Von Frauen gegründet, dazu meist gleichzeitig geleitet, spielen in einem Frauenorchester (auch: Frauenkapelle, Frauenensemble) in der Regel nur Frauen. Für Instrumentalistinnen war es bis Ende des 20. Jahrhunderts schwierig, in mitteleuropäischen Orchestern beruflich Fuß zu fassen.

Begriff und Situation

Im Jahre 2018 wurde die Theater- und Orchesterlandschaft Deutschlands, die über eine „besonders hohe Dichte und Vielfalt“ verfügt, für den Status eines Unesco-Weltkulturerbes nominiert. Das wirft die Frage auf, wie es heute um Frauen in Orchestern steht? In Anbetracht „de(r)s lange(n) Weges von Musikerinnen in die Berufsorchester“ und der vorherrschenden Konzertpraxis der bis zur Jahrtausendwende hauptsächlich aus Männern bestehenden Orchester, die Werke von Komponistinnen weitgehend zu ignorieren, gründete Elke Mascha Blankenburg 1986 ein reines Frauenorchester, das „Clara Schumann Orchester“ in Köln. Das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) des Deutschen Musikrates gab 2022 ein illustriertes Faltblatt heraus: „Musikleben in Zahlen. Am Pult der Zeit!? Chancengleichheit in deutschen Berufsorchestern“. Es informiert über die lange äußerst prekäre Gender-Situation im „Land der Orchester“, womit Deutschland gemeint ist, wo es „flächendeckend“ „129 Orchester in öffentlicher Trägerschaft“ gibt.

Zur Geschichte des Frauenorchesters

Es gibt im Grunde keine Geschichte des Frauenorchesters. Es gibt aber auf der ganzen Welt vereinzelte Ansatzpunkte in einem sonst „blinden“ Arbeitsfeld, dazu gehören z B Harems-Musikerinnen, die es tatsächlich gab, ohne, dass speziell Fachliches über sie geschrieben wurde. In ihrem Buch Die Geschichte des Harems bringt Roswitha Gost auf Seite 244 eine undatierte Abbildung einer türkischen Handschrift von sechs Musikerinnen (Harfe, Laute und Schlagzeuge) sowie zwei Tänzerinnen vor einer Reihe Harems-Publikum.

Der Musik-Ethnologe Curt Sachs (1881–1959) führte bereits für das zweite Jahrtausend v. Chr. eine syrische Frauenkapelle des ägyptischen Königs Echnaton an. Orchester im heutigen Sinn waren das noch nicht, aber es handelte sich um kommunizierende Frauen-Ensembles aus mehreren Instrumentalistinnen.

Orchester-Beispiele weltweit

Über das u. a. bei der Weltausstellung 1873 in Wien aufgetretene Josephine Weinlich Damenorchester wurde durch Annkathrin Babbe eine ausführliche Geschichte geschrieben: Ein Orchester, wie es bisher in Europa noch nicht gesehen und gehört worden war.

Unter dem Begriff Damenorchester im Lexikon des Orchesters, (wobei im Einzelfall zwischen Damen- und Frauenorchester zu unterscheiden ist, was hier nicht geschah) wird von „misogyner“ Rezeption, nämlich „Nähe von Sexarbeit“, „Kontrollen der strengen Sittenpolizei“, „keine künstlerische Ambition“ usw. geschrieben, sodass die Abbildung des Weinlich-Orchesters an dieser Stelle deplatziert ist.

Im karibischen Havanna, der Hauptstadt Kubas wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein kubanisches Son Cubano Orchester aus Frauen unter dem Namen und in Erinnerung an die im 16. Jahrhundert ermordete Königin von Haiti Anacaona bekannt. Sie machten Konzertreisen auch nach Europa.

1933 gründete die Dirigentin und Violinistin Frédérique Petrides in New York das Orchestrette Classique, ein Frauenorchester, das bis 1943 in Sälen wie der Aeolian Hall und der Carnegie Hall auftrat.

Unter dem Stichwort Syrien werden im erwähnten Lexikon des Orchesters zwei syrische Frauenorchester unserer Zeit angeführt: das taḫt (=Podium)-Ensemble (seit 2003) mit sowohl arabischen als auch europäischen Instrumenten und das 2006 gegründeten Mari-Orchester.

