Die Dollingersage ist eine Regensburger Stadtsage, die in mehreren Versionen überliefert ist.
Handlung
Die Handlung der Sage wird von Chronisten des 16. und 17. Jahrhunderts in die 920er Jahre verlegt. Ein heidnischer Ritter, in manchen Fassungen mit dem Namen Craco benannt, fordert die Regensburger Ritterschaft höhnisch zum Kampf heraus. König Heinrich I. gelingt es zunächst nicht, einen Ritter dazu zu bewegen, die Herausforderung anzunehmen. Doch schließlich findet sich der Regensburger Bürger (Hans) Dollinger, der den Prosafassungen der Sage zufolge zu dieser Zeit im Kerker einsitzt, im Gegenzug für seine Freilassung zum Kampf bereit. Dollinger betet in der Niedermünsterkirche am Grabe des Hl. Erhard und begibt sich zum Haidplatz, wo das Turnier stattfinden soll. Zweimal gelingt es Craco, Dollinger aus dem Sattel zu stoßen. Doch als König Heinrich dem Helden ein Kreuz an die Lippen presst, gelingt es Dollinger den Feind im dritten Anlauf zu besiegen.
Historischer Hintergrund
Die Dollingersage gehört nach Ansicht von zwei Autoren, deren Ergebnisse allerdings umstritten sind, zu den ältesten Stadtsagen Deutschlands, doch setzt die schriftliche Überlieferung erst im 16. Jahrhundert ein, so dass nicht mehr alle Änderungen im Laufe der Entstehungsgeschichte nachzuvollziehen sind. Als historischer Hintergrund bieten sie die Ungarneinfälle des 10. Jahrhunderts und speziell die Schlacht auf dem Lechfeld 955 an, da der Angreifer Craco ursprünglich ein Hunne gewesen sei. In späteren Überlieferungen sei er zu einem Türken umgedeutet worden, was angesichts der damals aktuellen Bedrohung des Abendlandes durch die Türkenkriege plausibel ist.
Die Überlieferung
Bildplastiken im Dollingersaal
Um 1290 entstand die früheste überlieferte Fassung der Dollingersage in Form von Bildplastiken. Diese Plastiken schmückten einen Festsaal im dreistöckigen Wohnhaus der Patrizierfamilie Dollinger, einer Adelsfamilie, die aus Dolling bei Ingolstadt stammte und in Regensburg am Rathausplatz gegenüber dem Alten Rathaus ansässig geworden war. Der Festsaal des Wohnhauses, der zwischen 1280 und 1320 entstand und 1494 in einem Hausinventar des damaligen Besitzers mit den dort vorhandenen Plastiken beschrieben wurde, war eine besondere Sehenswürdigkeit in Regensburg. Dieser „Dollingersaal“ erstreckte sich über zwei Stockwerke und war ähnlich wie die Hauskapellen in den Patrizierhäusern mit einem Kreuzrippengewölbe geschlossen. Zum Rathausplatz hin öffnete sich der „Dollingersaal“ als laubenartige Loggia mit freiem Blick auf die Plastiken, eine Situation, die der Hausbesitzer 1494 im Hausinventar beschreibt als „Laube, darin die großen Rosse sind“. Die drei kurz vor 1300 entstandenen Bildplastiken im Dollingersaal sind kunstgeschichtlich von großer Bedeutung. Die Turnierszene zeigt beide Kämpfer zu Pferd in lebhafter Bewegung begriffen. Dargestellt ist der Moment, in dem der ohne Schild kämpfende Dollinger mit seiner Lanze den mit Schild bewehrten Crako am Kopf trifft und aus dem Sattel hebt. Die zweite Szene zeigt den ostfränkischen König Heinrich I. als jugendlich anmutige Gestalt reitend zu Pferde, den Betrachter anblickend und mit einem Jagdfalken auf der linken Hand. Die dritte überlebensgroße Figur stellt den Heiligen König Oswald dar, der damals sehr verehrt wurde. Er fungierte als Schutzpatron, dargestellt mit einer Krone mit vier Lebensbäumen, in der linken Hand einen Pokal, auf dem ehemals ein Rabe saß mit Ring im Schnabel. Die rechte Hand hielt ursprünglich ein Zepter. Den Plastiken wurden in der Renaissancezeit Schrifteinträge zugefügt, die die Szenen erläuterten.
