keine Einheit, auch gesinnungsmäßig nicht, denn die unterschiedlichen Privilegien gaben immer wieder Anlass zu Neid und Intrigen.

Die zentrale Verwaltung der Bündner Untertanenlande lag in den Händen eines Gouverneurs (Gubernator oder Landshauptmann), der zusammen mit dem Cavaliere (Weibel und Anführer der Polizeimannschaft) und einem Vikar (Vicari; Zivilrichter in Sondrio und Untersuchungsrichter in allen Amtsbezirken außer Chiavenna) in Sondrio residierte. In Bormio und Chiavenna sowie in den einzelnen Terzieri des Veltlins übte je ein Potestat (Podestà) die Herrschaftsgewalt der Bünde aus, der dem Gouverneur unterstellt war. In Chiavenna wurden sie Commissari und in Plurs Prätor genannt. Daneben gab es die Syndikatur, eine Geschäftsprüfungs- und Appellationsbehörde, mit drei Mitgliedern pro Bund und einem Präsidenten. Alle diese Amtsleute wurden vom Bundestag der Drei Bünde gewählt, besoldet wurden sie hingegen von den Untertanenlanden. Die einzigen Steuern, die während dieser Zeit durch die Bündner eingezogen wurden, dienten der Deckung der Administrationskosten. Nur für Notfälle stand den Drei Bünden das Recht zu, außerordentliche Abgaben zu erheben. Daneben bestanden natürlich die Steuern der einzelnen Gemeinden, die zur Deckung der Infrastrukturkosten dienten. Die Bündner Grundbesitzer waren jedoch von solchen Steuern explizit ausgenommen.

Der einheimische Adel, der zu Zeiten der mailändischen Herrschaft die Verwaltung besetzt hatte, verschwand nicht ganz von der politischen Bühne, denn die unteren Posten der Verwaltung blieben seine Domäne, wie auch die Ebenen der Selbstverwaltung der Talschaft, der Terzieri und der Gemeinden.

Die Bündner Wirren

Als Mailand 1535 habsburgisch wurde, erlangte das Veltlin für die damalige Weltmacht Habsburg höchste strategische Bedeutung als Verbindung zwischen Tirol und Oberitalien. Dementsprechend versuchten die Habsburger mehrfach, das Veltlin wieder an Mailand und damit an ihren Machtbereich anzugliedern. In der Zeit der Reformation blieb das Veltlin mehrheitlich katholisch, während in einigen Teilen der Drei Bünde sich die Reformation ausbreitete. Insbesondere die italienischsprachigen Talschaften Bergell und Poschiavo waren ein Zentrum der italienischsprachigen Propaganda für die Reformation. Den daraus resultierenden konfessionellen Konflikt zwischen katholischen Untertanen und reformierten Bündner Herren versuchten sich die katholischen Habsburger nutzbar zu machen, insbesondere während des Dreißigjährigen Kriegs. Im «Veltliner Mord» wurden 1620 etwa 600 Protestanten im Veltlin ermordet und damit die Reformation gestoppt und zurückgedrängt. Die Bündner verloren daraufhin bis 1639 die Kontrolle über das aufständische Veltlin an Spanien. Nachdem die Bündner auf die habsburgische Seite gewechselt waren, gaben ihnen die Spanier das Veltlin zurück. Der Schweizer Dichter Conrad Ferdinand Meyer verarbeitet diese Auseinandersetzungen in seinem Roman Jürg Jenatsch.

Das Veltlin als Teil Italiens seit 1797

Die Bündner Herrschaft endete 1797, als Napoleon das Veltlin der neugegründeten Cisalpinischen Republik zuschlug. Durch den Wiener Kongress wurde 1815 das Veltlin dem neu gegründeten Lombardo-Venetianischen Königreich übertragen, das in Personalunion mit dem Kaisertum Österreich verbunden war. Eine Vereinigung des Veltlins mit Graubünden scheiterte an verschiedenen Gründen. Zum einen waren die Großmächte, insbesondere Österreich, nicht daran interessiert, das strategisch wichtige Gebiet aus den Händen zu geben. Zum anderen konnten sich die Bündner selbst nicht darüber einigen, den Veltlinern anzubieten, als gleichberechtigtes Land in den Kanton Graubünden einzutreten, aus Angst, das italienische und katholische Element würde in Graubünden zu mächtig. Für die Veltliner kam ein Anschluss an die Schweiz aber nur als eigenständiger Kanton oder als gleichberechtigter Teil Graubündens in Frage. Der Verlust des Veltlins wurde in Graubünden noch weit bis ins 20. Jahrhundert beklagt. 1859 fiel das Veltlin mit der Lombardei an Sardinien-Piemont bzw. 1861 an das neugegründete Königreich Italien.