Klöster

Das jahrhundertelange römische Sing- und Auftrittsverbot für Frauen im Gottesdienst hat sich in christlichen Ländern auf die weltliche Musikpraxis und bis weit über Italien hinaus ausgewirkt. Bedingt dadurch wurden Frauenklöster die einzigen Stätten, wo Frauen relativ frei musizieren konnten. Zu deren hochentwickeltem Musikleben fehlt eine kontinuierliche wissenschaftliche Aufarbeitung.

Nonne mit Taktstock

Im Augustinerinnen-Kloster San Vito in Ferrara, wo Raffaella Aleotti (1575–?1646) mit vierzehn Jahren Nonne und später als Komponistin und Organistin Priorin wurde (sie änderte dort ihren Vornamen Vittoria in Raffaella), übernahm sie im Jahr 1593 die Leitung des Concerto grande, das aus insgesamt 23 Sängerinnen und Instrumentalistinnen bestand. Die Instrumente dieses Nonnen-Orchesters waren Cembalo, Lauten, Violen, Flöten, Cornetti und Posaunen, das wurde „lebhaft“ von den zeitgenössischen Musiktheoretikern und Komponisten Ercole Bottrigari (1531–1612) und Giovanni Maria Artusi (~1540–1613) beschrieben. Eine Besonderheit ist die Nennung des „langen, polierten Stabes“ Aleottis (Taktstock), der im männlichen Dirigentenwesen „gerne (explizit) als Machtsymbol interpretiert“ wird, aber hier bei einer Frau seine früheste bekanntgewordene Verwendung fand.

Francesco Guardi

Francesco Guardis Gemälde von 1782 zeigt einen weiblichen Chor mit Orchester, beides gebildet aus Schülerinnen der Venezianischen Ospedali. Über Ort und Anlass dieses vermutlichen Oratorium-Konzertes wurde bis nach München berichtet: „ […] von allen Zöglingen unsrer verschidenen musikalischen Konservatorien“, […] die im „filarmonischen“ Saale des Gebäudes der Prokuratien am Piazza San Marco in Venedig für russische Staatsgäste ein „grosses und prächtiges Konezert“ gaben. Diese Konzerte gehörten damals zu den Fremdenverkehrs-Attraktionen der Inselstadt.

Hinter Gittern

Guardis Darstellung des venezianischen Frauen-Konzertes ist insofern eine Besonderheit, als Mädchen und Frauen wegen des vatikanischen Musizierverbots grundsätzlich nicht gesehen und betrachtet werden sollten. An ihren hauptsächlichen Auftrittsorten, den Kirchen, wurden sie deshalb von Gittern verdeckt, wie Goethe während seiner Italienreise seinen Venedig-Besuch beschreibt: „Einen zierlichen Käfig erblickte ich; hinter dem Gitter regten sich emsig und rasch Mädchen des süssen Gesangs.“ So sind bei Guardis Gemälde die Musikerinnen nicht zentral, sondern auf den seitlichen Emporen platziert, und von den Zuhörern scheint niemand sich den Hals nach ihnen zu verdrehen.

Das Gemälde zeigt offenbar nur erwachsene Schülerinnen, da wäre die Bezeichnung „Frauenorchester“ statt des verniedlichenden „Mädchenorchester“ angebracht, das immer wieder zu lesen ist.

Frau und Orchester

Frau und Orchester war lange keine Selbstverständlichkeit, so wie auch Blasinstrumente, insbesondere das „Blech“, lange für Frauen tabu waren. Dennoch gab es Orchestergründungen mit Männerbesetzung durch Frauen. Das war der Fall bei Sophie Charlotte von Hannover (1665–1705), der ersten preußischen Königin in Berlin, und ebenso bei deren Enkelin Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758). Ein Orchester (→ Bild) mit chorischer Streicherbesetzung, Soloflöte und gut besetztem Basso continuo: Wilhelmine leitend am Clavecin (Cembalo), dazu Cello, Fagotte und Kontrabass weisen auf die höfische Oper. Rechts abgebildet sind auch Sängerinnen: eine aktiv, eine weitere wartend auf ihren Auftritt, ihre Noten auf dem Tisch. Beide ein deutliches Zeichen für weibliche hohe Stimmen bzw. Solistinnen im Zeitalter der Kastraten.

