Die eidgenössische Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit», auch «Stopp Impfpflicht»-Initiative genannt, ist eine Volksinitiative, die von der Freiheitlichen Bewegung Schweiz am 16. Dezember 2021 bei der Bundeskanzlei eingereicht wurde. Die Initiative verlangt, dass jeder Eingriff in die körperliche oder geistige Unversehrtheit eines Menschen der Zustimmung dieser Person bedarf. Bundesrat und Parlament lehnten die Initiative deutlich ab.
Initiative
Initiativtext
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 10 Abs. 2bis
2bis Eingriffe in die körperliche oder geistige Unversehrtheit einer Person bedürfen deren Zustimmung. Die betroffene Person darf aufgrund der Verweigerung der Zustimmung weder bestraft werden noch dürfen ihr soziale oder berufliche Nachteile erwachsen.
Art. 197 Ziff. 122
12. Übergangsbestimmung zu Art. 10 Abs. 2bis (Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit)
Die Bundesversammlung erlässt die Ausführungsbestimmungen zu Artikel 10 Absatz 2bis spätestens ein Jahr nach dessen Annahme durch Volk und Stände. Treten die Ausführungsbestimmungen innerhalb dieser Frist nicht in Kraft, so erlässt der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen in Form einer Verordnung und setzt sie auf diesen Zeitpunkt hin in Kraft. Die Verordnung gilt bis zum Inkrafttreten der von der Bundesversammlung erlassenen Ausführungsbestimmungen.
Initiativkomitee
Das Initiativkomitee «Freiheitliche Bewegung Schweiz, Komitee STOPP Impfpflicht» besteht aus 18 Mitgliedern. Erstunterzeichner sind Richard Koller (Mönchaltorf, ZH), Präsident der «Freiheitlichen Bewegung Schweiz (FBS)», und an zweiter Stelle folgt Christian Oesch (Eriz, BE), ausgeschiedener Vizepräsident der «Freiheitlichen Bewegung Schweiz (FBS)». An dritter Stelle folgt Yvette Estermann, Nationalrätin der SVP aus dem Kanton Luzern, an vierter Stelle Marco Rima, Schauspieler und Kabarettist.
Argumente des Initiativkomitees
Die Initiative entstand als Reaktion auf die staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Das Komitee will den Grundsatz der körperlichen Unversehrtheit in der Bundesverfassung erweitern, «so dass jeder Mensch die Freiheit hat, selbst bestimmen zu können, was in seinen Körper gespritzt oder eingesetzt werden darf, ohne dass er bestraft werden kann oder eine soziale oder beruflich Benachteiligung entsteht.» Das Komitee wirft die Frage auf, «was Corona wirklich ist. Ist es ein gefährlicher Virus oder ist es eine Agenda, wie viele sagen, die dazu bestimmt ist, Impfungen an Massen zu verteilen (Bill Gates, Zitat: Es wird erst wieder eine Normalität geben, wenn 7 Milliarden Menschen geimpft sind)». Die Volksinitiative werde «wohl der einzige Weg sein, die Diktatur über unsere Art zu leben zu stoppen».
Von Massnahmengegner kritisiert wurden insbesondere die Covid-19-Zertifikate 3G oder 2G, aber auch die Möglichkeit im Epidemiengesetz, Impfungen für obligatorisch zu erklären (Art. 22 EpG).
Behandlung der Initiative
Einreichung der Initiative
Nachdem die Bundeskanzlei während der Vorprüfung festgehalten hatte, die Initiative entspreche allen gesetzlichen Vorgaben, durfte die Sammlung von 100'000 Unterschriften in einem Zeitraum von 18 Monaten (Art. 139 BV) am 1. Dezember 2020 beginnen; der Ablauf der Sammelfrist war am 1. Juni 2022. Die Initiative wurde bereits rund ein halbes Jahr zuvor, am 16. Dezember 2021, eingereicht, da die notwendigen Unterschriften gesammelt worden waren. Dies bestätigte die Bundeskanzlei, als sie am 25. Januar 2022 verfügte, die Initiative sei mit 125'015 gültigen Unterschriften zustande gekommen.
Stellungnahme des Bundesrates
Nach Art. 97 Abs. 1 Bst. a des Parlamentsgesetzes hatte der Bundesrat spätestens bis zum 16. Dezember 2022 Zeit, der Bundesversammlung den Entwurf für einen Bundesbeschluss über eine Abstimmungsempfehlung mit einer erläuternden Botschaft zu unterbreiten. Mit seiner fristgerecht unterbreiteten Botschaft vom 9. Dezember 2022 beantragt der Bundesrat der Bundesversammlung, Volk und Ständen die Ablehnung der Volksinitiative zu empfehlen; auf einen Gegenentwurf sei zu verzichten.
