Die Neuromanik (oder Neu-Romanik), auch Neoromanik genannt, ist ein europäischer Kunststil des 19. Jahrhunderts. Künstler, vor allem Architekten, griffen damals auf Vorbilder der vergangenen zwei Jahrtausende zurück – in diesem Falle auf die Romanik. Daneben gab es jedoch auch Neugotik, Neorenaissance, Neubarock und die Vereinigung mehrerer dieser Stilrichtungen in einem Werk (sogenannter Eklektizismus), die gemeinsam in der Stilgeschichte als Historismus bezeichnet werden.

Geschichte

Vorläufer

Rückgriffe auf die Romanik gab es, seit diese von anderen Stilen abgelöst worden war. Rückgriffe auf die romanische Architektur in der Zeit der Spätgotik und der Renaissance werden allerdings zumeist als Retrospektive Architektur bezeichnet, was auch Rückgriffe auf andere Stile beinhalten kann. So wurden die Türme des Augsburger Doms 1488/1489 bzw. 1564 in romanischen Formen aufgestockt, nachdem sie den 1356–1431 errichteten spätgotischen Ostchor kaum noch überragt hatten. In der spätgotischen Maria-Magdalenen-Kirche in Münnerstadt, Unterfranken, wurde nach der Durchsetzung der Gegenreformation das Mittelschiff 1605–1612 ersetzt, zwar mit spätgotischen Flamboyantstil-Obergaden, aber mit Flachdecke, ungegliederten Hochschiffswänden und Rundbogenarkaden nach Vorbildern aus der Frühromanik, etwa dem 1040 bis 1075 errichteten Würzburger Dom.

Romantik und Industriezeitalter

Wegbereiter der Neuromanik in Deutschland und im europaweiten Rahmen waren Heinrich Hübsch 1828 mit In welchem Style sollen wir bauen?, einer allgemeinen Favorisierung des Rundbogenstils; dann Rudolf Wiegmann 1829 mit einer Reaktion auf Hübsch und vor allem 1841 mit Gedanken über die Entwicklung eines zeitgemäßen nationalen Baustils, worin er im Vergleich zu der in Frankreich entwickelten Gotik die „deutsche Romanik“ als deutscher beurteilte. Zu den ersten Architekten der Neuromanik zählen Johann Claudius von Lassaulx (1781–1848, Architekt seit etwa 1812) und Friedrich von Gärtner (1791–1847, Veröffentlichungen seit 1819, Architekt seit etwa 1827), dessen Rundbogenstil neben der Romanik auch andere Einflüsse zeigte. Da der kunstgeschichtliche Begriff der „Romanik“ gerade erst 1818 geprägt wurde, wurden anfänglich die Bezeichnungen „byzantinischer Stil“, „Rundbogenstil“ oder auch „altchristlicher Stil“ gleichwertig verwendet. Die Vorliebe für Neoromanik im Deutschen Reich aus Aversion gegen Französisches darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Frankreich mit seinem immensen Bestand an romanischer Architektur verschiedener regionaler Schulen auch einige Motivation gab, neoromanisch zu bauen.

Das 1861 publizierte Eisenacher Regulativ erlaubte als Stil für den protestantischen Kirchenbau neben der altchristlichen Basilika die mittelalterlichen Stile der Romanik und Gotik. Der Höhepunkt der Neuromanik ist 1891 mit dem Wiesbadener Programm über den evangelischen Kirchenbau anzusetzen. Der Stil reicht über das Ende des eigentlichen Historismus um die Jahrhundertwende hinaus bis in die 1950er-Jahre. Die Bautätigkeit der Neuromanik hatte ihren Schwerpunkt im Kirchenbau. Durch die Industrialisierung gab es in den stark wachsenden Städten dazu ein reiches Betätigungsfeld. Im katholischen Süden des deutschsprachigen Raumes ist der Stil dagegen seltener.

