Der Erwartungs-Maximierungs-Algorithmus (englisch expectation-maximization algorithm, daher auch Expectation-Maximization-Algorithmus, selten auch Estimation-Maximization-Algorithmus, kurz EM-Algorithmus) ist ein Algorithmus der mathematischen Statistik. Die Kernidee des EM-Algorithmus ist es, mit einem zufällig gewählten Modell zu starten, und abwechselnd die Zuordnung der Daten zu den einzelnen Teilen des Modells (Erwartungsschritt, kurz: E-Schritt) und die Parameter des Modells an die neueste Zuordnung (Maximierungsschritt, kurz: M-Schritt) zu verbessern.
In beiden Schritten wird dabei die Qualität des Ergebnisses verbessert: Im E-Schritt werden die Punkte besser zugeordnet, im M-Schritt wird das Modell so verändert, dass es besser zu den Daten passt. Findet keine wesentliche Verbesserung mehr statt, beendet man das Verfahren.
Das Verfahren findet typischerweise nur „lokale“ Optima. Dadurch ist es oft notwendig, das Verfahren mehrfach aufzurufen und das beste so gefundene Ergebnis auszuwählen.
Mathematische Formulierung
Funktionsweise
Es liegen Objekte mit einer gewissen Anzahl von Eigenschaften vor. Die Eigenschaften nehmen zufällige Werte an. Einige Eigenschaften können gemessen werden, andere jedoch nicht. Formal gesehen sind die Objekte Instanzen einer mehrdimensionalen Zufallsvariablen , die einer unbekannten Wahrscheinlichkeitsverteilung unterliegt; einige Dimensionen sind „beobachtbar“, andere sind „versteckt“. Ziel ist es, die unbekannte Wahrscheinlichkeitsverteilung zu bestimmen.
Zunächst nimmt man an, sei bis auf einige Parameter bekannt. Meist wählt man als Mischverteilung, also als gewichtete Summe von so vielen Standardverteilungen, wie beobachtbare Eigenschaften vorliegen. Wählt man beispielsweise als Standardverteilung die Normalverteilung, so sind die unbekannten Parameter jeweils der Erwartungswert und die Varianz . Ziel ist es nun, die Parameter der vermuteten Wahrscheinlichkeitsverteilung zu bestimmen. Wählt man eine Mischverteilung, so enthält auch die Gewichtungsfaktoren der Summe.
Für gewöhnlich geht man ein solches Problem mit der Maximum-Likelihood-Methode an. Dies ist hier jedoch nicht möglich, da die gesuchten Parameter von den versteckten Eigenschaften abhängen – und diese sind unbekannt. Um trotzdem zum Ziel zu kommen, wird also eine Methode benötigt, die mit den gesuchten Endparametern die versteckten Eigenschaften schätzt. Diese Aufgabe erfüllt der EM-Algorithmus.
Der EM-Algorithmus arbeitet iterativ und führt in jedem Durchgang zwei Schritte aus:
- E-Schritt: Versteckte Eigenschaften schätzen. Zunächst werden die versteckten Eigenschaften aus den im vorherigen Durchgang bestimmten Endparametern und den beobachteten Daten geschätzt. Dazu wird die sogenannte Q-Funktion verwendet, die einen vorläufigen Erwartungswert der gesuchten Verteilung berechnet.
- M-Schritt: Endparameter bestimmen. Jetzt, wo die versteckten Eigenschaften abgeschätzt sind, wird die Maximum-Likelihood-Methode angewandt, um die eigentlich gesuchten Parameter zu bestimmen.
Der Algorithmus endet, wenn sich die bestimmten Parameter nicht mehr wesentlich ändern.
Bewiesenermaßen konvergiert die Folge der bestimmten , das heißt, der Algorithmus terminiert auf jeden Fall. Allerdings bildet das Ergebnis meist nur ein lokales Optimum, welches zwar gut, aber nicht unbedingt optimal ist. Es ist daher nötig den Algorithmus mit vielen unterschiedlichen Startwerten auszuführen, um ein Endergebnis möglichst nah am Optimum zu finden.
Formulierung als Zufallsexperiment
Rein formal wird beim EM-Algorithmus angenommen, dass die Werte der beobachteten stochastischen Größe auf folgende Art und Weise zustande kommen: Wähle zuerst eine der eingehenden Zufallsvariablen aus und übernimm deren Wert als Endergebnis. Das bedeutet, dass genau ein Gewicht den Wert eins annimmt und alle anderen null sind. Bei der Approximation der Gewichte durch den EM-Algorithmus ist dies normalerweise aber nicht mehr der Fall. Die Wahrscheinlichkeitsdichte eines Zielwertes lässt sich bei Normalverteilungsannahme und konstanter Varianz der einzelnen Zufallsvariablen darstellen als:
Dabei besitzen die verwendeten Bezeichnungen folgende Bedeutungen:
- : Gewicht der -ten Zufallsvariable für den -ten Wert der Zielgröße
- : Anzahl der Gewichte
- : Wert der -ten Zielgröße
- : Stichprobe
- : Erwartungswert der -ten Zufallsvariable
- : Varianz
EM-Clustering
Das EM-Clustering ist ein Verfahren zur Clusteranalyse, das die Daten mit einem Gaußschen Mischmodell (englisch gaussian mixture model, kurz: GMM) – also als Überlagerung von Normalverteilungen – repräsentiert. Dieses Modell wird zufällig oder heuristisch initialisiert und anschließend mit dem allgemeinen EM-Prinzip verfeinert.
