Die Literatur Costa Ricas ist die Literatur des zweitkleinsten spanischsprachigen Staates Lateinamerikas, welcher der aus dem spanischen Generalkapitanat Guatemala hervorgegangenen Zentralamerikanischen Konföderation bis 1838 angehörte und danach selbstständig wurde. Wie in den anderen Staaten Zentralamerikas setzte hier eine eigenständige literarische Entwicklung erst viel später ein als in den Zentren Mexiko, Peru oder in der La-Plata-Region. Dazu trug bei, dass Costa Rica bis in die 1840er Jahre nur durch die Umschiffung von Kap Hoorn erreichbar war. Die Literatur des kleinen Landes führte lange Zeit ein Schattendasein und fand erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts Beachtung außerhalb der Landesgrenzen. Heute drückt sich in der Literatur des Landes ein europäisches Lebensgefühl stärker aus als in anderen Literaturen Zentralamerikas.

Bis 1920

Die Ureinwohner des Nordens Costa Ricas waren kulturell von den Hochkulturen Zentralamerikas beeinflusst, die des Südens von Stämmen aus dem heutigen Kolumbien (u. a. den Chibcha), entwickelten jedoch keine eigene Schriftkultur. Die Bewohner der Cordillera de Talamanca bedienten sich allerdings der Knotenschrift mit dem Quipu, die auch die Inka verwendeten.

Um 1830 entstanden die ersten Druckereien und wurden die ersten Zeitungen in dem kleinbäuerlich besiedelten Land verlegt. Eine mächtige Pflanzeraristokratie existierte hier nicht. Der Aufstieg einer liberalen, vom Kaffeeexport lebenden Händleroligarchie brachte dem Land seit den 1840er Jahren einen kapitalistischen Modernisierungsschub, der alle gesellschaftlichen Bereiche umfasste, so auch das Erziehungssystem und andere staatliche Institutionen, die gesamte Kultur und eine sich konstituierende Nationalliteratur mit ihren Mythen und Helden, die dem Kult des Positivismus huldigt.

Als Begründer einer realistischen Erzähltradition mit romantischem Einschlag kann Manuel Argüello Mora (1834–1902) gelten. Der Neffe des Präsidenten Mora Porras, der ihm zeitweise ins Exil folgte und seit 1887 die ersten Romane Costa Rica verfasste, wird zur Gruppe der Generación del Olimpo (Generación del 900) gezählt.

Bis in die 1920er Jahre dominierte in Costa Rica wie in anderen Regionen Lateinamerikas der Costumbrismo. Lokale Vertreter waren Manuel Argüello Mora (1834–1902), der auch historische Romane schrieb, und Manuel González Zeledón (Magón, 1864–1936). Die ländlichen Lebensformen spiegeln sich auch in der Lyrik Aquileo Echeverrías (1866–1909), der mit Rubén Darío befreundet war. Echeverría gilt heute immer noch als Costa Ricas Nationalpoet. Joaquín García Monge (1881–1958) schrieb den ersten bedeutenden Roman Costa Ricas, El moto (1900) über einen armen jungen Bauern und seine Geliebte. Mongo gründete 1919 die demokratisch-pazifistische Kulturzeitschrift Repertorio Americano, ein bedeutendes Diskussionsforum der Intellektuellen des Landes.

1920–1950: Vom Simbolismo zum sozialen Realismus der Generación del 40

Nach der Diktatur Federico Tinoco Granados’, die 1919 endete, wirkten verstärkt europäische Einflüsse auf das Werk der Autoren Costa Ricas. Vom Simbolismo beeinflusst waren die Gedichte Fernando Centeno Güells, die in den 1930er und 1940er Jahren entstanden. Als konservativer Vertreter eines metaphysischen Modernismo kann Roberto Brenes Mesén (1874–1947) gelten, der politisch gegen die Dominanz der United Fruit Company kämpfte, jedoch 1939 in die USA auswanderte. In den 1930er Jahren entwickelten sich auch avantgardistische Strömungen; doch blieb die Prosaliteratur der Beschreibung der nach der Weltwirtschaftskrise instabilen politischen und sozialen Wirklichkeit des Landes verhaftet.

