Brüder Grimm nannten sich die Sprachwissenschaftler und Volkskundler Jacob Grimm (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) bei gemeinsamen Veröffentlichungen, wie zum Beispiel ihren weltberühmten Kinder- und Hausmärchen und dem Deutschen Wörterbuch, das sie begannen. Die Brüder gelten gemeinsam mit Karl Lachmann und Georg Friedrich Benecke als Begründer der Germanistik. Gelegentlich erscheint die Bezeichnung „Gebrüder Grimm“ in Kinderbuch-Publikationen oder wenn es sich nicht um die Verfasserangabe in einem Buch handelt: z. B. als Name einer Rosensorte, als Name eines Märchenparks, in Briefmarken- und Gedenkmünzen-Editionen, in einem Filmtitel (Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm) u. ä.

Leben und Wirken

Herkunft

Die Familie Grimm lebte in Hanau. Der Urgroßvater, Friedrich Grimm der Ältere (1672–1748), und der Großvater, Friedrich Grimm der Jüngere (1707–1777), waren Geistliche des reformierten Glaubensbekenntnisses. Die Eltern Dorothea, geb. Zimmer, und Philipp Wilhelm Grimm hatten in ihrer Ehe neun Kinder, von denen drei als Säuglinge starben. Die Brüder Jacob und Wilhelm hatten noch vier jüngere Geschwister, Schwester Charlotte Amalie sowie die Brüder Carl Friedrich, Ludwig Emil und Ferdinand Philipp Grimm. Neben Jacob und Wilhelm erlangte Ludwig Emil als Maler Bedeutung, während der ebenfalls als Sagen- und Märchensammler tätige Bruder Ferdinand Philipp Grimm in Vergessenheit geriet. Das Geburtshaus der Brüder Grimm stand am alten Paradeplatz in Hanau. Ihre Jugend verbrachten sie in Steinau an der Straße, wo der Vater eine Stelle als Amtmann hatte.

Zur Abstammung siehe auch Nachfahren von Friedrich Grimm dem Älteren

Studienzeit

Um den ältesten Söhnen eine angemessene Bildung für eine eventuelle spätere Laufbahn als Juristen zu ermöglichen, schickte die Mutter die beiden im Herbst 1798, mit 12 bzw. 13 Jahren, nach Kassel zu ihrer Tante. Der Vater war zwei Jahre zuvor an einer Lungenentzündung gestorben. In Kassel besuchten sie zuerst das Friedrichsgymnasium. Jacob Grimm immatrikulierte sich 1802 an der Universität Marburg und studierte dort Rechtswissenschaft, Wilhelm Grimm folgte ihm ein Jahr später. Einer ihrer Lehrer, Friedrich Carl von Savigny, eröffnete den wissbegierigen jungen Studenten seine Privatbibliothek und machte die beiden, die bereits mit Werken von Goethe und Schiller vertraut waren, mit Werken der Romantik und des Minnesangs bekannt. Auch Johann Gottfried Herder hatte mit seinen Ansichten über die Dichtung der Völker wesentlichen Einfluss auf Jacob und Wilhelm Grimm. Sie entwickelten sich jedoch nicht zu Romantikern, die vom „gotischen Mittelalter“ schwärmten, sondern waren Realisten, die in der fernen Vergangenheit die Wurzeln für die zeitgenössischen Zustände sahen. So untersuchten sie die geschichtliche Entwicklung deutschsprachiger Literatur (Sagen, Urkunden ebenso wie Dichtung) und legten dabei die Grundlagen für eine wissenschaftliche Behandlung dieses Arbeitsgebietes. Ganz im Sinne Herders beschränkten sie sich dabei nicht auf deutschsprachige Urkunden. Englische, schottische und irische Quellen waren bereits in Mode; sie dehnten ihren Arbeitsbereich auf Skandinavien, Finnland, die Niederlande, Spanien und Serbien aus.

