Als Leitmedien werden in der Publizistik- und Medienwissenschaft Einzelmedien bezeichnet, denen eine ausgeprägte „Hauptfunktion in der Konstitution gesellschaftlicher Kommunikation und von Öffentlichkeit zukommt“. Der Begriff wird für einzelne Medienangebote gebraucht, die einen besonders starken Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Ein bedeutendes Merkmal ist die Reichweite, die anhand der wöchentlichen und täglichen Nutzerzahlen gemessen werden kann. Hinweise auf die Definition eines Mediums als Leitmedium ergeben sich aus dem Journalismus-Handbuch der Bundeszentrale für politische Bildung.
Historische Beispiele
- Mittelalter: Handschrift, Urkunde und Kodex
- Frühe Neuzeit: Flugschrift, Buch
- Neuere Geschichte: Buch und Zeitung
- seit Mitte der 1930er Jahre: Hörfunk
- ab den 1960er Jahren: Fernsehen
- seit der Wende zum 21. Jahrhundert: Fernsehen und Internet
Presse
Deutschland
1999 hat der Medienwissenschaftler Jürgen Wilke eine Untersuchung veröffentlicht, welche Medien der gedruckten Presse von Journalisten häufig bei der Recherche konsultiert werden. Wilke ermittelte aus einer 1993 unter deutschen Journalisten durchgeführten Umfrage die am meisten benutzten Pressetitel. Zwischen einem Drittel und zwei Drittel aller Journalisten benutzten demnach (in absteigender Reihenfolge der Häufigkeit einer Nennung):
Deutsche Journalisten wurden in einer Untersuchung im Sommer 2005 gefragt, welche Medien sie regelmäßig nutzen. Mit großem Abstand sagten jeweils gut ein Drittel der Befragten, sie griffen regelmäßig zur Süddeutschen Zeitung und zum Spiegel. Die fünf führenden Presseerzeugnisse sind:
- Süddeutsche Zeitung – 35 %
- Der Spiegel – 34 %
- Frankfurter Allgemeine Zeitung – 15 %
- Die Zeit – 11 %
- Bild – 10 %
Diese Daten der Studie des Kommunikationswissenschaftlers Siegfried Weischenberg beruhen auf der Befragung von 1533 repräsentativ ausgewählten Journalisten.
Die International Herald Tribune griff dies 2011 auf und verwendete leitmedium als Germanismus, als sie nach dem German leitmedium fragte. Sie zog – jeweils in Verbindung mit den zugehörigen Internetseiten – fünf Zeitungen und Zeitschriften für diese Position in Betracht:
- Der Spiegel
- Süddeutsche Zeitung
- Frankfurter Allgemeine Zeitung
- Die Zeit
- Bild
Regelmäßige Erhebungen zur Nutzung ausgewählter Medien werden von der Leseranalyse Entscheidungsträger in Wirtschaft und Verwaltung seit 1975 alle zwei bis drei Jahre, und seit 2010 jährlich veröffentlicht. Im Online-Bereich nimmt Spiegel Online die Funktion eines Leitmediums ein.
International (Auswahl)
Kritik und Vertrauensverlust
Die Leitmedien (in Deutschland) sahen sich Mitte der 2010er Jahre verstärkter Kritik ausgesetzt, wobei vor allem ihre Glaubwürdigkeit, Unabhängigkeit und journalistische Ethik in Frage gestellt wurde. So wurde etwa in der Wulff-Affäre Vorverurteilung und Unverhältnismäßigkeit („Skandalisierungsexzess“) kritisiert. Insgesamt wurde ein signifikanter Vertrauensverlust bei den Leitmedien konstatiert, mit der Folge, dass ihr Einfluss abnahm und sich Medienkonsumenten anderer Quellen bedienten.
Zu einer anderen Einschätzung kam Sebastian Turner, demnach der Einfluss der Leitmedien seit Mitte der 1990er Jahre deutlich gestiegen ist und sie auch in den sozialen Medien die stärkste Quelle darstellen. Eine Analyse von sieben ausgewählten Printmedien ergab, dass ihre Reichweite in diesem Zeitraum nahezu konstant blieb (von 14,7 % auf 14,0 %), insgesamt aber mit 23,9 % (2015) deutlich stieg.
Siehe auch
Literatur
- Jürgen Wilke: Leitmedien und Zielgruppenorgane. In: Jürgen Wilke (Hrsg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 302–329.
- Uwe Krüger: Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse. Halem Verlag, Köln 2013, ISBN 978-3-86962-070-1.
Weblinks
- Gerhard Vowe, Philipp Henn: Leitmedium Fernsehen, Abschnitt Was verstehen wir unter einem Leitmedium? Bundeszentrale für politische Bildung, Medienpolitik, 9. Dezember 2016
- Peter Gendolla, Daniel Müller: Alte und neue Leitmedien. In: Extrakte. 3, 2007 (uni-siegen.de).