Ereignisse in jüngerer Zeit

In den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges plante Benito Mussolini, sich ähnlich wie Adolf Hitler in eine Alpenfestung zum letzten Aufgebot zurückzuziehen. Dafür sah Mussolini das Veltlin vor.

Am 28. Juli 1987 löste sich in der Ostflanke des Pizzo Copetto (Grosina-Alpen) ein Bergsturz, der das Dorf San Antonio Morignone unter sich begrub, 27 Menschenleben forderte und die Adda vorübergehend aufstaute. Der Talboden ist seither auf mehreren Kilometern Länge verschüttet. Die Staatsstraße 38 wurde in den Berg verlegt.

Wirtschaft

Tourismus

Von Tirano führt die Rhätische Bahn (Berninabahn) ins schweizerische Puschlav und weiter ins Oberengadin. Eine Linie von Trenitalia (Tochtergesellschaft des Gruppo FS) führt auf der vormaligen Veltlinbahn über Sondrio und Lecco nach Mailand bzw. Bergamo sowie über Sondrio nach Chiavenna. Das Hochgebirge bietet dem Alpinisten vielseitige Möglichkeiten. Im Veltlin liegen mehrere Wintersportorte, darunter Bormio, Chiesa in Valmalenco und Caspoggio. Das Val Masino ist für Kletterer interessant (Bergellgranit).

Von besonderer Bedeutung ist der Park der Felsbilder in Grosio, ein Archäologischer Park mit einem Grossen Felsen (Rupe Magna) der mit mehr als 5.000 Felszeichnungen (Petroglyphen) aus dem 4.–1. Jahrtausend v. Christus versehen ist.

Wein

Das Veltlin hat mehreren Rebsorten seinen Namen verliehen (→Veltliner). Der Wein des Veltlin, der Valtellina, wird jedoch seit Jahrhunderten aus der hauptsächlich in den weitläufigen Weinbergen des mittleren und unteren Veltlins wachsenden Nebbiolo-Traube hergestellt. Die Qualität dieses Rotweines (es gibt jedoch auch Rosés und Weißweine), der in verschiedenen Stärken und Geschmacksrichtungen hergestellt wird, ist sehr hoch. Der Rosso di Valtellina DOC ist ein Qualitätswein für den Alltag. Die bekannten Spitzenlagen sind als DOCG Valtellina Superiore gekennzeichnet und dürfen die Namen der Unterzonen tragen: Valgella, Inferno, Grumello, Sassella, Maroggia. Der Sforzato DOCG ist eine Art Strohwein, der zu festlichen Anlässen genossen wird. Der Wein wird, außer dem Konsum im Tal selber, vor allem in die Schweiz exportiert und ist in Graubünden noch heute das Nationalgetränk bei geselligen, aber auch bei gediegenen Anlässen. Der leicht herbe Veltliner passt am besten zu rotem Fleisch, aber auch zu Trockenfleisch wie Bündnerfleisch, Bresaola, Salsiz, Speck, Salametti, Mortadella usw., welche alle auch Spezialitäten des Veltlins sind.

Literatur

  • Florian Hitz, Ludmila Seifert-Uherkovich: Die Veltliner Verwaltung. In: Die Sprecherhäuser in Luzein. Baudenkmäler als Zeugen von Familien- und Regionalgeschichte. Punktum, Zürich 2008, ISBN 978-3-9523577-2-9.
  • Guido Scaramellini: Veltlin. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Alessandro Pastore: Nella Valtellina del tardo Cinquecento. Fede, cultura, società. Viella, Roma 2015.
  • Yolanda Alther: Kragkuppelbauten – Untersuchung eines alpinen Gebäudetypus im Grenzgebiet Puschlav und Veltlin Universität Zürich (UZH) 2019
Commons: Veltlin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Veltlin. Duden-Redaktion, abgerufen am 9. Oktober 2015.
  2. Florian Hitz, Ludmila Seifert-Uherkovich: Die Veltliner Verwaltung. In: Die Sprecherhäuser in Luzein. Baudenkmäler als Zeugen von Familien- und Regionalgeschichte. Punktum, Zürich 2008.
  3. Der verlorene Kanton: Warum das Veltlin heute nicht zur Schweiz gehört In: Neue Zürcher Zeitung vom 6. Januar 2023
  4. Hellmut Völk: Die Bergsturzkatastrophe im Veltlin 1987. In: Die Geowissenschaften 1998, 7(1), 1–9, doi:10.2312/GEOWISSENSCHAFTEN.1989.7.1.
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