Frühe Arbeiten in Kassel

In die Zeit eines sparsamen und zurückgezogenen Lebens nach dem Studienabschluss 1806 datiert der Beginn der Sammlung von Märchen und Sagen, die heute als eines der Hauptwerke der Brüder bekannt sind. Die von Jacob und Wilhelm Grimm auf Veranlassung von Achim von Arnim und Clemens Brentano gesammelten Märchen entstanden nicht aus ihrer eigenen Phantasie, sondern wurden nach alten, vorwiegend mündlich überlieferten Geschichten von ihnen gesammelt und zusammengetragen und dann mehr oder minder stark überarbeitet, in Ausdruck und Aussage geglättet und geformt. Eine ihrer wichtigsten Quellen waren die Märchen, die die aus hugenottischer Familie stammende Dorothea Viehmann aus Niederzwehren bei Kassel den Brüdern erzählte. An den Sammlungen waren z. B. auch die in Westfalen beheimateten Brüder Werner von Haxthausen, August von Haxthausen sowie die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff und ihre Schwester Jenny von Laßberg beteiligt. Es ist das bleibende Verdienst von Wilhelm Grimm, der mit der Bearbeitung die weitere Verbreitung gesichert und mit der kritischen Untersuchung zu Quellen und Entwicklung der Volksmärchen die Märchenforschung als Wissenschaft begründet hat.

Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1808 musste Jacob Grimm als Ältester der Familie für deren Unterhalt sorgen. Seit 1807 hatten Jacob und Wilhelm Grimm Aufsätze über den Minnesang in Fachzeitschriften veröffentlicht. Nach einem Kuraufenthalt Wilhelm Grimms in Halle waren die Brüder wieder gemeinsam in Kassel. Dort veröffentlichten sie 1811 ihre ersten selbständigen Bücher: Jacob Grimm Über den altdeutschen Meistergesang und Wilhelm Grimm Altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen. 1812 folgten die ersten gemeinsamen Bücher der Brüder (eine Ausgabe des althochdeutschen Hildebrandlieds und des Wessobrunner Gebets) und zu Weihnachten der erste Band der Kinder- und Hausmärchen. Zu dieser Zeit versuchten sich die beiden auch an einer deutschen Ausgabe der Edda sowie des Reineke Fuchs. Von der Edda erschien 1815 nur ein erster Band, der keine Fortsetzung fand, da die Brüder Grimm auf diesem Gebiet von anderen Forschern überholt wurden. Den Reinhart Fuchs in mehreren mittelalterlichen Versionen gab Jacob erst 1834 heraus – mit einer umfangreichen Einleitung über das Wesen des Tierepos’. Von 1813 bis 1816 brachten die Brüder darüber hinaus drei Bände der Zeitschrift Altdeutsche Wälder heraus, die altdeutsche Literatur zum Inhalt hatte und dann wieder eingestellt wurde.

1814 bezogen die Brüder Grimm zusammen mit ihrer Schwester Charlotte (Lotte) (1793–1833) eine Wohnung im – heute noch erhaltenen – nördlichen Torhaus am Wilhelmshöher Tor. 1815 veröffentlichte Jacob neben einem Buch zur mythologischen Deutung von Götterbildern und -säulen (Irmenstraße und Irmensäule) auch Silva de romances viejos, eine kritische Auswahl altspanischer Romanzen.

1815 legten die Brüder den zweiten Band der Kinder- und Hausmärchen vor. 1819 wurde der erste Band stark überarbeitet neu aufgelegt: Es kamen weitere Märchen hinzu, etwa ein Viertel der Geschichten wurde gestrichen und fast die Hälfte der verbliebenen Märchen überarbeitet, häufig um die als anstößig empfundenen erotischen Anspielungen zu beseitigen. Die Anmerkungen zu den Märchen beider Bände wurden 1822 als dritter Band veröffentlicht. 1825 erfolgte die Herausgabe einer „Kleinen Ausgabe“ der Kinder- und Hausmärchen in einem Band, die maßgeblich zur Popularität des Stoffes beitrug. Für diese Aufgabe gewannen Jacob und Wilhelm Grimm ihren Bruder Ludwig Emil als Illustrator. Ab 1823 wurde eine illustrierte englische Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen veröffentlicht. Bereits zu Lebzeiten der Brüder erschienen sieben Auflagen der großen deutschen Ausgabe der Märchen und zehn Auflagen der kleinen Ausgabe.

