Amedeo Osti Guerrazzi (* 14. Juli 1967 in Rom) ist ein italienischer Zeithistoriker, der vor allem mit Arbeiten zum italienischen Faschismus in Erscheinung getreten ist.

Leben

Osti Guerrazzi wurde 1999 an der Universität Turin mit einer Arbeit über Industriebeziehungen und Sozialgesetzgebung im liberalen Italien (1892–1914) promoviert. Er war ab 2004 Lehrbeauftragter an der römischen Universität La Sapienza. Osti Guerrazzi war Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom und externer Mitarbeiter an dem inzwischen abgeschlossenen interdisziplinären Forschungsprojekt „Referenzrahmen des Krieges“ unter Leitung Sönke Neitzels an der Universität Mainz. Ab Juli 2017 war er als wissenschaftlicher Berater der Fondazione Museo della Shoah in Rom tätig. Aktuell ist Osti Guerrazzi wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Padua.

Werk

2004 veröffentlichte Osti Guerrazzi eine monographische Studie über den Faschismus zur Zeit der Italienischen Sozialrepublik in Rom. 2006 publizierte er in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte einen Aufsatz, in dem er durch eine (unvollständige) Auswertung der Prozessakten der römischen Corte d’Assise speciale 200 Fälle von römischen Juden aufzeigte, die von ihren Mitbürgern verraten wurden.

Das 2008 veröffentlichte Büchlein La Repubblica Sociale Italiana bietet eine kommentierte Bibliographie zu 100 Titeln zum Thema.

Das 2010 erschienene, gemeinsam mit Anthony Majanlathti verfasste Buch Roma occupata 1943–1944 stellt eine Art historischen Reiseführer zu den Orten dar, die während der neunmonatigen deutschen Besatzung Roms vom September 1943 bis Juni 1944 eine Rolle spielten.

In einer 2011 erschienenen Monographie untersucht Osti Guerrazzi die 28 Monate währende Besatzung der italienischen Armee in Slowenien und die diesbezügliche italienische Erinnerungsgeschichte. Insbesondere beschreibt er die zunehmende Brutalisierung der Kriegsführung. Laut Karlo Ruzicic-Kessler habe kein Autor vor Osti Guerrazzi „in dieser Genauigkeit eine Mikrostudie zu den Einsätzen italienischer Einheiten in Slowenien – besonders bei den Offensiven des Sommers 1942 – verfasst.“ Im sechsten und letzten Kapitel des Buchs behandelt Osti Guerrazzi vor allem die Selbstexkulpation italienischer Militärs wie Mario Roattas, die in ihren Memoiren behaupteten, die Brutalität der Partisanen sei für das harte italienische Vorgehen verantwortlich gewesen. 2014 veröffentlichte Osti Guerrazzi in den Vierteljahrsheften einen Aufsatz, der die italienische Kriegführung und Besatzungspraxis in Slowenien am Beispiel der Division „Granatieri di Sardegna“ nachzeichnet.

Osti Guerrazzis 2012 erschienene Storia della Repubblica Sociale Italiana zielt vor allem darauf ab, eine Synthese der bisherigen Forschungen zur Italienischen Sozialrepublik vorzulegen. Nach der zentralen These des Bands stellte die Befreiung Roms im Juni 1944 eine Zäsur in der Geschichte des republikanischen Faschismus dar: Auf eine erste Phase (September 1943 bis Juni 1944), in der die Faschisten noch auf widersprüchliche Weise den Konsens der Bevölkerung zu erlangen versucht hatten, sei eine zweite gefolgt, in der die Faschisten jegliches Vertrauen in die Bevölkerung verloren und einen regelrechten „Krieg gegen die Zivilbevölkerung“ (guerra ai civili) geführt hätten.

2018 konnte Osti Guerrazzi durch Auswerten des Dienstkalenders Mussolinis in einem Aufsatz nachweisen, dass einflussreiche Werke der Memoirenliteratur aus der Umgebung Mussolinis (Emil Ludwig, Yvon De Begnac, Nino D’Aroma), die auch Mussolini-Biograph Renzo De Felice für authentisch hielt, in Wahrheit höchst unzuverlässig sind.

Schriften (Auswahl)

Monographien

  • Grande industria e legislazione sociale in età giolittiana. Paravia, Turin 2000.
  • L’utopia del sindacalismo rivoluzionario. I congressi dell’Unione Sindacale Italiana 1912–13. Bulzoni, Rom 2001.
  • „La Repubblica necessaria“. Il fascismo repubblicano a Roma 1943–44. Franco Angeli, Mailand 2004.
  • Poliziotti. I direttori dei campi di concentramento in Italia. Cooper, Rom 2004.
  • Caino a Roma. I complici romani della Shoah. Cooper, Rom 2005.
  • La Repubblica Sociale Italiana. Unicopli, Mailand 2008.
  • Noi non sappiamo odiare. L’esercito italiano tra fascismo e democrazia. Utet, Turin 2010.
  • (mit Anthony Majanlahty): Roma occupata 1943–44. Itinerari, storie, immagini. Il sagggiatore, Mailand 2010.
  • L’esercito italiano in Slovenia 1941–1943. Strategie di repressione antipartigiana. Viella, Rom 2011 (= Ricerche dell’Istituto storico germanico di Roma, Bd. 7).
  • Storia della Repubblica Sociale Italiana. Carocci, Rom 2012. (Rezension (italienisch))
  • Gli specialisti dell’odio. Delazioni, arresti, deportazioni di ebrei italiani. Giuntina, Florenz 2021.
  • Nessuna misericordia. Storia della violenza fascista. Biblion, Mailand 2022.

Herausgeberschaften

Einzelnachweise

  1. Curriculum scientifico di Amedeo Osti Guerrazzi (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Juni 2023. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. an der Università degli Studi della Repubblica di San Marino.
  2. Homepage an der Universität Mainz.
  3. „Referenzrahmen des Krieges“, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
  4. Amedeo Osti Guerrazzi auf der Homepage der Universität Padua. Abgerufen am 2. Oktober 2022.
  5. Amedeo Osti Guerrazzi: Kain in Rom. Judenverfolgung und Kollaboration unter deutscher Besatzung 1943/44. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 54 (2006), H. 2, S. 231–261 (PDF).
  6. Karlo Ruzicic-Kessler: Rezension zu: Osti Guerrazzi: The Italian Army in Slovenia In: H-Soz-Kult, 24. Juni 2014.
  7. Amedeo Osti Guerrazzi: „Schonungsloses Handeln gegen den bösartigen Feind“. Italienische Kriegführung und Besatzungspraxis in Slowenien 1941/42. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 62 (2014), H. 4 (Vorspann).
  8. Amedeo Osti Guerrazzi: Storia della Repubblica Sociale Italiana. Carocci, Rom 2012, S. 11 f.
  9. Amedeo Osti Guerrazzi: Das System Mussolini. Die Regierungspraxis des Diktators 1922 bis 1943 im Spiegel seiner Audienzen. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 66 (2018), H. 3, S. 201–231 (Vorspann).
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