Anatoli Markowitsch Gurewitsch, mit dem Decknamen Kent (russisch Анатолий Маркович Гуревич; * 7. November 1913 in Charkow; † 2. Januar 2009 in St. Petersburg) war ein Offizier des sowjetischen Militär-Nachrichtendienstes GRU und als petit chef eine der „legendären“ Persönlichkeiten der als Rote Kapelle bezeichneten Widerstandsbewegungen.
Leben
Gurewitsch entstammte einer jüdischen Familie und wuchs in Leningrad auf. Ab 1936 besuchte er dort das Institut für Tourismus und erhielt dort eine Ausbildung als Dolmetscher. 1938 nahm er als Freiwilliger am Spanischen Bürgerkrieg teil und wurde danach wie andere ehemalige Spanienkämpfer vom GRU angeworben. Er erhielt den Auftrag, den grand chef Leopold Trepper beim Aufbau eines Informationsnetzes zu unterstützen und zu überwachen.
Auf Anweisung der GRU-Zentrale nahm er 1940 auch Kontakt zu Sándor Radó in Genf und Anfang November 1941 zu Harro Schulze-Boysen in Berlin auf.
Da Trepper 1941 nicht über ausreichend Funkgeräte verfügte, übernahm Gurewitschs Gruppe in Belgien, unter der Tarnung als mit den Nazis kooperierende südamerikanische Baustoff-Firma, zudem einen Großteil der Informationsübermittlung für diesen. Nach Aufenthalten in Stockholm und vor allem in Brüssel wurde Gurewitsch 1942 in Marseille verhaftet und in ein Funkspiel der Gestapo einbezogen.
Nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion 1945 wurde ihm deshalb Landesverrat vorgeworfen. Nach längerem Aufenthalt in der Lubjanka wurde er in ein Arbeitslager deportiert. Erst 1991 wurde er vollständig rehabilitiert, erhielt aber eine so niedrige Rente, dass er beim Kauf dringend benötigter Medikamente auf Spenden angewiesen war.
Erst nach seiner Rehabilitierung erfuhr er, dass sein Sohn Michel am Leben ist und in Spanien lebt; über ihn war ihm zuvor immer nur berichtet worden, dieser sei nach der Geburt gestorben.
Schriften
- Anatoli Gourevitch: Un certain monsieur Kent. Le dernier témoin de l’Orchestre rouge. Grasset: Paris 1995; ISBN 978-2-246-46331-3
Filmografie
- Hans Coppi junior: Verlorenes Leben. Dokumentarfilm über Anatoli Gurewitsch.
Literatur
- Sergei Nikolajewitsch Poltorak: Der Kundschafter „Kent“. (russisch)
- Margarete Barcza: Erinnerungen. In: Luis T. Bonmati: Ultimo acorde para la Orchestra Roja. Alicante 1990, S. 125–239
- Hans Coppi junior: Die „Rote Kapelle“ im Spannungsfeld von Widerstand und nachrichtendienstlicher Tätigkeit. Der Trepper-Report vom Juni 1943. (pdf 7 MB); in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3/1996
- Hans Schafranek, Johannes Tuchel (Hrsg.): Krieg im Äther. Widerstand und Spionage im Zweiten Weltkrieg. Picus Verlag: Wien 2004, ISBN 3-85452-470-6
- Gilles Perrault: Auf den Spuren der Roten Kapelle. Europaverlag: Wien/München 1994, ISBN 3-203-51232-7
- Heinz Höhne: Kennwort Direktor. Die Geschichte der Roten Kapelle. (1. Auflage 1970) S. Fischer Verlag: Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-10-032501-X
- Heinz Höhne, Gilles Perrault: „ptx ruft Moskau“. Die Geschichte der Roten Kapelle. In: Der Spiegel. Nr. 21, 1968 (online).
- Leopold Trepper: Die Wahrheit. Autobiographie. dtv: München 1978, ISBN 3-423-01387-7
- Nachruf im St. Petersburger Herold
- Der „älteste Spion Russlands“ ist tot. In: Mitteldeutsche Zeitung, 4. Januar 2009
- Johannes Tuchel: Weihnachten müsst Ihr richtig feiern. In: Die Zeit, Nr. 51/2007, über die Reise von Anatolij Gurewitsch nach Berlin
Weblinks
- Kent-Gurewitsch von der „Roten Kapelle“ (russisch)
- Anatoli Markowitsch Gurewitsch: Aufklärung – das ist kein Spiel. (russisch)
Einzelnachweise
- ↑ Kreisinfo Oberhavel (Memento vom 21. Dezember 2014 im Internet Archive) (PDF; 3,2 MB) Die Linke