Anthophyllit
Gelblichweißer, radialstrahlig-faseriger Anthophyllit auf grünlichbraunem Vermiculit aus Paakkila, Tuusniemi, Ostfinnland (Sichtfeld 4 cm)
Allgemeines und Klassifikation
IMA-Nummer

2012 s.p.

IMA-Symbol

Ath

Andere Namen

Antophyllit

Chemische Formel (Mg,Fe2+)7[OH|Si4O11]2
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Silikate und Germanate – Ketten- und Bandsilikate
System-Nummer nach
Strunz (8. Aufl.)
Lapis-Systematik
(nach Strunz und Weiß)
Strunz (9. Aufl.)
Dana

VIII/D.06
VIII/F.12-060

9.DE.05
66.01.02.02
Kristallographische Daten
Kristallsystem orthorhombisch
Kristallklasse; Symbol orthorhombisch-dipyramidal; 2/m2/m2/m
Raumgruppe Pnma (Nr. 62)Vorlage:Raumgruppe/62
Gitterparameter a = 18,56 Å; b = 18,01 Å; c = 5,28 Å
Formeleinheiten Z = 4
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte 5,5 bis 6
Dichte (g/cm3) gemessen: 2,9 bis 3,5; berechnet: 3,09
Spaltbarkeit vollkommen nach {210}
Bruch; Tenazität uneben bis muschelig
Farbe weiß, grau, hellbraun, gelb, hellgrün
Strichfarbe weiß
Transparenz durchsichtig bis durchscheinend
Glanz Glasglanz, Perlglanz auf Spaltflächen
Kristalloptik
Brechungsindizes nα = 1,598 bis 1,674
nβ = 1,605 bis 1,685
nγ = 1,615 bis 1,697
Doppelbrechung δ = 0,017 bis 0,023
Optischer Charakter zweiachsig positiv
Achsenwinkel 2V = gemessen: 57 bis 90°; berechnet: 82 bis 90°

Das Mineral Anthophyllit (früher Antophyllit) ist ein häufig vorkommendes Kettensilikat aus der Gruppe der orthorhombischen Amphibole. Es kristallisiert im Orthorhombischen Kristallsystem mit der chemischen Zusammensetzung (Mg,Fe2+)7[OH|Si4O11]2 und entwickelt meist körnige, faserige und radialstrahlige Aggregate, aber auch langprismatische Kristalle in verschiedenen Farben, wobei Braun jedoch vorherrschend ist. Andere Farben wie Gelb, Grau, Weiß, Grün sind eingemischt, treten aber auch für sich auf. Die Kristalle zeigen Glasglanz, Spaltflächen dagegen Perlmuttglanz. Bei Verwitterung wird Anthophyllit matt.

Etymologie und Geschichte

Namensgebend waren wegen ihrer dunkelbraunen Farbe die Früchte der Gewürznelke, auch Mutternelke genannt, deren lateinischer Name Anthophylli lautet. Dieser Name leitet sich wiederum aus dem altgriechischen ἄνθος ánthos, deutsch Blume und φύλλον phyllon, deutsch Blatt her.

Erstmals beschrieben wurde Anthophyllit 1801 durch Christian Friedrich Schumacher, dem als Fundort nur die Gegend um Kongsberg in Norwegen bekannt war.

Klassifikation

Bereits in der veralteten 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Anthophyllit zur Klasse der „Silikate und Germanate“ und dort zur Abteilung der „Kettensilikate und Bandsilikate (Inosilikate)“, wo er zusammen mit Ferrogedrit, Gedrit und Holmquistit die zu den Orthoamphibolen gehörende „Anthophyllit-Reihe“ mit unendlichen Doppel-Zweierketten (Bändern) [Si4O11]6− und der System-Nr. VIII/D.06 innerhalb der Amphibol-Familie bildete.

Im überarbeiteten und aktualisierten Lapis-Mineralienverzeichnis nach Stefan Weiß, das sich aus Rücksicht auf private Sammler und institutionelle Sammlungen noch nach dieser klassischen Systematik von Karl Hugo Strunz richtet, erhielt das Mineral die System- und Mineral-Nr. VIII/F.12-60. In der „Lapis-Systematik“ entspricht dies ebenfalls der Abteilung „Ketten- und Bandsilikate“, wo Anthophyllit zusammen mit Ferro-Anthophyllit, Ferro-Gedrit, Ferroholmquistit, Gedrit, Holmquistit, Natrium-Anthophyllit, Natrium-Ferro-Anthophyllit, Natrium-Ferrogedrit, Natrium-Gedrit, Proto-Anthophyllit, Proto-Ferro-Anthophyllit, Proto-Ferro-Suenoit die Gruppe „Orthorhombische Amphibole“ bildet (Stand 2018).

