Italoschweizer oder Italiener in der Schweiz sind aus Schweizer Sicht italienische Staatsbürger mit Wohnsitz in der Schweiz, die nicht auch Schweizer sind. Aus italienischer Sicht sind sie Italiener im Ausland. Weiter gefasste Definitionen reichen jedoch im Privatleben bis hin zu Personen, deren Familien seit mehreren Generationen in der Schweiz leben. Hingegen sind die italienischsprachigen Schweizer, die hauptsächlich in den Kantonen Tessin und Graubünden leben, nach dem Selbstverständnis der Schweiz als Willensnation, keine Italiener, sondern ohne Einschränkungen Schweizer. Als eine der ersten Einwanderergruppen, haben Italiener das Land in vieler Hinsicht geprägt, ihre Integration gilt als Erfolgsmodell.

Geschichte

Erste italienische Einwanderer kamen in Folge der Reformation als Glaubensflüchtlinge in die Schweiz. Es handelte sich jedoch um eine Zuwanderung von Eliten. Im 19. Jahrhundert war die Schweiz als Zufluchtsort für italienische Liberale wie Giuseppe Mazzini von Bedeutung. Einige Familien erlangten grossen politischen und wirtschaftlichen Einfluss (Cérésole, Pestalozzi, Daverio, Jelmoli, Maggi). Zudem ist zu beachten, dass die Täler des späteren Kantons Tessin jahrhundertelang ein Bestandteil norditalienischer Feudalherrschaften waren. Auch hier gab es eine Zuwanderung von Eliten, beispielsweise der Familie Baggi in Malvaglia.

Arbeitsimmigration aus Italien begann im grossen Stil im späten 19. Jahrhundert im Rahmen der Industrialisierung und im Zuge grosser Bauprojekte wie beispielsweise der Gotthardbahn oder des Simplontunnels. Die meisten Immigranten, welche in dieser Periode das Land erreichten, kehrten mit der Zunahme des Faschismus entweder nach Italien zurück, oder sie liessen sich in der Schweiz einbürgern, besonders häufig war dies im Kanton Tessin der Fall. Auch der spätere italienische Ministerpräsident und Diktator Benito Mussolini emigrierte 1902 zunächst als Student und Laufbursche eines Weinhändlers in die Schweiz. Im Jahr 1910 lebten 202.900 Italiener im Land. Im Vergleich dazu gab es 219.500 Deutsche, 63.700 Franzosen und 39.000 Austro-Ungarn. Im Zweiten Weltkrieg flüchteten ab Herbst 1943 und bis Kriegsende über 40.000 Personen aus Italien in die Schweiz, darunter der spätere italienische Staatspräsident Luigi Einaudi.

Verschiedene innenpolitische und aussenpolitische Ereignisse standen im Zusammenhang mit der Präsenz von Italienern in der Schweiz und dem Verhältnis der Schweiz zu Italien. So gab es am 28. Januar 1894 im Anschluss an einer Arbeiterversammlung in Zürich-Aussersihl eine Italienerdemonstration. Thema des Treffens im Restaurant Sonne war, wie die NZZ berichtete, „Die Revolution in Sizilien und in Massa-Carrara gewesen. Aus Angst vor anarchistischer Aktivität, für die Italiener und Russen verdächtigt wurden, war am 12. April 1894 ein Anarchistengesetz in Kraft getreten. 1902 gab es die durch Anarchisten und den italienischen Botschafter in Bern ausgelöste Silvestrelli-Affäre, oder 1898 den Mord an der österreichischen Kaiserin Elisabeth in Genf durch den italienischen Anarchisten Luigi Lucheni. Am 26. Juli 1896 kam es in Zürich zum sogenannten Italienerkrawall, einer mehrtägigen fremdenfeindlichen Ausschreitung. Während des Zweiten Weltkriegs machten es sich die Federazione delle Colonie libere italiane in Svizzera und die Cooperativa italiana zur Aufgabe, den Italienern in der Schweiz die demokratischen Werte zu vermitteln, die in ihrer Heimat unterdrückt wurden. Schliesslich führte die Einwanderung aus Italien auch dazu, dass die zuvor zahlenmässig eine Minderheit bildenden römisch-katholischen Christen bedeutenden Zuwachs erhielten. Allerdings zogen sie es häufig vor, sich eigenständig zu organisieren, in den Gemeinden der sogenannten Missione cattolica italiana (siehe auch Madonna degli Emigrati).