- Daniel Müller: Ghetto- und Nischenprogramme für Parallelgesellschaften oder Integrationsfunktion? Projekt untersucht alte und neue Leitmedien für Migranten in Deutschland. In: Extrakte. 3, 2007 (uni-siegen.de).
Einzelnachweise
- ↑ Udo Göttlich: Massenmedium. In: Helmut Schanze (Hrsg.): Metzler Lexikon. Medientheorie Medienwissenschaft. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart / Weimar 2002, S. 193–194.
- 1 2 Petja Posor: Der Fall Hoeneß als Skandal in den Medien UVK Verlagsgesellschaft mbH, 2015, S. 23–24
- ↑ Veronika Westhoff, Ernst Ulrich Große: Die Leitmedien. In: DeuFraMat. 2003, abgerufen am 1. März 2021.
- ↑ Siegfried Weischenberg, Maja Malik, Armin Scholl: Journalismus in Deutschland 2005. (Memento vom 5. März 2016 im Internet Archive; PDF)
- ↑ “While both Bild and Der Spiegel may want to be a German leitmedium, at least three other publications could lay claim to that role: the dailies Frankfurter Allgemeine and Süddeutsche Zeitung and the weekly Die Zeit.” Eric Pfanner: Gloves Off in German Media Scramble. In: International Herald Tribune, 14. März 2011, abgerufen am 15. März 2011.
- ↑ Selbstbeschreibung der LAE
- 1 2 The press in Belgium, 16. November 2005
- ↑ Die Leitmedien. In: Deutsch-Französische Materialien. Abgerufen am 10. Januar 2018.
- ↑ Eric Pfanner: Gloves Off in German Media Scramble. In: The New York Times. 13. März 2011 (nytimes.com [abgerufen am 7. Januar 2018]).
- ↑ German language reform resisted. In: The Washington Times. (washingtontimes.com [abgerufen am 7. Januar 2018]).
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- ↑ Thomas Fuller, International Herald Tribune: But French paper’s venture is a risky one: World of Le Monde looks set to expand. In: The New York Times. 25. August 2003 (nytimes.com [abgerufen am 7. Januar 2018]).
- ↑ Philippe Larroque: Le Figaro, premier quotidien national. In: Le Figaro. 6. August 2010 (lefigaro.fr [abgerufen am 7. Januar 2018]).
- ↑ Alibaba Buys HK’s SCMP to Counter ‘Western Bias’. In: Asia Sentinel. 13. Dezember 2015, abgerufen am 19. Juni 2019 (amerikanisches Englisch).
- ↑ National Newspapers of Record. In: Web Literacy for Student Fact-Checkers. Abgerufen am 7. Januar 2018.
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- ↑ Where’s Mario? - Macleans.ca. In: Macleans.ca. 25. August 2008 (macleans.ca [abgerufen am 7. Januar 2018]).
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- ↑ Neue Zürcher Zeitung. In: Encyclopædia Britannica. Abgerufen am 7. Januar 2018 (englisch).
- ↑ Rainer Stadler: Ringier schmückt sich mit «Le Temps». In: Neue Zürcher Zeitung. 11. April 2014 (nzz.ch [abgerufen am 7. Januar 2018]).
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- ↑ https://yougov.co.uk/topics/politics/articles-reports/2017/03/07/how-left-or-right-wing-are-uks-newspapers
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- ↑ https://www.oxford-royale.com/articles/a-guide-to-british-newspapers/
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- ↑ On The Washington Post and the ‘newspaper of record’ epithet. In: Politico Media. (politico.com [abgerufen am 7. Januar 2018]).
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- ↑ Heribert Prantl: Im Visier der Medien-Meute. In: diepresse.com. 28. März 2015, abgerufen am 31. März 2015.
- ↑ „Ziemlich katastrophale Medienverdrossenheit“. Interview Bernhard Pörksen. 9. März 2015, abgerufen am 31. März 2015: „Zum anderen aber macht sich die schleichende Medienverdrossenheit an gerade aktuellen Reizthemen fest - denken Sie nur an die Sarrazin-Debatte, die Auseinandersetzung um Christian Wulff, den Ukraine-Konflikt und die Russland-Berichterstattung.“
- ↑ Das Diktat der lauten Minderheit. (Nicht mehr online verfügbar.) 4. Februar 2015, archiviert vom am 8. Februar 2015; abgerufen am 31. März 2015: „Der Vertrauensverlust in die Medien ist hoch – insbesondere bei umstrittenen Themen wie zum Beispiel dem Ukraine-Konflikt.“
- ↑ Sebastian Turner: Wer entscheidet über unsere Köpfe? In: Die Zeit, Nr. 40/2015, S. 11
- ↑ Klaus Stratmann: Von Entscheidern und Followern. In: Handelsblatt, 7. Oktober 2015, abgerufen am 22. Januar 2016