Dorothea Hirschfeld (* 26. Februar 1877 in Berlin; † 12. Juni 1966 in West-Berlin) war eine deutsche Politikerin (SPD) und Wegbereiterin der Sozialen Arbeit in Deutschland.

Leben

Dorothea Hirschfeld war die Tochter des jüdischen Kaufmanns Julius Hirschfeld († 1897) und seiner Frau Anna geb. Stern († 1917). Nach einer Ausbildung als Bibliothekarin arbeitete sie von 1904 bis 1912 bei der Berliner Zentralstelle für Armenpflege und Wohltätigkeit. Von 1912 bis 1919 war sie Referentin und Geschäftsstellenleiterin beim Deutschen Verein, bei dem sie anschließend dem Vorstand (1919–1921) und dem Hauptausschuss (1919–1933) angehörte. Während des Ersten Weltkriegs war sie im Nationalen Frauendienst tätig.

Im November 1916 gründete sie gemeinsam mit Else Lüders, Gertrud Israel und Hedwig Wachenheim den Deutschen Verband der Sozialbeamtinnen, dessen Vorstand sie angehörte.

1918 wurde Dorothea Hirschfeld Mitglied der SPD. Ein Jahr später gehört sie zu den Mitbegründerinnen der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Als erste Frau wurde sie 1919 Mitarbeiterin des Reichsarbeitsministeriums und leitete dort ab 1920 als Ministerialrätin das Referat Kriegerwitwen- und Kriegerwaisenfürsorge, von 1927 bis 1929 war sie Direktorin in der neu gegründeten Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge, dann wieder Referentin im Ministerium. Von 1919 bis 1920 war sie Berliner Stadtverordnete für die SPD. In der AWO übernahm sie 1925 die Leitung des Fachausschusses Allgemeine Fürsorge. Dorothea Hirschfeld wendete sich gegen die, zur damaligen Zeit auch von sozialdemokratischen Gesundheits- und Sozialpolitikern vertretenen, These der Erblichkeit des Alkoholismus oder die von dem angeborenen Wandertrieb der Obdachlosen. Sie hob dagegen die gesellschaftlichen Ursachen dieser sozialen Probleme hervor. Wie viele Sozialarbeiterinnen ihrer Generation, die selbst nicht die Möglichkeit einer Fachschulausbildung hatten, legte Dorothea Hirschfeld großen Wert auf die Aus- und Weiterbildung der in der Wohlfahrtspflege Beschäftigten. Sie war als Lehrerin und Kuratoriumsmitglied an der Wohlfahrtsschule der AWO tätig und setzte sich als gelernte Bibliothekarin für den Aufbau der Schulbibliothek ein. Zu Beginn der Zeit des Nationalsozialismus wurde sie im April 1933 aus antisemitischen Gründen vom Reichsarbeitsministerium entlassen. Der Deutsche Verband der Sozialbeamtinnen und die AWO wurden von den Nationalsozialisten aufgelöst. Anders als einige ihrer Verwandten, denen sie half zu emigrieren, verließ Dorothea Hirschfeld Deutschland nicht. Sie lebte zurückgezogen in Berlin. Von der ihr zustehenden Pension erhielt sie nur einen geringen Teil. Am 3. Oktober 1942 wurde sie im Alter von fünfundsechzig Jahren in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Das hauptsächlich aus Grundbesitz bestehende Vermögen der Familie wurde zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Drei Wochen nach der Deportation von Dorothea Hirschfeld beging ihre Schwester Selbstmord. Ein jüngerer Bruder, der 1938 in das KZ Buchenwald verschleppt wurde, starb an den Folgen der Haft. Dorothea Hirschfeld überlebt und kehrt im August 1945 nach Berlin zurück.

Von Oktober 1945 bis 1948 arbeitete sie als Referentin in der Hauptverwaltung für das Gesundheitswesen in der Sowjetischen Besatzungszone. Die wiedergegründete AWO berief sie in das Kuratorium des Sozialpädagogischen Instituts.

