Hans (Johannes Siegfried) Richter (* 6. April 1888 in Berlin; † 1. Februar 1976 in Minusio, Schweiz) war ein deutscher Maler, Graphiker, Kunstschriftsteller und Filmkünstler.

Er orientierte sich zunächst am Kubismus und Expressionismus. 1916 schloss sich Richter in Zürich den Dadaisten an. 1921 kam er zum experimentellen Film, wobei Richter dessen abstrakte Spielart (Film als musikalische Analogie) wesentlich weiterentwickelte. Neben Oskar Fischinger, Walter Ruttmann und dem Schweden Viking Eggeling zählt Hans Richter zu den bedeutendsten Vertretern des frühen abstrakten Films in Deutschland. 1941 emigrierte Richter über Frankreich und Portugal in die USA.

Leben

Hans Richter, Sohn des Legationsrats Moritz Richter und der Ida Gabriela Rothschild, begann bereits im Alter von 14 Jahren mit ersten graphischen Arbeiten. 1906 begann er ein Studium der Architektur. Zwei Jahre später begann Richter seine Studien an der Akademie der Künste in Berlin und ab 1909 an der Kunstschule in Weimar. Richter wendete sich schnell der künstlerischen Avantgarde seiner Zeit zu, neben Kontakten zum expressionistischen Sturm, herausgegeben von Herwarth Walden, war er für die Zeitschrift Aktion tätig. Im Bereich der Malerei entstanden kubistische Werke wie Violoncello (1914).

Von 1916 bis 1918 verschlug es Hans Richter nach Zürich. Er trat in Kontakt mit der dortigen Dada-Bewegung (Tristan Tzara, Hans Arp u. a.). In Zürich lernte Richter auch den acht Jahre älteren Viking Eggeling kennen, unter dessen Einfluss erste abstrakte „Rollen“-Bilder entstanden. Beide Künstler beschäftigten sich während dieser Phase mit der musikalischen Kontrapunktlehre von Ferruccio Busoni. Die Suche nach einer universellen künstlerischen Grammatik beschäftigte beide Künstler gleichermaßen. Der Austausch mit Eggeling erwies sich als produktiv. 1921 entstand in Klein Kölzig mit Rhythmus 21 Richters erster abstrakter Film. Allerdings ist die Datierung des Films umstritten, da auch der Titel erst nachträglich gewählt wurde.

Ab 1922 kam Richter erneut nach Berlin. In dieser Zeit schloss er sich der Gruppe De Stijl sowie den Konstruktivisten an. Kurze Zeit später (1923–1926) gab er mit Werner Graeff und Mies van der Rohe die Zeitschrift G heraus. In der Folgezeit entstanden einige innovative Filme. 1926 verwendete Richter in Filmstudie erstmals Bestandteile aus der gegenständlichen Welt, die er jedoch durch geschickte Montage zu abstrakten Stilelementen umfunktionierte. Im Zusammenhang der internationalen Ausstellung des Deutschen Werkbunds, Film und Foto in Stuttgart, veröffentlichte Richter sein Buch Filmgegner von heute – Filmfreunde von morgen. Es erschien zu Beginn der Ausstellung im Mai 1929 im Verbund mit Werner Graeffs Hier kommt der neue Fotograf! als Begleitpublikation.

Über die Niederlande und die Schweiz konnte Richter 1933 emigrieren. 1937 wurden in der Nazi-Aktion „Entartete Kunst“ aus dem Provinzial-Museum Hannover sein Tempera-Bild „Farbenanordnung“ (47,5 × 60 cm, 1923) und aus dem Museum Folkwang Essen sein Farbholzschnitt „Tänzerin“ beschlagnahmt und zerstört.

