Mitri Raheb (* 1962 in Bethlehem; auch: Mitri Rahib; arabisch متري الراهب, DMG Mitrī ar-Rāhib) ist ein lutherischer Pastor und arabischer Christ, Gründer des Internationalen Begegnungszentrums in Bethlehem und Pastor an der dortigen Weihnachtskirche. Raheb vertritt seit 1990 eine als palästinensische Befreiungstheologie bezeichnete Position, die auf umfassende Befreiung der Palästinensergebiete von Israels militärischer Besetzung und Kontrolle zielt. Zusammen mit Naim Ateek, Yohana Katanacho und anderen Christen seiner Region machte Raheb diese Position international bekannt.

Familie und Ausbildung

Rahebs Vorfahren waren dem Patriarchat von Jerusalem zugehörige griechisch-orthodoxe Christen. Sein Großvater väterlicherseits war Mitglied einer griechisch-orthodoxen Bruderschaft in Bethlehem. Durch Einflüsse des arabischen Nationalismus, den das Jerusalemer Patriarchat nicht unterstützte, und des evangelikalen Bethlehem Bible College trat Raheb jedoch schon als Jugendlicher in die evangelisch-lutherische Kirche seiner Region über.

Als Raheb 13 Jahre alt war, starb sein Vater. Bis zu seinem Schulabschluss führte der Sohn neben der Schule den väterlichen Buchladen weiter. Bis 1984 studierte er evangelische Theologie am Missionsseminar Hermannsburg, danach promovierte er an der Philipps-Universität Marburg zum Doktor der Theologie. Er und seine Ehefrau Najwa Khoury haben zwei Töchter.

Tätigkeiten

Von 1987 bis 2017 arbeitete Raheb als Pastor an der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem. 1995 gründete er das Internationale Begegnungszentrum in Bethlehem (International Center of Bethlehem – ICB, arabisch: Dar an-Nadwa ad-Dawwliyya, „Haus der Begegnung weltweit“). Im ersten Gottesdienst nach dem Ende der 39-tägigen israelischen Belagerung der Geburtskirche in Betlehem im April bis Mai 2002, in der sich rund 200 Kämpfer der PLO verschanzt hatten, verkündete Raheb: „Der Krieg kann uns nicht unsere Vision rauben, in Frieden mit unseren Nachbarn zusammenzuleben“. 1998 gründete Raheb die Dar al-Kalima-Schule, 2003 das Dar al-Kalima Health & Wellness Center, 2004 das Il’illiyeh Restaurant und der al-Kuz Coffee shop, in 2010 schließlich das Dar al-Kalima University College of Arts and Culture.

Positionen

Raheb gehört zu den Autoren des Kairos-Palästina-Dokuments von 2009. Er verteidigte es als Aufruf zu einem gewaltfreien Widerstand gegen die israelische Besatzung, besonders durch christliche Kirchen.

Preise

2003 erhielt Raheb den Wittenberg-Preis des Luther Institute in Washington, D.C. 2006 erhielt er den Preis der Holy Land Christian Ecumenical Foundation und den Muhammad-Nafi-Tschelebi-Preis. 2008 erhielt er den Aachener Friedenspreis für sein Engagement für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Palästinensern. 2011 verlieh der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog ihm den Deutschen Medienpreis. Der schwedische Olof Palme Minnesfond verlieh Raheb und dem israelischen Journalisten Gideon Levy 2015 den Olof Palme Preis für ihren „mutigen und unermüdlichen Kampf gegen Besatzung und Gewalt, und für einen zukünftigen Mittleren Osten, der durch friedliches Zusammenleben und Gleichheit für alle gekennzeichnet ist“.

Kritiken

Die Deutsch-Israelische Gesellschaft kritisierte besonders die Vergabe des Deutschen Medienpreises an Raheb. Sein Kairos-Palästina-Dokument vergleiche Israel auf ahistorische Weise und in diffamierender Absicht mit dem Apartheidregime in Südafrika. Mit Aussagen wie denen, die „israelische Besatzung palästinensischen Landes“ sei „eine Sünde gegen Gott“, bediene er „jahrhundertealte judenfeindliche Stereotypen“. Der Theologe Albrecht Lohrbächer warf Raheb Gewaltverherrlichung vor. Die deutschen Theologen Ekkehard Stegemann und Wolfgang Stegemann schrieben in einem offenen Brief an die EKD, Raheb propagiere die „‚Entjudung‘ Jesu“.

