Die eingemauerte Frau oder auch von einem übelen wîbe ist eine in Mittelhochdeutsch abgefasste Reimpaarerzählung des Strickers aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die genaue Entstehungszeit kann aus der heutigen Zeit nicht mehr nachvollzogen werden.

Die Verserzählung gehört zur Kategorie schwankhafter Ehestandsmären und handelt von einem Ritter, dessen Frau sich gegen ihn auflehnt. Der Mann weiß sich nicht besser zu helfen, als die Frau einzumauern und sie dadurch zur Einsicht ihrer untergeordneten Stellung zu bewegen. Mit Geschichten dieser Art leitete der Stricker eine neue Tradition mittelalterlichen Erzählens ein.

Inhalt

Die Erzählung berichtet von einem tugendhaften Ritter, dessen Frau sich nach der Heirat als aufsässig und unbelehrbar herausstellt. Sie versucht stets, ihren Willen durchzusetzen und zollt ihrem Mann keinerlei Respekt. (v.V.1 – V.4)

Um seine Frau zur Vernunft zu bringen, wendet der Ritter extreme, körperliche Gewalt an. So passiert es, dass er sie eines Tages fast totschlägt. Doch die Frau zeigt keinerlei Besserung. Im Gegenteil: Sie begegnet seiner Gewalt mit provokanten Aussagen und Drohungen. (v.V.5 – V.35)

Daraufhin beschließt der Ritter, seine Frau einzumauern. Zu diesem Zweck errichtet er einen türlosen Raum, der lediglich ein Fenster besitzt, durch welches sie das Geschehen der Außenwelt weiter verfolgen kann. (v.V.36 – V.47)

Er setzt ihr das schlechteste Essen vor und bestraft sie zusätzlich, indem er nicht mehr mit ihr redet. Gleichzeitig führt er ihr vor, wie gut er andere Menschen behandelt. Er geht sogar so weit, dass er eine andere Frau an seine Seite stellt, die er verwöhnt und welcher er teure Geschenke macht. All das kann sie durch das Fenster verfolgen. (v.V.48 – V. 72)

Als sich die Ehefrau an ihre Verwandten wendet, muss sie feststellen, dass ihr Ehemann diese durch Geschenke und andere Zuneigungen nahezu vollständig auf seine Seite gebracht hat. Denjenigen, die dennoch Partei für sie ergreifen, unterbreitet er einen ausgeklügelten Vorschlag. Er verspricht, die Frau freizulassen, doch im Gegenzug sollen sie mit ihrem ganzen Vermögen für ihr angemessenes Verhalten bürgen. Da auf dieses Angebot keiner eingehen will, findet sie keinen mehr, der sich für sie einsetzt und ist nun endgültig auf sich allein gestellt. (v.V.73 – V.108)

An dieser Stelle erlebt die Frau eine religiöse Bekehrung. Der Heilige Geist kehrt in sie ein und verdrängt die Teufel von denen ihre Seele besessen war. Alles Böse verschwindet aus ihr, sie bittet ihren Mann auf Knien um Vergebung und möchte für den Rest ihres Lebens für ihr schlechtes Verhalten Buße tun, um ihr Seelenheil zu retten. (v.V.109 – V.234)

Als die Mauern vor den Augen der ganzen Sippe eingebrochen werden, will sie im Namen Gottes nicht herauskommen. Der Pfarrer, der bereits vorher zwischen ihr und ihrem Mann vermittelt hatte, überredet sie schließlich nach langwierigem Bemühen. Als sie wieder draußen ist, entschuldigt sie sich noch einmal öffentlich und verkündet ihre neue Lebensaufgabe. Diese besteht darin, andere böswillige Frauen zu bekehren. (v.V.235 – V.282)

Daraufhin wird sie zu einer Heiligen erklärt, und es wird zu ihren Ehren ein Fest veranstaltet. Gegen Ende dieses Festes erhebt sie sich auf eine Bank und hält eine Lobesrede an Gott und verspricht, mit seiner Macht jede Frau zur Vernunft bringen zu können. (v.V.283 – V.358)

Diese Nachricht verbreitet sich über das ganze Land, sodass die Frau zu großem Ruhm gelangt. Die anderen ungehorsamen Frauen schwören aus Angst vor einem ähnlichen Schicksal ihrer Böswilligkeit ab. Von diesem Zeitpunkt an sind keinerlei bösartige und ehrlose Frauen mehr zu finden. (v.V 359 – V. 400)

Literaturgeschichtliche Einordnung

Einordnung in das Gesamtwerk Strickers

Die eingemauerte Frau gehört zu den kürzeren Verserzählungen des Strickers und ist zusammen mit anderen kleinepischen Texten in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden. Das genaue Datum ist heute nicht mehr rekonstruierbar. Ebenso problematisch ist es eine zuverlässige Chronologie im Gesamtwerk des Strickers auszumachen, denn „die thematischen wie formalen Parallelen, Überschneidungen und Kontaminationen, […] [zwischen den Texten], deuten darauf hin, daß sich der Stricker gleichzeitig mit mehreren Gattungsformen beschäftigte und unterschiedliche Texte parallel entstanden sind.“ Man vermutet zwar die großen Epen zu Beginn seiner Schaffensperiode, die kürzeren Texte weisen jedoch keinerlei Indizien für eine zeitliche Datierung auf. Den einzigen Anhaltspunkt für eine grobe Schätzung der Entstehungszeit der eingemauerten Frau, liefert die Verortung der literarischen Tätigkeit des Dichters zwischen 1220 und 1250 n. Chr. Die Randdaten sind auch hier nicht unumstritten. Man stützt sich nicht zuletzt auf schriftliche Äußerungen anderer Dichter dieser Zeit. So ist in einem Dichterpreis des Rudolf von Hohenems folgende Bemerkung verzeichnet:

swenn er wil der Strickære
sô macht er guotiu mære

Wenn er will der Stricker,
dann erzählt er wirklich gute Geschichten.