1941 glückte ihm die Auswanderung in die Vereinigten Staaten. Dort angekommen, gelang es ihm im Jahre 1942 eine Lehrtätigkeit am College of the City of New York zu bekommen, er übernahm die Leitung des Filminstitutes. Noch 1944 begann er mit den Vorbereitungen zu seinem vielleicht berühmtesten Werk, Dreams That Money Can Buy, der Film wurde 1947 vollendet. Bei diesem Meisterwerk wirkten unter anderem Marcel Duchamp, Max Ernst, Fernand Léger, Alexander Calder und Man Ray mit. Ein weiterer bekannter Film entstand 1956 in Zusammenarbeit mit Marcel Duchamp und Jean Cocteau. In 8x8 - A Chess Sonata in 8 Movements verarbeitete Richter filmisch acht Schachpartien, wieder stand ihm eine prominente Besetzung zur Seite: der auch als Schachspieler sehr erfolgreiche Künstler Marcel Duchamp (in der Rolle als weißer König), Hans Arp, Alexander Calder, Jean Cocteau, Max Ernst, Richard Huelsenbeck, J. Levi, J. Matisse, Dorothea Tanning und Yves Tanguy.

Die Malerei nahm Richter in den 1960er Jahren wieder auf, es entstanden hauptsächlich abstrakte Werke (Ölgemälde, Collagen – Titel: Dymo, Vibra etc.). Seine kunstgeschichtlich wichtigen Erinnerungen an die Dada-Zeit formulierte Richter in dem Werk Dada-Kunst und Antikunst: Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jahrhunderts im Jahre 1964. 1971 erhielt er ein Filmband in Gold für sein langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film. 1973 schrieb er Begegnungen, von Dada bis heute.

Hans Richter war viermal verheiratet: 1916 mit Elisabeth (Lisa, Lies, Lieska) Steinert († 1923), 1921 mit Maria von Vanselow (geschieden 1922), 1927 mit Erna Niemeyer (Pseudonyme: Renate Green, Ré Soupault, René Mensch), 1951 mit Frida Ruppel (1910–78), deren beiden Kinder Hans Ruppel und Ursula Lawder den Nachlass verwalteten.

Auszeichnungen

Sonderpreis „für den besten Originalbeitrag zum Fortschritt des Films“ für Dreams That Money Can Buy auf dem Internationalen Filmfestival in Venedig (1947)

Kunstpreis der Stadt Berlin (1967)

Großes Bundesverdienstkreuz (1969)

Goldenes Filmband des internationalen Filmfestivals Berlin für langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film (1971)

Werke

Filme

Ausstellungen

  • 2013/2014: Hans Richter - Encounters. Los Angeles County Museum of Art, 05.05.-02.09.2013, Los Angeles, Kalifornien; Hans Richter - La Traversée du Siècle. Centre Pompidou, Metz, 29.09.2013-24.02.2014, Metz; Hans Richter - Begegnungen: Von Dada bis heute. Martin-Gropius-Bau, Berlin. 27.03.2014 bis 30.06.2014

Publikationen

  • Hans Richter: Köpfe und Hinterköpfe. Mit fünfundachtzig Photos. Die Arche, Zürich 1967. (Autobiographische Skizzen)
  • Hans Richter: Filmgegner von heute – Filmfreunde von morgen. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main, 1981 ISBN 978-2-35983-027-9
  • Hans Richter: Der Kampf um den Film. Für einen gesellschaftlich verantwortlichen Film. Herausgegeben von Jürgen Römhild. Hanser, München u. a. 1976, ISBN 3-446-12281-8 (1939 verfasst).
  • Hans Richter: Dada, Kunst und Antikunst. Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20.Jh. Köln, DuMont Schauberg, 1973. ISBN 3-7701-0261-4

