Die Baugewerkschule Idstein wurde 1869 als Städtische Baugewerk- und Maschinenbauschule zur Qualifizierung von Bauhandwerkern gegründet und entwickelte sich im 20. Jahrhundert zur Ausbildungsstätte für Bautechniker und Architekten. Die 1971 erfolgte Eingliederung als Fachbereiche Architektur & Bauingenieurwesen in die neu gegründete Fachhochschule Wiesbaden bedeutete auf Sicht das Ende der Schule. Im Jahr 1993 gab die Fachhochschule letztlich den Standort Idstein zugunsten von Wiesbaden auf. Das Gebäude wird seit 1995 von der Hochschule Fresenius genutzt.

Geschichte

Die Initiative zur Einrichtung einer Baugewerkschule kam aus der Idsteiner Bevölkerung, die sich nach dem Abgang des Gymnasiums, des Pädagogiums und des Lehrerseminars von einer Baugewerkschule positive Impulse auf das Wirtschaftsleben der Stadt erhoffte. In dem Idsteiner Staatsarchivar Karl Rossel fand die Idee einen engagierten Förderer. Nach Klärung der Finanzierung konnte der Unterricht vom Gründungsdirektor und einem weiteren Lehrer am 4. Mai 1869 mit vier Schülern im ehemaligen Lehrerseminar der Stadt aufgenommen werden. Die Ausbildung dauerte zunächst drei Semester und wurde ab 1881 auf vier Semester verlängert.

Die Baugewerkschule Idstein, die auf dem Holzmindener Modell zur Weiterqualifizierung von Handwerkern basierte, gehörte zu den ersten dieser Art in Preußen. Lediglich die Lehrinstitute in Höxter (gegründet 1864) und Eckernförde (gegründet 1868) waren älter. Wie diese, erhielt auch die Baugewerkschule in Idstein einen staatlichen Zuschuss.

Schon im zweiten Semester des Bestehens der Lehranstalt stieg die Zahl der Schüler auf 25 an, so dass der Lehrkörper vergrößert werden musste. Zudem wurde eine Maschinenbauklasse eingerichtet, die aber bereits 1879 wieder eingestellt wurde. Die Baugewerkschule entwickelte sich in den Folgejahren sehr gut. Im Jahr 1875 konnten bereits 216 Bauschüler verzeichnet werden.

Da es anfangs noch keine festen Lehrpläne gab, wurden diese vom jeweiligen Schulleiter bestimmt. Erst ab 1879 wurden Lehrpläne vom preußischen Staat vorgegeben und erst ab 1895 gab es einen für alle preußischen Baugewerkschulen verbindlichen Lehrplan und eine einheitliche Prüfungsordnung.

Am 1. April 1895 übernahm der preußische Staat die Baugewerkschule. Das zwei Jahre zuvor mit mittlerweile 300 Schülern bezogene Schulgebäude verblieb jedoch im Eigentum der Stadt Idstein. Da die Aufgabenstellungen immer komplexer und die Vermittlung naturwissenschaftlicher Grundlagen immer wichtiger wurden, wurde 1908 die Studienzeit auf fünf Semester verlängert. Der Schule wurde eine Tiefbauabteilung angegliedert. Diese Maßnahmen machten eine Erweiterung des Baugewerkschulgebäudes erforderlich. In der Kriegs- und Nachkriegszeit kam es zu einem dramatischen Rückgang der Anzahl der Studierenden. Erst ab 1925 stieg die Nachfrage nach einer Baugewerkschulausbildung wieder langsam an.

Im Jahr 1939 wurden an dem Lehrinstitut Sonderklassen für Baubeamte des gehobenen technischen Dienstes der Deutschen Reichsbahn eingerichtet. Im Jahre 1945 stieg die während der Kriegsjahre rückläufige Zahl der Besucher der Schule durch Kriegsheimkehrer auf über 500 an und erreicht damit einen Spitzenwert. Da Dozenten fehlten, dauerte es einige Jahre, bis sich der Betrieb der Ingenieurschule wieder normalisiert hatte. Die Studiendauer wurde im Jahr 1955 entsprechend den weiter gestiegenen Anforderungen auf nunmehr sechs Semester verlängert. Drei Jahre später übertrug die Stadt Idstein das Schulgebäude auf das Land Hessen und ließ sich in diesem Zusammenhang die Nutzung durch das Lehrinstitut für mindestens weitere 20 Jahre zusichern.

