Ayşe Polat (* 19. November 1970 in Malatya) ist eine türkisch-deutsche Filmregisseurin, Drehbuchautorin und Filmproduzentin. In ihren Filmen behandelt die Filmemacherin mit alevitisch-kurdischen Wurzeln die Themen Identitätssuche und Identitätsverlust, in ihren frühen Werken vor allem von türkeistämmigen Migrantenfamilien in Deutschland. Polat gilt als bedeutende Vertreterin des deutsch-türkischen Kinos Ende der 1990er Jahre.

Leben und Werk

Polat wurde 1970 in der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz Malatya in der Türkei geboren. 1978 siedelte sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwister in die Hansestadt Hamburg über. Ihr Vater arbeitete dort bereits in einem Versandhaus. Von 1990 bis 1995 studierte sie Philosophie, Kulturwissenschaften und Germanistik an der FU Berlin und der Bremer Universität. Bereits mit 15 Jahren begann sie auf Super 8 und mit der Videokamera zu filmen. 1991 erhielt sie für ihre Milieustudie Entfremdet beim Bundeswettbewerb Jugend und Video den Förderpreis.

1992 entstand der Kurzfilm „Fremdennacht“ über den Selbstmord des Asylbewerbers Kemal Altun, der vom Hamburger Filmbüro gefördert wurde. 1994 folgte der mehrfach ausgezeichnete Kurzfilm Ein Fest für Beyhan über eine junge Deutschtürkin, die sich von ihrer Familie abnabeln und befreien möchte. Auch Gräfin Sophia Hatun (1997) wurde auf mehreren internationale Festivals vorgestellt. Ihr Langspielfilmdebüt feiert Ayşe Polat mit Auslandstournee (1999) und wurde auf Filmfestivals in Karlovy Vary, Tokio und Ankara gezeigt. Beim Internationalen Filmfestival Ankara wurde der Film mit dem Preis für die Beste Regie ausgezeichnet. Ihr zweiter Langfilm En Garde (2004) eröffnete das Filmfestival von Locarno und erhielt den Silbernen Leoparden für den Besten Film und die Beste Hauptdarstellerinnen. 2005 erhielt Polat für En Garde den Deutschen Kritikerpreis.

2006 inszenierte Polat am Berliner Theater Hebbel am Ufer ihr erstes Theaterstück Otobüs, das die Entführung einer Gruppe deutscher Pauschaltouristen in der Türkei behandelt. Bei ihrem dritten Spielfilm Luks Glück wirkte Polat als Co-Produzentin mit. Die Tragikomödie erzählt die Geschichte einer türkischen Familie zwischen Hamburg und Istanbul, deren Leben durch einen Lottogewinn aus den Fugen gerät. Ihr Film Die Erbin, den sie u. a. auch produzierte, wurde auf dem Internationalen Filmfestival Rotterdam gezeigt. Der Film behandelt die Reise einer jungen Frau aus Deutschland zurück in die Heimat des verstorbenen Vaters.

Polat war von Dezember 2013 bis Februar 2014, von August bis November 2014 und von Juli bis August 2015 Stipendiatin der Kulturakademie Tarabya in Istanbul. Im Rahmen des Stipendiums in Tarabya drehte sie ihren ersten Dokumentarfilm Die Anderen. Der Film feierte auf dem DOK Leipzig seine Premiere. 2017/18 folgte eine Artist-Residency an der FU Berlin in der Kolleg-Forschungsgruppe CinepoeticsPoetologien audiovisueller Bilder.

2018 führte Polat Regie bei der ZDF-Krimiserie Der Staatsanwalt. 2020 führt sie Regie beim Dortmunder Tatort und inszenierte Tatort: Masken. 2022 ebenfalls beim Kieler Tatort für Tatort: Borowski und das unschuldige Kind von Wacken (Premiere auf dem Filmfest Hamburg 2023, TV-Ausstrahlung für November 2023 angekündigt). 2023 kehrte Polat mit dem in drei Episoden erzählten Im toten Winkel zum Kinofilm zurück. Neben ihrer Regieleistung schrieb Polat auch das Drehbuch und war als Co-Produzentin tätig. Der Film feierte seine Weltpremiere in der Sektion Encounters auf der Berlinale 2023. Auf dem Istanbul Film Festival wurde der sowohl in Hamburg als auch in der Türkei gedrehte Film mit der Goldene Tulpe als bester nationaler Film ausgezeichnet. Dort erhielt sie auch die Preise: Bestes Drehbuch, Bester Schnitt und den Fipresci-Preis. Genauso erhielt der Film auf dem International Izmir Film and Musci Festival den Crystal Flamingo Award – Bester Film, so auch die Preise: Beste Regie und Kritikerpreis. Auf dem Internationalen Filmfest Oldenburg erhielt er den German Independence Award für Bester Film.