…die Behauptung, die meisten Grimmschen Märchen gingen direkt auf Erzählungen alter Bäuerinnen und einsiedlerischer Köhler und Hirten zurück, bleibt unhaltbar. Heute wissen wir, dass die Grimms nicht Volksmärchen gesammelt haben, sondern dass die Märchen vor allem in gebildeten Schichten von jungen Frauen erzählt wurden und sich oftmals aus französischen Quellen speisten.

In den Jahren 1816 und 1818 erschienen die beiden Bände einer Sagensammlung (Deutsche Sagen), die allerdings nicht den breiten Erfolg hatte wie ihre Märchensammlung. Die Brüder hatten zuvor gleichermaßen Märchen und Sagen gesammelt. Eine gattungsmäßige Abgrenzung ist schwierig und wurde auch durch die Brüder Grimm nicht konsequent durchgeführt. Definitionsversuche beziehen sich beispielsweise auf die Prämissen, dass die Sagen von Erzählern und Publikum im Allgemeinen geglaubt würden, die Märchen hingegen nicht, oder dass Sagen an konkrete historische oder örtliche Bezugspunkte gebunden, die Märchen jedoch zeitlich und lokal nicht näher fixiert seien. Beide Gattungen sind Erzählformen aus der mündlichen Überlieferung, wobei die Brüder Grimm sie für ihre Sammlungen zu großen Teilen nur über schriftliche Zwischenstufen gewannen. Die Sagensammlung wurde zu Lebzeiten der Brüder nicht neu aufgelegt.

Eine weitere herausragende Leistung von Wilhelm Grimm ist Die deutsche Heldensage, eine Schrift, die nicht nur eine Sammlung von Sagen vom 6. bis zum 16. Jahrhundert darstellt, sondern wertvolle Aufsätze zu Stoffen, ihrer Geschichte und der künstlerischen Verarbeitung enthält. Im Verlauf der Arbeiten an den Sagen und Volksmärchen formulierten die Brüder ein Lautverschiebungsgesetz im Kontext der „indogermanischen Hypothese“.

Im Alter von 30 Jahren hatten sich Jacob und Wilhelm Grimm durch ihre zahlreichen Publikationen bereits eine herausragende Stellung erarbeitet. Sie lebten gemeinsam in Kassel, bis 1814 nur von Jacob Grimms Gehalt und aus dem ererbten Familienvermögen. Neben der formellen offiziellen Tätigkeit als Bibliothekar (Jacob Grimm) bzw. Sekretär der Bibliothek (Wilhelm Grimm) konnten sie vor Ort ihre eigenen Forschungen vorantreiben, die im Jahr 1819 von der Universität Marburg mit einer Ehrendoktorwürde honoriert wurden.

Ohne Förderer und Gönner hätten die Brüder Grimm über Jahre nicht in diesem Maße publizieren können. Aus der frühen Zeit sei hier Kurfürstin Wilhelmine Karoline von Hessen genannt. Nach deren Tod 1820 bzw. dem Tod des Kurfürsten 1821 mussten die Brüder das Haus in der Wilhelmshöher Straße räumen und gemeinsam mit ihrer Schwester Lotte eine schlechtere Wohnung beziehen. Lotte Grimm, die den Brüdern bislang den Haushalt geführt hatte, heiratete wenig später den mit der Familie befreundeten Juristen und späteren kurhessischen Minister Ludwig Hassenpflug (1794–1862) und verließ die Brüder, die fortan mehrfach die Wohnungen wechselten und jahrelang einen gemeinsamen Junggesellenhaushalt führten.