Das Elend der Bananenproduzenten war seit Generationen ein Dauerthema der Literatur Costa Ricas, zuerst beschrieben von Carmen Lyra (1888–1949), einer zentralen Figur des Partido Comunista Costarricense in Bananos y hombres (1933). Lyras 1920 erschienener Band mit Kurzerzählungen Cuentos de mi tía Panchita („Erzählungen meiner Tante Pachita“) wurde einer der Klassiker der Literatur Costa Ricas; es enthält auch Anleihen an ein Märchen der Brüder Grimm. Die Sozialreformen der 1940er Jahre und die gescheiterte Rebellion von 1948 änderten an der Situation wenig. Wichtige Vertreter der sozialrebellischen Generación del 40 waren Carlos Luis Fallas (1909–1966) und Fabián Dobles (1918–1997). Fallas, der wohl bekannteste Autor dieser Zeit und Anführer des Bananenarbeiterstreiks von 1934, verarbeitete seine eigenen Erfahrungen als Arbeiter auf den Plantagen der United Fruit Company in dem Roman „Die grüne Hölle“ (Mamita Yunai, 1940), der in deutscher Übersetzung zuerst 1954 in der DDR erschien. Dobles schuf mit Ese que llaman pueblo (1942) den ersten Roman Costa Ricas zu Großstadtthemen. Seine Aktivistenrolle in der Kommunistischen Partei kostete ihn seine Stelle als Lehrer; so musste er als Korrespondent der kubanischen und sowjetischen Presse arbeiten. Seit den 1960er Jahren wurde sein Werk wieder sehr geschätzt und vielfach ausgezeichnet.

1950–1990: Anschluss an die internationale Literatur

Nach dem Bürgerkrieg von 1948, in dem einige Autoren wie Carmen Lyra das Land verließen, verschärfte sich die Sozialkritik; gleichzeitig stieg das Interesse an regionalen Themen. Joaquín Gutiérrez (1918–2000) wurde in Deutschland durch den Roman „Die Glut und ihr Schatten“ (1963) bekannt, der ebenfalls die Zustände auf den Plantagen behandelte. In der DDR erschien 1956 sein preisgekrönter Kindheitsroman „Cocori“. Carmen Naranjo (1928–2012), zeitweise Kulturministerin sowie Botschafterin in Israel, wurde in den 1960er Jahren durch Romane, Kurzgeschichten und Lyrik bekannt. Ihr zahlreiche Themen umspannendes, auch stilistisch innovatives Werk – sie reduziert Personen weitgehend auf Stimmen – ist von US-amerikanischen Autoren ebenso beeinflusst wie durch Carlos Fuentes oder Juan Rulfo. Der ehemalige Diplomat, Vizeaußenminister und Kulturminister Alberto Cañas (1920–2014) beschreibt in seinem Roman Los molinos de Dios („Die Mühlen Gottes“, 1992) in traditionellem Erzählstil das Schicksal der oft aus Deutschland stammenden Kaffeepflanzer und ihre Rolle in der Politik des Landes. 1971 gründete er die Compañía Nacional de Teatro. Zu den sozialkritischen Autoren zählen auch Jorge Delbravo (1938–1967) und Laureano Albán (* 1942) aus Turrialba, Provinz Cartago sowie Julieta Pinto (1921–2022). Diese hatte das harte Leben der Landbevölkerung kennengelernt, bevor sie Literatursoziologie in Paris studierte und Sprach- und Literaturwissenschaft an der Universidad Nacional de Costa Rica in Heredia unterrichtete. Seit den 1960er Jahren experimentiert sie in ihren zahlreichen Büchern mit modernen Erzählformen.

Seit den 1980er Jahren weitete sich der Blick der Autoren und bezog zunehmend internationale Entwicklungen und literarische Strömungen ein. Auch der historische Roman fand wieder Freunde: Die Zerstörung des Aztekenreiches aus der Sicht der Unterlegenen behandelt der sozial und kulturell vielfältig engagierte Parlamentarier und Politiker José León Sánchez, geboren 1919 als Sohn indianischer Eltern, in seinem in viele Sprachen übersetzten, in Millionenauflage verkauften Roman „Tenochtitlan. Die letzte Schlacht der Azteken“ (Tenochtitlan – La última batalla de los aztecas, Mexiko-Stadt 1984). Sánchez saß zwanzig Jahre in Haft, nachdem er versuchte, von Spaniern geraubte Schätze für die Ureinwohner zu entwenden. Er schrieb etwa 30 Bücher und war zuletzt Professor für präkolumbianische Kultur an der Universität von Costa Rica. Er ist wohl der im Ausland bekannteste Autor aus Costa Rica und erhielt zahlreiche Auszeichnungen für sein Werk. Die 1939 in Chile geborene Tajana Lobo Wiehoff, die 1963 nach Deutschland ging und seit 1966 in Costa Rica lebt, schreibt aus Historikerperspektive über die Zerstörung des Paradises durch die Kolonisatoren (Asalto al paraíso, 1992) und der Alltagswelt der lateinamerikanischen Völker durch die Spanier. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Calypso (dt. „Hahnenbräute“, 1999) handelt vom Leben in einem kleinen Hafen der abgelegenen Karibikküste.