Dorothea Hirschfeld starb 1966 im Alter von 89 Jahren in Berlin-Tempelhof.

Ehrungen

1952 wurde sie mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Nach Dorothea Hirschfeld ist einer der Sitzungssäle im Kurt-Schumacher-Haus, dem Sitz des Berliner SPD-Landesverbandes, benannt.

Veröffentlichungen

  • Die Frauen in der Armen- und Wohlfahrtspflege Deutschlands: Bericht aus Anlaß des Internationalen Kongresses für Armenpflege und Wohltätigkeit Kopenhagen 1910. Selbstverlag der Zentralstelle für Armenpflege und Wohltätigkeit, Berlin 1909.
  • Die Anstaltsfürsorge in Deutschland: eine Nachweisung derjenigen deutschen Erziehungs-, Heil- u. Pflegeanstalten, die sich in der Aufnahme von Pfleglingen nicht auf einen engeren örtlichen Bezirk beschränken. Verlag Duncker & Humblot, Leipzig 1910.
  • Die Wohlfahrtspflege und das Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. In: Arbeiterwohlfahrt 3 (1928): S. 353–363
  • Vom Armenwesen zur sozialen Fürsorge. Erinnerungen aus meiner Tätigkeit im Reichsarbeitsministerium. In: Neues Beginnen. Zeitschrift der Arbeiterwohlfahrt. Bremen: 1954, S. 53.

Literatur

  • Christine Fischer-Defoy [Hrsg.], Christiane Hoss: Vor die Tür gesetzt: im Nationalsozialismus verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder 1933 – 1945. Verein Aktives Museum, Berlin 2006, ISBN 978-3-00-018931-9.
  • Eckhard Hansen, Florian Tennstedt (Hrsg.) u. a.: Biographisches Lexikon zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1871 bis 1945. Band 2: Sozialpolitiker in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus 1919 bis 1945. Kassel University Press, Kassel 2018, ISBN 978-3-7376-0474-1, S. 80 f. (Online, PDF; 3,9 MB).
  • Elisabeth Lembeck: Eine vergessene Pionierin: Die Ministerialrätin Dorothea Hirschfeld. In: Die Partizipation von Frauen an der öffentlichen Verwaltung in der Weimarer Republik 1918–1933. Dissertation, Hannover 1991.
  • Jürgen Nürnberger, Dieter G. Maier: Dorothea Hirschfeld: Sozialbeamtin, Ministerialrätin und Überlebende des Ghettos Theresienstadt. Berlin 2019. (Jüdische Miniaturen; 235). ISBN 978-3-95565-319-4.
  • Peter Reinicke: Hirschfeld, Dorothea, in: Hugo Maier (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit. Freiburg : Lambertus, 1998, ISBN 3-7841-1036-3, S. 251f.
  • Lebenslauf von Dorothea Hirschfeld auf den Seiten der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums 1933–1945

Einzelnachweise

  1. Gudrun Wedel: Autobiographien von Frauen: Ein Lexikon. Böhlau Verlag, Köln Weimar 2010, ISBN 978-3-412-20585-0. S. 349. Volltext/Vorschau in der Google-Buchsuche
  2. Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.: Der lange Weg zum Einheitsverband (PDF-Datei). (PDF; 29 kB) (Nicht mehr online verfügbar.) In: dbsh.de. Archiviert vom Original am 7. November 2013; abgerufen am 5. April 2013.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  3. Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung: Netz-Quelle Geschichte und Politik. In: library.fes.de. Abgerufen am 5. April 2013.
  4. Elisabeth Lembeck: Dorothea Hirschfeld. In: Jewish Women's Archive. Abgerufen am 5. April 2013 (englisch).
  5. 1 2 SPD Berlin - Hirschfeld, Dorothea. (Nicht mehr online verfügbar.) In: archiv.spd-berlin.de. Archiviert vom Original am 2. Februar 2014; abgerufen am 5. April 2013.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.