Das Dollingerhaus wurde 1889 trotz der Einsprüche vieler Bürger abgerissen. Das Baugesuch zum Abbruch wurde im Oktober 1888 vom Hauseigentümer, dem Eisenhändler Ludwig Kempf, eingereicht und benannt als "Herstellung eines Wohngebäudes anstelle des bisherigen Gebäudes, das den Dollingersaal einschloss. Der Saal war als ein Wahrzeichen von Regensburg bekannt, war in der Fachliteratur erwähnt und war deshalb als erhaltenswert eingestuft. Ende November 1888 beschloss der Magistrat, die bereits früher festgelegten Baulinien und deren geradlinigen Verlängerungen der Baulinien zu begutachten und sich wegen der wünschenswerten Erhaltung des bemerkenswerten Dollingersaales mit dem Besitzer ins Benehmen zu setzen. Nach weiteren schwierigen Verhandlungen, wurde im Benehmen mit dem Historischen Verein festgelegt, dass der historisch ehrwürdige Saal zu erhalten sei. Diese Forderung wurde im Grundsatz dadurch erfüllt, dass der Dollingersaal in all seinen einzelnen Teilen herausgenommen werden sollte.
Die beiden originalen Plastiken, die untrennbar mit der Mauer verbundenen Stuckreliefs des Turnierkampfes und des Königs Heinrich I., wurden beim Abriss zerstört, jedoch waren Gipsabdrücke gemacht worden. Erhalten blieb der Kopf des Königs und der seines Pferdes, sowie die ganze Figur des Heiligen Oswalds. Nach dem Abriss des Dollingerhauses wurde ein Nachbau des „Dollingersaales“ mit den Gipsabgüssen der Plastiken und den erhaltenen Relief- und Architekturteilen im neu errichteten sog. Erhardihaus in der Kalmünzergasse erstellt. Das Erhardihaus erhielt im Zweiten Weltkrieg Bombentreffer und wurde nach dem Krieg abgerissen (Foto im Weblink). Der nachgebaute „Dollingersaal“ mit den Gipsabgüssen war unbeschädigt geblieben. 1964 wurde er als neu erbauter „Dollingersaal“ in einen Anbau des Regensburger Alten Rathauses verlegt (Fotos im Weblink).
Das Dollingerlied
Eine gereimte Fassung der Dollingersage liegt seit dem 16. Jahrhundert schriftlich fixiert vor. Sie ist in drei voneinander abweichenden Versionen überliefert:
- In einer Sammelhandschrift des Regensburger Augustiner-Eremiten Hieronymus Streitel, zwischen 1510 und 1519 entstanden (Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. Vindob. 3301, f. 193ra–193rb). Dieser Textfassung folgt auch der Geschichtsschreiber Wiguläus Hundt in seiner Darstellung der Geschichte des Geschlechts der Dollinger.
- Die bekannteste Fassung findet sich erstmals auf Klapptafeln im Regensburger Dollingersaal (heute im Historischen Museum der Stadt Regensburg), entstanden ca. 1552. Diese bekannteste Textfassung wurde in modernisierter Schreibweise von Achim von Arnim und Clemens Brentano unter dem Titel Der Dollinger in den ersten Band der Sammlung Des Knaben Wunderhorn (1806) aufgenommen und erfuhr dadurch weite Verbreitung. Die Quelle für die Wunderhorn-Fassung war die Chronik des Johann Carl Paricius (1753); durch eine Quellenverwechslung ist im Wunderhorn allerdings die Jahreszahl 1723 angegeben. Auch Johann Gustav Gottlieb Büsching druckte den Text 1816 ab.
- Bei dem fürstbischöflichen Chronisten Johann Sigismund Brechtel (* um 1575; † nach 1637) findet sich neben der Fassung von 1552 noch eine bemerkenswerte Variante des Dollingerlieds, in der Craco nicht mehr als Türke, sondern erstmals als Hunne bezeichnet und mit Namen Craco benannt wird.
Die Dollingersage in historischen Chroniken
Dollingersage und -lied finden sich ab dem späten 16. Jahrhundert in den meisten Regensburger Chroniken. Abgesehen von dem schon erwähnten Johann Sigismund Brechtel, der in seiner Chronik die Dollingersage gleich in drei Fassungen (zwei gereimte und eine Prosafassung) darstellt, herrschen in späteren Darstellungen Prosafassungen vor. Wichtige Textzeugen stammen u. a. von den Chronisten Johann Ludwig Gottfried (1642), Johann Carl Paricius (1753) und Joseph Rudolph Schuegraf (1846).