Diese Aussage lässt zudem einen gewissen Bekanntheitsgrad der Strickerschen Märe zu Lebzeiten vermuten, die für seinen poetischen Ruhm maßgeblich verantwortlich gewesen sein könnten.

Die vorliegende Geschichte ist mit ihren 400 Versen der Kleindichtung des Strickers zuzuordnen. „Der genaue Umfang [dieser] Kleindichtung […] ist in einigen Fällen bis heute noch umstritten.“ Die Edition des Wolfgang Moelleken verzeichnet insgesamt 166 solcher Texte, die mit einer Länge zwischen 8 und 1172 Versen zur Kleindichtung gezählt werden.

Gattungszugehörigkeit

Die eingemauerte Frau wird innerhalb der Kleindichtung des Strickers den Mären zugeordnet. Diese Bezeichnung ist nicht unproblematisch, zumal damit ein gattungskonstituierender Begriff verbunden wird. Als einer der Ersten prägte Hanns Fischer den Begriff des Märe. In seinen Studien zur deutschen Märendichtung setzte sich dieser intensiv mit der Kleinepik des Mittelalters auseinander und versuchte, die verschiedenen Texte voneinander abzugrenzen. Damit verbunden definierte er das Märe als eine „in paarweise gereimten Viertaktern [versifizierte], [selbstständige] und [eigenzweckliche] Erzählung mittleren (d. h. durch die Verszahlen 150 und 2000 ungefähr umgrenzten) Umfangs, deren Gegenstand fiktive, diesseitig – profane und unter weltlichem Aspekt betrachtete, mit ausschließlich (oder vorwiegend) menschlichem Personal vorgestellte Vorgänge sind.“ Zwar sah er diese Definition in Bezug auf die Mären Strickers als nicht eindeutig greifend an, betrachtete diese dennoch als Prototypen der Gattung und den Dichter als Begründer derselben.

Im Verlauf der Forschungsgeschichte löste diese Begriffsbestimmung zahlreiche Kontroversen aus. Joachim Heinzle übte in seinem Aufsatz „Märenbegriff und Novellentheorie“ scharfe Kritik an der Setzung, auf der der Märenbegriff Fischers beruht. Er warf Fischer Starrheit, Unzulänglichkeit und mangelnde Prägnanz der Kriterien vor, auf denen sein Terminus sich begründet. Die „Definition ist zu weit, bzw. zu abstrakt, um eine traditionsstiftende und damit tatsächlich wirksam gewesene Größe zu erfassen.“ Ein weiterer Kritikpunkt der Forschung bezog sich auf Fischers postulierte Eigenständigkeit der Erzählungen, was gemäß Günthart auf die Mären im 13. Jahrhundert noch nicht zutrifft. „Im Gegenteil sprechen die Epimythien, der überlieferungsgeschichtliche Kontext, eine bestimmte Stofftradition und das literarhistorische Umfeld dafür, die Texte in die breite Tradition des exemplarischen Erzählens [vor allem im Rahmen der Didaxe und der Predigten] zu stellen.“ Im Großen und Ganzen sieht die Forschung die Kriterien, mit denen Fischer „die Evidenz eines Typus Märe“ nachzuweisen versucht hat, zwar als unzulänglich, seinen gattungsstiftenden Begriff jedoch als weitgehend zutreffend an. So kann man Mären durchaus von anderen Gattungen und ihren Vorläufern abgrenzen. Die Eigenart der unter diesem Begriff subsumierten Geschichten begründet sich in der Darstellung „von modellhaft konstruierten Fällen, in denen mit Hilfe von Handlungspointen nach dem Schwankprinzip (Ordnungsverstoß und ‚Revanche‘) vorgeführt wird, wie eine wohlgeordnete Welt funktioniert.“

Dieser Definition lässt sich die eingemauerte Frau eindeutig zuordnen, sowie andere kürzere Reimpaarerzählungen des Strickers. Somit kann der Stricker durchaus als einer der Begründer dieses Typus aufgefasst werden, denn seine Mären entstanden nicht bloß durch Übertragung anderer Gattungen, wie der des Fabliau oder des lateinischen Exempel ins Deutsche. Auch lässt sich keines der beiden als Vorlage der Gattung Märe ausweisen. Eine gewisse Motivverwandtschaft ist jedoch festzustellen, so dass man davon ausgehen kann, dass den Märendichtern des 13. Jahrhunderts, insbesondere dem Stricker, diese literarischen Formen und ihre Themen weitestgehend bekannt waren.

Möchte man das Märe näher kategorisieren, so kann man es als schwankhafte Ehestandsmaer bezeichnen. Der Stricker verfasste im Laufe seines Lebens viele Texte dieser Art.

Rezeptionsgeschichte

Überlieferung

So wie die meisten mittelalterlichen Dichtungen sind die literarischen Erzeugnisse des Strickers nicht im Original überliefert, sondern sind uns heute in verschiedenen Sammlungen zugänglich, die vermutlich nicht durch den Autor selbst niedergeschrieben wurden. Als wichtigster Überlieferungsträger ist „die in einem bairischen Idiom, wahrscheinlich von fünf Schreibern verfasste Handschrift A“ (bei Arend Mihm als 'Handschrift W' bezeichnet) zu nennen. Auch als Codex Vindobonensis 2705 bezeichnet, gilt sie als älteste Märenhandschrift überhaupt. Sie umfasst 176 beidseitig beschriebene Pergamentblätter und wurde in der Zeit von 1260 bis 1290 in Österreich erstellt. Die darin enthaltenen Texte lassen sich inhaltlich in sechs Abschnitte einteilen, wovon die ersten beiden mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Vorlage des Dichters selbst zurückgehen. Diese enthalten in etwa 45 Texte, die ohne Überschriften wiedergegeben sind. Darunter befinden sich auch die Mären und die weltlichen Bîspel des Strickers.