Rezeption

Polat gehörte Ende der neunziger Jahre zur ersten Welle junger türkischer Filmemacher. Ihre kurdische Herkunft erlaubte ihr einen eigenen Zugang zu Themen von Heimat und Herkunft. Sie war als eine der wenigen deutschen Filmemacherinnen mit Migrationsgeschichte auf der Retrospektive der 69. Internationalen Filmfestspiele Berlin vertreten, die das Filmschaffen von Regisseurinnen in der Zeit von 1968 bis 1999 zum Thema machte.

Filmografie (Auswahl)

Auszeichnungen

Einzelnachweise

  1. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Ayşe Polat. In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 1. April 2023.
  2. 1 2 3 Regisseurinnen der Berlinale-Retrospektive: „Warum sollten Männer es besser können?“ In: Der Tagesspiegel. Abgerufen am 1. April 2023.
  3. 1 2 3 Kreuzberger Regisseurin Ayşe Polat: Berlinale-Debüt mit „Im toten Winkel“. In: Der Tagesspiegel Online. Abgerufen am 1. April 2023.
  4. 25 Jahre Deutscher Jugendvideopreis: Fortsetzung folgt. Abgerufen am 1. April 2023.
  5. Was tut sich – im deutschen Film? | EN GARDE (D 2004). Abgerufen am 1. April 2023.
  6. 1 2 3 Ayşe Polat. 13. März 2017, abgerufen am 1. April 2023.
  7. ZDF-Pressemitteilung /Silberner Leopard für ZDF-Produktion beim Festival von Locarno /Das kleine Fernsehspiel „En Garde“ verbucht Doppelerfolg. Abgerufen am 1. April 2023.
  8. 1 2 ZDF-Nachwuchsredaktion Das kleine Fernsehspiel mit Kritikerpreis 2005 und new berlin film award ausgezeichnet. Abgerufen am 1. April 2023.
  9. BEYOND BELONGING – MIGRATION². In: Hebbel am Ufer. Hebbel am Ufer, abgerufen am 1. April 2023.
  10. 1 2 Ayşe Polat bei crew united, abgerufen am 1. April 2023.
  11. Fabian Tietke: Interview mit der Regisseurin Ayşe Polat: „Diese Geister verfolgen die Leute“. In: Die Tageszeitung: taz. 19. Februar 2023, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 1. April 2023]).
  12. 1 2 3 Kulturakademie Tarabya: Ayşe Polat. In: Kulturakademie Tarabya. Abgerufen am 1. April 2023.
  13. The Others | Film 2016. In: Moviepilot.de. Abgerufen am 1. April 2023.
  14. The Others · DOK Leipzig. Abgerufen am 1. April 2023.
  15. Neuer NDR "Tatort": Borowski ermittelt in Wacken. In: Website des NDR. Abgerufen am 1. August 2023.
  16. Tv-Filme auf der Kinoleinwand. In: Website des Filmfest Hamburg. Abgerufen am 30. August 2023.
  17. 1 2 Im toten Winkel | In the Blind Spot. Abgerufen am 1. April 2023.
  18. The awards of the 42nd Istanbul Film Festival. In: Website des Istanbul Film Festival. Abgerufen am 1. August 2023.
  19. Christian Buß: "Luks Glück": Komödie von Ayse Polat über türkische Lottogewinner. In: Der Spiegel. 28. Juni 2012, abgerufen am 31. März 2022.
  20. Christian Buß: Halbmond über Altona. In: Die Tageszeitung. 31. Dezember 1998, S. 26–27, abgerufen am 31. März 2022.
  21. Fabian Tietke: Kaum Töchter zweier Welten. In: Die Tageszeitung. 7. Februar 2019, S. 23 ePaper,Berlin 17 Alle,Nord, abgerufen am 31. März 2022.
  22. Retrospektive 2019: „Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen“. Abgerufen am 31. März 2022.
  23. 1 2 3 WDR: „Tatort“ aus Dortmund: „Masken“ – Ayşe Polat | Regie – Presselounge – WDR. 25. Oktober 2021, abgerufen am 1. April 2023.
  24. 2004. Abgerufen am 1. April 2023 (englisch).
  25. En Garde • FILMFEST HAMBURG. Abgerufen am 1. April 2023.
  26. PunktPunktPunkt | Preise. Abgerufen am 1. April 2023.
  27. 1 2 3 4 The awards of the 42nd Istanbul Film Festival. In: Website des Istanbul Film Festival. Abgerufen am 1. August 2023.
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