Zu nennen sind ferner die Romane „Die Freunde und der Wind“ (Los amigos y el viento) von Virginia Grütter Jiménez (1929–2000), die darin ihre Kindheit im faschistischen Deutschland und der unmittelbaren Nachkriegszeit verarbeitet hat und „Der wundersame Krieg“ (La guerra prodigiosa) des Lyrikers, Roman- und Theaterautors, Essayisten und Diplomaten Rafael Angel Herra (* 1943) sowie das vielfältige, von schwarzem Humor durchtränkte Werk von Alfonso Chase (* 1944), das das Milieu der Jugendlichen der Hauptstadt San José schildert.

1990–2010: Die Generation der Enttäuschung

Die neuere Literatur Costa Ricas hat sich in relativer Isolation von anderen lateinamerikanischen Literaturen, auch von der der Nachbarländer, entwickelt. Es fehlt das Thema „Diktatur“, es gibt keinen Indigenismo; nach einer längeren Phase des Gewaltverzichts und Friedens spiegeln die Themen die Situation einer entwickelten urbanen Gesellschaft, deren junge Generation allerdings immer schlechtere Bildungsmöglichkeiten und Berufsperspektiven hat und mit dem Gedanken an die Auswanderung in die USA spielt. Auch die Sensibilität für ökologische Themen ist hoch. Die neue costa-ricanische Literatur wirkt somit „europäischer“ als die anderer lateinamerikanischer Länder.

Auch Fernando Contreras Castro (* 1963) ist ein wichtiger Vertreter der jüngeren skeptischen „Generation der Enttäuschung“. In gewisser Weise kann er als Nachläufer des Magischen Realismus gelten. Sein Roman Única mirando al mar (1993) behandelt das Müllproblem und die Verschmutzung der Flüsse. Los Peor (1995) ist 2002 (Neuauflage Zürich 2011) auch in deutscher Sprache erschienen. Hier mischt sich die Sicht des Autors auf das Leben der Unterschichten und Randgruppen mit Motiven und Figuren aus der griechischen Mythologie. Das zeigt sich auch in seinem 2003 auch in deutscher Sprache erschienen Entwicklungsroman „Der Mönch, das Kind und die Stadt“ über ein missgebildetes einäugiges Kind aus einem Bordell in San José, in dem sowohl der Mythos vom Reisen Polyphem als auch die Probleme einer vergifteten Umwelt gekonnt verknüpft werden.

Warren Uloa (* 1981), Autor des preisgekrönten Romans Bajo la lluvia Dios no existe („Unter dem Regen gibt es keinen Gott“, 2011), der einige Kontroversen auslöste, befasst sich mit den Problemen Jugendlicher, mit Drogenkonsum, Abtreibung, Selbstmord, Sexualität und Pädophilie, wobei er auch die katholische Kirche und die Evangelikalen attackiert. Auch die Mittelamerikapolitik der US-Regierung gehört zu seinen Themen. Die Genregrenzen durchbricht Luis Chaves (* 1969) mit seiner Lyrik bzw. experimentellen lyrischen „Poetik der kleinen Dinge“. Chaves transformiert Alltagsbegebenheiten in Ereignisse mit Symbolcharakter. 2012 und 2013 sind die schmalen Gedichtbände La foto und Debajo de esto hay algo mejor in deutscher Übersetzung („Das Foto“ und „Hier drunter liegt was Besseres“) erschienen. 2014 erschien der Roman oder besser: seine Chronik Salvapantallas. Wiederkehrende Themen des Schriftstellers und Verlegers Guillermo Barquero (* 1979) sind Krankheit und Trauer.

Frauen sind in der Literatur Costa Ricas sehr präsent. In mehrere Sprachen übersetzt wurde der provozierende Roman María la noche (1985) der ökofeministischen Autorin Anacristina Rossi (* 1952), die damit eine neue Ära der Literatur Costa Ricas einleitete. 1991 gründete die Pädagogin Linda Berrón Sañudo (* 1951 in Spanien) die Buchreihe Mujeres, in der Erzählerinnen zu Wort kommen, darunter die von ihr herausgegebene Anthologie Relatos de Mujeres (1993).