Die „Deutsche Grammatik“

In diese kreative Zeit in Kassel fiel die Arbeit Jacob Grimms an der Deutschen Grammatik. Der Titel ist irreführend, denn es handelt sich nicht um eine trocken-schematische Beschreibung des Aufbaus der zeitgenössischen Sprache. Jacob Grimm wollte vielmehr „ein historisches Leben mit allem Fluß freudiger Entwickelung in sie zaubern“. Das umfangreiche Werk bezieht sich auf sämtliche germanische Sprachen, ihre Zusammenhänge und ihre geschichtliche Entwicklung. Der erste Band beschäftigte sich zunächst mit Flexion, der zweite mit Wortbildung. Jacob Grimm stellte kein vollständiges Manuskript fertig, sondern ließ Druckbogen für Druckbogen drucken, sobald er die benötigte Menge Text geschrieben hatte. Der Druck des ersten Bandes entsprach mit einer Zeitdauer von 14 Monaten ab Januar 1818 bis Sommer 1819 genau dem Zeitraum, in dem Jacob Grimm an dem Werk gearbeitet hat. Bis 1822 überarbeitete er den ersten Band nochmals komplett, so dass dieser nun eher die Lautbildung zum Inhalt hatte. Wie zuvor beim ersten Band schrieb und druckte er wieder Druckbogen für Druckbogen und führte dieses Prinzip auch bis 1826 mit dem nun erst offiziell zweiten Band der Deutschen Grammatik fort.

In diesem bahnbrechenden Werk verfolgte Jacob Grimm als Erster die Entwicklung der (heute „indogermanisch“ oder „indoeuropäisch“ genannten) Sprachen und die Gesetzmäßigkeiten des Lautwandels bei Vokalen und Konsonanten. Damit legte er das Fundament für die moderne Etymologie, die Forschung zum Ursprung von Wörtern und Wortbestandteilen unter Berücksichtigung von Wortbildung, Flexion, Lautveränderung und Bedeutungswandel in verschiedenen (verwandten) Sprachen. Jacob Grimm schrieb hierzu selbst: „Wissenschaftliche Wortforschung konnte weder bei Griechen und Römern, geschweige in unserem Mittelalter gedeihen … Solchem ratlosen und unbehaglichen Schweifen auf dem wogenden Meer der Wörter wurde endlich gesteuert durch den Vortritt der bisher noch unerforschten Sanskritsprache sowie den Zutritt der deutschen, slawischen, litauischen und der übrigen europäischen Idiome in den wissenschaftlichen Kreis der Untersuchungen.“ Ihm war auch klar, dass die Vertreter der klassischen Philologie (Latein, Griechisch und Hebräisch) kein Interesse daran hatten, weitere Sprachen näher zu untersuchen, da sie diese als barbarisch ansahen.

Jacob Grimm hatte jedoch Vorläufer: 1787 hatte William Jones in Bengalen auf Grund des Aufbaus und der Wortwurzeln das Sanskrit mit den altpersischen, griechischen, lateinischen, gotischen und keltischen Sprachen verglichen – dies jedoch noch nicht systematisch. Der junge Däne Rasmus Christian Rask hatte – einer Forderung Wilhelm von Humboldts folgend – ebendies in Angriff genommen. Jacob Grimm kannte (und besprach) dessen Schrift und begann, Wortbildung und Lautentwicklung im Altnordischen mit denen im Slawischen bzw. Griechischen zu vergleichen. In der Deutschen Grammatik wurden erstmals die frühesten, dann die späteren und schließlich die jüngsten Entwicklungsstufen der betrachteten Sprachen vergleichend behandelt. In der zweiten Auflage legte er die Erkenntnis dar, dass die von Rask aufgedeckten lautlichen Entsprechungen nicht (zufällige) Einzelerscheinungen waren, sondern einer Gesetzmäßigkeit folgten. Diese Regel wird von angelsächsischen Forschern bis heute Grimm’s law („Grimmsches Gesetz“) genannt. Er erkannte auch, dass es nicht nur eine, sondern zwei derartige Verschiebungsphasen gegeben hatte. Diese werden heute als „germanische“ und „hochdeutsche Lautverschiebung“ (oder auch „erste“ bzw. „zweite Lautverschiebung“) bezeichnet.