In starker Konkurrenz zu ihr in Bezug auf den Anspruch der Ursprünglichkeit steht die etwa 40 Jahre später niedergeschriebene Handschrift H (Heidelberger Cpg. 341), welche in ostmitteldeutsch verfasst wurde und einen flüssigeren und eleganteren Stil aufweist. Sie enthält 24 Werke mehr als die Hs. A, wobei der Grund des Fehlens dieser Stücke unklar ist. Die beiden Handschriften weisen 41 gemeinsame Stücke auf. Man kann davon ausgehen, dass sie aus einer gemeinsamen Quelle schöpften, die mit hoher Wahrscheinlichkeit das Handexemplar des Dichters gewesen ist. Das Märe Die eingemauerte Frau ist in der Handschrift A zu finden. Außerdem in Handschrift B (Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindobonensis 2885), Handschrift E (Universitätsbibliothek München, Cim. 4) und in Handschrift I (Tiroler Landesmuseum, FB 32001). Dies ist der gängige Titel unter dem die Geschichte abgedruckt wird. Er wurde vor allem in den Arbeiten von Hanns Fischer geprägt. Die alternative Bezeichnung lautet Von einem übelen wîbe und geht auf Franz Brietzmann zurück.

Rezeption und Wirkungsgeschichte

Das Märe als modellhafte Erzählung hatte seine Funktion in der Belehrung von Menschen. Die Texte waren größtenteils auf moralisierende Laiendidaxe ausgerichtet. Die Häufigkeit der Thematisierung der höfischen Tugendideale lässt vermuten, dass das Publikum an den Höfen zu suchen war. Welcher Stand dabei angesprochen wurde, lässt sich an den einzelnen Dichtungen jedoch nicht erkennen. Ebenso können Strickers Mären auf „dem städtischen Markt, zuweilen im religiösen Raum“ Verwendung gefunden haben. Für eine explizite Festlegung mangelt es an Beweisen. Die eingemauerte Frau wird vermutlich für eine weibliche Hörerschaft konzipiert worden sein, wobei auch hier „jedes Publikum möglich“ bleibt. Die Wirkung, die diese Geschichte auf ihre zeitgenössischen Rezipienten hatte, ist aus heutiger Sicht ebenfalls nicht mehr nachvollziehbar. Eine Wiederaufnahme der Thematik geht aus der Forschungsliteratur nicht hervor. Zwar ist die Idee von dem „übel wîp“ ein fester Bestandteil der Märendichtung der folgenden Jahrhunderte, über eine Aufnahme des Einmauerungs – Falles sagt die Forschung jedoch nichts aus.

Analyse der Form und des Inhalts

Das Märe ist in 400 Versen im Paarreim abgefasst. Eine kontinuierliche Strophengliederung ist nicht erkennbar. Der Text ist in Inhaltsabschnitte eingeteilt, die durch Absätze deutlich gemacht werden. Die formalen Einschnitte sind jedoch in Bezug auf die thematische Entwicklung nicht immer einleuchtend.

Durch eine einfach Sprache werden Verständnisschwierigkeiten vermieden. Beim mündlichen Vortrag zeigen sich konstanter Sprachfluss und Rhythmik der Erzählung, die die Zugänglichkeit des Inhalts beim Publikum begünstigen. Da der Stricker mit hoher Wahrscheinlichkeit ein fahrender Dichter war, deren Geschichten auf die Belehrung der Zuhörer zielten, mussten die Texte leicht verständlich sein. Er benutzt „weder […] 'dunkle' Wendungen wie Wolfram von Eschenbach noch ist seine Sprache so kunstvoll verschlüsselt und unübersetzbar wie die Gottfrieds von Straßburg. Sein Vorbild waren wohl viel mehr die 'cristallînen wortelîn' (nhd.: klare Worte) Hartmanns von Aue.“

Die Geschichte von der eingemauerten Frau wird in reihendem Stil aus der Sicht eines auktorialen Erzählers vorgetragen. Die Verse werden häufig durch die Wörter (dô, dâ, sô, daz, er, si) eingeleitet. Der Dichter benutzt viele Anaphern und Parallelismen, was den reihenden Effekt zusätzlich unterstützt.

Dô dröuwete er ir sêre
dô dröuwete si im noch mêre.
er sluoc ir einen voustslac,
er sprach: […]

da drohte er ihr heftig
  da drohte sie ihm noch mehr.
  er schlug sie mit der Faust,
  er sprach: […]

Das Märe berichtet von einem konkreten Ereignis in der Vergangenheit, es stellt also keine „regelhafte[n], beobachtbare[n] Abläufe wie im Bîspel vor. Die Figuren und der Ort sind modellhaft reduziert. Man weiß nur, dass es sich um einen tugendhaften Ritter und seine böse Frau handelt. Weitere Eigenschaften werden den beiden nicht zugeschrieben, ihre Namen sind ebenfalls unbekannt. Der Leser, bzw. Hörer weiß nicht wann und wo das Geschehen stattgefunden haben soll. Es lässt sich indes vermuten, dass es sich auf dem Anwesen der Eheleute abspielte. Dies ist für die Geschichte eigentlich auch irrelevant. Sie erhebt nicht den Anspruch, wirklich stattgefunden zu haben. Ihre Figuren repräsentieren lediglich eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe, nämlich die eines verheirateten Ehepaares im Ritterstand. Aus dieser Zuordnung wird ihr Handeln erst für den Rezipienten verständlich. Sie liefert auch den Rahmen der möglichen Handlungen.