In der Schweiz wurde für Italiener der abwertende Ausdruck Tschingg gebräuchlich. Der schweizerdeutsche Ausdruck ist mit dem österreichischen Tschusch vergleichbar. Im Gegenzug zu fremdenfeindlichen Einstellungen unter Teilen der Schweizer Bevölkerung, haben sich Italiener am aus Schweizer Sicht staatsfeindlichen Tessin-Irredentismus beteiligt, wofür sich in Italien selbst vor allem Intellektuelle wie Giuseppe Prezzolini (1912) oder Gabriele D’Annunzio (1919) aussprachen. Ein ebenfalls umstrittener Begriff war die Italianità. Die Italiener in der Schweiz stärken heute den Stellenwert von Italienisch als Landessprache. Ihre Position als bevorzuge Zielscheibe immigationskritischer Parteien fiel in den 1990er-Jahren den Albanern in der Schweiz zu. Die Anwesenheit der italienischen Minderheit wird kaum noch politisch thematisiert.

Italiener waren lange die grösste Einwanderergruppe in der Schweiz, sie wurden aber in den 1990er-Jahren zahlenmässig von Menschen aus Ex-Jugoslawien übertroffen. In der Westschweiz sind sie weit weniger zahlreich als die Portugiesen. Italiener bleiben jedoch eine grosse Minderheit in der Schweiz, welche im Jahre 2018 etwa 320.000 Mitglieder zählte (italienisch-schweizerische Doppelbürger nicht mitgezählt). Im Jahr 2008 gab es eine kleine Abnahme italienischer Immigration. Im Zuge der Abwanderung Hochqualifizierter aus Italien, haben die Zahlen aber wieder zugenommen. Zudem kamen 2018 über 70.000 Grenzgänger aus Italien täglich in die Schweiz zur Arbeit. Dies stösst im Tessin auch auf Ablehnung und gilt als ein Grund für die Annahme mehrerer immigrationskritischer Volksinitiativen im Südkanton.

Gastarbeiter

Eine neue Einwanderungswelle begann nach 1945, gestützt auf gelockerte Einwanderungsgesetze. Zunächst förderte die Schweizer Regierung die Ankunft von Gastarbeitern, indem sie ihnen unterschiedliche Arten von Arbeitsgenemigungen erteilte. Der Familiennachzug war erschwert, einigen war es verboten, ihre Arbeit zu wechseln, beispielsweise bei der "frontaliere"-Erlaubnis für Grenzgänger. Bei der Einreise in Chiasso wurden in der Nachkriegszeit «sanitarische Grenzkontrollen» durchgeführt, bei denen sich Frauen nackt untersuchen lassen mussten. Fest niedergelassene Immigranten erlangten schliesslich eine "C"-Bewilligung.

1970 gab es eine Million Einwanderer in der Schweiz; 54 % davon waren Italiener. 1963 wurde von Albert Stocker in Zürich eine «Anti-Italiener-Partei», die Schweizerische überparteiliche Bewegung zur Verstärkung der Volksrechte und der direkten Demokratie, gegründet. Auch die sogenannte Schwarzenbach-Initiative, über die das Schweizer Volk 1970 abstimmte, zielte hauptsächlich auf die Italiener. In diese Diskussion um eine von ihnen behauptete „Überfremdung“ der Schweiz schaltete sich 1965 der Schriftsteller Max Frisch ein, der seinen zweiteiligen Essay Überfremdung mit dem heute sehr bekannten Satz begann: „Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr: man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen.“

Wie jede andere Einwanderergruppe der Zeit waren die Italiener mit der Politik einer erzwungenen Integration oder Assimilation konfrontiert, später satirisiert im sehr erfolgreichen 1978er Komödienfilm Die Schweizermacher.