Weitere Arbeiten in Kassel

1816 übersetzte Jacob Grimm die serbische Grammatik seines Freundes Vuk Stefanović Karadžić und versah sie mit einer Einführung in slawische Sprachen und ihre Literatur. Wilhelm Grimm hatte inzwischen mehrere Bücher über Runen veröffentlicht, sein von ihm selbst als Hauptwerk betrachtetes Buch Die deutsche Heldensage erschien 1829. Gleichfalls bahnbrechend war Jacob Grimms Studie Deutsche Rechtsaltertümer (1828), in der er sich nicht mit Gesetzesvorschriften, sondern mit mittelalterlicher Rechtspraxis und Rechtsanschauung befasste. Sie wurde Anlass zu entsprechenden Untersuchungen in einer Reihe anderer Länder.

Erst als Wilhelm Grimm im Mai 1825 Dorothea Wild geheiratet hatte, festigten sich die Lebensumstände der Brüder wieder, die weiterhin, nun zu dritt, zusammenlebten. Wilhelm und „Dortchen“ Grimm wurden alsbald Kinder geboren: Herman Grimm (1828–1901), Rudolf Grimm (1830–1889) und Auguste Grimm (1832–1919). Es wird auch von häufigen Reisen der Grimm-Brüder berichtet.

Göttingen

Auch nach dem Wegzug von Kassel unterhielten die Brüder in Göttingen einen gemeinsamen Haushalt. Jacob Grimm war seit 1830 ordentlicher Professor, Wilhelm Grimm Bibliothekar und ab 1835 ebenfalls Professor. Jacob Grimm veröffentlichte bis 1837 zwei weitere Bände der Deutschen Grammatik. 1834 stellte er den 1811 begonnenen Reinhart (Reineke) Fuchs fertig, 1835 ein Werk über Deutsche Mythologie. In diesem untersuchte er vorchristliche Glaubensvorstellungen und Aberglauben und stellte sie klassischer Mythologie und christlichen Legenden gegenüber. Auch dieses Werk hatte enormen Einfluss – dieses Mal auf die Mythenforschung. Die dritte Auflage der Kinder- und Hausmärchen wurde 1837 von Wilhelm Grimm beinahe allein besorgt. 1838 begannen Jacob und Wilhelm Grimm ihre gemeinsame Arbeit am Deutschen Wörterbuch.

Wie früher schon widmete Jacob Grimm sich auch in dieser Zeit der Namenkunde: Er schrieb über die germanischen Göttinnen Tanfana und Freia, die thrakische Göttin Bendis und ihre Namen, über hessische Ortsnamen, den Namen des Landes Westfalen und untersuchte Gesetzmäßigkeiten bei der Bildung von Eigennamen. Er wies darauf hin, dass in Namen frühe Wortformen bewahrt sein können, die in der Umgangssprache untergegangen sind.