Die Geschichte setzt ein mit der Beschreibung des ungebührlichen Verhaltens des Ehepaares. Die Frau widersetzt sich dem Willen des Mannes, wodurch die göttliche Ordnung verletzt wird. Auch der Mann verhält sich unpassend, da es der ritterlichen „zucht“ (nhd.: ritterliche Tugend) widerspricht Frauen gegenüber Gewalt anzuwenden. Der größere Ordnungsverstoß liegt jedoch auf Seiten der Frau. Im Lauf der Geschichte wird die Ordnung wiederhergestellt. Dazu wird die Einsicht der Frau mit Gewalt erzwungen. Da dies durch körperliche Gewalt nicht möglich ist, wird die Frau eingemauert und von ihrem sozialen Umfeld isoliert. Durch diese List wird der Widerstand der Frau gebrochen. Ihr „Wiedereinlenken in [den] ordnungsgemäßen Zustand wird prämiert“ indem sie heiliggesprochen wird und für den Rest ihres Lebens Ruhm und Ehre genießt. Die Geschichte folgt somit dem Prinzip von Ordnungsverstoß und Replik, der „den Schwank mit seinen 'Ausgleichstypen' (insbes. dem 'Ausgleichstyp Revanche') bestimmende[n] Struktur. Erkenntnis stiftendes Element ist die (Handlungs-) Pointe“. Diese liegt in dem Umschlag der Handlungsgewalt zugunsten des Mannes. Zu Beginn der Geschichte steht der Mann den Provokationen der Frau machtlos gegenüber. Er kann diese weder durch Worte noch durch Schläge eindämmen. Darüber hinaus riskiert er die Verwandtschaft der Frau zu verärgern und dadurch selbst zu Schaden zu kommen. Durch den Einfall mit der Einmauerung gewinnt der Mann seine Dominanz zurück und die Frau befindet sich in der Machtlosigkeit. Ein solcher Aufbau ist typisch für die Gattung Märe.

Ebenfalls charakteristisch ist das an die Handlung angeschlossene Epimythion (v.V. 359 – V.400), das die Wirkung der Geschichte auf das Publikum, vor allem auf die Frauen unter ihnen, beschreibt. Dieses dient dazu den gewünschten lehrenden Effekt beim Publikum zu verstärken. Es ist indes nicht zwingend notwendig, um aufzuzeigen, was als richtiges Verhalten betrachtet wird. Dies wird in der Erzählung bereits durch den Erfolg der Handlung des Mannes deutlich.

Der Aufbau des Märe spiegelt seine Funktion wider: Es soll einerseits belehren, andererseits unterhalten. Als unterhaltsame Geschichte besitzt es eine gewisse Länge und ist mit ausreichend Details versehen. So wird von der Züchtigung der Frau zu Beginn der Erzählung ausführlich berichtet. Als belehrende Geschichte bleiben jedoch die Personen, der Ort und die Zeit schemenhaft skizziert. So weist sie „jeden Gedanken an einen tatsächlich gemeinten, also ‚realistisch‘ beschriebenen 'besonderen Fall' ab.“ Sie dient als Modell, an dem das praktisch richtige Handeln unter besonderen Umständen demonstriert werden soll.

Deutungsansätze

Die Stellung der Frau im Hochmittelalter und die Schutzfunktion der Herkunftssippe

Die Rechte der Frau waren zur Zeit des Mittelalters extrem eingeschränkt. Im frühen Mittelalter stand die Frau nahezu vollständig unter der Vormundschaft, der Munt, des Mannes. Die unverheiratete Frau unterstand der Munt des Vaters, die verheiratete der des Ehemannes. Diese stellte eine „Schutz – und Herrschaftsgewalt“ in Bezug auf rechtliche, aber auch häusliche Angelegenheiten, über die Frau dar. „'Der Mundiumsinhaber hat[te] die Schutzbefohlenen in seiner munt, er [hielt] sie in seiner Hand, er deckt[e] sie mit derselben gegen Angriffe von außen, er hat[te] nach innen hin über sie zu befehlen, sie zu beherrschen, (…)'“. Damit verbunden stand das Züchtigungsrecht, das sogar „'u. U. bis zur Tötung habe gehen dürfen“.

Im Hochmittelalter kam es zur Abschwächung der Muntwalt über die Frau. Vor allem unverheiratete und verwitwete Frauen bekamen mehr Rechte zugestanden und waren nun teilweise in der Lage, selbst über sich und ihr Vermögen zu verfügen. Die Schutz- und Vertretungspflichten rückten gegenüber den alten Herrschaftsrechten des Vormunds in den Vordergrund. Verheiratete Frauen standen nach wie vor unter der Munt des Ehemannes, dessen Gewalt über sie wurde jedoch eingeschränkt. „Nach germanischem Recht war es ihm im Falle echter Not gestattet, Frau und Kinder zu verkaufen.“ Dieses Recht wurde aufgehoben. Auch das Tötungsrecht war nicht mehr vorhanden. Die Frau bekam zudem die Schlüsselgewalt zugestanden, nach der sie im Rahmen der Haushaltsführung rechtskräftige Geschäfte tätigen durfte. Die Dominanz des Mannes blieb jedoch schon aus christlich-ideologischen Gründen unangetastet und diente nicht zuletzt dem Schutz und Wohle der Frau. Diese Veränderungen gaben der Frau eine gewisse Normgrundlage zur häuslichen Auflehnung gegenüber dem Gatten, durch welche seine Dominanz in Frage gestellt wurde. Missbrauchte die Frau ihre neuen innerhäuslichen Rechte, um eine Vorherrschaft gegenüber dem Mann durchzusetzen, musste ein Exempel statuiert werden. Gemäß London musste die rechte und gottgewollte Ordnung wiederhergestellt werden, der Missbrauch durfte nicht erfolgreich sein, nicht zur Nachahmung anregen.

Um eine solche Situation handelt es sich in dem vorliegenden Märe. Die Frau widersetzt sich ihrem Ehemann und versucht damit eine gewisse Vorherrschaft innerhalb des Hauses zu beanspruchen, bzw. die des Mannes abzuschwächen. Da die Rechte des Mannes in Bezug auf die Züchtigung der Frau Einschränkungen erfahren haben, sieht sich der Mann des Hochmittelalters vor einem Problem stehen. Seine Vormachtstellung befindet sich in Gefahr. Der Frau wird nun auch das Recht zugesprochen bei Bedrohung durch den Ehemann diesen vor Gericht anzuklagen. Eine weitere Einschränkung der Gewalt des Mannes kommt durch die Schutzfunktion der Sippe zustande. „[D]ie deutsche rechtshistorische Literatur [ist] der Ansicht, die Herkunftssippe der Frau habe im heute deutschsprachigen Gebiet zu ihren Gunsten die Ausübung der ehemännlichen munt kontrolliert und sie gegen unrechtmäßige Behandlung seitens des Gatten in Schutz genommen.“ Dies diente nicht zuletzt dem Schutz des in die Ehe mitgegebenen Vermögens. Wurde die Frau vom Ehemann unrechtmäßig behandelt oder gar getötet, musste dieser eine Fehde mit ihrer Herkunftssippe fürchten. Um Frieden zu wahren war der Mann in solchen Fällen verpflichtet ein Wehrgeld an die Sippe und den König zu bezahlen. Dies sind wohl die Hauptgründe, weshalb der Mann in der Erzählung davon ablässt seine Frau zu verprügeln. Diese droht ihm schließlich mit der Rache durch ihre Sippe.

si sprach: ‚ir habet iuch selbe erslagen,
ich sterbe danne in kurzen tagen.‘
si gehiez im ungevüegen schaden.

