Im Verein Klimaseniorinnen Schweiz (Eigenschreibweise: KlimaSeniorinnen Schweiz) organisieren sich Seniorinnen aus der Schweiz, welche eine gerichtliche Überprüfung der Klimapolitik verlangen. Ihre Klage wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) der grossen Kammer zugewiesen, welche für Klagen von grundlegender Bedeutung zuständig ist. Diese befasste sich am 29. März 2023 erstmals mit dieser Klage und den Folgen des Klimawandels auf die Menschenrechte. Die Klimaklage der Klimaseniorinnen ist damit ein europäischer Präzedenzfall.

Verein

Der Verein KlimaSeniorinnen Schweiz, gegründet 2016, zählt mittlerweile über zweitausend Frauen im Pensionsalter als Mitglieder (Stand 2023). Zum Vorstand gehören Rosmarie Wydler-Wälti (Co-Präsidentin), Anna Mahrer (Co-Präsidentin), Pia Hollenstein, Rita Schirmer-Braun, Oda U. Müller, Jutta Steiner, Elisabeth Stern, Norma Bargetzi-Horisberger und Stefanie Brander. Weitere Mitglieder sind u. a. die Schweizer Historikerinnen Elisabeth Joris und Heidi Witzig und die Politikerin und ehemalige Bundesratskandidatin Christiane Brunner. Weitere 1000 Menschen sind Unterstützer. Mitinitiiert wurde die Organisation von Greenpeace Schweiz: Der Klimaspezialist Georg Klingler hatte eine erfolgreiche Bürgerinnenaktion in Holland zum Vorbild genommen. Die KlimaSeniorinnen werden durch ein Rechtsteam unterstützt, welches durch Cordelia Bähr, Martin Looser und Raphaël Mahaim vertreten wird. Das Team wird seit November 2022 durch die britischen Anwälte Jessica Simor und Marc Willers unterstützt.

Forderung

Der Verein wurde als Betroffenen-Verein gegründet mit dem besonderen Ziel einer Klimaklage. Der Verein fordert eine unabhängige gerichtliche Überprüfung der Klimapolitik. Die Klimaseniorinnen fordern von der Schweiz, ihre Schutzpflichten wahrzunehmen und ein Klimaziel zu verfolgen, das der Anforderung genügt, eine gefährliche Störung des Klimasystems zu verhindern. Sie fordern zudem umfassendere, auf dieses Ziel angepasste Massnahmen und eine bessere Umsetzung der bereits beschlossenen Massnahmen.

Geschichte

Am 25. Oktober 2016 präsentierten die Klimaseniorinnen ihre Klimaklage in Bern der Öffentlichkeit. Sie reichten das Rechtsbegehren um «Einstellungen von Unterlassungen im Klimaschutz» beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) ein. Das UVEK entschied, nicht auf das Rechtsbegehren einzutreten (Antwort vom 26. April 2017). Danach gelangten die Klimaseniorinnen mit ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen (26. Mai 2017). Die Beschwerde wurde abgewiesen (7. Dezember 2018). Das Bundesverwaltungsgericht befand, die Klimaseniorinnen seien von der Klimaerwärmung beziehungsweise von den ihrer Auffassung nach ungenügenden Klimaschutzmassnahmen der Schweiz nicht mehr betroffen als andere Menschen. Am 21. Januar 2019 übergab eine Delegation der Klimaseniorinnen Schweiz ihre Beschwerde persönlich beim Bundesgericht in Lausanne. Dieses wies am 5. Mai 2020 die Beschwerde ab, mit der Begründung dass die Beschwerdeführerinnen in ihren Grundrechten auf Leben und auf Achtung des Privat- und Familienlebens im heutigen Zeitpunkt nicht in einem Ausmass berührt sind, um sich auf Artikel 25a VwVG berufen zu können.

Die Klimaseniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Am 27. Oktober 2020 kündigten die Klimaseniorinnen ihre Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg an. Am 1. Dezember 2020 wurde die Klimaklage als Beschwerde eingereicht und am 29. April 2022 der Grossen Kammer des EGMR übergeben. Es klagen vier Einzelpersonen und der Verein KlimaSeniorinnen, bestehend aus den über 2'000 Seniorinnen. Die Klägerinnen sehen sich in ihrem Recht auf Leben gemäss Europäischer Menschenrechtskonvention (Art. 2. EMRK) und in ihrem Recht auf Privatleben (Art. 8. EMRK) verletzt. Der Gerichtshof stufte die Klimaklage gegen die Schweiz als besonders wichtig und dringend ein und behandelte sie vor der Grossen Kammer. Den KlimaSeniorinnen ist bewusst, dass auch ältere Männer, Menschen mit Krankheiten und Kleinkinder besonders unter den Hitzewellen und anderen Klimafolgen leiden. Allerdings erhöhen sich die Erfolgschancen der Klage, wenn ein Fokus auf die nachgewiesene Betroffenheit von Seniorinnen gelegt wird. Am 29. März 2023 fand die öffentliche Anhörung unter grossem nationalem und internationalem Medienecho in Strassburg statt. BBC titelte: «Swiss court case ties human rights to climate change», al-Jazeera sprach von einem «historic climate case», die New York Times schrieb: «Grandmothers of the world, unite». CNN, Euronews, Stern, The Guardian u. a. berichteten. In den Schweizer Medien wurde die Klage breit diskutiert und verfolgt. Die Radiosendung Echo der Zeit fragte: «Ist Klimaschutz ein Menschenrecht?»