Schriften

  • Das reformatorische Erbe unter den Palästinensern: zur Entstehung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien. Gütersloh 1990, ISBN 3-579-00127-2.
  • Bethlehem 2000: Past and Present. Palmyra, Heidelberg 1998, ISBN 3-930378-21-3.
    • Deutsche Ausgabe: Bethlehem 2000: Eine Stadt zwischen den Zeiten. Palmyra, Heidelberg 1998, ISBN 3-930378-18-3.
  • Ich bin Christ und Palästinenser. Israel, seine Nachbarn und die Bibel. 2. Auflage. Gütersloher Verlags-Haus, Gütersloh 1995, ISBN 3-579-01307-6. (Gütersloher Taschenbücher 1307)
    • englisch: I am a Palestinian Christian.
  • Christ und Palästinenser. AphorismA-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-86575-150-4. (Kleine Schriftenreihe des Kulturvereins AphorismA, Bd. 18)
  • Bethlehem hinter Mauern. Geschichten der Hoffnung aus einer belagerten Stadt. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005, ISBN 3-579-06853-9.
    • englisch: Bethlehem Besieged
  • Verwurzelt im Heiligen Land. Einführung in das palästinensische Christentum. (Hrsg.) Knecht, Metzingen 1995, ISBN 3-7820-0729-8.
  • Christ-Sein in der arabischen Welt. 25 Jahre Dienst in Bethlehem, gesammelte Aufsätze und Reden eines kontextuellen Theologen aus Palästina (Mit einem Vorw. von Khouloud Daibes und einem Nachw. von Manfred Kock), AphorismA, Berlin 2013, ISBN 978-3-86575-043-3.
  • Glaube unter imperialer Macht. Eine palästinensische Theologie der Hoffnung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2014 ISBN 978-3-579-08511-1 (dt. Fassung von Faith in the Face of Empire)
Commons: Mitri Raheb – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Samuel J. Kuruvilla: Radical Christianity in Palestine and Israel: Liberation and Theology in the Middle East. Bloomsbury Publishing, London 2013, ISBN 0-85773-667-1, S. 238f.
  2. S. 160
  3. 1 2 Constance A. Hammond: Shalom/Salaam/Peace: A Liberation Theology of Hope. Taylor & Francis, London 2014, ISBN 1-317-49055-X, S. 158
  4. 1 2 Short Bio. mitriraheb.org
  5. Aachener Friedenspreis an Nahost-Initiativen verliehen. EKD-News, 1. September 2008
  6. Initiatives. mitriraheb.org
  7. Josef Estermann: Südwind: Kontextuelle nicht-abendländische Theologien im globalen Süden. LIT Verlag, Münster 2017, ISBN 3-643-80253-6, S. 141
  8. Bob Simon: Christians in the Holy Land on “60 Minutes”. CBS, 22. April 2012 (Interview-Transkript)
  9. Brockhaus Enzyklopädie, Jahrbuch 2008, F.A. Brockhaus, Wiesbaden 2008, S. 63
  10. 2015 – Gideon Levy and Mitri Raheb. Olof Palme Minnesfond, Januar 2016
  11. DIG: Raheb ist kein Friedensstifter. Pressemitteilung vom 17. Februar 2012; Malcolm F. Lowe: The Raheb-Herzog Affair. jcrelations, 4. Mai 2012
  12. Thomas Klatt: Pfarrer Mitri Raheb erhält Deutschen Medienpreis. Deutschlandfunk, 23. März 2012
  13. Gerechter Zorn: Deutscher Medienpreis für Mitri Raheb? B.Z., 21. Februar 2012
  14. Offener Brief an SEK und EKD. Audiatur.ch, 4. Juni 2013
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