Ihr erschlagt euch selbst,
Ich sterbe dahin in wenigen Tagen.
Sie verhieß ihm großen Schaden.

Dies ist auch der Grund, weshalb der Mann die Verwandten der Frau durch Geschenke gefügig macht.

sus schuof er mit ir mâgen,
daz si die bete alle liezen.
dô liez er si geniezen:
er bôt in michel êre
und liepte sich in vil sêre
mit guote und mit lîbe.

So brachte er ihre Verwandten dazu,
dass sie alles Bitten unterließen.
‚Dafür belohnte er sie:
er erwies ihnen große Ehren
und machte sich bei ihnen
mit Schenkungen und persönlichem Einsatz sehr beliebt.‘

All das müsste er nicht tun, wenn er von ihnen nichts zu befürchten hätte.

Die Kontrollfunktion durch Sippenmitglieder zeigt sich auch daran, dass diese auch nach der Hochzeit in regelmäßigem Kontakt zur Ehefrau stehen. „So besuchen sie diese, um zu sehen, wie sie und ihr Mann miteinander auskommen.“ Anders kann die Frau während ihrer Einmauerung schwerlich Kontakt zu ihnen aufnehmen, um sie um eine Fürsprache zu bitten.

In dieser Erzählung versucht die Verwandtschaft zwar einzugreifen, wird jedoch in gewisser Weise durch das Angebot des Mannes überlistet. Die Bindung scheint auch nicht groß genug zu sein, um für die Frau das eigene Vermögen aufs Spiel zu setzen. Der Dichter kann den Einfluss der Sippe aus verschiedenen Gründen in der Geschichte dargestellt haben. Einerseits um sie realistischer zu machen, wobei diese Funktion aufgrund des modellhaften Charakters seiner Mären eher unwahrscheinlich wäre. Andererseits um die Schwächung der Position des Mannes gegenüber früheren Zeiten zu verdeutlichen. Der Mann in der Geschichte sieht sich mit einer aufsässigen Frau konfrontiert. Dies wird nicht zuletzt dadurch begünstigt, dass die Frauen im Laufe der Zeit immer mehr Rechte dazugewinnen. Die Kontrolle durch die Sippe schränkt ihn zusätzlich in der Züchtigung seiner Frau ein. Er ist zu Beginn der Erzählung gewissermaßen ratlos, bis er auf die Idee mit der Einmauerung kommt. Letztendlich setzt der Mann seinen Willen durch und gewinnt seine Machtposition zurück. Dies könnte den Zweck besitzen dem (weiblichen) Publikum aufzuzeigen, dass eine Vorherrschaft, bzw. eine Gleichstellung der Frau gegenüber dem Ehemann nicht durchzusetzen ist. Auch nicht mit Hilfe der Verwandtschaft. Die eine Hälfte ihrer Sippe steht von Beginn an auf der Seite des Mannes. Die andere bringt er durch „gevüegiu kündikeit“ (nhd.: Gewitztheit) auf seine Seite. Er erweist sich als der Stärkere, nicht nur körperlich, sondern auch geistig.

Das Konzept gevüegiu kündikeit

Der oben angesprochene Aspekt gevüegiu kündikeit ist gemäß den Untersuchungen Hedda Ragotzkys „das Thema aller Mären des Strickers“ und bestimmt somit die neu entstandene Gattung. Der Begriff kündikeit war in der zeitgenössischen Spruchdichtung überwiegend negativ konnotiert. Er bezeichnete „die Fähigkeit, falsche Absichten und Handlungsweisen so geschickt zu tarnen, daß die Umwelt in ihrem Urteil fehlgeleitet wird […]“. Hedda Ragotzky versucht in ihren Studien aufzuzeigen, dass diese Bezeichnung in den Mären Strickers eine positive Aufwertung erfährt. Sie zeigt, dass kündikeit in Verbindung mit dem Wort gevüege (nhd.: angemessen) vom Stricker als „situationsspezifische[s] Interpretations – Handlungsvermögen“ verstanden wurde. Der Stricker skizziere in seinen Mären Situationen in denen „die Normen, durch die die jeweilige [exemplarische] Rollenbeziehung bestimmt ist, von einem der beiden Handlungspartner […] verletzt werden.“ In dem Märe „die eingemauerte Frau“ handelt es sich um die Ehebeziehung (man/ wîp) (nhd.: Mann/ Frau). Ihr natürlicher Verlauf wird durch das Aufbegehren der Frau gestört. Der Mann muss „das Recht wiederherstellen, darf dabei aber die Grenzen der eigenen Rolle nicht überschreiten.“ So darf er sie gemäß der höfischen zucht nicht zu Tode prügeln. Daher behilft er sich durch einen Einfall, der seine praxisbezogene Klugheit demonstriert. Durch die Einmauerung der Frau bestraft er diese ohne sich vor Gott oder ihren Verwandten direkt schuldig zu machen. Auch in seinem Umgang mit der Sippe seiner Ehefrau beweist er gevüegiu kündikeit. Anstatt mit ihren Verwandten in Konflikt zu geraten, bringt er diese mit Geschenken auf seine Seite. Er geht sogar noch weiter, er unterbreitet den Bittstellern ein Angebot, das sie ablehnen müssen. Sie sollen als Gegenleistung für die Freilassung der Frau mit ihrem ganzen Vermögen für ihr rechtmäßiges Verhalten bürgen. Da das Risiko in diesem Fall viel zu groß ist, geht keiner auf den Vorschlag ein. So erreicht der Mann die vollkommene Isolation der Frau, welche dazu nötig ist ihre Einsicht zu erzwingen. In ihrer Handlungsunfähigkeit gibt die Frau schließlich nach und unterwirft sich ihrem Mann. Sie erkennt ihre untergeordnete Position als die ihr zustehende und rechtmäßige an. „[G]evüegiu kündikeit ist definiert durch den Erfolg.“ Der Normbrecher, in diesem Fall die Ehefrau, erkennt die Unrechtmäßigkeit ihrer Handlung und das Recht wird wiederhergestellt. Das Gegenteil wäre die ungevüegiu kündikeit (nhd.: unangemessene praxisbezogene Intelligenz), deren Opfer besitzen kein „situationsspezifische[s] Interpretations- und Handlungsvermögen, […] sind befangen im Zustand von wân […] [und verfallen] zu Recht den eigentlich unrechtmäßigen Operationen.“