19./20. Jahrhundert

Ab dem 19. Jahrhundert entwickelten sich die Orchester in Europa zu monumentaler Größe für Sinfonien etwa von Anton Bruckner und Gustav Mahler. Für kleinere Orchester bürgerte sich der Begriff Kammerorchester ein. Hand in Hand mit der Entwicklung des Sinfonieorchesters entstand ein ausgeprägtes Dirigentenwesen, für dessen männliche Dominanz Herbert von Karajan Beispiel ist. Es existieren von ihm Tonaufnahmen, die allein das Standardrepertoire in mehrmaligen Aufführungen dokumentieren.

Die Wiener Philharmoniker stellten erst 1997 die erste Frau ein, die Harfenistin Anna Lelkes. Bei den Berliner Philharmonikern gehörte zu den ersten Frauen-Engagements die Klarinettistin Sabine Meyer, deren Anstellungsgeschichte ein besonders negatives Kapitel darstellt.

Ein Alleinstellungsmerkmal hat das 1943 gegründete Mädchenorchester von Auschwitz nicht nur von seiner Funktion her als „Häftlingsorchester“, denn es dürfte im 20. Jahrhundert in Deutschland der erste Fall eines reinen Frauenorchesters gewesen sein. Anders, als der dafür geläufige Titel Mädchenorchester aus „Laienmusikerinnen“ nahelegt, bestand es aus erwachsenen, zum großen Teil professionell ausgebildeten Instrumentalistinnen und u. a. der hochkünstlerischen Leiterin Alma Rosé. Sogar in dieser tragischen Situation wurde das Orchester durch patriarchalische Vorurteile kleingeredet („Mädchenorchester“). Seine überlebende Cellistin Anita Lasker-Wallfisch war nach dem Krieg Mitbegründerin des English Chamber Orchestra.

Beispiele für heutige und historische Frauenorchester

Frauen-Salonorchester:

  • holz & blech Berlin
  • Josephine Weinlich Orchester (Wien)
  • Salonorchester Bella Donna
  • Salome Berlin
  • Anacaona Orchester

Literatur

  • Patrick Barbier: Histoire des Castrats. Grasset, Paris 1989, ISBN 2-246-40681-1.
  • Alicia Castro: Anacaona. Aus dem Leben einer kubanischen Musikerin. [Geschichte eines kubanischen Frauenorchesters] Econ-Verlag, München 2002, ISBN 3-430-11752-6.
  • Sonja Erhardt: Europäischer Musiktransfer. Russland im 18. Jahrhundert. Wilhelm Finck, 2019, ISBN 978-3-7705-6464-4, S. 73.
  • Florian Heesch: Besprechung und Textauszug aus Christine Ammer: Unsung. Eine Geschichte der Frauen in der amerikanischen Musik (1980/2001). In: Florian Heesch und Katrin Losleben (Hgg.): Musik und Gender. Ein Reader. Böhlau Verlag Wien, usw. 2012, S. 116–129.
    • (8. Frauenorchester im 19. und 20. Jahrhundert)
  • Gavin Holman: Women and Brass 2020.
  • Anita Lasker-Wallfisch: Die Kapelle. In: Ihr sollt die Wahrheit erben. Die Cellistin von Auschwitz. Erinnerungen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2000, ISBN 978-3-499-22670-0, S. 124–144.
  • Fr. Heidelberger, G. Schröder, Chr. Wünsch (Hrsg.): Lexikon des Orchesters. Orchester und Ensembles weltweit. Geschichte und Aufführungspraxis. Komponisten und Dirigenten. Orchesterpraxis. Laaber-Verlag, Lilienthal 2021, ISBN 978-3-89007-551-8.
  • Anthony Milner: Die Spätrenaissance. In: Alec Robertson, Denis Stevens (Hrsg.): Geschichte der Musik. Renaissance und Barock. Prestel-Verlag, München 1990, ISBN 3-88199-711-3, Zu Ferrara insbesondere S. 151/52.
  • Curt Sachs: Vergleichende Musikwissenschaft. Musik der Fremdkulturen. Heinrichshofen’s Verlag, Wilhelmshaven-Locarno-Amsterdam, dritte Auflage 1974, Seite 34–35 Die Musiker.