Literatur

  • Jürgen Claus: Der bildnerische Film: Von Richter bis Duchamp. In: Jürgen Claus: Kunst heute. Rowohlt, Reinbek 1965.
  • Hans Richter by Hans Richter. Ed. Cleve Gray. New York. 1971. Illustrated volume of memoirs and a selection of magazine articles, essays, and poems by Richter.
  • Le Teste di Hans Richter, 1960-1965. Designs, thoughts, and poetry, compiled by Sergio Grandini. Lugano, 1977
  • Barbara Volkmann: Hans Richter 1888 - 1976; Dadaist, Filmpionier, Maler, Theoretiker. (Ausstellungskatalog) Akademie der Künste, Berlin 31. Januar – 7. März 1982; Kunsthaus Zürich, 15. April – 23. Mai 1982; Städt. Galerie im Lenbachhaus, München 9. Juni – 1. August 1982. ISBN 978-3-88331-921-6
  • Richter, Hans, in: Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933-1945. Band 2,2. München, Saur, 1983, S. 966f.
  • Gisela Hoßmann: Hans Richter 1888–1976. Das bildnerische Werk. Köln 1985 (Köln, Universität, Dissertation, 1985)
  • Karl Riha, Waltraud Wende-Hohenberger (Hrsg.): Dada Zürich. Texte, Manifeste, Dokumente (= Universal-Bibliothek. Nr. 8650). Reclam, Stuttgart 1992, ISBN 3-15-008650-7
  • Stephen C. Foster, Hans Richter: Activism, Modernism, and the Avant-Garde (mit ausführlicher Biografie und Bibliografie in Englisch von Marion von Hofacker) Cambridge, MA, MIT Press, 1998. ISBN 978-0-262-56129-7
  • Thomas Tode: Hans Richter – Regisseur, Maler, Filmtheoretiker. In: Hans-Michael Bock (Hrsg.): CineGraph. Lexikon zum deutschsprachigen Film. Lieferung 35. edition text + kritik, München 2001 (Loseblattausgabe)
  • Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 6: N – R. Mary Nolan – Meg Ryan. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 522
  • Holger Wilmesmeier: Richter, Hans Siegfried. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 529 f. (Digitalisat).
  • Heinrich Riggenbach: Hans Richter. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 4. Januar 2012.
  • Mark Purves, Rob McFarland: Hans Richter: Biography. In: Christoph Bareither et al. (Hrsg.): Hans Richters "Rhythmus 21": Schlüsselfilm der Moderne. Königshausen und Neumann, Würzburg 2012, ISBN 978-3-8260-4861-6
  • Timothy O. Benson: Hans Richter - Begegnungen. Von Dada bis heute. Ausstellung im Gropius Bau Berlin. Ausstellungskatalog. Prestel, München, London, New York. 2014 ISBN 3-7913-6451-0
  • Karin Fest, Sabrina Rahman, Marie-Noëlle Yazdanpanah (Hrsg.): Mies van der Rohe, Richter, Graeff & Co. Alltag und Design in der Avantgardezeitschrift G. Turia + Kant, Wien/Berlin 2014, ISBN 978-3-85132-736-6.

Film

  • 1973: "Ich lebe in der Gegenwart." Versuch über Hans Richter. Buch und Regie Erwin Leiser
  • 1976: Hans Richter. Saarländischer Rundfunk – Fernsehen. Buch und Regie Klaus Peter Dencker. 15 min.
  • 2014: Hans Richter – Begegnungen: Von Dada bis heute. Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, Berlin. Interview mit Gropiusbau-Direktor Gereon Sievernich und Impressionen der Ausstellung "Hans Richter -- Begegnungen: Von Dada bis heute" vom 27.03.2014 bis 30.06.2014 im Martin-Gropius-Bau, Berlin
Commons: Hans Richter – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Deutsche Biographie: Richter, Hans - Deutsche Biographie. Abgerufen am 26. Mai 2023.
  2. Datenbank zum Beschlagnahmeinventar der Aktion "Entartete Kunst", Forschungsstelle "Entartete Kunst", FU Berlin
  3. siehe englische Wikipedia en:Dreams That Money Can Buy
  4. Hans Richter - 25 Kunstwerke - Malerei. Abgerufen am 16. April 2023.
  5. Hans Richter. Begegnungen (2014). Abgerufen am 26. April 2023.
  6. Hans Richter - Begegnungen: Von Dada bis heute - Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, Berlin. Abgerufen am 23. April 2023 (deutsch).
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