Das Jahr 1971 brachte das Ende für die selbstständige Ingenieurschule. Sie wurde als Fachbereich in die neu gegründete Wiesbadener Fachhochschule (heute Hochschule RheinMain) eingegliedert, war aber zunächst weiterhin in Idstein angesiedelt, obwohl das Schulgebäude längst nicht mehr den Anforderungen genügte und insbesondere Laborräume fehlten. Erst 1993 zog der Fachbereich nach Wiesbaden um.

Das alte Bauschulgebäude in Idstein wird seit 1995 von der Hochschule Fresenius (vormals Europa-Fachhochschule Fresenius) genutzt.

Gebäude

In den Jahren 1892/93 wurde auf der Grundlage von Plänen, die Emil Hoffmann, der damalige Direktor der Baugewerkschule, erstellt hatte, das Schulgebäude in der Limburger Straße 2 erbaut und 1910 nach Plänen von August Nabenhauer, einem Dozenten der Lehranstalt, erweitert.

Der viergeschossige Backsteinbau ist ein typisches Werk des Historismus. Umgeben von kleineren Gebäuden am Rande der von Fachwerkhäusern geprägten Altstadt dominiert das im Stil der Neorenaissance gehaltene Schulgebäude bis heute die weitere Umgebung. Vor der Erweiterung hatte das Gebäude einen rechteckigen Grundriss. Die Hauptfassade gliederte sich in zwei gleiche Abschnitte mit jeweils vier Fensterachsen. Durch den Umbau wurde an der Nordseite im rechten Winkel ein Seitenflügel angebaut. Die Hauptfassade umfasst seither drei gleiche Abschnitte. Die Gliederung erfolgt durch flache Risalite. Die Wände werden durch die Verwendung gelber und roter Backsteine zusätzlich gegliedert. Das schiefergedeckte Walmdach trägt am südlichen Ende des Gebäudes ein Querdach mit Blendgiebel und oberhalb der Risalite Haubenlaternen. Dazwischen sind Gauben mit Spitzhelmen eingefügt.

Das Gebäude steht aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen unter Denkmalschutz.

Namenswechsel des Lehrinstituts

  • 1869–1879: Städtische Baugewerk- und Maschinenbauschule
  • 1879–1895: Städtische Baugewerkschule
  • 1895–1918: Königliche Baugewerkschule
  • 1918–1931: Staatliche Baugewerkschule
  • 1931–1938: Höhere Technische Staatslehranstalt für Hoch- und Tiefbau
  • 1938–1941: Bauschule, Fachschule für Hoch- und Tiefbau
  • 1941–1971: Staatliche Ingenieurschule für Bauwesen

Persönlichkeiten

Direktoren des Lehrinstituts

  • 1869–1878: Rudolf Baumbach (1807–1885), Baumeister
  • 1878–1879: Carl Wagener (1841–1924), Ingenieur (interimistisch)
  • 1879–1892: Emil Hoffmann (etwa 1835–1892), Baumeister
  • 1892–1895: Carl Wagener (interimistisch)
  • 1895–1912: Carl Wagener
  • 1912–1913: Heinrich Herbert (1872–1956), Diplomingenieur (interimistisch)
  • 1913–1921: Heinrich Herbert
  • 1921–1922: Husall (interimistisch)
  • 1923–1928: Eduard Neiff (* 1874), Architekt
  • 1928–1932: Adolf Rosswog (1884–1956), Diplomingenieur und Architekt
  • 1932: Kandtner (interimistisch)
  • 1932–1934: Gerhard Siewczynski, Diplomingenieur
  • 1934–1937: Wilhelm Knöll (1889–1974), Diplomingenieur und Architekt
  • 1937: Albert Möllinghoff (1875–1956), Architekt (interimistisch)
  • 1937–1945: Friedrich Staub (1889–1979), Diplomingenieur
  • 1945–1947: H. Thiele
  • 1947–1949: Bruno Bierberg (1875–1955), Diplomingenieur
  • 1949–1960: Hans Plessner (1895–1972), Diplomingenieur
  • 1960–1961: F. Hörstel (interimistisch)
  • 1961: G. Kärcher (interimistisch)
  • 1961–1971: Helmut Brodehl, Diplomingenieur