Viele Nachkommen italienischer Gastarbeiter haben auch die schweizerische Staatsangehörigkeit angenommen und gehören damit zur Gruppe der so genannten Secondos. Der Umstand, dass staatliche Stellen und grosse Unternehmen ihre Dienstleistungen dreisprachig – und somit auch italienisch – anbieten müssen, verhilft ihnen zu einer vorteilhaften Stellung im Arbeitsmarkt. Der italienische Einfluss auf die Alltagskultur in der Schweiz ist heute in vielen Lebensbereichen sichtbar.

Herkunfts- und Siedlungsgebiete

Die Italoschweizer sind nicht mit den Bewohnern der italienischen Schweiz zu verwechseln, welche eine grosse autochthone italienischsprachige Bevölkerungsgruppe im Tessin und Graubünden bilden. Insgesamt waren 527.817 der Schweizer italienischsprachig. Hinzu kommen 295.507 Einwanderer aus Italien.

Die meisten Italiener in der Schweiz stammen aus der Lombardei (15 %), Kampanien (13,1 %), Apulien (12,4 %), Sizilien (12,1 %) und Venetien (8,4 %). Sie sprechen als Erstsprache die Dialekte ihrer Herkunftsregionen, daneben als Zweitsprache auch Deutsch und Französisch; sie sind zumeist römisch-katholisch, vereinzelt auch Waldenser.

Literatur

  • Paolo Barcella: Per cercare lavoro – Donne e uomini dell’emigrazione italiana in Svizzera. Donzelli Editore, Roma 2018, ISBN 978-8-8684-3789-3.
  • Ernst Halter (Hrsg.): Das Jahrhundert der Italiener in der Schweiz. Offizin Verlag, Zürich 2003, ISBN 978-3-907496-17-6. (Gli italiani in Svizzera – Un secolo di emigrazione. Edizioni Casagrande, Bellinzona 2004, ISBN 978-8-8771-3425-7.)
  • Marina Frigerio Martina: Verbotene Kinder – Die Kinder der italienischen Saisonniers erzählen von Trennung und Illegalität. Rotpunktverlag, Zürich 2014, ISBN 978-3-85869-587-1.
  • Angelo Maiolino: Als die Italiener noch Tschinggen waren. Der Widerstand gegen die Schwarzenbach-Initiative. Rotpunktverlag, Zürich 2011, ISBN 978-3-85869-898-8.
  • Mario Monferrini: L’emigrazione italiana in Svizzera e Germania nel 1960–1975. Bonacci, Roma 1987, ISBN 978-8-8757-3106-9.
  • Heinz Rathgeb: Der Ordnungsdiensteinsatz der Schweizer Armee anlässlich des Italiener-Krawalls im Jahre 1896 in Zürich. Doktoratsarbeit, Universität Bern 1977.
  • Toni Ricciardi: Associazionismo ed emigrazione – Storia delle Colonie Libere e degli Italiani in Svizzera. Latzera, Roma/Bari 2013, ISBN 978-8-8581-0628-0.
  • Toni Ricciardi, prefazione di Sandro Cattacin: Breve storia dell’emigrazione italiana in Svizzera – Dall’esodo di massa alle nuove mobilità. Donzelli Editore, Roma 2018, ISBN 978-8-8684-3731-2.
  • Gian Antonio Stella: L’Orda. Quando gli albanesi eravamo noi. Biblioteca Universale Rizzoli, 2002, ISBN 978-8-8171-0807-2.
  • Marina Widmer, Giuliano Alghisi, Rolando Ferrarese, Fausto Tisato (Hrsg.): Grazie a voi. Ricordi e stima – Fotografien zur italienischen Migration in der Schweiz. Limmat Verlag, Zürich 2016, ISBN 978-3-85791-819-3.
  • François Zosso, Giovanni Emilio Marsico: Les Bâtisseurs dans la tourmente – L’immigration italienne dans les Montagnes neuchâteloises, à La Chaux-de-Fonds et au Locle durant la Première Guerre mondiale et la période fasciste, 1914–1945. Éditions G d’Encre, Le Locle 2004, ISBN 2-940257-11-6 (von den Autoren auch als Privatdruck erhältlich ist: I costruttori di speranza – L’immigrazione italiana nelle montagne neocastellane all’edificazione della metropoli orologiera La Chaux-de-Fonds – Le Locle, 1675–1914. 2002, ISBN 978-2-7466-5866-0)