Das EM-Clustering besteht aus mehreren Iterationen der Schritte Erwartung und Maximierung.
- Im Initialisierungs-Schritt muss das frei gewählt werden. Nimm dazu an, dass genau eine beliebige Zufallsvariable (genau eine beliebige Trainingsinstanz ) diesem Erwartungswert entspricht, d. h. setze .
- Im Erwartungsschritt werden die Erwartungswerte der Gewichte berechnet unter der Annahme, dass die Erwartungswerte der eingehenden Zufallsvariablen den im Maximierungsschritt berechneten entsprechen. Dies ist allerdings nur möglich, falls es sich nicht um die erste Iteration handelt.
Die Erwartungswerte lassen sich darstellen als - Im Maximierungsschritt werden die Erwartungswerte der Wahrscheinlichkeitsverteilungen der einzelnen Zufallsvariablen bestimmt, bei denen die Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen des Stichprobenergebnisses maximiert wird. Dies geschieht unter der Annahme, dass die exakten Werte der Gewichte jeweils ihren Erwartungswerten entsprechen (Maximum-Likelihood-Algorithmus). Die auf diese Weise geschätzten Erwartungswerte ergeben sich bei Normalverteilungsannahme durch
- wobei die Größe des Trainingsdatensatzes bezeichnet.
- Durch Wiederholung der Erwartungs- und Maximierungsschritte werden die Parameter ihren tatsächlichen Werten weiter angenähert.
Vorteile des EM-Clusterings
- Mathematisches Modell der Daten mit Normalverteilungen
- Erlaubt Cluster unterschiedlicher Größe (im Sinne von Streuung – k-Means ignoriert die Varianz der Cluster).
- Kann korrelierte Cluster erkennen und repräsentieren durch die Kovarianzmatrix
- Kann mit unvollständigen Beobachtungen umgehen
K-Means als EM-Verfahren
Auch der k-Means-Algorithmus kann als EM-Algorithmus verstanden werden, der die Daten als Voronoi-Zellen modelliert.
Eine EM-Variante des k-Means-Algorithmus sieht wie folgt aus:
- Im Initialisierungs-Schritt werden die Clusterzentren zufällig oder mit einer Heuristik gewählt.
- Im Erwartungsschritt werden Datenobjekte ihrem nächsten Clusterzentrum zugeordnet, d. h.
- Im Maximierungsschritt werden die Clusterzentren neu berechnet als Mittelwert der ihnen zugeordneten Datenpunkte:
Weitere Instanzen des EM-Algorithmus
- Schätzen der Parameter einer Mischverteilung
- Baum-Welch-Algorithmus zum Schätzen der Parameter eines Hidden Markov Modells
- Lernen eines Bayes’schen Netzes mit versteckten Variablen
Beweis für den Maximierungsschritt bei Normalverteilungsannahme
Bewiesen werden soll:
Anstatt zu maximieren, kann auch maximiert werden, da der Logarithmus eine streng monoton steigende Funktion ist.
. |
Der Minuend ist eine Konstante, deswegen ist es ausreichend, den Subtrahend zu minimieren:
- .
Eine quadratische Summe ergibt stets einen nichtnegativen Wert. Daher ist das absolute Minimum durch 0 beschränkt und somit auch ein lokales Minimum. Man setze die 1. Ableitung für diesen Term nach jedem auf 0
- ,
denn die Ableitung aller Summanden der Summe über sind , außer für . Folglich:
- .
q. e. d.
Literatur
- A. P. Dempster, N. M. Laird, D. B. Rubin: Maximum-Likelihood from incomplete data via the EM algorithm. In: Journal of the Royal Statistical Society. 1977, S. 1–38 JSTOR:2984875.
- Tom M. Mitchell: Machine Learning. The Mc-Graw-Hill Companies, 1997.
- Richard O. Duda u. a.: Pattern Classification. 2. Auflage. John Wiley & Sons, New York 2012.
- Stuart Russell, Peter Norvig: Artificial Intelligence: A Modern Approach. 2. Auflage. Prentice Hall, 2002.
- Stuart Russell, Peter Norvig: Künstliche Intelligenz: Ein moderner Ansatz. Pearson Studium, 2004, ISBN 3-8273-7089-2. (deutsche Übersetzung der 2. Auflage)
Einzelnachweise
- ↑ Examples of the EM Algorithm. In: The EM Algorithm and Extensions. John Wiley & Sons, Ltd, 2008, ISBN 978-0-470-19161-3, S. 41–75, doi:10.1002/9780470191613.ch2 (wiley.com [abgerufen am 31. Januar 2021]).