Auch die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) bis 2009 aktualisierte 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Anthophyllit in die Abteilung der „Ketten- und Bandsilikate“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach der Art der Kettenbildung, so dass das Mineral entsprechend seinem Aufbau in der Unterabteilung „Ketten- und Bandsilikate mit 2-periodischen Doppelketten, Si4O11; Amphibol-Familie, Klinoamphibole“ zu finden ist, wo es zusammen mit Cummingtonit (Rd), Klino-Ferro-Ferri-Holmquistit (Rn), Ferri-Pedrizit, Ferro-Anthophyllit, Ferro-Gedrit, Ferroholmquistit, Ferro-Pedrizit, Fluor-Pedrizit, Gedrit, Grunerit, Holmquistit, Klinoferroholmquistit, Manganocummingtonit, Manganogrunerit, Natrium-Anthophyllit, Ferri-Pedrizit (Rn), Natrium-Ferri-Ferro-Pedrizit, Natrium-Ferrogedrit, Natrium-Ferropedrizit (H), Natrium-Ferro-Anthophyllit (H), Natrium-Gedrit, Natrium-Pedrizit (H), Pedrizit (H), Permanganogrunerit (H), Proto-Anthophyllit, Proto-Ferro-Anthophyllit, Protomangano-Ferro-Anthophyllit die „Mg,Fe,Mn-Klinoamphibole, Cummingtonitgruppe“ mit der System-Nr. 9.DE.05 bildet.

Die im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Anthophyllit in die Abteilung der „Kettensilikate mit doppelten, unverzweigtem Ketten, W=2“. Hier ist er in der unbenannten Gruppe 66.01.02 innerhalb der Unterabteilung der „Kettensilikate: Doppelte unverzweigte Ketten, W=2 Amphibol-Konfiguration“ zu finden.

Kristallstruktur

Anthophyllit kristallisiert orthorhombisch in der Raumgruppe Pnma (Raumgruppen-Nr. 62)Vorlage:Raumgruppe/62 mit den Gitterparametern a = 18,56 Å; b = 18,01 Å und c = 5,28 Å sowie 4 Formeleinheiten pro Elementarzelle.

Eigenschaften

Vor dem Lötrohr wird Anthophyllit grünlichschwarz, verliert seinen Glanz und wird mürbe, schmilzt aber nicht. Die Boraxperle wird dabei nur wenig aufgelöst und färbt sich grünlichgelb oder lauchgrün bis olivgrün.

Modifikationen und Varietäten

Als Hermanover Kugel wird ein eiförmiges Mineral-Aggregat aus Phlogopit-Kern und Anthophyllit-Kruste aus Heřmanov in Tschechien bezeichnet.

Die Bezeichnung Kupfferit, benannt nach dem deutsch-baltischen Physiker, Mineralogen und Physikochemiker Adolph Theodor Kupffer, ist ein Synonym für zwei verschiedene Varietäten von Anthophyllit:

  • Magnesio-Anthophyllit wurde von Allen and Clement erstbeschrieben und stellte sich bei späteren Analysen als magnesiumhaltige Varietät heraus
  • eine chromhaltige Varietät wurde erstmals von Koksarov beschrieben

Bildung und Fundorte

Anthophyllit bildet sich durch Kontakt- oder Regionalmetamorphose in Gneisen, Pegmatiten und Serpentiniten. Begleitminerale sind unter anderem Cordierit, Talk, Chloriten, Sillimanit, verschiedene Glimmer, Olivin, Hornblende und Gedrit, Magnesio-Cummingtonit, Granate, Staurolith und Plagioklasen.