Bekannte Dozenten

  • Wilhelm Göbel (* 1872), Diplomingenieur, Architekt, Oberlehrer an der Baugewerkschule Idstein und Dozent an der Forschungsanstalt Geisenheim für Garten- und Weinbau
  • Adolph Marsch (1854–1930), Stadtbaumeister in Halberstadt, Helmstedt und Gera
  • August Nabenhauer (1851–1917), Architekt und Oberlehrer an der Baugewerkschule Idstein, Feuerlöschinspektor des Nassauischen Feuerwehrverbandes, Initiator der Idsteiner Baugewerkschulfeuerwehr
  • Friedrich Romberg (1846–1919), Ingenieur und Direktor der Baugewerkschule Köln

Bekannte Absolventen

  • Dietmar Bücher (* 1944), Bauunternehmer in Idstein
  • Josef Freienstein (1920–1985), Architekt und Politiker
  • Heinrich Kappus III. (1849–1926), Bauunternehmer in Idstein
  • Wilhelm Kappus (1883–1966), Bauunternehmer in Idstein
  • Peter Klotzbach (1875–1947), Architekt und Architekturlehrer

Literatur

  • Festschrift zur Fünfzigjahrfeier der Baugewerkschule Idstein im Taunus. 1869-1919. Verlag Georg Grandpierre, Idstein 1919.
  • Herwig Hahn (Red.): Festschrift zum Hundertjährigen Bestehen der Staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen Idstein, Mai 1969. Hrsg. von Dozenten der Staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen Idstein. Druck Georg Grandpierre, Idstein 1969.
  • Clemens Klockner: Die Gründerzeit ist schon Geschichte. Eine exemplarische Betrachtung der Vorgeschichte und der Anfangsjahre der Fachhochschule Wiesbaden. Veröffentlichungen aus Lehre, angewandter Forschung und Weiterbildung. Verlag Hochschule RheinMain University of Applied Sciences, Norderstedt 2012, ISBN 978-3-923068-53-1. Digitalisat
  • Dagmar Söder: Rheingau-Taunus-Kreis. Band 2, Altkreis Untertaunus. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Hessen. Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.). Verlag Theiss, Wiesbaden 2003, S. 366, ISBN 978-3-8062-1649-3.
  • Bücher aus der Bibliothek der Baugewerkschule Idstein (laut Provenienzangabe im Katalog der Hochschul- und Landesbibliothek RheinMain)
Commons: Baugewerkschule Idstein – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Aar-Bote. Kreisblatt für den Untertaunuskreis vom 1. Januar 1869. Jahrgang 9, Nr. 1. Verlag Wagner, [Bad] Schwalbach 1869, S. 2.
  2. Clemens Klockner: Die Gründerzeit ist schon Geschichte. Eine exemplarische Betrachtung der Vorgeschichte und der Anfangsjahre der Fachhochschule Wiesbaden. In: Veröffentlichungen aus Lehre, angewandter Forschung und Weiterbildung. Verlag Hochschule RheinMain University of Applied Sciences, Norderstedt 2012, ISBN 978-3-923068-53-1, S. 41 ff.
  3. Neueste Mittheilungen vom 24. Januar 1890. Jg. 9, Nr. 8. Verlag O[tto] Hammann, Berlin 1890, S. 3.
  4. Deutsche Bauzeitung vom 5. November 1892. Jg. 26, Nr. 89. Kommissionsverlag Ernst Toeche, Berlin 547.
  5. Deutsche Bauzeitung vom 26. August 1869. Beilage zur Deutschen Bauzeitung. Jg. 3, Nr. 35. Kommissions-Verlag von Carl Beelitz, Berlin 1869, S. 425.