Neue Themen: Migration, Feminismus, Popkultur

Die zeitgenössischen Autoren Costa Ricas – wie auch andere zentralamerikanische Schriftsteller – bedienen sich ohne große Bedenken einer ganzen Bandbreite vielfältiger narrativer Techniken und Ressourcen. Sie machen Anleihen bei den unterschiedlichsten Genres. Dazu bemerkt der costa-ricanische Romancier und Essayist Carlos Cortés (* 1962), dass „die zeitgenössische Generation in Costa Rica sowohl in Bezug auf die Literatur, die Kunst und die Kultur, aber auch in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse in einem Moment der ‚Trans-Gattung‘ lebt“. In seinem Roman Cruz del olvido (1999) rechnet er mit den revolutionären Illusionen Lateinamerikas ab. Cortés ist auch nicht nur für seine Romane, sondern auch für sein essayistisches Werk bekannt.

Jessica Clark Cohen (* 1969) wurde durch Fantasy- und Science-Fiction-Erzählungen bekannt. In ihren Erzählungen spiegeln sich Einflüsse der Popkultur und des Kinos. Die Lyrikerin und Erzählerin Carla Pravisani (* 1976 in Argentinien) lebt seit 2002 in Costa Rica und befasst sich u. a. mit dem Thema Migration. Weibliche Themen wie Geburt, weibliche Sexualität oder Mutterschaft behandelt Karla Sterloff (* 1975) in La mordiente (2014). Erotische Poesie schreibt die Soziologin Laura Fuentes Belgrave (* 1978), die auch Anthologien zu den allgegenwärtigen Themen Pädophilie, sexuelle Gewalt und Inzest herausgegeben hat (Antierótica feroz, 2013).

Digitale Medien, Blogs, Schreib- und Literaturkurse spielen schon aus ökonomischen Gründen eine zunehmende Rolle bei der Verbreitung von Texten in dem kleinen Land, das zwar eine vielseitige Buchproduktion aufweist, die jedoch selten grenzüberschreitend wirkt.

In der Hauptstadt San José existiert eine blühende Theaterszene. Neben dem 1897 eröffneten Nationaltheater Costa Ricas, das auch Tanz und Artistik pflegt, ist das Teatro Popular Melico Salazar eine wichtige Spielstätte; hinzu kommen mehrere meist kleine Bühnen.

Wichtigste Kulturpreise sind der seit 1962 verliehene Premio Nacional de Cultura Magón für Kunst und Literatur, der 2017 an José León Sánchez ging, sowie der seit 1964 in zehn Kategorien vergebene Premio Nacional Aquileo J. Echeverría.

Literatur

  • Sergio Ramírez (Hrsg.): Un espejo roto. Antología del nuevo cuento de Centroamérica y República Dominicana. GEICA / Goethe-Institut 2014 (deutsch: Zwischen Süd und Nord. Neue Erzähler aus Mittelamerika).
  • Linda Berrón Sañudo: Narradoras Costarricenses. Antología de Cuentos. Editorial Universidad Estatal a Distancia. San José, Costa Rica, 2006 (spanisch).
  • Jessica Clark Cohen, Guillermo Barquero, Warren Ulloa, Carla Pravisani: Geschichten aus Costa Rica. Zürich, ISBN 978-3-293-40899-9. E-Book.
  • Jana Fuchs: Eine Skizze der aktuellen Literatur Costa Ricas. Der Raum der costaricanischen Literatur ist bestimmt durch eine große Diversität an Genres, Subgattungen, Erzählformen und Stilen. In: Literaturkritik, 8/2016.
  • Álvaro Quesada Soto: Breve historia de la literatura costarricense. Editorial Costa Rica 2008. ISBN 9977-23-893-6.

Einzelnachweise

  1. Mittelamerikanische Literatur, in: Der Literatur-Brockhaus, Mannheim 1988, Bd. 2, Sp. 622.
  2. Klaus Küpper: Einladung zu einer Entdeckungsreise. Die Literatur Zentralamerikas und ihre Rezeption im deutschen Sprachraum. In: ila. Das Lateinamerika-Magazin. Nr. 331, Dezember 2009, S. 40–44 (ila-web.de).
  3. Klaus Jetz: Neue Literatur aus Costa Rica. Online: Quetzal Leipzig, 1994.
  4. Autoreninfo des Unionsverlags Zürich
  5. Klaus Jetz: Neue Literatur aus Costa Rica. Online: Quetzal Leipzig, 1994.
  6. Autoreninfo des Unionsverlags Zürich
  7. Jana Fuchs in: Literaturkritik, 8/2016.
  8. Autorenporträt auf goethe.de
  9. Z. B. die Kurse der Casa de escritura
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