Anatoli Timofejewitsch Fomenko (russisch Анатолий Тимофеевич Фоменко, wiss. Transliteration Anatolij Timofeevič Fomenko; * 13. März 1945 in Stalino, Ukrainische SSR) ist ein russischer Mathematiker und Professor an der Lomonossow-Universität in Moskau, der mit seinem pseudowissenschaftlichen chronologiekritischen Projekt Neue Chronologie bekannt wurde, aber deswegen auch als Verschwörungstheoretiker umstritten ist.
Werdegang
Fomenko studierte von 1962 bis 1967 an der mechanisch-mathematischen Fakultät der Moskauer Staatsuniversität und arbeitete am Lehrstuhl für Differentialgeometrie dieser Fakultät. Seine Arbeit zum Kandidaten der Wissenschaften (Doktorarbeit, „kleine Doktorarbeit“) aus dem Jahr 1970 trug den Titel Vollständige geodätische Kreismodelle (Вполне геодезические модели циклов); 1972 verteidigte er seine Doktorarbeit (Habilitationsarbeit, „große Doktorarbeit“) zum Thema Die Lösung des mehrdimensionalen Plateau-Problems in einer riemannschen Mannigfaltigkeit (Решение многомерной проблемы Плато на римановых многообразиях).
1980 wurde Fomenko Professor für höhere Geometrie und Topologie an der Lomonossow-Universität; 1992 wurde er Leiter des Lehrstuhls für Differentialgeometrie und verwandte Gebiete. Im März 1994 nahm man ihn als vollwertiges Mitglied in die russische Akademie der Wissenschaften auf. Er arbeitete über Differentialgeometrie, Topologie und Variationsrechnung und ist Verfasser mehrerer bekannter Lehrbücher, in denen teilweise auch seine künstlerische Begabung zum Ausdruck kommt – Fomenko ist auch Maler.
1974 war er Invited Speaker auf dem Internationalen Mathematikerkongress in Vancouver (Multidimensional Plateau Problem on Riemannian Manifolds, On the problem of the algorithmical recognizability of the standard three dimensional sphere).
Neue Chronologie
Bekannt wurde Anatoli T. Fomenko auch durch seine Thesen zur Geschichtsforschung, die er im Rahmen des Projekts Neue Chronologie vorantreibt. Dabei griff er ältere Ideen von Nikolai Morosow in Russland auf, wie zuvor schon der Mathematiker Michail Postnikow. Im Wesentlichen lautet seine These, dass die Datierungen christlicher Zeitrechnung im 16. Jahrhundert weitestgehend unrichtig festgelegt worden seien. Als Folge davon müsse die Geschichte der letzten 2000 Jahre um gut 1000 Jahre gekürzt werden. Fomenko stützt seine Chronologiekritik auf astronomische Berechnungen und indirekte statistische Methoden.
Ein Teilergebnis seiner Betrachtung ist beispielsweise, dass Christus im 12. Jahrhundert in Konstantinopel gekreuzigt worden sein soll.
Seit den 1990er Jahren werden die Bücher Fomenkos über die Neue Chronologie aus dem Russischen ins Englische übersetzt und herausgegeben. Einer von Fomenkos ausgeprägten Anhängern ist der Schweizer Historiker und Publizist Christoph Pfister, dessen geschichtsanalytisches Werk Die Matrix der alten Geschichte wesentlich von Fomenkos Positionen beeinflusst ist. Einer von Fomenkos schärfsten Kritikern in Russland war der Linguist Andrei Salisnjak. Gegner werfen Fomenko neben methodischen Mängeln auch den als russisch-nationalistischen Gehalt bezeichneten Blickwinkel in seinen Schriften vor. So behaupte die neue Chronologie ganz zentral, „dass Russland etwas besonderes ist, weil Russen früher ganz Europa bevölkert haben und auch auf dem Gebiet Chinas“ seien Russen gewesen.
Schriften
Mathematische Schriften
- mit V. V. Trofinov: Integrable systems on Lie algebras and symmetric spaces. 1987.
- mit Dmitry B. Fuks, Viktor L. Gutenmacher: Homotopic topology. Akadémiai Kiadó, Budapest 1986, ISBN 963-05-3544-0.
- Differential geometry and topology. 1987.
- Integrability and Nonintegrability in Geometry and Mechanics. 1988.
- The Plateau Problem, Part I & II, Studies in the development of modern mathematics. Vol. 1. Gordon and Breach, New York 1990.
- Mathematical Impressions. 1990.
- Variational problems in topology. 1990.
- mit Boris Dubrovin, Sergei Nowikow: Modern geometry. 3 Bände. Springer, Tokio u. a. 1985.
- mit Sergei Nowikow: Basic elements of differential geometry and topology. 1990.
Arbeiten zur Chronologie
- mit V. V. Kalashnikov und G. V. Nosovsky: Geometrical and Statistical Methods of Analysis of Star Configurations. Dating of Ptolemy's Almagest. 1993.
- Empirico-Statistical Analysis of Narrative Material and its Applications to Historical Dating. 1994.
- Volume 1: The Development of the Statistical Tools.
- Volume 2: The Analysis of Ancient and Medieval Records.
- History: Fiction or Science? Dating methods as offered by mathematical statistics. Eclipses and zodiacs. Chronology 1. Delamere Resources, Paris 2003.
- History: Fiction or Science? Chronology 2. Delamere Resources, Paris 2005.
- History: Fiction or Science? Astronomical methods as applied to chronology. Ptolemy's Almagest. Chronology 3. Delamere Resources, Paris 2007.
- History: Fiction or Science? Chronology 4. Delamere Resources, Paris 2008.
Weblinks
- Literatur von und über Anatoli Timofejewitsch Fomenko im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Fomenkos Seite (Memento vom 26. September 2007 im Internet Archive) bei der MGU (russisch)
- Biografie und Die Bilder der „Mathematical Impressions“
- Felix Philipp Ingold: Das Geschichtsbild der Neuen Chronologie
- Fomenkos Zeichnungen (Memento vom 12. Juli 2007 im Internet Archive) (englisch)
- Neue Chronologie (russisch)
- Neue Chronologie – Analyse und Kritik (russisch)
Anmerkungen
- 1 2 Putins Diktatur Das imperialistische Weltbild des Kremls, rbb-online, 4. August 2022
- ↑ Andreas Umland: Historische Esoterik als Erkenntnismethode. Wie russische Pseudo-Wissenschaftler zu Moskaus antiwestlicher Wende beigetragen haben. In: SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen. Band 7, Nr. 1, 30. März 2023, ISSN 2510-2648, S. 3–10, doi:10.1515/sirius-2023-1003 (degruyter.com [abgerufen am 16. September 2023]).
- ↑ Christoph Pfister: Die Matrix der alten Geschichte. Analyse einer religiösen Geschichtserfindung. 2. veränderte Auflage. Norderstedt: Books on Demand 2006.
- ↑ Mischa Gabowitsch (Paris 2000): Fomenko und die "Neue Chronologie". http://www.ilya.it/chrono/dtpages/fomenkokritikdt.html
- ↑ Konstantin Sheiko: Lomonosov’s Bastards: Anatolii Fomenko, Pseudo-History and Russia’s Search for a Post-Communist Identity. (Memento vom 31. August 2007 im Internet Archive) Dissertation. Wollongong 2004. (englisch)