Edward Thompson OBE (geboren am 25. Juni 1881 in Marlborough, gestorben am 15. Juli 1954) war ein englischer Eisenbahningenieur. Von 1941 bis 1946 war er Chefingenieur der London and North Eastern Railway (LNER) und verantwortlich für die Entwicklung des gesamten Fahrzeugparks der LNER.

Leben

Thompson wurde in Marlborough als einziger Sohn eines am dortigen Marlborough College tätigen Lehrers geboren. Nach der Schulzeit am Marlborough College studierte er von 1899 bis 1902 mechanical sciences (Maschinenbau) am Pembroke College der Universität Cambridge. Seine Berufslaufbahn führte ihn zunächst nach Manchester zum Lokomotivbauer Beyer-Peacock und anschließend zur Midland Railway. 1905 wechselte er für ein Jahr zum Royal Arsenal und trat schließlich 1906 in die Dienste der North Eastern Railway (NER), bei der er in deren Betriebsabteilung rasch aufstieg. 1910 war er assistant divisional locomotive superintendent in Gateshead.

1912 wechselte er als Carriage & Wagon Superintendent zur Great Northern Railway (GNR) und verantwortete damit unter Nigel Gresley den gesamten Wagenpark der GNR. 1913 heiratete er seine Frau Edith, die Tochter von Sir Vincent Raven, dem damaligen Chefingenieur der North Eastern Railway. Während des Ersten Weltkriegs leistete er ab 1916 Kriegsdienst, zunächst beim Royal Arsenal und dann in Frankreich bei der Transportabteilung der British Expeditionary Force. Für seine Leistungen wurde er als Officer des Order of the British Empire ausgezeichnet. 1919 schied er im Range eines Lieutenant Colonel aus der Armee aus und kehrte in seine Position bei der GNR zurück, wechselte aber bereits 1920 zurück zur NER und übernahm die Leitung der NER-Wagenwerkstätten in York. Mit dem Übergang der NER an die LNER infolge des Railways Act 1921 wurde er Carriage & Wagon manager der Nordostregion der LNER. 1930 übernahm er die Leitung der Stratford Works, eines der Ausbesserungswerke für Lokomotiven der LNER. Dort verantwortete er unter anderem den erfolgreichen Umbau der Claud Hamilton Class (die von der LNER als Klasse D14 bis D16 eingeordnete ehemalige GER-Klasse S46) und der 1500 Class (die von der LNER als Klasse B12 eingeordnete ehemalige GER-Klasse S69).

Nach dem plötzlichen Tod von Sir Nigel Gresley im April 1941 trat Thompson, der inzwischen die zentralen LNER-Werkstätten in Doncaster leitete, seine Nachfolge als Chief Mechanical Engineer der LNER an und war damit für den gesamten Fahrzeugpark des Unternehmens verantwortlich. Unter den erschwerten Bedingungen während des Zweiten Weltkriegs legte Thompson sein Augenmerk vor allem auf die Standardisierung des Lokomotivparks sowie dessen möglichst einfache und wartungsfreundliche Gestaltung. Neben Neubauten initiierte er hierzu auch umfangreiche Planungen zum Umbau vorhandener Lokomotivklassen, die allerdings aufgrund des Krieges und der kurzen Amtszeit Thompsons nur ansatzweise umgesetzt wurden.

Bereits 1946 ging Thompson in Ruhestand, sein Nachfolger wurde Arthur Peppercorn.