In politischer Hinsicht arbeiteten die Brüder Grimm mit darauf hin, die damaligen deutschen Kleinstaaten zu vereinen, sowohl indirekt durch die Erforschung der deutschen Kulturgeschichte als auch direkt durch politische Aktivitäten, von politischer Publizistik bis zu Jacob Grimms Tätigkeit als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung 1848. Jacob und Wilhelm Grimm halfen mit, die Menschenrechte in Deutschland zu formulieren. Für eine Streitschrift gegen einen Verfassungsbruch des Königs von Hannover, König Ernst August I., wurden sie, und mit ihnen fünf andere Professoren, entlassen und Jacob Grimm des Landes verwiesen (Göttinger Sieben). Ein überregionales Komitee von Bürgern mit Zentrum in Leipzig zahlte den entlassenen Professoren aus Spendengeldern vorerst die Gehälter weiter. Während die Brüder Grimm ohne Anstellung waren, unterbreiteten die Leipziger Verleger Karl Reimer und Salomon Hirzel ihnen den Vorschlag für das Deutsche Wörterbuch, „den Grimm“, der ohne die Göttinger Entlassung so nicht entstanden wäre. Sie selbst arbeiteten das Wörterbuch bis zum Buchstaben D (Wilhelm Grimm) bzw. F (Jacob Grimm) aus. Sie konzipierten das Wörterbuch als Sammlung sämtlicher Wörter aus der Zeit „von Luther bis Goethe“, die weniger ein Regelwerk als vielmehr eine Entwicklungsgeschichte der Wörter sein sollte. Im Mittelpunkt der einzelnen Wortartikel steht die Bedeutungsgeschichte des jeweiligen Wortes; die historische Verwendungsweise wird anhand von Belegzitaten aus Hunderten von literarischen Werken, aber auch aus Fachsprachen und aus dem Alltagsgebrauch nachvollzogen. Bei der Sammlung der Belege standen den Brüdern Grimm zahlreiche Helfer zur Seite, die zumeist zum Kreis ihrer Freunde und wissenschaftlichen Kollegen gehörten oder ihnen von Freunden und Kollegen vermittelt wurden. Die Sammlung der Belege wurde ebenso wie die Ausarbeitung des Wörterbuchs durch den Verlag bezahlt. Für das Großprojekt des Wörterbuchs mussten die Brüder Grimm eigene Pläne und laufende Arbeiten zurückstellen, was ein Grundproblem ihrer letzten beiden Lebensjahrzehnte werden sollte.

Zeit in Berlin

Drei Jahre lang lebten die Grimms in Kassel im Exil und ohne Anstellung, obwohl sich verschiedene Anstalten im In- und Ausland um sie bemühten, bevor der neue preußische König Friedrich Wilhelm IV. sie unmittelbar nach seiner Amtsübernahme 1840 nach Berlin holte.

Rund zwanzig Jahre lang lebten sie dort, nunmehr unbelastet von finanziellen Unsicherheiten. In Akademieabhandlungen, die sie in dieser Zeitspanne verfassten (später gesammelt in den Ausgaben ihrer Kleineren Schriften), ist viel Lesenswertes über ihre Forschungen, ihre Interessen und ihre liberalen politischen Ansichten zu finden. Auch die Geschichte der deutschen Sprache entstand in dieser Zeit – ein erster Versuch, Sprach- mit Sozialgeschichte zu verknüpfen. Georg Curtius schrieb 1871 über Jacob Grimm, sein ungestümes Schaffen habe dringend des Korrektivs kritischerer Geister bedurft: „Auch traf es sich glücklich, dass Wilhelm Grimm, weniger kühn und umfassend, aber auf beschränkteren Feldern fein und sorgfältig, dem verwegenen Jacob zur Seite stand.“ So ergänzten sich der Wegweiser und der Moderator und eröffneten den Geschichts- und Sprachforschern ungeahnte, weite Arbeitsgebiete.

Wilhelm Grimm verstarb 1859, sein Bruder Jacob 1863. Sie liegen auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg. Die Grabstätte gehört zu den Ehrengräbern des Landes Berlin. Links neben den beiden Grabdenkmälern sind die Grabstätten von Wilhelm Grimms Söhnen Herman und Rudolf. Die sterblichen Überreste der Tochter Auguste Grimm sind ohne Grabinschrift 1919 in einer Urne im Grab ihres Vaters Wilhelm beigesetzt worden. Der gemeinnützige Förderverein EFEU e. V. hat im Juni 2016 einen Grab- bzw. Gedenkstein für Auguste, ihre Mutter Henriette Dorothea sowie weitere Frauen der Familie Grimm durch Spenden realisiert.

