Hiromi Itō (jap. 伊藤 比呂美, Itō Hiromi; * 13. September 1955 in der Itabashi, Tokio) ist eine japanische Lyrikerin und Schriftstellerin. Sie wurde mit einer Vielzahl von Literaturpreisen, wie dem Gendaishi-Techō-Preis (1978), ausgezeichnet.

Leben

Hiromi Itō studierte an der Aoyama-Gakuin-Universität Literatur. Während ihrer Studienzeit schrieb sie bereits Gedichte. 1978 erhielt sie den renommierten Gendaishi-Techō-Preis. 1983 Heirat mit dem Jiddisten und Komparatisten Masahiko Nishi (* 1955). 1984 wurde ihre erste Tochter Kanoko, 1986 die zweite Tochter Sarako und 1995 die dritte Tochter Tome geboren. 1991 lassen sich Itō und Nishi scheiden, leben jedoch weiter zusammen. Itō veröffentlicht mit Nishi 1989 Papa wa Gokigen Naname („Papa ist schlecht gelaunt“), 1994 Onaka, Hoppe, Oshiri („Bäuchlein, Backe und Popo“) und 1995 Katei no Igaku („Medizin für den Hausgebrauch“), sowie drei Bände zum Thema Kindererziehung und Familienleben.

Nach der Hinwendung zum Essay und zur Prosaliteratur (zum Beispiel 1999; La niña, ausgezeichnet mit dem Noma-Literaturpreis; Nihon no Fushigi na Hanashi, 2004; Midori no Obasan, 2005) tritt die Autorin seit 2005 auch wieder mit Gedichten hervor. Für Kawara Arekusa (2005; „Wildes Gras am Flussufer“) erhält sie 2006 den Takami-Jun-Preis, für Togenuki: Shin Sugamo Jizō Engi (2007; deutsch 2021: „Dornauszieher. Der fabelhafte Jizo von Sugamo“) 2008 den Hagiwara-Sakutarō-Preis sowie den Murasaki-Shikibu-Literaturpreis.

Itō verfügt über Auslandserfahrungen (1982 und 1988 hielt sich zum Beispiel in Polen auf) und tritt als Lyrikerin international in Erscheinung. Anlässlich des Symposiums Japanische Schriftstellerinnen in Deutschland (1990) besuchte sie u. a. Berlin. In Innsbruck gab sie Mitte Oktober 2002 eine Lesung im Literaturhaus am Inn. Erkundet hat die Tokioterin auch die Mongolei und in Japan zum Beispiel Okinawa und das südlich gelegene Kumamoto, in das sie 1984 zuerst reiste. 1997 zog sie nach Kalifornien. Bis zu seinem Tod 2016 lebte sie mit dem Künstler Harold Cohen und ihren Töchtern in Encinitas in der Nähe von San Diego.

Literarisches Werk

Die in Japan heute weit anerkannte Literatin revolutioniert mit ihrer innovativen Sprache, ihren bisweilen beunruhigenden Aussagen und ihrem provokativen künstlerischen Temperament in den späten 1970er-Jahren die japanische Gegenwartslyrik. Die Wortfetischistin ist eine beeindruckende Performance-Künstlerin, die in ihren Lyriklesungen (erste wichtige Lesungen 1980 in einem Tempel in Tōkyō sowie in Okinawa 1985) weniger liest als auftritt: als „Schamanin der Poesie“ (shi no miko).

Während sie in den 1980er-Jahren eine führende Figur der nicht zuletzt durch sie populär gewordenen Frauenlyrik (josei-shi) ist, beschäftigt sie sich später mit dem Essay (zum Beispiel 1985; Yoi Oppai, Warui Oppai) und der Prosaliteratur (1999; La Niña) zu. Ihre Themen sind der weibliche Körper, Sexualität und Gebären, Probleme mit den Müttern und den Männern. Aufsehen erregte ihr Gedicht „Kanoko töten“ (Kanoko koroshi), in dem sie sich in dem ihr eigenen Tonfall der fröhlichen Mitleidslosigkeit mit Abtreibungs- und Schwangerschaftserfahrungen auseinandersetzt. Ebenso behandelt sie Naturerscheinungen und die mündliche Überlieferung der amerikanischen Ureinwohner. Manche Interpreten wollen Itō als „nature writer“ verstehen (Morita). In Japan und international werden Itōs Texte jedoch nicht nur als Ökopoesie oder als Zeugnisse eines ausgeprägten feministischen Bewusstseins und der daraus folgenden Denunziation des japanischen Patriarchats (ein Beispiel ist das ins Deutsche übersetzte Gedicht „Harakiri“; enthalten in der Anthologie „Mutter töten“) gelesen, sondern als Wortkunst. Die Texte, die häufig auf Mythologisch-Archaisches und auf regionale, indigene Traditionen zurückgreifen, inspirierten und inspirieren Künstler wie den Fotografen Nobuyoshi Araki und viele junge Talente der lebendigen zeitgenössischen Lyrikszene in Japan. Das U.S.-Japan Women’s Journal widmete Ito mit Heft 32/2007 eine Spezialausgabe.

Deutsche Übersetzungen

  • Hiromi Itō: Mutter töten. Gedichte und Prosa. Aus dem Japanischen von Irmela Hijiya-Kirschnereit. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1993, ISBN 3-7017-0825-8.
  • Hiromi Itō und Masahiko Nishi: Das anarchische Aschenputtel. Märchen als Medizin für den Hausgebrauch. Aus dem Japanischen von Richmond Bollinger und Yoriko Yamada-Bochynek. Residenz Verlag, Salzburg und Wien, 1999. ISBN 3-7017-1099-6.
  • Hiromi Itō: Dornauszieher. Der fabelhafte Jizo von Sugamo. Roman. Aus dem Japanischen von Irmela Hijiya-Kirschnereit. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-75180-034-1.

Literatur

  • Jeffrey Angles: Itō Hiromi, Writing Woman. In: U.S.-Japan Women’s Journal, 32: Special Issue on Itō Hiromi, S. 7–16, 2007
  • Jeffrey Angles: Reclaiming the Unwritten. The Work of Memory in Itō Hiromi’s Watashi wa Anjuhimeko de aru (I Am Anjuhimeko). In: U.S.-Japan Women’s Journal, 32: Special Issue on Itō Hiromi, S. 51–75, 2007.
  • Lisette Gebhardt: ‘Die Schamlosigkeit der naiven Schamanin’. Itō Hiromis literarische Welt [The Shamelessness of the Naive Shaman: Itō Hiromi’s Literary World]. In: Frauen in der Literaturwissenschaft, Rundbrief 29/März, Universität Hamburg, Literaturwissenschaftliches Seminar, S. 26, 1991.
  • Lisette Gebhardt: Die Lustobjekte rechnen ab. Das Thema Sexualität in Arbeiten zeitgenössischer japanischer Schriftstellerinnen [The Vengeance of the Objects of Lust. Sexuality in the Works of Contemporary Japanese Woman Writers]. In: Münchner japanischer Anzeiger. Eine Vierteljahresschrift (MJA). S. 16–35, Iudicium Verlag, München 1994.
  • Kyōko Ōmori: Finding Our Own English. Migrancy, Identity, and Language(s) in Itō Hiromi’s Recent Prose. In: U.S.-Japan Women’s Journal, 32: Special Issue on Itō Hiromi. S. 92–114, 2007.
  • Joanne Quimby: Itō Hiromi, Writing Woman. In: U.S.-Japan Women’s Journal, 32: Special Issue on Itō Hiromi. S. 17–41, 2007.
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