Erkenntnis von Recht und Wahrheit ist gemäß Ragotzky eine zentrale Funktion des Märenerzählens. „[W]ârheit stellt sich her als Resultat eines gelungenen Interpretationsprozesses.“ Ob das Publikum die wahre Intention eines Märe erschließen kann, hängt von dem jeweiligen Erkenntnisvermögen der Zuhörer ab. Die Kunst ist es 'ein rehtez maere' zu begreifen und einem 'gelogenen maere' nicht zu verfallen. Die Zuhörer sollen die Geschichte dabei auf ihre eigene Situation beziehen. Diese Funktion des Märenerzählens wird in dem vorliegenden Märe explizit angesprochen. Das Epimythion thematisiert die Wirkung, welche diese Geschichte, die zu einem lantmaere und dann schließlich zur Legende wird, auf das Publikum hat. Die aufsässigen Frauen beziehen den Fall, der in Erzählung beschrieben wird, auf sich selbst und beschließen ihr Verhalten zu ändern. Das Märe gewinnt dadurch „lebenspraktische Verbindlichkeit, es wird handlungsrelevant“. Es provoziert vom Zuhörer eine gewisse Deutung, wobei das Reflexionsvermögen angeregt wird. Das Epimythion in der eingemauerten Frau skizziert „jenes gelingende Märenerzählen, in dem Verstehen ein solches Maß an Verbindlichkeit gewinnt, daß es sich in der richtigen Deutung der eigenen, zeitgenössischen Situation konkretisiert.“

Religiöse Motive und der göttliche Ordo-Gedanke

Ein weiterer Gesichtspunkt, unter dem dieses Märe betrachtet werden sollte, sind die darin enthaltenen religiösen Wertvorstellungen. Die Erzählung setzt ein mit der Vorstellung der Protagonisten. Der Mann bekommt dabei das positive Attribut „tugende riche“ (nhd. reich an Tugenden) zugeschrieben. Dieses Bild erfährt jedoch direkt eine Einschränkung, denn der Ritter lässt sich von dem schlechten Verhalten seiner Frau provozieren und vergisst dabei seine zuht. Die Tatsache, dass er seine Frau fast totschlägt, wird in der Erzählung nicht toleriert. Dem Mann des Hochmittelalters war es zwar grundsätzlich gestattet, seine Frau zu züchtigen, es durfte jedoch nicht in willkürliches oder affektgeladenes Prügeln übergehen. Tat es das, so verhielt sich der Mann nicht mehr dem Tugendideal entsprechend, das mit seiner Stellung als Ritter verbunden war. Deshalb wird sein Fehlverhalten direkt angesprochen und korrigiert:

[…] daz mir diu tumpheit ie geschah,
daz ich min zuht an iu zebrach.

[…] dass ich so töricht gewesen bin,
meine Tugendhaftigkeit wegen euch zu vergessen.

Durch die Einsicht seines Fehlers wird er gewissermaßen rehabilitiert, sodass das Attribut der Tugendhaftigkeit wieder Geltung bekommt.

Die Ehefrau begeht hingegen einen weit größeren Verstoß gegen den Willen Gottes. Sie widersetzt sich dem Willen ihres Mannes. Die Kirche des Mittelalters sieht eine strenge Unterordnung der Frau unter den Mann als Bestandteil der göttlichen Ordnung an. „Die Frau ist nach dem Mann, für ihn und aus ihm geschaffen. Er ist das beherrschende Prinzip, an dem die Frau sich zu orientieren hat.“ Ihre Pflicht ist es ihrem Mann gegenüber gehorsam zu sein und seinen Willen stets zu erfüllen. „Diese theologisch als naturbedingt und gottgewollt begründete Unterordnung der Frau unter den Mann entspricht der im weltlichen Recht einer patriarchalisch ausgerichteten Gesellschaftsordnung festgelegten Unterwerfung der Frau unter eine lebenslange Munt […] des Ehemannes.“ Demnach bedeutet das Aufbegehren der Ehefrau in dem hier betrachteten Märe eine Verletzung sowohl der göttlichen als auch der weltlichen Ordnung.