Lokomotiventwicklungen

Thompson verfolgte in der Konstruktion von Dampflokomotiven einige von den Prinzipien seines Vorgängers grundlegend abweichende Prämissen. Insbesondere den von Gresley favorisierten Dreizylinderantrieb mit dessen patentierter Steuerung lehnte Thompson entschieden ab. Kritisch sah er auch Gresleys Bemühen, neue Lokomotivreihen spezifisch für bestimmte Einsatzzwecke zu entwickeln. Während Gresleys Amtszeit lehnte dieser wiederholt Vorschläge von Thompson ab und auch das persönlich schlechte Verhältnis zwischen Gresley und Thompsons Schwiegervater, dessen Lokomotiven von Gresley wenig geschätzt wurden, sorgte dafür, dass beide Männer zu Gresleys Lebzeiten wiederholt Auseinandersetzungen hatten. Thompson setzte sich daher bewusst von seinem Vorgänger ab, von dessen Arbeiten er keine hohe Meinung hatte. Gresleys engste Mitarbeiter wurden von ihm auf Posten außerhalb der Entwicklungsabteilung versetzt.

Nach Thompsons Amtsübernahme begann er zum einen mit der Entwicklung neuer, wartungsfreundlicher Standardbauarten für die LNER, deren Entwicklung Gresley weniger forciert hatte, wie er auch Fragen der kostengünstigen Unterhaltung vernachlässigt hatte. Zum anderen ließ er mehrere der Dreizylinderbauarten von Gresley nach seinen Vorstellungen umbauen, wobei es allerdings teilweise bei Prototypen blieb. Zu Thompsons eigenen Entwicklungen zählten die LNER-Klasse B1, eine 2’C h2-Mehrzwecklokomotive, die sich gut bewährte und auch von British Railways bis 1952 nachbeschafft wurde. Insgesamt entstanden 410 Exemplare. Ebenfalls noch nach Thompsons Amtszeit weiterbeschafft wurde die LNER-Klasse L1, eine 1’C2’ h2-Tenderlokomotive für den Vorortverkehr, die bis 1950 mit insgesamt 100 Stück in Dienst gestellt wurde.

Zu den ersten Umbauten von Thompson zählten die sechs Pacifics der LNER-Klasse A2/2, die aus den Mikados der LNER-Klasse P2 entstanden. Thompson nahm die aufgrund ihres langen Radstands entstandenen Probleme der P2 auf ihrer kurvigen Einsatzstrecke zwischen Edinburgh und Aberdeen zum Anlass, diese vollständig umzubauen und damit zugleich eine als Mehrzwecklokomotive ausgelegte neue Standard-Pacific einzuführen. Auch die bereits in Bau befindlichen letzten vier Prairies der V2 wurden zu Pacifics der neuen Klasse A2/1 umgebaut, abgesehen vom beibehaltenen Kessel der V2 mit geringen baulichen Unterschieden zu den A2/2. Kessel, Führerhaus und Tender blieben bei diesen Umbauten weitgehend unverändert, bei den Innenzylindern ersetzte eine eigene Walschaerts-Steuerung die zuvor verwendete, von den Steuerungen der Außenzylinder abgeleitete Gresley-Steuerung. Die Beibehaltung der relativ kurzen Treibstangen der P2 führte dazu, dass die Außenzylinder bei allen Thompson-A2 noch hinter dem zweiten Radsatz des Drehgestells montiert werden mussten. Den Umbauten folgten 15 vollständige Neubauten als Klasse A2/3. Diese erhielten wie auch die A2/1 und A2/2 verschiedene Neuerungen wie etwa elektrische Triebwerksbeleuchtung, selbstreinigende Rauchkammern sowie klappbare Roste und Aschkästen. Die A2 wurden allgemein als wenig geglückte Lokomotiven angesehen, sie waren nicht leistungsfähiger als die V2 und litten unter diversen Problemen, insbesondere Schwächen am Rahmen im Bereich der Drehgestelle, wo die tragende Wirkung der Zylinderblöcke aufgrund deren zurückgesetzter Position fehlte.