Als relativ häufige Mineralbildung konnte Anthophyllit an vielen Orten nachgewiesen werden, wobei bisher rund 700 Fundorte dokumentiert sind (Stand: 2019). Bekannte Vorkommen sind neben seiner Typlokalität Kongsberg in Norwegen unter anderem das Gebiet um Bodenmais in Niederbayern (Deutschland) und die Oblast Swerdlowsk im russischen Föderationskreis Ural. Anthophyllitasbest-Lagerstätten kennt man aus Paakkila (Gemeinde Tuusniemi), Rikkavesi und Usinmäki in Finnland, Hamersley in Australien sowie die Sall Mountains in den US-Bundesstaaten Georgia und North Carolina.

Weitere Fundorte liegen unter anderem in Ägypten, der Antarktis, in Äthiopien, Bolivien, Brasilien, Burkina Faso, China, Frankreich, Grönland, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Neuseeland, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Simbabwe, Slowakei, Spanien, Südafrika, Tadschikistan, Taiwan, Tschechien, Ukraine, Ungarn und im Vereinigten Königreich.

Verwendung

Anthophyllit fand unter dem Namen Amphibolasbest Verwendung in der Bauindustrie (Asbestzement).

Als Asbestmineral gehört Anthophyllit (CAS-Nummer 77536-67-5) zu den gefährlichen Stoffen, deren Herstellung, Inverkehrbringen oder Verwendung in der EU nach Anhang XVII der REACH-Verordnung beschränkt beziehungsweise verboten ist.

Siehe auch

Literatur

  • Christian Friedrich Schumacher: Versuch eines Verzeichnisses der in den Dänisch-Nordischen Staaten sich findenden einfachen Mineralien. Brummer, Kopenhagen 1801, S. 96 (rruff.info [PDF; 814 kB; abgerufen am 29. November 2019] siehe auch eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Friedrich Klockmann: Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie. Hrsg.: Paul Ramdohr, Hugo Strunz. 16. Auflage. Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-82986-8, S. 730 (Erstausgabe: 1891).
  • Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien-Enzyklopädie (= Dörfler Natur). Edition Dörfler im Nebel-Verlag, Eggolsheim 2002, ISBN 978-3-89555-076-8, S. 238.
Commons: Anthophyllite – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Malcolm Back, Cristian Biagioni, William D. Birch, Michel Blondieau, Hans-Peter Boja und andere: The New IMA List of Minerals – A Work in Progress – Updated: January 2023. (PDF; 3,7 MB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Marco Pasero, Januar 2023, abgerufen am 26. Januar 2023 (englisch).
  2. Laurence N. Warr: IMA–CNMNC approved mineral symbols. In: Mineralogical Magazine. Band 85, 2021, S. 291–320, doi:10.1180/mgm.2021.43 (englisch, cambridge.org [PDF; 320 kB; abgerufen am 5. Januar 2023]).
  3. David Barthelmy: Anthophyllite Mineral Data. In: webmineral.com. Abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
  4. 1 2 3 4 5 Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 625 (englisch).
  5. 1 2 3 4 Anthophyllite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (englisch, handbookofmineralogy.org [PDF; 81 kB; abgerufen am 29. November 2019]).
  6. 1 2 3 4 5 Anthophyllite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
  7. 1 2 Christian Friedrich Schumacher: Versuch eines Verzeichnisses der in den Dänisch-Nordischen Staaten sich findenden einfachen Mineralien. Brummer, Kopenhagen 1801, S. 96 (rruff.info [PDF; 814 kB; abgerufen am 29. November 2019] siehe auch eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  8. Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
  9. Ernest H. Nickel, Monte C. Nichols: IMA/CNMNC List of Minerals 2009. (PDF; 1816 kB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Januar 2009, abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
  10. Kupfferite (of Allen and Clement). In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 11. Dezember 2020 (englisch).
  11. Kupfferite (of Koksarov). In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 11. Dezember 2020 (englisch).
  12. Localities for Anthophyllite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 29. November 2019 (englisch).
  13. Hans Jürgen Rösler: Lehrbuch der Mineralogie. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie (VEB), Leipzig 1987, ISBN 3-342-00288-3, S. 528.
  14. Fundortliste für Anthophyllit beim Mineralienatlas und bei Mindat, abgerufen am 29. November 2019.
  15. Liste der beschränkten Stoffe – Anhang XVII der REACH-Verordnung: Asbestos, anthophyllite. In: echa.europa.eu. Europäische Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 11. August 2020.
  16. Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe …, abgerufen am 12. August 2020. In: Amtsblatt der Europäischen Union. L, Nr. 396, 30. Dezember 2006, S. 401.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.