Der Stricker galt als Befürworter des Ordo-Gedankens. Für ihn war die Welt mit ihren Grenzen zwischen den Ständen und Geschlechtern Ausdruck des göttlichen Willens. Man könnte „den Stricker [in gewisser Weise] als ‚Propagandisten im Auftrag der Kirche und des Landesherrn‘ kennzeichnen.“ Dies wird auch in seinen Geschichten deutlich. Jeder Verstoß gegen den Ordo wird verurteilt und geahndet. Wer sich dagegen auflehnt, wird letztendlich dem Spott ausgesetzt oder kommt auf andere Weise zu Schaden. So auch in der vorliegenden Geschichte. Da die Frau sich weder durch Bitten noch durch Schläge überzeugen lässt, die ihr zugehörige Stellung einzunehmen, wird ihr jegliche Grundlage für ein normales Leben entzogen. Sie wird nicht nur eingemauert und mit schlechtestem Essen versorgt, wodurch sie bereits zur Genüge erniedrigt wird, sie verliert auch ihre Stellung an der Seite ihres Mannes. Dieser nimmt sich stattdessen eine andere Frau, die ihre Rolle einnimmt. Darüber hinaus darf die Ehefrau bei diesem Spektakel machtlos zusehen. Später in der Geschichte wird noch einmal verdeutlicht, „[…] mit welcher noete si dâ genaz“ („[…] wie knapp sie mit dem Leben davon gekommen ist“). Das alles soll dazu dienen, sie zu erziehen und ihr ihren rechten Platz aufzuzeigen. Die Einmauerung verdeutlicht die Sündhaftigkeit der weiblichen Auflehnung. Einmauerungen wurden im Mittelalter von Inklusen freiwillig auf sich genommen, die durch ihre Buße und Entsagung eine besondere Nähe zu Gott gewinnen wollten. Die Frau in dem Märe wird jedoch dazu genötigt und dadurch in gewisser Weise als Sünderin deklariert. Interessanterweise findet sie tatsächlich den Weg zu Gott. Ihre Verwandlung „wird nach dem Muster einer religiösen 'conversio' inszeniert: Die Teufel fahren aus ihr heraus und der Heilige Geist nimmt Einzug.“ Ihre Boshaftigkeit hat somit den Charakter einer Besessenheit. Dies ist für das Mittelalter nicht ungewöhnlich, zumal die Kirche gemäß dem Leib – Seele Dualismus den „Körper als Sitz böser Mächte“ betrachtete und die Frau für den Sündenfall verantwortlich machte. Dem weiblichen Geschlecht wurden damals zahlreiche Laster zugeschrieben: „maßlose Eitelkeit, Faulheit und Aufsässigkeit, die einem als williges Werkzeug des Teufels betrachteten Wesen gut zu Gesicht stehen.“

Der Stricker war jedoch nicht bloß ein „Vertreter der misogynen Linie“. Er schätzte die Frauen, die sich ihrer Stellung angemessen verhielten. Dies sieht man an den Frauenpreisen, die er verfasste, aber auch am Ende dieses Märes. Als die Frau zur rechten Einsicht gelangt und ihre weitere Lebenszeit dazu verwenden will andere böswillige Frauen zu bekehren, genießt sie große Anerkennung:

[…] man hiez si die heiligen vrouwen
und suochten si als ein heilictuom
daz grôze lop und den ruom
behielt diu vrouwe unz an ir tôt.

[…] man nannte sie heilige Frau
und suchte sie auf wie ein Heiligtum
den großen Lob und Rum
genoss die Frau bis zu ihrem Tode.

Der Frau wird nun der Stellenwert einer Heiligen zugesprochen.

Neben den oben angesprochenen, finden sich weitere religiöse Ideen in dem Märe wieder. So die „religiös – grammatikalische Formel der Buße mit den Stationen contritio cordis (Reue der Frau), confessio oris (Beichte der Frau) und satisfactio operis (Buße der Frau).“ Darüber hinaus weist die Geschichte in ihrer Gesamtheit legendenhafte Züge auf. Die Frau befindet sich zunächst in einem Zustand der Sünde. Darauf folgt die Bekehrung, wonach ein Zustand der Heiligkeit erreicht wird. Man könnte die Geschichte auch als Allegorie der Kommendation der liebenden Seele zu Christus [verstehen], wobei der Priester als Moderator zwischen Mann (Christus) und Frau (Seele) eine herausragende Mittlerstellung [erhält].“

In der Forschung herrscht ein lebendiger Disput darüber, wie die verschiedenen religiösen Motive auszulegen sind. „Grundsätzliche Uneinigkeit besteht in den Fragen nach der Wirklichkeit der 'Wunder', nach der ethischen oder nur äußerlichen Veränderung der Frau(en) und nach dem Genderbild des Märes, das […] einerseits als reaktionäre und misogyne Männerphantasie, andererseits als Beispiel für eine geschickte weibliche Machtemanzipation angesehen wird.“ Letztere Position beruft sich vor allem auf die überspitzte Darstellung der plötzlichen Tugendhaftigkeit der Frau nach ihrem Gesinnungswandel.

Darüber, dass der Stricker sich dem alten Tugendideal verpflichtet fühlt, sind sich die Forscher indes weitestgehend einig. In seinen Mären versucht er es „gegen das, was ihm als sittliche 'Verfallserscheinungen' vorkommen mußte“ zu verteidigen. „Die Sorge um die Wahrung der ethisch-religiösen Werte war für den Stricker die ideologische Grundbedingung seiner Poesie […]“.

Wie bereits in dem Punkt über die Stellung der Frau im Hochmittelalter erwähnt wurde, bekamen die Frauen zur Zeit des Strickers immer mehr Rechte zugestanden, was auch mit einer zunehmenden Emanzipation – selbstverständlich nicht in dem Ausmaße der heutigen Zeit – einherging. Dementsprechend war die Auflehnung der Frau ein beliebtes Thema dieser Zeit. Die Männer fürchteten um ihre Vormachtstellung. Die Geschichten dienten nicht zuletzt dazu, die männliche Dominanz zu demonstrieren und die weibliche Auflehnung im Keim zu ersticken. Dies wird auch im Epimythion des Märes deutlich, welches die gewünschte Wirkung des Märes auf die Frauen skizziert. Sie sollen ihre Stellung unter dem Mann akzeptieren und ihre aufsässigen Verhaltensweisen unterlassen. Ebenso sollen die Männer ihre Frauen ordnungsgemäß behandeln und ihre Affekte zu zügeln wissen. Das bedeutet, dass die physische Überlegenheit nicht grundlos ausgenutzt werden darf. Verhalten sich beide Partner ihrer Rolle angemessen, so kann ein harmonisches Zusammenleben garantiert werden.