Regelrecht als Angriff auf seinen Vorgänger wurde von vielen Beobachtern die von Thompson begonnene Entwicklung einer neuen Standard-Pacific für Expresszüge als Nachfolger für die A3 und A4 gewertet. Thompson ließ keinen Neubau vornehmen, sondern verwendete als Basis die Lokomotive 1470 Greast Northern, den Prototyp der von Gresley 1922 entwickelten LNER-Klasse A1. Dieser 1945 erfolgte Umbau, bei dem von der Originallokomotive letztlich relativ wenige Teile übernommen wurden, wurde auch innerhalb der LNER vielfach kritisiert und bedingt durch Thompsons Ruhestand folgte keine Serienfertigung der neuen A1/1. Sein Nachfolger Peppercorn ließ Thompsons Entwurf gründlich überarbeiten und die neuen, ab 1948 ausgelieferten Peppercorn-A1 unterschieden sich deutlich von Thompsons A1/1.

Im Zuge der Standardisierung begann Thompson zudem damit, neuere Baureihen mit Gresleys Dreizylinderantrieb auf Zweizylinderantrieb umzubauen. 1942 ließ er eine 2’C-Maschine der LNER-Klasse B17 (Sandringham Class) entsprechend umbauen, die neu als LNER-Klasse B2 eingeordnet wurde. Bis 1950 folgten neun weitere Umbauten. Da sich bei Versuchen jedoch zeigte, dass die Leistungsvorteile der B2 primär auf den höheren Kesseldruck zurückzuführen waren, wurde zugunsten der Beschaffung weiterer neuer B1 auf die Fortsetzung des Umbaus verzichtet und die meisten B17 blieben unverändert im Einsatz.

Weitere Umbauten von Gresley-Dreizylinderlokomotiven in Zweizylinderlokomotiven waren der Umbau je einer Mogul der Klasse K3 in eine der Klasse K5 und der Klasse K4 in eine der Klasse K1/1. Beiden Umbauten folgten keine Serienfertigungen, die hohen Umbaukosten ließen sich durch die geringfügig niedrigeren Wartungskosten nicht rechtfertigen. Lediglich das veränderte Vorlaufgestell erwies sich lauftechnisch als Verbesserung im Vergleich zu der von Gresley verwendeten Bauart und wurde nachfolgend auch bei anderen Lokomotiven wie etwa der Klasse V2 eingebaut.

Einzelnachweise

  1. University of Cambridge, Alumni Database: Thompson, Edward (THM899E), abgerufen am 13. April 2023
  2. 1 2 3 H. C. B. Rogers: Express Steam Locomotive Development in Great Britain & France. Haynes Publishing, Sparkford 1990, ISBN 0-86093-469-1, S. 106
  3. 1 2 Cecil J. Allen: British Pacific Locomotives. Ian Allan, Shepperton 1990, unveränderter Nachdruck der 2. Auflage 1971, ISBN 0-7110-0261-4, S. 94
  4. 1 2 Cecil J. Allen: British Pacific Locomotives. Ian Allan, Shepperton 1990, unveränderter Nachdruck der 2. Auflage 1971, ISBN 0-7110-0261-4, S. 99
  5. LNER Encyclopedia: The Thompson A2/1 Pacifics., abgerufen am 14. April 2023
  6. LNER Encyclopedia: The Thompson A2/2 Pacifics., abgerufen am 14. April 2023
  7. LNER Encyclopedia: The Thompson A2/3 Pacifics., abgerufen am 14. April 2023
  8. H. C. B. Rogers: Express Steam Locomotive Development in Great Britain & France. Haynes Publishing, Sparkford 1990, ISBN 0-86093-469-1, S. 107
  9. LNER Encyclopedia: The Thompson A1/1 Pacific., abgerufen am 14. April 2023
  10. LNER Encyclopedia: The Thompson B2 4-6-0s., abgerufen am 14. April 2023
  11. LNER Encyclopedia: The Thompson K1/1 and Peppercorn K1 2-6-0 Moguls., abgerufen am 14. April 2023
  12. LNER Encyclopedia: The Gresley K3 and Thompson K5 2-6-0 Moguls., abgerufen am 14. April 2023
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