Auch im Profanbau ist die Neuromanik zu finden. Beispiele für Renovierungen im Schlösser- und Burgenbau, die Neubauten gleichkamen, sind der Wiederaufbau der romanischen Wartburg bei Eisenach und der Kaiserpfalz Goslar. Als berühmtestes neuromanisches Gebäude überhaupt kann Schloss Neuschwanstein gelten, das jedoch eine eklektizistische Innenausstattung hat. Als die „deutsche Romanik“ als deutscher Nationalstil gefeiert wurde, wurde im wilhelminischen Deutschland die Neuromanik als „echter“ deutscher Stil zunehmend auch für öffentliche Profanbauten wie Postämter, Regierungsgebäude oder Verkehrsbauten verwendet. Bekannte Vertreter sind z. B. das Preußische Regierungsgebäude in Koblenz sowie die Bahnhöfe Metz-Ville und Worms Hauptbahnhof. Manche Abweichungen vom romanischen Formenkanon im engeren Sinne lassen sich von mittelalterlichen Vorbildern ableiten. Wie am Beispiel der Kathedrale von Périgueux zu erkennen, gab es in der Romanik Südwestfrankreichs einige byzantinische Einflüsse. In Deutschland entstand nach Beginn der Gotik im französischen Kronland eine umfangreiche spätromanische Architektur mit gotischen Kreuzrippengewölben in Verbindung mit romanischen Außenmauern, v. a. rundbogigen Fenstern und Portalen. Eine eindeutige Abweichung von mittelalterlicher Romanik liegt in der Verwendung ausgereiften Maßwerks, das in Wirklichkeit erst über siebzig jahre nach Beginn der Gotik aufgekommen war. Die Grundrisse neuromanischer Kirchen konnten originalgetreu sein, gotische Formen wie Joche rechteckigen Grundrisses übernehmen, oder auch Neuschöpfungen des 19. und 20. Jahrhunderts sein.

Da die mittelalterliche Romanik teilweise sparsam mit Verzierungen gewesen war, war Neuromanik gerade auch in der Spätphase des Historismus beliebt.

Ausstattung

Auch im Altarbau spricht man von Neuromanik. Da in der Romanik jedoch keine Altaraufbauten verwendet wurden, sind „neuromanische“ Hochaltäre oft im Grunde neugotische Altäre, die anstelle von Spitzbögen Rundbögen verwenden und auf Fialen verzichten. Das Fehlen historischer Vorbilder führte immerhin dazu, dass im historistischen Altarbau unter dem Etikett der „Neuromanik“ kreativ mit Formen und Aufbau umgegangen wurde und entsprechende Altäre oftmals spielerischer erscheinen als jene der Neugotik.

Bilder

Die Beispiele sind nach Entstehungszeiten geordnet, obwohl die Gestaltungen mindestens ebenso davon abhängen, welche Phase der mittelalterlichen Romanik zum Vorbild genommen wurde.

Außenansichten

Innenräume

Bedeutende Bauten im neuromanischen Stil

Deutschland

China

Dänemark

Frankreich

davon zur Bauzeit Deutsches Reich:

Großbritannien

Irland

Italien

Kroatien

Österreich

Polen

Rumänien

Schweiz

Südamerika

Ungarn

Vereinigte Staaten

Siehe auch

Literatur

  • Kathleen Curran: The Romanesque Revival: Religion, Politics, and Transnational Exchange. Pennsylvania State University Press, University Park 2003, ISBN 978-0-271-02215-4.
  • Heinrich Hübsch: In welchem Style sollen wir bauen? Müller, Karlsruhe 1828. (Nachdruck: Müller, Karlsruhe 1984, ISBN 3-7880-9695-0)
  • Albrecht Mann: Die Neuromanik. Eine rheinische Komponente im Historismus des 19. Jahrhunderts. Greven, Köln 1966.
  • Rudolf Wiegmann: Bemerkungen über die Schrift „In welchem Style sollen wir bauen?“ von Heinrich Hübsch. In: Kunstblatt. 10, 1829, S. 173–174, 177–179 und 181–183.
Commons: Neuromanik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Michael Schmidt: Reverentia und Magnificentia. Historizität in der Architektur Süddeutschlands, Österreichs und Böhmens vom 14. bis zum 17. Jahrhundert.Verlag Schnell + Steiner, 1999, ISBN 978-3-7954-1238-8
  2. https://www.patrimoine-religieux.fr/eglises_edifices/77-Seine-et-Marne/77290-Mery-sur-Marne/170038-EgliseSaint-Remi
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