In dieser Arbeit wird einem solchen Interpretationsansatz der Vorzug gegeben, da er in Bezug auf die Wertvorstellungen des Dichters, die sich nicht zuletzt aus seinen anderen Geschichten erhellen, als einsichtig angenommen wird.

Literatur

  • Mark Robert Bialas: Wachte die Herkunftssippe einer verheirateten Frau über deren ordnungsgemäße Behandlung durch den Ehemann? Inaugural – Dissertation, Freiburg im Breisgau 2001.
  • Sabine Böhm: Der Stricker: Ein Dichterprofil anhand seines Gesamtwerkes. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 1995.
  • Otfrid-Reinald Ehrismann: Der Stricker. Erzählungen, Fabeln, Reden. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1992.
  • Irmgard Gephart: Das Gehäuse des Selbstzwangs. Zu Strickers Kurzerzählung von der „Eingemauerten Frau“. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik. Band 61, 2006, S. 169–182.
  • Klaus Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos. Eine Geschichte der europäischen Novellistik im Mittelalter: Fabliau – Märe – Novelle. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006.
  • Romy Günthart: Mären als Exempla. Zum Kontext der sog. „Strickermären“. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik. Band 37, 1993, S. 113–129.
  • Joachim Heinzle: Märenbegriff und Novellentheorie. Überlegungen zur Gattungsbestimmung der mittelhochdeutschen Kleinepik. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur. Band 107, 1978, S. 121–138.
  • Monika Londner: Eheauffassung und Darstellung der Frau in der spätmittelalterlichen Märendichtung. Inaugural – Dissertation, Berlin 1973.
  • Arend Mihm: Überlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelalter. Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg 1967.
  • Hedda Ragotzky: Gattungserneuerung und Laienunterweisung in den Texten des Strickers. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1981.
  • Silvan Wagner: Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters. Höfische Paradoxie und religiöse Kontingenzbewältigung durch die Grammatik des christlichen Glaubens. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2009.

Einzelnachweise

  1. Böhm 1955. S. 246 f.
  2. 1 2 Gephart 2006. S. 169.
  3. Gephart. 2006. S. 169.
  4. Böhm 1995. S. 246f.
  5. Mihm 1967. S. 35.
  6. Ehrismann: Der Stricker. Erzählungen, Fabeln, Reden. S. 12.
  7. 1 2 Böhm 1995. S. 14.
  8. Heinzle 1978. S. 122.
  9. Günthart 1993. S. 113.
  10. Heinzle 1978. S. 124.
  11. Günthart 19993. S. 128.
  12. Grubmüller 2006. S. 90.
  13. Grubmüller 2006. S. 90
  14. Grubmüller 2006. S. 95.
  15. Gephart 2006.
  16. 1 2 Ehrismann 1992. S. 213.
  17. Mihm 1967. S. 36.
  18. Mihm 1967. S. 38.
  19. 1 2 Mihm 1967. S. 39.
  20. Wagner: Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters. Höfische Paradoxie und religiöse Kontingenzbewältigung durch die Grammatik des christlichen Glaubens. S. 341.
  21. 1 2 Böhm 1995. S. 247.
  22. Ehrismann 1992. S. 16.
  23. Ehrismann 1992. S. 17.
  24. Wagner: Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters. Höfische Paradoxie und religiöse Kontingenzbewältigung durch die Grammatik des christlichen Glaubens. S. 342.
  25. Ehrismann: Der Stricker. Erzählungen, Fabeln, Reden. S. 16.
  26. Böhm 2001. S. 252.
  27. Ehrismann: Der Stricker. Erzählungen, Fabeln, Reden. S. 120.
  28. Grubmüller 2006. S. 81.
  29. 1 2 Ehrismann 1992. S. 122.
  30. Grubmüller 2006. S. 84.
  31. Grubmüller 2006. S. 86.
  32. Vgl. Grubmüller 2006. 80ff.
  33. Grubmüller 2006. S. 89.
  34. 1 2 Bialas 2001. S. 2.
  35. Bialas 2001. S. 4.
  36. Londner: 1973.' S. 72f.
  37. Londner 1973. S. 82.
  38. Londner 1973. S. 322.
  39. Londner 1973. S. 325.
  40. Londner 1973. S. 83.
  41. Bialas 2001. S. 9.
  42. Bialas 2001. S. 10.
  43. Ehrismann: Der Stricker. Erzählungen, Fabeln, Reden. S. 122.
  44. Ehrismann: Der Stricker. Erzählungen, Fabeln, Reden. S. 126.
  45. Ehrismann: Der Stricker. Erzählungen, Fabeln, Reden. S. 127
  46. Bialas 2001.' S. 97.
  47. Ragotzky 1881. S. 89.
  48. 1 2 Ragotzky 1981. S. 89.
  49. Ragotzky 1981. S. 83.
  50. Ragotzky 1981 S. 89.
  51. 1 2 3 Ragotzky 1981. S. 90.
  52. 1 2 Ragotzky 1981. S. 134.
  53. 1 2 Ehrismann 1992. S. 140.
  54. Ragotzky 1981. S. 135.
  55. Ragotzky 1981. S. 136.
  56. Ehrismann 1992. S. 120.
  57. Londner 1973. S. 53.
  58. Londner 1973. S. 54.
  59. Böhm 1955. S. 39.
  60. Böhm 1995. S. 38.
  61. 1 2 Wagner: Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters. Höfische Paradoxie und religiöse Kontingenzbewältigung durch die Grammatik des christlichen Glaubens. S. 343.
  62. Londner 1973. S. 20f.
  63. 1 2 Londner 1973. S. 324.
  64. 1 2 Böhm 1995. S. 39.
  65. Ehrismann 1992. S. 142.
  66. Wagner: Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters. Höfische Paradoxie und religiöse Kontingenzbewältigung durch die Grammatik des christlichen Glaubens. S. 344.
  67. Wagner: Gottesbilder in höfischen Mären des Hochmittelalters. Höfische Paradoxie und religiöse Kontingenzbewältigung durch die Grammatik des christlichen Glaubens. S. 345.
  68. Ehrismann 1992. S. 14.
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