  6. Clemens Klockner: Die Gründerzeit ist schon Geschichte. Eine exemplarische Betrachtung der Vorgeschichte und der Anfangsjahre der Fachhochschule Wiesbaden. In: Veröffentlichungen aus Lehre, angewandter Forschung und Weiterbildung. Verlag Hochschule RheinMain University of Applied Sciences, Norderstedt 2012, ISBN 978-3-923068-53-1, S. 41 ff.
  7. 1 2 Ernst Weber: Von der Baugewerkschule zur Ingenieurschule für Bauwesen in Idstein/Ts. In: Dozenten der Staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen Idstein (Hrsg.): Festschrift zum Hundertjährigen Bestehen der Staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen Idstein, Mai 1969. Druck Georg Grandpierre, Idstein 1969, S. 12 ff.
  8. Idsteiner Zeitung vom 20. Oktober 1910. Jg. 12, Nr. 124. Verlag Georg Grandpierre, Idstein 1910, S. 2.
  9. Dagmar Söder: Rheingau-Taunus-Kreis. In: Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.): Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Hessen. Band 2, Altkreis Untertaunus. Verlag Theiss, Wiesbaden 2003, ISBN 978-3-8062-1649-3, S. 366.
  10. Clemens Klockner: Die Gründerzeit ist schon Geschichte. Eine exemplarische Betrachtung der Vorgeschichte und der Anfangsjahre der Fachhochschule Wiesbaden. In: Veröffentlichungen aus Lehre, angewandter Forschung und Weiterbildung. Verlag Hochschule RheinMain University of Applied Sciences, Norderstedt 2012, ISBN 978-3-923068-53-1, S. 41 ff.
  11. Horst Bender: Idstein nach 1945. In: Magistrat der Stadt Idstein (Hrsg.): Idstein. Geschichte und Gegenwart. Verlag Magistrat der Stadt Idstein, Idstein 1989, S. 163 ff.
  12. Idsteiner Zeitung vom 30. April / 1. Mai 1969. Jg. 71, Nr. 100. Verlag Georg Grandpierre, Idstein 1969, S. 18.
  13. Annegret List: Das alte Krematorium Gera. Abgerufen am 11. Mai 2017.
  14. Moritz Jungbluth: Freiwillige Feuerwehren in der Region Nassau. Eine kulturwissenschaftliche Studie zu Vereinsleben und -geschichte am Beispiel des Nassauischen Feuerwehrverbandes sowie der Freiwilligen Feuerwehren in Montabaur und Bad Ems bis 1938 (Regierungsbezirk Wiesbaden). Waxman Verlag GmbH, Münster / New York 2014, ISBN 978-3-8309-3027-3, S. 360 f.
  15. Volker Stavenow: „Ich arbeite bis zum letzten Atemzug“. In: Wiesbadener Kurier. VRM, 6. Juli 2019, abgerufen am 27. November 2019.
  16. Familie Kappus prägte die Stadt Idstein mit kleinen Villen im Landhausstil. In: Wiesbadener Tagblatt. 3. April 2017, abgerufen am 4. April 2017.
  17. Fritz Koch: "Soll ein jeder Meister ehelich geboren, auch sonsten ehrlichen Wandels sein ...", Familien- und Firmengeschichte Heinrich Kappus III. aus Idstein im Taunus. Hrsg.: Peter Birkel. Eigenverlag Peter Birkel, Idstein 2017, S. 42 ff.
  18. Fritz Koch: "Soll ein jeder Meister ehelich geboren, auch sonsten ehrlichen Wandels sein ...", Familien- und Firmengeschichte Heinrich Kappus III. aus Idstein im Taunus. Hrsg.: Peter Birkel. Eigenverlag Peter Birkel, Idstein 2017, S. 99 ff.

Koordinaten: 50° 13′ 16,3″ N,  16′ 1,1″ O

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