Den Nachlass mit Schriftstücken und auch Möbeln der Familie vererbte Auguste Grimm, die nie geheiratet hatte, ihrer Nichte Albertine Plock (1881–1974), geborene Oestereich, der unehelichen Tochter von Rudolf Grimm. Diese spendete alles 1963 der Sammlung im Museum Haldensleben.

Würdigungen und Nachleben

Siehe auch

Werke

Briefwechsel

Kasseler Ausgabe. Werke und Briefwechsel

  • Briefe, Band 1: Briefwechsel der Brüder Grimm mit Herman Grimm (einschließlich des Briefwechsels zwischen Herman Grimm und Dorothea Grimm, geb. Wild). Hrsg. von Holger Ehrhardt, Kassel/Berlin 1998. ISBN 3-929633-63-9.
  • Briefe, Band 2: Briefwechsel der Brüder Grimm mit Ludwig Hassenpflug (einschließlich der Briefwechsel zwischen Ludwig Hassenpflug und Dorothea Grimm, geb. Wild, Charlotte Hassenpflug, geb. Grimm, ihren Kindern und Amalie Hassenpflug). Hrsg. von Ewald Grothe, Kassel/Berlin 2000. ISBN 3-929633-64-7.

Nachlass

Ein großer Teil ihres wissenschaftlichen Nachlasses befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin. Ein weiterer größerer Teil, darunter Briefe von und an die Brüder, verschiedene Manuskriptenkonvolute und vor allem Handexemplare mit handschriftlichen Zusätzen, wird im Hessischen Staatsarchiv Marburg verwahrt, weitere Dokumente in der Bibliothek der Universität Kassel. Die nordhessischen Grimm-Bestände, etwa 3000 Dokumente, sind seit 2017 über ein zentrales Portal in digitaler Form abrufbar.

Außerdem sind mehrere tausend Bände ihrer persönlichen Bibliothek seit 1865 im Besitz der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, deren neue Bibliothek als Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum seit 2009 nach den Brüdern Grimm benannt ist. Ebenfalls werden seit 1978 in einer Dauerausstellung im Museum Haldensleben Kunstgegenstände, Möbel etc. aus dem Nachlass der Brüder Grimm der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Literatur