Neuzeitliche Bearbeitungen
- Emanuel Schikaneder: Hans Dollinger oder das heimliche Blutgericht (1788)
- anonym: Das Dollingerspiel (Puppenspiel, ca. 19. Jahrhundert)
- Sigfrid Färber: Dollinger und Krako (1954)
- Joseph Berlinger: Dollinger. Ein Spiel (1995)
- Julia Schruff: Dollinger um Leib und Ehr (2014)
Das Dollingerlied
Überlieferung der Version auf dem rechten Blatt der Klapptafel, datiert auf 1552.
Es rait ein Türck aus Türckhen Lanndt
Er rait gen Regenspurg in die stat
Da Stechen wardt von Stechen war im wolbekhant.
Da rait er fuer des Kaysers thuer
Ist niemant hin der kumb herfuer
Der stechen Well vmb leib vmb Seel vmb guet vmb Ehr
vnnd das dem Teuffl die Seel wer.
Da warn die Stecher all verschwigen
kainer wolt dem Türckhen nit obligen
dem Laidigen man
der so frefflich Stechen khan.
Da sprach der Kayser zornigklig
wie steht mein hoff so lästerlich
hab ich khain man
Der Stechen khan
vmb leib vmb Seel vmb guet vmb ehr
vnd das vnserm herrn die seel wer.
Da sprang der Dollinger herfuer
wol vmb wol vmb ich mues hinfuer
an den laidigen Man
der so frefflich Stechen khan.
Das erste reuten das sie da theten
Sie füerten gegen einander
Zway scharffe Speer
Das ain gieng hin das ander gieng her
Da stach der Türck den Dollinger ab
das er an dem rückhen lag.
O Jhesu Christ steh mir ietz bey
Steck mir ein Zwey sind Irer drey
Bin ich allain vnnd fuer mein Seel in das Ewig himelreiche.
Da reit der Kayser zum Dollinger so behendt
er füert ein kreutz in seiner henndt
Er strichs dem Dollinger über sein mundt
Der Dollinger sprang auff war frisch vnnd gesundt.
Das ander reiten das sie da theten
da stach der Dollinger denn Türckhen ab
Das er an dem ruckhenn lag.
Du verheuter Teuffl nun Stehe im bey
sind irer drey bin ich allain,
Vnnd füer sein Seel in die bitter helle Beyn.
Literatur
- Karl Bauer: Regensburg: Kunst-, Kultur- und Alltagsgeschichte. 6. Auflage. MZ BuchVerlag, Regensburg 2014, ISBN 978-3-86646-300-4, Dollingersage S. 400
- Emmi Böck (Hrsg.): Regensburger Stadtsagen. Legenden und Mirakel. Pustet, Regensburg 1982, ISBN 3-7917-0694-2
- Josef Dünninger: St. Erhard und die Dollingersage. Zum Problem der geschichtlichen Sage. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1953. Institut für Volkskunde, München 1953 (online)
- Graeme Dunphy: Der Türke im Regensburger Feindbild. Das spätmittelalterliche Dollingerlied. In: Kleine Regensburger Literaturgeschichte. Regensburg 2014, S. 115–121 ISBN 978-3-7917-2570-3
- Ludwig Erk, Franz Magnus Böhme (Hrsg.): Deutscher Liederhort. 1. Band. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1893, S. 98–99 (Digitalisat).
- Karl Heinz Göller, Herbert W. Wurster: Das Regensburger Dollingerlied. Mittelbayerische Druck- und Verlagsgesellschaft, Regensburg 1980, ISBN 3-921114-07-1 (online)
- Otto Holzapfel: Eine deutsche Volksballade aus Bayern mit einem Türken-Thema und ihr Verhältnis zur Geschichte. In: Diyalog. Interkulturelle Zeitschrift für Germanistik, 2014/1, ISSN 2148-1482, S. 19–29, urn:nbn:de:hebis:30:3-375406.
- Eginhard König, Martina Forster (Hrsg.): Regensburger Liederbuch. Eine Stadtgeschichte in Noten. Mittelbayerische Druck- und Verlagsgesellschaft, Regensburg 1989, ISBN 3-921114-82-9
- Juliane Korelski: Regensburger Sagen und Legenden. Hörbuch. John Media, Schwaig bei Nürnberg 2009, ISBN 978-3-9811250-9-2.