Mit einem Entscheid wird Ende 2023 gerechnet. Die Journalistin Brigitte Hürlimann schrieb in einer Reportage für das Schweizer Online-Magazin Republik: «Würden die Klägerinnen recht bekommen, müsste die Schweiz die von ihnen monierten Menschenrechtsverletzungen beheben. Das heisst, sie müsste Gesetze erlassen oder ändern. Das Urteil wäre ein Präzedenzfall für die 46 Mitgliedsstaaten des Europarats und damit unter anderem auch für alle Staaten der EU. Sämtliche Gerichte in diesen Ländern hätten sich künftig an der Rechtsprechung aus Strassburg zu orientieren. Es geht um viel.» Würde es zu diesem Präzedenzfall kommen, würde weiter auch ein Rechtsweg aufgezeigt werden, wie Einzelpersonen die Klimapolitik der 46 Staaten des Europarats einklagen könnten. Umgekehrt falls der EGMR die Menschenrechte als nicht verletzt sehen würde, könnte dies als Legitimation für wenig Klimaschutz gesehen werden.

Einzelnachweise

  1. Europäischer Gerichtshof - Worum geht es bei der Klage der Klimaseniorinnen? In: srf.ch. 29. März 2023, abgerufen am 19. April 2023.
  2. Emma Farge: Elderly Swiss women bring European court's first climate case. In: Reuters. 30. März 2023 (reuters.com [abgerufen am 19. April 2023]).
  3. Brigitte Hürlimann: Frau Stern reist nach Strassburg. In: Republik. 1. April 2023 (republik.ch [abgerufen am 19. April 2023]).
  4. Über uns. Abgerufen am 19. April 2023.
  5. Über uns. Abgerufen am 19. April 2023.
  6. Klimaseniorinnen. Abgerufen am 19. April 2023.
  7. Über uns. Abgerufen am 28. April 2023.
  8. Warum wir klagen. Abgerufen am 19. April 2023.
  9. Warum wir klagen. Abgerufen am 19. April 2023.
  10. Warum wir klagen. Abgerufen am 19. April 2023.
  11. KlimaSeniorinnen ziehen vor Gericht. 23. Mai 2017, abgerufen am 19. April 2023.
  12. Bundesverwaltungsgericht BVGer: Klimaseniorinnen unterliegen vor Gericht. Abgerufen am 19. April 2023.
  13. Seniorinnen verlieren vor Gericht. Abgerufen am 19. April 2023.
  14. Bundesgerichtsentschied: Medienmitteilung des Bundesgerichts. In: BGE. BGE, 20. Mai 2020, abgerufen am 28. April 2023.
  15. Europäischer Gerichtshof - Worum geht es bei der Klage der Klimaseniorinnen? 29. März 2023, abgerufen am 28. April 2023.
  16. Über uns. Abgerufen am 28. April 2023.
  17. 10 vor 10 vom 29.03.2023 - Play SRF. Abgerufen am 19. April 2023.
  18. Swiss court case ties human rights to climate change. Abgerufen am 19. April 2023 (englisch).
  19. ‘Historic’ climate cases against governments at European court. Abgerufen am 19. April 2023 (englisch).
  20. Mary Pipher: Opinion | Grandmothers of the World, Unite. In: The New York Times. 16. April 2023, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 19. April 2023]).
  21. Ivana Kottasová: Swiss women launch landmark lawsuit in Europe claiming weak climate action breaches their human rights. 29. März 2023, abgerufen am 19. April 2023 (englisch).
  22. Rosie Frost: Senior Swiss women to make history in Europe’s top human rights court. 28. März 2023, abgerufen am 19. April 2023 (englisch).
  23. Klimaschutz könnte ein Menschenrecht werden. Dafür setzen sich Seniorinnen aus der Schweiz vor Gericht ein. Abgerufen am 19. April 2023.
  24. Isabella Kaminski: Switzerland and France accused of lack of climate action in ECHR hearing. In: The Guardian. 29. März 2023, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 19. April 2023]).
  25. Fürs Klima vor Gericht - Kontext - SRF. Abgerufen am 19. April 2023.
  26. EGMR Klage Klimaseniorinnen: Ist Klimaschutz ein Menschenrecht? - Echo der Zeit - SRF. Abgerufen am 19. April 2023.
  27. Fürs Klima vor Gericht - Kontext - SRF. Abgerufen am 19. April 2023.
  28. Irène Troxler: Reportage: Klimaseniorinnen verklagen Schweiz am EGMR. In: Neue Zürcher Zeitung. (nzz.ch [abgerufen am 19. April 2023]).
  29. Klimaseniorinnen reisen nach Strassburg – Im Zug mit den Frauen, die die Schweiz verklagen. Abgerufen am 19. April 2023.
  30. Klage der Klimaseniorinnen: Die grosse Vorführung | WOZ Die Wochenzeitung. Abgerufen am 19. April 2023.
  31. Tobias Bruggmann: «Zwei Welten, die hier zusammengeprallt sind». 29. März 2023, abgerufen am 19. April 2023.
  32. Brigitte Hürlimann: Frau Stern reist nach Strassburg. In: Republik. 1. April 2023 (republik.ch [abgerufen am 19. April 2023]).
  33. Europäischer Gerichtshof - Worum geht es bei der Klage der Klimaseniorinnen? 29. März 2023, abgerufen am 28. April 2023.
  34. Klimaklage - Diese Anwältin zieht für die Klimaseniorinnen vor Gericht. 6. Januar 2023, abgerufen am 28. April 2023.
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