Siehe auch

Commons: All-female musical groups – Sammlung von Bildern und Videos

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Tatsachenbericht einer Posaunistin (Abbie Conant).
  2. Pressemitteilung. Nominierung der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft für die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes in Paris eingereicht. In: UNESCO. 3. April 2018, abgerufen am 16. September 2022.
  3. Dieser Vorgang ist noch nicht abgeschlossen: Bojan Budisavljevic: Alternativer Blick auf die Orchesterlandschaft. In: Neue Musikzeitung. 2020, abgerufen am 16. September 2022.
  4. Christian Ahrens, Sophie Drinker Institut
  5. ELke Mascha Brandenburg
  6. Roswitha Gost: Die Geschichte des Harems, Albatros Düsseldorf 2002, S. 242 ff.
  7. Curt Sachs: Vergleichende Musikwissenschaft, 1974, S. 34–35.
  8. Annkathrin Babbe: „Ein Orchester, wie es bisher in Europa noch nicht gesehen und gehört worden war“. Das „Erste Europäische Damenorchester“ von Josephine Amann-Weinlich, BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 2011 (odf)
  9. Annkathrin Babbe: Weinlich, Josephine, in: Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts, Sophie Drinker Institut.
  10. Lexikon des Orchesters Bd. I, S. 253–254.
  11. Alicia Castro mit Ingrid Kummels und Manfred Schäfer: Anacaona. The Amazing Adventures of Cuba's First All-Girl Dance Band. Atlantic, London 2007, S. 149ff.
  12. https://www.nypl.org/sites/default/files/archivalcollections/pdf/petrides.pdf
  13. Lexikon des Orchesters II; S. 508.
  14. Mari-Orchester Syrien
  15. Manfred Vasold: FAZ, 16. März 2005, Nr. 63, S. N3
  16. In Deutschland z. B. Kloster Wienhausen.
  17. Arno Lücker: Raffaella Aleotti
  18. The new Grove Dictionary of Women Composers. The Macmillan Press, Great Britain 1994, 95, 96, S. 7 (dort weitere Literaturangaben).
  19. Im Lexikon des Orchesters, Bd. II, S. 514/515 dagegen frühestes Datum 1775.
  20. „Münchener Stats-, gelehrte, und vermischte Nachrichten, Dienstag, den 5ten Hornung 1782, 21“. Zitiert in: Sonja Erhardt: Europäischer Musiktransfer. Russland im späten 18. Jahrhundert. Wilhelm Fink Verlag, Brill Paderborn 2019, S. 286 u. 287.
  21. Johann Wolfgang von Goethe: Epigramm. In P. Winter: Venezianische Epigramme, nach Jane L. Baldauf-Berdes: Women Musicians. 1993, S. 233, Anmerkung 1.
  22. Lexikon des Orchesters I, S. 663.
  23. Martin Elste, (Hrsg. Lars E. Laubhold und Jürg Stenzl): Ein Schallplattendirigent wird aufgebaut. Karajans EMI-Jahre. Salzburg 2008, ISBN 978-3-7025-0583-7, S. 171–178.
  24. Chronologie der Frauen bei den Wiener Philharmonikern 2006
  25. Bericht über die Anstellung der ersten Frauen bei den Berliner Philharmonikern
  26. Zur Situation im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts siehe etwa die Studie Geschlechterverteilung in deutschen Berufsorchestern (Deutsches Musikinformationszentrum, Ergebnis- und Methodenbericht vom März 2021 auf Grundlage einer Vollerhebung bei den 129 öffentlich finanzierten Orchestern).
  27. Lexikon des Orchesters I, S. 663.
  28. Anita Lasker-Wallfisch: Die Kapelle. In: Ihr sollt die Wahrheit erben. Die Cellistin von Auschwitz. S. 124–144.
  29. Frauensinfonieorchester Berlin FOP
  30. Monika Kornberger: Wiener Frauen-Symphonie-Orchester, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, 5. Juli 2019
  31. Elena Ostleitner: Orchester in Österreich, in: Österreichische Musikzeitschrift, 1. März 1990, S. 152
  32. Till Lorenzen: Afghanisches Mädchenorchester „Zohra“. Musizieren unter Lebensgefahr, Deutschlandfunk Kultur, 30. Januar 2017
  33. holzundblech-berlin.de
  34. Offizielle Website, YouTube
  35. Rückblick Salome Berlin 2012
  36. Anacaona Orchester
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