Als Inversion oder inverse Modellierung bezeichnet man in der Geophysik Rechenprozesse, die durch die Lösung inverser Probleme aus gemessenen Daten ein geologisches Modell erzeugen. Bei fast allen Methoden der Angewandten Geophysik muss aus Messwerten auf die Verteilung eines oder mehrerer Parameter rückgeschlossen werden, also ein inverses Problem gelöst werden.

Für gewöhnlich wird von einem angenommenen oder durch grobe Abschätzung gewonnenen Startmodell ausgegangen, welches so lange variiert wird, bis die Daten, die das Modell erzeugen würde, den Werten der Messung ausreichend ähneln.

Bei vielen geophysikalischen Verfahren ist die Inversion nicht eindeutig, sondern eine Vielzahl von Modellen kann die Messdaten zufriedenstellend erklären. Um möglich realistische Modellierungen zu finden, wird häufig auf zusätzliche Informationen (constrains, a-priori-Informationen) aus anderen Datenerhebungen zurückgegriffen oder es werden sogar unterschiedliche Messungen gemeinsam invertiert (joint inversion).

Hintergrund

In dem typischen Szenario einer geophysikalischen Messung wird eine physikalische Eigenschaft gewählt, die für die gesuchte geologische Struktur oder das zu untersuchende Objekt diagnostisch ist, z. B. Dichte, seismische Geschwindigkeit, elektrische Leitfähigkeit oder magnetische Suszeptibilität und über die erhobenen Felddaten auf die Beschaffenheit zurückgeschlossen. In einigen Fällen kann aus den Daten direkt auf die für die Lösung des Problems erforderlichen Informationen geschlossen werden, z. B. die Existenz einer Anomalie (z. B. Störkörper) und dessen horizontale Lage, um aber Informationen über Tiefe, Form, Zusammensetzung oder Struktur zu gewinnen, muss bei den meisten geophysikalischen Methoden mit Inversion gearbeitet werden, da diese Informationen nur indirekt mit dem physikalischen Parameter verknüpft sind.

Mehrdeutigkeit

Mathematisch gesehen ist die Inversion geophysikalischer Daten ein inkorrekt gestelltes Problem, da sie in der Regel unter Mehrdeutigkeit leidet: Unterschiedliche Quellverteilungen verursachen im Rahmen der Messgenauigkeit identische Felder. Diese Mehrdeutigkeit kann durch Zusatzinformation in gewissem Umfang verringert werden. Der Inversion liegt die physikalische Feldtheorie für bestimmte Klassen mathematischer Lösungen zugrunde, die sich für bestimmte Symmetrien oder geometrische Anordnungen, die sich für bestimmte Symmetrien oder geometrische Anordnungen ergeben (Kugel- bzw. Zylindersymmetrie, ebene Schichten). Die Wahl der richtigen Symmetrie ist hierbei entscheidend. Die Inversion von Strukturen und physikalischen Eigenschaften in der Erde wird deutlich verbessert, wenn bei aktiven Messmethoden die eingespeisten bzw. aufgeprägten Anregungssignale bekannt sind. Beispiele hierfür sind in der Seismik die Anregung mechanischer Vibrationen bekannter Frequenz, in der Geoelektrik die Einspeisung von elektrischem Strom oder in der Elektromagnetik bzw. beim Bodenradar die Einkopplung elektromagnetischer Wechselfelder.

Arten

Direkte und indirekte Inversion

Direkte Inversionsverfahren liefern für Modelltypen vorgegebener Struktur die strukturellen und physikalischen Eigenschaften (z. B. Schichtdicken, spezifische elektrische Widerstände). Als indirekte Inversion wird eine iterative Lösung des Vorwärtsproblems bezeichnet, bei der in einem empirischen oder automatisierten Verfahren schrittweise (iterativ) die strukturellen und physikalischen Eigenschaften (einschließlich der geometrischen) so lange variiert werden, bis die theoretische Lösung innerhalb der gewählten Genauigkeit mit den Messwerten übereinstimmt. Hierbei stellt sich das Problem von Stabilität und Eindeutigkeit der Lösung: Denn eine im Rahmen der geforderten Genauigkeit erzielte Lösung ist aufgrund der Mehrdeutigkeit nicht notwendigerweise die einzig mögliche bzw. die am besten zutreffende.

Lösungsverfahren

Art des Vorwärtsproblems

Inversionsverfahren können nach der Art des Vorwärtsproblems, in lineare bzw. linearisierbare Probleme und nicht-lineare Probleme unterschieden werden, je nachdem, ob sich der Zusammenhang zwischen Zielparametern und Observablen als lineares Gleichungssystem beschreiben lässt.

Art des Interpretationsmodells

Inversion kann mathematisch deterministisch (z. B. über physikalische Gesetze), numerisch statistisch (z. B. Zuordnung von petrophysikalischen Eigenschaften zu Gesteinsarten) oder über bildhafte Zuordnung (z. B. Luftbild und Tektonik) erfolgen.