- Carl Woldemar Neumann: Die Dollingersage. Reitmayr, Regensburg 1862 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
- Frieder Schanze: Regensburger Dollingerlied. In: Kurt Ruh u. a. (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neubearbeitete Auflage, Band 7: ‚Oberdeutscher Servatius‘ – Reuchart von Salzburg. De Gruyter, Berlin/New York 1989, ISBN 3-11-011582-4, Sp. 1094–1095.
Weblinks
Anmerkungen
- ↑ Wie ein Foto des Hauses vor dem Abriss (Foto im Weblink) zeigt, war die offene Loggia damals nur noch teilweise erhalten
Einzelnachweise
- ↑ Karl Heinz Göller, Herbert W. Wurster: Das Regensburger Dollingerlied. Mittelbayerische Druck- und Verlagsgesellschaft, Regensburg 1980, ISBN 3-921114-07-1, S. 11.
- ↑ Rezension von Frieder Schanze, Anzeiger für deutsches Altertum 95, 1984, S. 25–29.
- ↑ Karl Heinz Göller, Herbert W. Wurster: Das Regensburger Dollingerlied. Mittelbayerische Druck- und Verlagsgesellschaft, Regensburg 1980, ISBN 3-921114-07-1, S. 9.
- 1 2 Karl Bauer: Regensburg: Kunst-, Kultur- und Alltagsgeschichte. 6. Auflage. MZ Buchverlag, Regensburg 2014, ISBN 978-3-86646-300-4, S. 288–290.
- ↑ Raffael Parzefall: Platzfolge Kohlenmarkt, Rathausplatz, Haidplatz, Arnulfsplatz, Bismarckplatz. In: Bernhard Lübbers, Staatliche Bibliothek Regensburg (Hrsg.): Jahre des stillen Wandels, Regensburg um 1910. Band 3. Universitätsverlag Regensburg, Regensburg 2010, ISBN 978-3-86845-069-9, S. 103–126.
- ↑ Maximilian Fritsch: Abrissbirne und Grabungsantrag.Denkmalrecht vor Inkrafttreten des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes an Regensburger Beispielen. In: Stadt Regensburg, Amt für Archiv und Denkmalpflege (Hrsg.): Denkmalpflege in Regensburg. Band 16. Friedrich Pustet, Regensburg 2018, ISBN 978-3-7917-3155-1, S. 287 ff.
- ↑ Abschrift um 1600 in München, Staatsbibliothek, Clm 167: Digitalisat MDZ.
- ↑ Achim von Arnim, Clemens Brentano (Hrsg.): Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Band 1. Mohr und Zimmer, Heidelberg 1806, S. 36 f. (Erstausgabe: Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).
- 1 2 Allerneueste und bewaehrte Nachricht Von der des Heil. Roem. Reichs Freyen Stadt Regensburg: sammt allen Merckwuerdigkeiten, welche den alten und neuen Zustand derselben in politischen und Kirchen-Sachen betreffen […] herausgegeben und verlegt von Johann Carl Paricio Not. et Arithmet. daselbst. Regensburg 1753, S. 226–230 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
- ↑ Heinz Rölleke (Hrsg.): Des Knaben Wunderhorn. Lesarten und Erläuterungen (= Frankfurter Brentano-Ausgabe. Band 9,1). Kohlhammer, Stuttgart 1978, ISBN 3-17-002282-2, S. 107–109.
- ↑ Johann Gustav Büsching (Hrsg.): Wöchentliche Nachrichten für Freunde der Geschichte, Kunst und Gelahrtheit des Mittelalters. Band 1. Holäufer, Breslau 1816, S. 153–159; 193–200 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
- 1 2 Karl Bauer: Regensburg: Kunst-, Kultur- und Alltagsgeschichte. 6. Auflage. MZ Buchverlag, Regensburg 2014, ISBN 978-3-86646-300-4, S. 295.
- ↑ Emanuel Schikaneder: Hanns Dollinger, oder das heimliche Blutgericht. Schauspiel. In: Sämmtliche theatralische Werke. Band 1. Doll, Wien 1792 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
- ↑ Sigfrid Färber: Dollinger und Krako. Eine baierische Sage aus Regensburg. Festspiel für Schloß Wörth an der Donau. Regensburg 1954, OCLC 632815319.
- ↑ Johanna Brade (Hrsg.): Dollinger: das Buch zum Spiel. Buchverlag der Mittelbayerischen Zeitung, Regensburg 1995, ISBN 3-927529-69-9.
- ↑ Ritter Dollinger kämpfte im Schloss, Mittelbayerische Zeitung, 30. Mai 2017, abgerufen am 19. Januar 2018