Opus imperfectum in Matthaeum („Unvollständiges Werk über Matthäus“) ist ein lateinisch verfasster Kommentar zum Matthäusevangelium, der fälschlich Johannes Chrysostomos zugeschrieben wurde. Unvollständig ist er, weil es zwei größere Lücken gibt (zwischen Mt 8,14 und Mt 10,15 sowie zwischen Mt 14 und Mt 18). Auch bricht das Werk nach der Auslegung von Kapitel 25 ab, kommentiert also nicht die Passions- und Ostergeschichte.

Verfasser, Entstehungsort und -zeit

Pseudo-Chrysostomos, ein Kleriker, schrieb lateinisch und benutzte die Vulgata, beherrschte aber die griechische Sprache und verwendete griechische Lehnwörter. Der Abfassungsort wäre daher in einer Kontaktzone lateinisch- und griechischsprachiger Bevölkerung, möglicherweise auf dem Balkan, zu suchen (Dacia, Moesia, Illyricum). Er erwähnt in seinem Werk einen Kaiser Theodosius ohne weitere Definition, so dass er entweder vor der Regierungszeit Theodosius’ II. (408–450) oder während derselben schrieb, denn nach dem Ende seiner Regierungszeit hätte er näher bezeichnen müssen, welchen Theodosius er meinte.

Es werden drei Kandidaten für die Identität von Pseudo-Chrysostomos diskutiert:

Inhalt

Es ist für einen modernen Leser erstaunlich, dass das Opus imperfectum im Mittelalter dem orthodoxen Kirchenlehrer Chrysostomos zugeschrieben werden konnte, obwohl der Verfasser offensichtlich arianische Positionen vertritt. Möglich war das, weil arianische Anschauungen nicht den Kommentar als ganzen prägen, sondern einzelne Auslegungen, im Wesentlichen vier:

  • zu Mt 8,9 : Der Sohn ist geringer als der Vater.
  • zu Mt 20,8 : Wenn im Gleichnis der Vater der Hausherr ist und der Sohn der Hausverwalter, ist er geringer als der Vater.
  • zu Mt 20,23 : Der Sohn bezieht seine Autorität vom Vater.
  • zu Mt 23,32 : Der Glaube an drei wesensgleiche göttliche Personen ist Heidentum in christlichem Gewand.

Rezeption

Im Mittelalter stand das Opus imperfectum in hohem Ansehen; Thomas von Aquin äußerte, er hätte lieber eine vollständige Ausgabe dieses unvollständigen Kommentars, als Bürgermeister von Paris zu sein. Außer von Thomas von Aquin wurde das Buch auch von Abaelard und Bonaventura, der Devotio moderna, John Wycliff und Jan Hus rezipiert. Die Wirkungsgeschichte des Opus imperfectum brach mit dem Jahr 1530 ab, als Erasmus von Rotterdam nachwies, dass der Verfasser ein anonymer Arianer war. Bibelauslegungen durch einen antiken Ketzer waren in der Reformationszeit nicht zitierfähig.

Werkausgaben

  • Joop van Banning (Hrsg.): Opus imperfectum in Matthaeum. Praefatio (= Corpus Christianorum Series Latina. (CCSL) 87B). Brepols, Turnhout 1988.
  • Thomas C. Oden (Hrsg.): Incomplete Commentary on Matthew (Opus imperfectum). 2 Bände. Übersetzt von James A. Kellerman. InterVarsity Press, Downers Grove 2010.
  • Bernard de Montfaucon u. a (Hrsg.): Sancti patris nostri Joannis Chrysostomi, archiepiscopi constantinopolitani, opera omnia quae exstant, vel quae ejus nomine circumferuntur, Band 6, Neuausgabe, Paris und Leipzig 1836, S. 741–972 (Digitalisat)

Literatur

  • Joop van Banning, Franz Mali: Opus imperfectum in Matthaeum. In: Theologische Realenzyklopädie. Band 25. De Gruyter, Berlin/New York 1995, S. 304–307.
  • Franz Mali: Das „Opus imperfectum in Matthaeum“ und sein Verhältnis zu den Matthäuskommentaren von Origenes und Hieronymus (= Innsbrucker theologische Studien. Band 34). Tyrolia, Innsbruck 1991.

Einzelnachweise

  1. Thomas C. Oden: Incomplete Commentary on Matthew, Downers Grove 2010, S. xviii.
  2. Thomas C. Oden: Incomplete Commentary on Matthew, Downers Grove 2010, S. xix f.
  3. In der Montfaucon-Ausgabe (1836) S. 932.
  4. Thomas C. Oden: Incomplete Commentary on Matthew, Downers Grove 2010, S. xvii.
  5. Thomas C. Oden: Incomplete Commentary on Matthew, Downers Grove 2010, S. xxiv.
  6. Thomas C. Oden: Incomplete Commentary on Matthew, Downers Grove 2010, S. xxiii.
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