Der Bundesrat weist darauf hin, dass das Recht jedes Menschen «auf körperliche und geistige Unversehrtheit» bereits jetzt in der Bundesverfassung verankert ist (Art. 10 BV). Das Erfordernis der Zustimmung für einen Eingriff in die körperliche und geistige Unversehrtheit sei bereits jetzt im bestehenden Grundrecht der persönlichen Freiheit enthalten. Mit der Initiative würde dieser Grundsatz explizit in die Bundesverfassung aufgenommen. Die Notwendigkeit einer Einwilligung wäre aber nicht auf medizinische Zwecke begrenzt. Der Initiativtext sei sehr weit gefasst und erfasse nicht nur Impfungen, sondern diverse andere Bereiche staatlichen Handelns (z. B. Polizeiwesen und Strafverfolgung, Militär, Ausländer- und Asylwesen, Kindes- und Erwachsenenschutz). Eine Annahme der Initiative würde zu einer grossen Rechtsunsicherheit führen, da nicht klar wäre, wie der neue Verfassungstext in diesen anderen Bereichen anzuwenden wäre. Vor allem lasse der Initiativtext aber auch ausser Acht, dass Einschränkungen der Grundrechte unter bestimmten, eng formulierten Voraussetzungen möglich sind (Art. 36 BV). Wenn die Initianten die Anwendbarkeit von Artikel 36 BV hätten einschränken wollen, dann hätten sie dies im Initiativtext klar zum Ausdruck bringen müssen. Da sie dies unterlassen haben, entstehe auch in dieser Beziehung grosse Rechtsunsicherheit. Nach Artikel 36 BV wäre es nach wie vor möglich, dass unter engen Voraussetzungen eine Impfung bei bestimmten Personengruppen (z. B. Tätigkeit in der Gesundheitsversorgung) während beschränkter Zeit für obligatorisch erklärt werden kann. Eine Verabreichung einer Impfung zur Prophylaxe bei grundsätzlich gesunden Personen mittels physischem Zwang wäre aber heute schon unbestrittenermassen ausgeschlossen, da damit der Kernbereich des Grundrechts angetastet würde (Art. 36 Abs. 4 BV).
Beratungen des Parlaments
Die Initiative hatte im Parlament einen schweren Stand; einzig die SVP unterstützte sie und einen Gegenentwurf. Der Nationalrat folgte dem Antrag seiner Kommission für Rechtsfragen, die Initiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen, mit 140 zu 35 Stimmen bei acht Enthaltungen. Die Gegner der Initiative befürchteten unerwünschte Nebenwirkungen, etwa im Strafvollzug oder bei der Entnahme von DNA. Es wurde beispielsweise befürchtet, dass das staatliche Gewaltmonopol tangiert werde. Bei einer Annahme könnte die Polizei beispielsweise keine Verdächtigen mehr ohne deren Zustimmung festnehmen, hielt der Bundesrat fest. Grosse Rechtsunsicherheit entstünde etwa auch im Bereich des Erwachsenenschutzes. Die SVP wollte aber die Selbstbestimmung in Sachen Impfen oder in Bezug auf «jedes andere biomedizinische Verfahren» mit einem Gegenentwurf aufnehmen. Ihre Anträge für einen direkten oder indirekten Gegenentwurf wurden jedoch deutlich abgelehnt. Auch der Ständerat verwarf die Initiative sehr deutlich.
Siehe auch
Literatur
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Eidgenössische Volksinitiative 'Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit'. Bundeskanzlei, abgerufen am 10. März 2023.
- 1 2 BBl 2022 9103 Eidgenössische Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit». Vorprüfung. In: Bundesblatt. Bundeskanzlei, 17. November 2020, abgerufen am 16. Juli 2022 (Schweizer Hochdeutsch).
- ↑ STOPP Impfpflicht. Freiheitliche Bewegung Schweiz (FBS), abgerufen am 10. März 2023.
- ↑ Botschaft des Bundesrates. In: Bundesblatt. S. 9, abgerufen am 5. Oktober 2023.
- ↑ Eidgenössische Volksinitiative 'Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit'. In: Politische Rechte. Bundeskanzlei, abgerufen am 16. Juli 2022.
- ↑ BBl 2022 195 Eidgenössische Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit». Zustandekommen. In: Bundesblatt. Bundeskanzlei, 25. Januar 2022, abgerufen am 16. Juli 2022 (Schweizer Hochdeutsch).
- ↑ Botschaft zur Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit». In: Bundesblatt. Bundeskanzlei, 12. Januar 2023, abgerufen am 10. März 2023.
- ↑ 22.075 «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit». Volksinitiative. In: Curia Vista. Abgerufen am 5. Oktober 2023.