Nach Erscheinungsjahr geordnet

  • Hans Gürtler, Albert Leitzmann (Hrsg.): Briefe der Brüder Grimm. Frommann, Jena 1923.
  • Carl Zuckmayer: Die Brüder Grimm. Ein deutscher Beitrag zur Humanität. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1948.
  • Hessische Briefe des 19. Jahrhunderts. Briefe der Brüder Grimm an Savigny. Aus dem Savignyschen Nachlaß hrsg. in Verbindung mit Ingeborg Schnack von Wilhelm Schoof (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, Band 23/1). Berlin 1953.
  • Walther Ottendorf (Hrsg.): Die Grimms und die Simrocks in Briefen 1830 bis 1864. Ferd. Dümmlers Verlag, Bonn/Hannover/Hamburg,/München 1966.
  • Ludwig Denecke: Jacob Grimm und sein Bruder Wilhelm. J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1971, ISBN 3-476-10100-2 (Überblicksdarstellung mit umfangreicher Bibliographie).
  • Hermann Gerstner: Brüder Grimm. 9. Aufl. (= Rowohlts Monographien, 201). Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1997, ISBN 3-499-50201-1.
  • Lothar Bluhm: Die Brüder Grimm und der Beginn der Deutschen Philologie. Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, Hildesheim 1997, ISBN 3-615-00187-7.
  • Hans-Georg Schede: Die Brüder Grimm. dtv, München 2004, ISBN 3-423-31076-6.
  • Bernd Heidenreich, Ewald Grothe (Hrsg.): Kultur und Politik – Die Grimms. Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-7973-0852-3. Die Grimms – Kultur und Politik. 2. Aufl. 2008, ISBN 978-3-7973-1072-9, Publikation der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung.
  • Heiko Postma: … dann leben sie noch heute! (Über die Gelehrten, Volkskundler und Märchen=Sammler Jacob & Wilhelm Grimm). jmb-Verlag, Hannover 2008, ISBN 978-3-940970-07-7.
  • Hans-Georg Schede: Die Brüder Grimm – Eine Biographie. CoCon-Verlag, Hanau 2009, ISBN 978-3-937774-69-5.
  • Steffen Martus: Die Brüder Grimm. Eine Biographie. Rowohlt-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-87134-568-5.
  • Günter Grass: Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung. Steidl, Göttingen 2010, ISBN 978-3-86930-155-6.
  • Andreas Venzke: Die Brüder Grimm und das Rätsel des Froschkönigs. Arena-Verlag, Würzburg 2012, ISBN 978-3-40106-775-9.
  • Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Thorsten Smidt (Hrsg.): Expedition Grimm. Hessische Landesausstellung Kassel 2013. Sandstein Verlag, Dresden 2013, ISBN 978-3-95498-029-1
  • Peter Gbiorczyk: Wirken und Wirkung des reformierten Theologen Friedrich Grimm (1672–1748). Religiöse Traditionen in der Familiengeschichte bis zu den Brüder Grimm. Shaker, Aachen 2013, ISBN 978-3-8440-2226-1, S. 183–211.
  • Jochen Bär u. a. (Hrsg.): Die Brüder Grimm. Pioniere der deutschen Sprachkultur des 21. Jahrhunderts. Brockhaus, Gütersloh 2013.
  • Herbert Leupin: Märchen der Brüder Grimm. Nachwort von Sieglinde Geisel. Verlag Nordsüd, Zürich 2015.
  • Philip Kraut: Die Arbeitsweise der Brüder Grimm. S. Hirzel, Stuttgart 2023, ISBN 978-3-7776-2923-0 (kostenloses PDF).
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Wikisource: Brüder Grimm – Quellen und Volltexte
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Einzelnachweise

  1. Es besteht unter den Grimm-Forschern – im Gegensatz zur breiteren Öffentlichkeit – die Konvention, nicht von den „Gebrüdern“, sondern ausschließlich von den „Brüdern“ Grimm zu sprechen. Siehe Gebrüder.
  2. Heinz Rölleke: Gebrüder Grimm: Märchen über Märchen – Jacob und Wilhelm Grimm haben lange verheimlicht, wer ihnen ihre Geschichten zugetragen hat. Denn nicht alte Bäuerinnen erzählten die angeblichen Volksmärchen, sondern gebildete Töchter mit hugenottischen Vorfahren. In: Zeit Online. 20. November 2012.
  3. Ewald Grothe: „Ich fieng an hier Wurzeln zu schlagen“. Die Brüder Grimm in Berlin. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 109 (2013), S. 220–225.
  4. EFEU e. V. Sonderseite: Grab Fam. Grimm.
  5. Biografie A. Plock (Memento vom 28. Januar 2018 im Internet Archive).
  6. Die tanzenden Fontänen – Eine ganz besondere Attraktion… Märchenwald Altenberg. Auf Maerchenwald-Altenberg.de, abgerufen am 18. Februar 2022.
  7. Internetseite zum Grimm-Jahr 2013 (Memento vom 27. Dezember 2012 im Internet Archive)
  8. Internetseite der Landesausstellung Expedition Grimm
  9. Übersicht über den Nachlass Grimm HStAM Bestand 340 Grimm. In: Archivinformationssystem Hessen (Arcinsys Hessen).
  10. Neues Grimm-Portal führt nordhessische Grimmschätze digital zusammen. In: uni-kassel.de. Abgerufen am 12. Februar 2020.
  11. Kurze Rezension unter Grimms Märchen. In: Neue Zürcher Zeitung, Intern. Ausgabe. 6. Oktober 2015, Feuilleton S. 21.
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