Michail Wiktorowitsch Sygar (russisch Михаил Викторович Зыгарь; Betonung: Michaíl Wíktorowitsch Sýgar, englische Schreibweise Mikhail Zygar; * 31. Januar 1981 in Moskau, Sowjetunion) ist ein russischer Journalist und Autor. Von 2010 bis 2015 war er Chefredakteur des unabhängigen russischen Fernsehsenders Doschd.
Biographie
Sygar studierte Internationale Journalistik am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen. Fast zehn Jahre (2000–2009) berichtete Sygar als Kriegsreporter für die Russische Tageszeitung Kommersant. Er machte Reportagen über Kriege in Irak, Libanon, Palästina, über Umbrüche in der Ukraine und Kirgizien, das Andijon-Massaker, Unruhen in Serbien und Kosovo. 2007 wurde eine Sammlung seiner Kriegsreportagen unter dem Titel Krieg und Mythe als Buch veröffentlicht.
2009 und 2010 war Sygar als stellvertretender Chefredakteur der russischen Ausgabe von Newsweek tätig.
Von 2010 bis 2015 war Michail Sygar Chefredakteur von Doschd, dem unabhängigen Fernsehsender in Russland, der die Regierung oft kritisiert. Die Zuschauerzahl von Doschd erreichte bis 20 Millionen Leute pro Monat. Unter dem Druck des Kreml war der Fernsehsender 2014 fast zusammengebrochen und existiert jetzt nur Online mit einem Abonnementsystem. 2015 verließ Michail Sygar Doschd auf eigenen Wunsch, um an seinen Büchern und seinem neuen Projekt „Freie Geschichte“ zu arbeiten.
Am 25. Oktober 2022 heiratete Sygar seinen langjährigen Partner, den russischen Schauspieler Jean-Michel Scherbak, in Portugal.
1917. Freie Geschichte
Im November 2016 leitete Michail Sygar ein multimediales Projekt „Freie Geschichte“ ein, ein neues Genre: Eine Online-Serie in Form von sozialen Medien. Aus Anlass des 100. Jahrestages der Oktoberrevolution nutzt ein Team von mehr als 30 Historikern und Journalisten authentische Dokumente wie Tagebücher, Memoiren und Briefe, um soziale Netzwerke von 1917 zu imitieren. Das Projekt wird vom russischen Webportal Yandex, der Bank Sberbank und dem russischen sozialen Netzwerk VKontakte finanziell und technologisch unterstützt. Die digitale Version inspirierte auch offline Partnerschaften: Ausstellungen in Moskau, einen Virtual-Reality Film in einer Moskauer Sberbank Filiale und ein Theaterstück im Moskauer Theater „Gogol-Zentrum“.
Exil
Nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2022 startete Sygar eine Onlinepetition gegen den Krieg. Kurze Zeit später reiste er aus und lebt seither im Exil in Berlin. Er ist Kolumnist des Spiegel. Seit Mai 2022 moderiert er die Interviewsendung „Posle sawtra s Michailom Sygarem“ (dt. „Nach morgen mit Michail Sygar“) im Berliner russischsprachigen TV-Sender OstWest.
Bücher
- Krieg und Mythos (2007). Eine Sammlung von Kriegsreportagen.
- Gazprom: Das Geschäft mit der Macht (2008). Ein Werk über den russischen Erdgaskonzern, geschrieben gemeinsam mit Waleri Panjuschkin.
- Endspiel. Die Metamorphosen des Wladimir Putin (2015). Das Buch handelt von der politischen Geschichte des modernen Russlands, dem Weg Putins „vom Reformer zu dem Mann, den die Welt fürchtet“. Sygar beschreibt die Metamorphosen Putins durch Erinnerungen der Politiker und Mächtigen, die deren Zeugen waren. Insgesamt führte Sygar fast 20 Interviews mit Spitzenpolitikern und Oligarchen. Das Buch ist in Russland schnell zum Bestseller geworden. Die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Aleksijewitsch nennt es „die erste überzeugende Beschreibung dessen, was in den letzten 20 Jahren in Russland geschehen ist. Ein wichtiges Buch und eine Gelegenheit, Informationen aus erster Hand zu bekommen.“ Laut Grünen-Politiker Werner Schulz, der die Präsentation des Buchs in Berlin besuchte, ist das Buch eine „Pflichtlektüre für Kreml-Astrologen“. Für Christian Esch von der Frankfurter Rundschau gleicht der Stil des Buches dem der US-amerikanischen Fernsehserie House of Cards. Das Buch wurde ins Englische, Deutsche, Polnische, Bulgarische, Finnische, Chinesische und Rumänische übersetzt.
- All the Kremlin’s Men (2016). Dieses Buch, schreibt der Guardian, handle von der Entourage im Kreml, welche in vorauseilendem Gehorsam versucht, die Wünsche des Präsidenten zu erraten. Gleichzeitig beschreibe es Putin als Garanten für deren Bereicherung.
Weblinks
- Literatur von und über Michail Wiktorowitsch Sygar im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Mikhail Zygar in der Internet Movie Database (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ Michail Sygar: Russische Medien: Der Bürgerheld. Die Zeit, 30. April 2016, abgerufen am 22. Februar 2017.
- ↑ Spiegel Online, Hamburg Germany: Kreml-Experte: „Putin hat keinen Masterplan“. Spiegel Online, abgerufen am 22. Februar 2017.
- ↑ Michail Sygar: Russische Medien: Der Bürgerheld. Die Zeit, 30. April 2016, abgerufen am 22. Februar 2017.
- ↑ Putin-kritischer TV-Sender Doschd sieht sich bedroht. In: Der Spiegel. 4. Februar 2014, abgerufen am 22. November 2021.
- ↑ Mikhail Zygar: Russland unter Wladimir Putin: Wir müssen schon jetzt das Russland der Zukunft schaffen. Kolumne. Der Spiegel (online), 29. Oktober 2022, abgerufen am 30. Oktober 2022.
- ↑ A Russian social-media site is reliving 1917. 4. Februar 2017, abgerufen am 22. Februar 2017 (englisch).
- ↑ Michail Sygar beim Spiegel. Abgerufen am 24. September 2022.
- ↑ „Posle sawtra s Michailom Sygarem“ bei Ostwest TV. Abgerufen am 24. September 2022.
- ↑ Gazprom. Abgerufen am 22. Februar 2017.
- ↑ Michail Sygar: Endspiel. Kiepenheuer & Witsch, abgerufen am 22. Februar 2017.
- ↑ Putin – der Mann, der gar nicht existiert. In: stern.de. 6. Oktober 2015 (stern.de [abgerufen am 22. Februar 2017]).
- ↑ Michail Sygar: Endspiel. Kiepenheuer & Witsch, abgerufen am 30. Oktober 2022.
- ↑ Newsbeitrag- www.memorial.de. Archiviert vom am 23. Februar 2017; abgerufen am 22. Februar 2017.
- ↑ Mathias Bölinger: Die Metamorphosen des Wladimir Putin. In: Deutsche Welle. 6. Oktober 2015, abgerufen am 22. Februar 2017.
- ↑ Frankfurter Rundschau: Der kollektive Putin. In: Frankfurter Rundschau. 5. Januar 2016, abgerufen am 22. Februar 2017.
- ↑ literary agency galina dursthoff. Archiviert vom ; abgerufen am 22. Februar 2017.
- ↑ All the Kremlin’s Men: Inside the Court of Vladimir Putin – review, The Guardian, 3. Oktober 2016