Georg Albert Freiherr von und zu Franckenstein (später Sir George Franckenstein GCVO, * 18. März 1878 in Dresden oder Wiesentheid, Unterfranken; † 14. Oktober 1953 in Kelsterbach bei Frankfurt am Main) war ein österreichischer Diplomat und Botschafter in London (1920–1938).

Leben

Franckenstein war der Sohn von Karl Freiherr von und zu Franckenstein (geb. 22. Jänner 1831 in Frankfurt am Main; seit 2. Jänner 1889 Mitglied des Herrenhauses auf Lebenszeit in der Gruppe der Rechten; gest. 2. Februar 1898 in Wien) und Elma, geborene Gräfin von Schönborn-Wiesentheid (1841–1884). Sein Bruder war der Komponist Clemens von Franckenstein (1875–1942). Seine Schwester Leopoldine Freiin von und zu Franckenstein (1874–1918) heiratete 1913 den deutschen Großindustriellen Gustav Hermann von Passavant (geb. 7. Februar 1872 in Frankfurt am Main; gest. 7. Dezember 1958 in Wien). (Dieser Ehe entstammte Rose Marie, auch: Maria Rosario, von Passavant, ab 1938: Rose Marie Hyde Villiers, ca. 1915 bis 2007). Franckensteins Onkel väterlicherseits war Georg Arbogast von und zu Franckenstein.

Franckenstein verbrachte seine Kindheit in Franken und Wien. Nach Besuch des Schottengymnasiums und Studium an der Universität Wien trat er in den diplomatischen Dienst des Kaiserreichs Österreich ein. Seine diplomatische Laufbahn führte ihn nach Washington, an den russischen Zarenhof in St. Petersburg und nach Rom. Nach kurzer Verwendung im Ministerium des Äußeren in Wien, wurde er an den japanischen Kaiserhof, nach Indien und nach Brüssel beordert, bis er zum „Kommerzdirektor“ der K.u.K.-Botschaft in London ernannt wurde. Der Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 zwang ihn zum Verlassen Großbritanniens. Aufgrund des Adelsaufhebungsgesetzes von April 1919 änderte sich sein Name auf Georg Franckenstein. Nach der Kriegsniederlage der Mittelmächte und dem Zerfall der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gehörte Franckenstein, zwischenzeitlich Legationsrat, im Mai 1919 der österreichische Delegation unter der Leitung von Karl Renner an, die zu den Vertragsverhandlungen in Saint-Germainreiste.

Am 13. Oktober 1920 kehrte er als diplomatischer Repräsentant der neuen Republik Österreich nach London zurück. Dort arbeitete er 18 Jahre lang als Austrian Minister to the Court of St. James, also als Gesandter der (Ersten) Republik Österreich (1920–1934) bzw. des diktatorisch regierten Bundesstaates Österreich (1934–1938).

Während des Ersten Weltkrieges amtierte Franckenstein unter anderem 1915 als diplomatischer Repräsentant der Habsburgermonarchie im deutsch besetzten Belgien und 1918 im von den Mittelmächten besetzten Kaukasus, wo er gemeinsam mit seinem deutschen Kollegen General Kress von Kressenstein den verfolgten und hungernden armenischen Flüchtlingen Hilfe zu leisten versuchte.

In den frühen 1920er Jahren konnte er durch seine Kontakte in London die gravierende finanzielle Schieflage seines Landes durch Vermittlung internationaler Finanzanleihen ausgleichen. Durch seinen aufwendigen und repräsentativen Lebensstil, insbesondere durch die auch kulturpolitisch motivierte Veranstaltung von Musikabenden und Maskenbällen, genoss er hohes gesellschaftliches Ansehen in London, wo er ungeachtet des Adelsaufhebungsgesetzes von 1919 weiterhin als „Baron Franckenstein“ angesprochen wurde. Im Dezember 1937 wurde er von König Georg VI. persönlich als Knight Grand Cross des Royal Victorian Order ausgezeichnet. Als Nicht-Brite erfolgte diese Verleihung ehrenhalber und war nicht mit einer Erhebung in den britischen Adelsstand verbunden.

Mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich verlor er im März 1938 seine diplomatische Funktion. Er kehrte nicht in seine nunmehr nationalsozialistisch beherrschte Heimat zurück, sondern blieb in London und wurde am 14. Juli 1938 als britischer Staatsbürger naturalisiert. Als nun britischer Untertan stieg er als Knight Grand Cross des Royal Victorian Order in den britischen Adel auf, wurde am 26. Juli 1938 von König Georg VI. zum Ritter geschlagen und durfte sich fortan Sir George Franckenstein nennen. Franckenstein heiratete am 31. Juli 1939 die junge Engländerin Editha King. Am 28. Mai 1944 wurde sein Sohn Clement George geboren, der später unter dem Namen Clement von Franckenstein Schauspieler wurde und 2019 verstarb.

George Franckenstein starb am 14. Oktober 1953 als Passagier einer Convair CV-240 beim Flugunfall der Sabena bei Kelsterbach. Er und sein Bruder Clemens waren Jugendfreunde Hugo von Hofmannsthals, mit dem sie u. a. eine rege Briefkorrespondenz verband.

Auf einer Darstellung seines Sohnes Clement George Franckenstein beruht die Legende, dass George Franckenstein nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 angeboten haben soll, „Österreichs erster Bundespräsident“ zu werden. Clement Franckenstein: „Als Diplomat alten Stils lehnte er das ehrenvolle Ansinnen höflich und nach reiflicher Überlegung ab, da er es als undankbar gegenüber den Briten empfunden hätte, die ihn vor Hitler geschützt und ihm ihre Staatsbürgerschaft und Titel verliehen und seiner Familie geholfen hatten.“

Ehrungen

Werke

  • Sir George Franckenstein, G.C.V.O., D.C.L. (Hon.) Oxon: Facts and features of my life. Austrian Minister to the Court of St. James, 1920–1938. London/Toronto/Melbourne/Sydney 1939.
  • Georg von Franckenstein: Zwischen Wien und London. Erinnerungen eines österreichischen Diplomaten. Leopold Stocker Verlag, Graz 2005, ISBN 3-7020-1092-0.

Literatur

  • Obituary: Sir G. Franckenstein – A Distinguished Diplomat. Nachruf. In: The Times, 15. Oktober 1953, S. 10.
  • Sir George Franckenstein, Internationales Biographisches Archiv 51/1953 vom 7. Dezember 1953, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  • Sylvia M. Patsch: Österreichische Schriftsteller im Exil in Großbritannien. Ein Kapitel vergessene österreichische Literatur. Romane, Autobiographien, Tatsachenberichte auf englisch und deutsch. Brandstätter, Wien 1985, ISBN 3-85447-076-2, S. 210ff.
  • Ulrike Landfester (Hrsg.): Briefwechsel mit Clemens von Franckenstein 1894–1928 / Hugo von Hofmannsthal. Rombach, Freiburg im Breisgau 1998, ISBN 978-3-7930-9182-0.
  • Otto Josef Gustav Anton Heinzl: Die Antrittsbesuche des Bundeskanzlers Dr. Kurt Schuschnigg in Paris und London 1935. Diplomarbeit an der Universität Wien, Wien 2013 (Volltext online). Kapitel 5.8.) ao. Gesandter und bev. Minister in London Dr. Georg Albert Freiherr von und zu Franckenstein, S. 54–56.
  • Paul Mychalewicz: Georg von Franckenstein. Ein Sir für Österreich. („Als Diplomat und Vermittler diente Georg von Franckenstein der Republik auch im Exil während der NS-Zeit.“) In: Wiener Zeitung, 12. März 2022 (Artikel online, abgerufen am 17. Oktober 2022).

