Die britische Herrschaft in Ägypten bestand von 1882 bis zur formellen Unabhängigkeit des Landes als Königreich Ägypten im Jahr 1922. Der britische Einfluss auf das Land blieb jedoch bis in die 1950er Jahre beträchtlich.

Vorgeschichte

Unter Muhammad Ali Pascha (1805–1849) erreichte Ägypten eine relative Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Er und seine Nachfolger als Khedive konnten unter osmanischer Oberherrschaft eine gewisse Selbständigkeit erringen, betrieben eine expansive Politik und leiteten die Geschichte des modernen Ägyptens ein. Der Bau des Sueskanals (1859–1869) machte das Land derart von ausländischen Anleihen abhängig, dass die von Großbritannien und Frankreich eingerichtete Staatsschuldenverwaltung zur eigentlichen Regierung des Landes wurde. Zur Sicherung des Verbindungsweges nach Indien erwarb Großbritannien die ägyptischen Kanalaktien. Gegen die dem 1879 abgesetzten Khediven Ismail Pascha aufgezwungene internationale Finanzkontrolle des Landes entwickelte sich 1881 die nationalistische Urabi-Bewegung. Diese wendete sich gegen den beherrschenden europäischen Einfluss und die autokratische Regierung der Khediven. Ismails Sohn und Nachfolger Tawfiq wandte sich daher an Großbritannien.

Die Britische Herrschaft in Ägypten

Im Anglo-Ägyptischen Krieg folgte 1882 die Besetzung des Landes durch britische Truppen unter Garnet Joseph Wolseley im Zuge der Zerschlagung der Urabi-Bewegung. Am 13. September 1882 wurde Ahmed Urabi Pascha in der Schlacht von Tel-el-Kebir geschlagen. Großbritannien übernahm die Kontrolle über das Land, ohne dessen formelle Zuordnung zum Osmanischen Reich zu beenden. Der Khedive von Ägypten blieb formell weiterhin Vasall der Osmanen. Die britische Herrschaft wurde durch den Generalkonsul vertreten, der als Berater des Khediven der tatsächliche Herrscher des Landes war.

Von 1883 bis 1907 wurde das Amt des Generalkonsuls („consul-general and agent“) von Evelyn Baring, ab 1892 der Earl of Cromer, ausgeübt. Unter ihm wurde Ägypten wirtschaftlich in das britische Weltreich eingebunden und dessen Interessen untergeordnet. So wurde die Landwirtschaft auf den Anbau von Baumwolle umgestellt. Bald stellte Baumwolle 92 % der ägyptischen Ausfuhren. Dies führte neben der Ausweitung des Großgrundbesitzes dazu, dass Ägypten als traditionelles Getreideexportland nun Getreide einführen musste, um seine Bevölkerung ernähren zu können. Die ägyptische Armee hatte von 1883 an britische Generäle als Oberbefehlshaber (Sirdar) und wurde durch britische Offiziere ausgebildet und geführt.

Gleichzeitig mit der britischen Besetzung hatte Ägypten 1882 auch die Herrschaft über den Sudan durch den Mahdi-Aufstand verloren. 1896 wurde eine anglo-ägyptische Streitmacht in Marsch gesetzt, um das Land zurückzuerobern. Der Sudan wurde nach der Schlacht von Omdurman aber nicht an Ägypten zurückgegeben, sondern als anglo-ägyptisches Kondominium konstituiert. Dieses Kondominium bestand von 1899 bis 1956.

Im Ersten Weltkrieg war der Sinai als Grenzgebiet zum osmanischen Palästina bis 1917 Kampfgebiet. Nach der Kriegserklärung Großbritanniens an das Osmanische Reich im November 1914 wurde der Khedive Abbas II. für abgesetzt erklärt und an seiner Stelle Hussein Kamil mit dem Titel eines Sultans als Herrscher Ägyptens eingesetzt. Das so entstandene Sultanat Ägypten wurde am 18. Dezember 1914 zum britischen Protektorat erklärt, womit die letzten formalen Beziehungen zum Osmanischen Reich aufgehoben wurden. Anstelle des Generalkonsuls übernahm ein britischer Hochkommissar die Verwaltungsaufgaben. In der Folge setzten die Briten die Kriegswirtschaft durch, was zu einer weitreichenden Verarmung der Bevölkerung führte, da durch die Kaufkraft der in Ägypten stationierten britischen und Empire-Truppen die Lebensmittelpreise stark anstiegen, andererseits aber die Baumwollpreise auf britischen Druck hin stark gesenkt wurden.

Als die Briten 1919 eine Abordnung ägyptischer Nationalisten unter Saad Zaghlul (Wafd-Partei) zur Pariser Friedenskonferenz verhinderten, kam es zu schweren Unruhen, Streiks und zum Boykott britischer Produkte. Unter diesem Druck setzte Hochkommissar Allenby durch, Ägypten die Unabhängigkeit zu gewähren, um weiterhin die britischen Interessen wahren zu können. Das Land erlangte am 28. Februar 1922 in der Declaration to Egypt formell die Unabhängigkeit, doch behielten sich die Briten einige Rechte vor. Am 15. März 1922 rief sich der bisherige Sultan als Fu'ād I. zum König aus, womit das Königreich Ägypten der britischen Herrschaft nachfolgte.

Durch den Bündnisvertrag vom 26. August 1936 verzichtete Großbritannien auf bestimmte Vorbehaltsrechte in Ägypten und zog seine Truppen bis auf die Sueskanalzone zurück, wobei es sich aber das Zugriffsrecht auf das ägyptische Transport- und Kommunikationssystem im Kriegsfall sicherte. Das Amt des Sirdar von Ägypten wurde abgeschafft.

Im Zweiten Weltkrieg berief sich Großbritannien unabhängig von einer ägyptischen Neutralitätserklärung auf den Anglo-Ägyptischen Vertrag von 1936, der bei einer Bedrohung des Sueskanals die Besetzung des Landes erlaubte. So wurde der Nordwesten Ägyptens zum Schlachtfeld der deutschen und italienischen Truppen unter Erwin Rommel und den Briten unter Bernard Montgomery. Die ägyptische Armee selbst blieb neutral.

Erst 1946 verließen die letzten britischen Truppen das Land. In der Sueskrise 1956 befreite sich Ägypten vollends aus der britischen Einflusssphäre.

Siehe auch

Literatur

  • Afaf Lutfi al-Sayyid: Egypt and Cromer. A Study in Anglo-Egyptian Relations. John Murray Publishers, London 1968.
  • Robert L. Tignor: Modernization and British Colonial Rule in Egypt, 1882–1914. Princeton University Press, Princeton NJ 1966.
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Einzelnachweise

  1. 1 2 3 4 Zachary Lockman: Contending Visions of the Middle East – The History and Politics of Orientalism. In: Eugene L. Rogan (Hrsg.): Contemporary Middle East. 2. Auflage. Band 3. Cambridge University Press, Cambridge 2010, ISBN 978-0-521-11587-2, S. 93.
  2. Vernon A. O'Rourke: The British Position in Egypt. In: Foreign Affairs. S. 698, abgerufen am 27. Februar 2011 (englisch).
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