Einzelnachweise

  1. 1 2 3 Beat Allenbach: Tessin – Bilder eines Lebensraums. Werd Verlag, Zürich 1999, ISBN 3-85932-263-X, S. 94, 105.
  2. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Christian Schütt (Hrsg.): Chronik der Schweiz. Chronik-Verlag/Ex Libris Verlag, Dortmund/Zürich 1987, ISBN 3-611-00031-0, S. 463, 478, 486.
  3. Renzo De Felice: Mussolini il revoluzionario 1883–1920; Capitulo secondo; L'esperienza svizzera. In: Delio Cantimori (Hrsg.): Biblioteca di cultura storica. 4. Auflage. Band 1, Nr. 83. Giulio Einaudi editore, Torino 1965, S. 23–45.
  4. Verdiana Grossi: Silvestrelli-Affäre. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 10. Januar 2011, abgerufen am 22. Juni 2019.
  5. 1 2 Stefan Hess: Italienerkrawall. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 9. März 2015, abgerufen am 22. Juni 2019.
  6. Antonia Schmidlin: Colonie libere italiane. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 18. November 2015, abgerufen am 22. Juni 2019.
  7. Christian Koller: Missione cattolica italiana. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 14. November 2008, abgerufen am 22. Juni 2019.
  8. 1 2 3 4 Marco Marcacci: La lunga storia dell'immigrazione in Svizzera. In: SWI swissinfo.ch. 3. Mai 2004, abgerufen am 22. Juni 2019 (italienisch).
  9. 1 2 Italiani in Svizzera: saldo migratorio nuovamente positivo (Memento des Originals vom 29. Januar 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF; 35 kB)
  10. Markus Wüest: Von Nazis, Juden und Italienerinnen. In: Tagesanzeiger. 6. April 2019, abgerufen am 7. April 2019.
  11. SRG SSR Timeline: Gründung einer «Anti-Italiener Partei» in Zürich (Memento des Originals vom 28. Dezember 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  12. Concetto Vecchio: Jagt sie weg! – Die Schwarzenbach-Initiative und die italienischen Migranten. Orell Füssli Verlag, Zürich 2020, ISBN 978-3-280-05055-2, S. Monographie (Originalausgabe bei Giangiacomo Feltrinelli Editore, Milano 2019, übersetzt von Walter Kögler).
  13. Max Frisch: Forderungen des Tages – Porträts, Skizzen, Reden 1943–1982; darin der Essay: Überfremdung (I). Hrsg.: Walter Schmitz. Nr. 957. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-518-37457-5, S. 188 ff.
  14. Anne-Marie Thiesse: La création des identités nationales – Europe XVIIIe–XXe siècle. In: Points Histoire. 2. Auflage. H296. Éditions du Seuil, Paris 2001, ISBN 2-02-034247-2, S. 17 f.
  15. David Levinson: Ethnic groups worldwide. Greenwood Publishing Group, 1998, S. 88–90 (Volltext in der Google-Buchsuche [abgerufen am 27. Juni 2009]).
  16. Der Bund kurz erklärt 2011 (Memento des Originals vom 17. April 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF), 8,89 MB, Bundeskanzlei (BK)
  17. Die italienische Auswanderung in die Schweiz. (Nicht mehr online verfügbar.) Zürcher Stadthalle, 2004, archiviert vom Original am 27. Mai 2011; abgerufen am 28. Juni 2009.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
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