Einzelnachweise

  1. 1 2 Das Botschaftsgebäude. Von Chandos Haus zum Belgrave Square. In: Website der Österreichischen Botschaft in London (unter Verweis auf: Rudolf Agstner: Von Chandos House zum Belgrave Square – Österreichs Botschaft in London 1815-1997. Sonderdruck. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs), ohne Datum, abgerufen am 17. Oktober 2022: „Die Gesandtschaft der Republik Österreich nahm am 18. August 1920 ihren Dienstbetrieb auf, erster Gesandter der Republik Österreich wurde Georg Franckenstein. …“
  2. 1 2 Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen Österreich und Großbritannien i.d.g.F.; Stammfassung BGBl. Nr. 80/1925 in der Präambel: „Der Bundespräsident der Republik Österreich und Seine Majestät der König des Vereinigten Königreiches […] haben beschlossen, zu diesem Zweck einen Handels- und Schiffahrtsvertrag abzuschließen und zu ihren Bevollmächtigten ernannt, nämlich: / Der Bundespräsident der Republik Österreich, den Herrn Georg Franckenstein, außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister der Republik Österreich zu London; und Seine Majestät der König des Vereinigten Königreiches …“
  3. 1 2 3 Buckingham Palace, October 13, 1920. In: The London Gazette, Ausgabe 32090, 10. Oktober 1920, S. 10099 (PDF): This day had Audience of The KING: / Herr Georg Franckenstein, to present his Letters of Credence as Envoy Extraordinary and Minister Plenipotentiary from the Republic of Austria.
  4. 1 2 Franckenstein, Karl Freiherr von auf der Website des österreichischen Parlaments. Über die bedeutenden nahen Familienmitglieder: „Sonstiges: Vater von Georg (Sir George) (1878-1953), 1920-1938 österr. Gesandter in London, und Clemens (1875-1942) Frh. v. Franckenstein, Dirigent und Komponist; Bruder von Georg Arbogast Frh. v. Franckenstein (1825-1890), 1871-1890 Mitglied des deutschen Reichstags (1879-1887 Vizepräsident), 1881-1890 Präsident des bayerischen Reichsrats“
  5. Kleine Chronik. (…) † Leopoldine v(on) Passavant-Franckenstein. In: Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 19375/1918, 4. August 1918, S. 9, oben links. (online bei ANNO).
  6. 1 2 Otto Heinzl, 2013, S. 55.
  7. Sir George Franckenstein, Internationales Biographisches Archiv 51/1953 vom 7. Dezember 1953, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  8. Otto Heinzl, 2013, S. 56. Hier unter Fußnote 298: „Franckenstein, Facts, IX.“
  9. Naturalization. In: The London Gazette, Ausgabe 34541, 12. August 1938, S. 5180ff, hier: S. 5182 (PDF): Franckenstein, George, Austria, No Occupation, 46, Circus Road, NWS. 14 July, 1938.
  10. Great Britain: New Subject. In: Time, 8. August 1938: 1) Home Secretary Sir Samuel Hoare waived formalities, turned into a British subject the jobless longtime (1920-38) Minister of Austria to the Court of St. James's, Baron Georg Franckenstein (who in spite of his beaked nose is an Aryan); 2) King George VI called his new subject to Buckingham Palace, dubbed him Sir George Franckenstein, Knight.
  11. Sylvia M. Patsch: Österreichische Schriftsteller im Exil in Großbritannien. Ein Kapitel vergessene österreichische Literatur. Romane, Autobiographien, Tatsachenberichte auf englisch und deutsch. Brandstätter, Wien 1985, ISBN 3-85447-076-2, S. 210 ff.
  12. 1 2 Clement von Franckenstein. Internet Movie Database, abgerufen am 17. Oktober 2022 (englisch).
  13. 1 2 Otto Heinzl, 2013, S. 56.
  14. 1 2 Freiherr und Sir. Buchbesprechung zur erstmals erschienenen „deutschen Urfassung“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Juni 2005, Nr. 147, S. 9 (Artikel online, abgerufen am 17. Oktober 2022).
  15. Otto Heinzl, 2013, S. 132.
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