Joint inversion

Um Modelle zu entwickeln, die verschiedene Parameter oder gegebenenfalls auch unterschiedliche Skalen erfassen, ist es sinnvoll, Messdaten unterschiedlicher geophysikalischer Verfahren zu kombinieren. Am konsequentesten erfolgt dies in einer joint inversion, bei der alle Daten in einen gemeinsamen Inversionsprozess eingespeist und das Modell zwei oder mehr Datensätze mit unterschiedlichen Zielparametern, Empfindlichkeiten und Auflösungen abbilden muss.

Zufallsbasierte Verfahren

Es gibt verschiedene Arten, Modelle zufallsbasiert und trotzdem systematisch anzupassen. Hierbei ist nicht die Rede von Brute-Force-Methoden, die jedes mögliche Modell testen, sondern Verfahren, die immer noch von einem Startmodell ausgehend die Residuen zu minimieren versuchen, aber zufällig ihre Schrittweiten variieren oder per Zufallsentscheid auch einzelne Modelle mit gleichen oder schlechteren Residuen zulassen. Der Vorteil dieses Verfahren besteht darin, dass Modellierungen sich nicht wie gewöhnliche Gradienten Verfahren in lokalen Minima verlieren, sondern empfindlicher für globale Minima sind und sich daher eher für multimodale Probleme eignen.

Analogie: Würde man versuchen, iterativ in einem Gebirge das tiefste Tal zu finden (globales Minimum) würde ein gewöhnliches Gradientenverfahren (je nach Schrittweite) jede andere Vertiefung (lokale Minima) auch erfassen und in diesen von Erhebungen umgeben sein. Egal in welche Richtung das Modell angepasst wird, es würde vorerst schlechter werden und somit würde das Verfahren eingestellt. Daher kann es bei vielen lokalen Minima sinnvoll sein, zufällig Schrittweiten zu verändern oder temporär schlechtere Ergebnisse zuzulassen, um unabhängiger vom Startpunkt (Startmodell) das globale Minimum der Residuen zu finden.

Anwendungsbereiche

Die geophysikalische Erkundung zeigt methodenübergreifend eine starke Abhängigkeit von Inversionsrechnungen. Dies liegt in der Natur des Untersuchungsrahmens, von Beobachtungen an der Erdoberfläche auf innere Strukturen, Prozesse oder Parameter, rückzuschließen. Daher werden geophysikalische Untersuchungen in der Regel kombiniert oder interdisziplinär ergänzt, um der inversionsbedingten Mehrdeutigkeit entgegenzuwirken.

Gravimetrie und Geomagnetik

Bei einigen Anwendungen der Potentialtheorie, insbesondere dem Magnetfeld und Schwerefeld, treten ähnliche Mehrdeutigkeitsprobleme bei dem Rückschluss von Kraftfeldern auf die verursachenden Quellpunkte auf.

Seismik und Seismologie

Seismik und Seismologie gehören zu den fundamentalsten Methoden, um die Struktur des Untergrundes bzw. Erdinneren zu erkunden. Beide Disziplinen arbeiten dabei nur mit den Auslenkungen, die Aufnehmer (Geophone, Hydrophone) an der Erdoberfläche erfahren (siehe Seismogramm) und sind dementsprechend stark inversionsbasiert.

Geoelektrik

Die elektrischen und elektromagnetischen Methoden basieren auf Widerstandsmessungen zwischen Punkten der Oberfläche. Diese werden ebenfalls zur indirekten Strukturerkundung in die Tiefe genutzt und arbeiten daher bei der Lokalisierung der Verteilungen des Widerstandes im Untergrund inversionsbasiert.

Georadar

Ähnlich der Seismik werden beim Georadar die durch Reflexion an die Oberfläche wiederkehrenden Radarwellen ausgewertet. Die Zuordnung von Reflexionen und Brechungen der elektromagnetischen Wellen auf Strukturen unterschiedlicher Tiefe ist inversionsbasiert.

Einzelnachweise

  1. 1 2 3 4 Inversion (Geophysik). In: Lexikon der Geothermie. Bundesverband Geothermie, abgerufen am 24. Januar 2023.
  2. 1 2 Inversion. In: Lexikon der Geowissenschaften. Spektrum, abgerufen am 24. Januar 2023.
  3. Modellierung und Inversion. In: Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik. Abgerufen am 25. April 2023 (deutsch).
  4. Near-Surface Geophysics. Society of Exploration Geophysicists, 2005, ISBN 978-1-56080-130-6, 5. Inversion for Applied Geophysics: A Tutorial, doi:10.1190/1.9781560801719.ch5 (seg.org [abgerufen am 25. Januar 2023]).
  5. 1 2 Christoph Clauser: Einführung in die Geophysik Globale physikalische Felder und Prozesse in der Erde. 2., aktualisierte u. korr. Aufl. 2016. Berlin, Heidelberg 2016, ISBN 978-3-662-46884-5.
  6. Joint Inversion. In: GEOMAR. Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, abgerufen am 24. Januar 2023 (amerikanisches Englisch).
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