Der Salonwagen LI (heutige Nummer Aza 1-0085) ist ein ursprünglich für den Wiener Bankier und Philanthropen Nathaniel Freiherr von Rothschild gebauter Salonwagen, der später im Tschechoslowakischen Regierungszug lief. Die Innenausstattung des museal erhaltenen Fahrzeuges wurde von Otto Wagner entworfen.
Geschichte
Das Fahrzeug wurde 1902 bei der Nesselsdorfer Waggonfabrik in Mähren bestellt und am 6. Oktober 1903 ausgeliefert. Der Salonwagen wurde unter der Nummer LI in den Fuhrpark der (von der Familie Rothschild finanzierten) Südbahn-Gesellschaft eingereiht. Die für europäische Verhältnisse sehr ungewöhnliche Elfenbeinfarbene Lackierung und die dezente und zugleich luxuriöse Ausstattung – es war eine Sitzbadewanne und sogar eine eigene Küche vorhanden – fand auch Widerhall in der zeitgenössischen Presse.
Nathaniel Rothschild verstarb 1905 und der Waggon wurde Teil seines Nachlasses. Die Erben – seine drei Neffen Alfons Mayer, Louis Nathaniel und Eugéne von Rothschild – ließen wiederum einiges am Fahrzeug ändern, so dass der Salonwagen schließlich erst 1906, nach anderen Quellen auch erst im Jahre 1912 erneut übernommen wurde. Der Wagen wurde vor allem zu Fahrten nach Triest und an die französische Riviera genutzt. Bereits 1907 wurde er als Privatwagen bei den k.k. Staatsbahnen eingestellt und erhielt die Bezeichnung Salon 5, im neuen Nummernschema ab 1913 die Nummer Sa 505.
Nach dem Ersten Weltkrieg forderte die Tschechoslowakei das Fahrzeug für den Regierungszug an und erhielt es 1923 zugesprochen, dies ist insofern interessant, da es sich bei diesem Waggon ursprünglich um einen Privatwagen handelte. Der Wagen wurde dem Außenminister zugeteilt, zu dieser Zeit Edvard Beneš und in den Jahren 1923/24 und 1925–27 zweimal umgebaut.
Der Salonwagen blieb bis Ende der 1960er Jahre Teil des Regierungszuges und kam anschließend als Bauzugwagen zum Depot Praha-Střed. Rechtzeitig wurden Eisenbahnfreunde auf die historischen Bedeutung des Fahrzeuges aufmerksam, so dass es bereits kurz danach im Depot Praha-Libeň gesichert hinterstellt und 1982 dem Technischen Nationalmuseum übereignet wurde. Aktuell ist der Salonwagen im Depot Chomutov des NTM aufbewahrt und wartet auf eine Restaurierung. Die letzte fällige Revision datierte mit 23. Februar 2005.
Technik und Ausstattung
Technisch entspricht das Fahrzeug den damaligen Normalien der kkStB für vierachsige Schnellzugswagen, die Länge über Puffer beträgt 19.900 mm und der Drehzapfenabstand der beiden je 2.500 mm Achsstand messenden Drehgestelle 13.500 mm. Das Fahrgestell besteht aus Stahlprofilen, der mit Blech verkleidete Wagenkasten aus Holz. Den auf den Werksfotos am Langträger zu sehenden Anschriften nach war der Wagen zu Beginn sowohl mit einer Westinghouse-Druckluftbremse, PLM-Henry-Druckluftbremse, einer automatischen Umschalt-Vakuumbremse Bauart Hardy als auch mit einer Handbremse ausgestattet und konnte somit auf allen europäischen Bahnen verkehren. Ferner gab es bereits eine elektrische Beleuchtung nach System Dick und eine Leitung für die Dampfheizung des Zuges.
Außergewöhnlich am LI war seine von Otto Wagner ganz nach den Wünschen des als Exzentriker bekannten Rothschilds gestaltete, in hellen Farben und schlichten Formen gehaltene Inneneinrichtung. Zu dieser Zeit dominierten noch eher üppig-überladene historisierende Formen und dunkle Farben.
Es waren neben dem Salonabteil in der Wagenmitte auch eine an einem Wagenende situierte komplette (koschere) Küche vorhanden. Diese besaß eine Einrichtung aus Pitchpine- und Fichtenholz, Vorratsschränken und Anrichte sowie einen eigenen Kohlenherd. Das Abteil Nathaniel Rothschilds besaß ein Messing-Bettgestell und eine mittig im Abteil situierte, in den Boden eingelassene Sitzbadewanne sowie einen Waschtisch aus Marmor. Daneben war ein als Sessel getarntes WC platziert. Der zum Temperieren des Badewassers notwendige Badeofen war in der Küche aufgestellt. Des Weiteren waren Abteile für die Begleitung in der Art von zeitgenössischen Schlafwagenabteilen Erster Klasse mit mehreren Betten sowie eigenem WC und Waschgelegenheit vorhanden. Auch für die Dienerschaft und den Koch war ein Abteil vorgesehen. Auffallend war der teilweise Verzicht auf die damals üblichen Teppichböden, die Böden waren mit auf weicher Unterlage verlegtem Linoleum belegt. Die Wände waren auf Wunsch Rothschilds mit hellen Tapeten mit feinem Blumenmuster tapeziert, die Bezüge von Sitzen und Bänken waren hingegen in Blautönen und ebenfalls mit floralen Mustern gehalten. Holzleisten, Täfelungen, Türen und Fenster waren weiß lackiert oder in Mahagoni ausgeführt. Im Gegensatz zum damals üblichen Messing waren die Griffe und Armaturen in blankem Metall gehalten. Das Fahrzeug war ursprünglich außen Elfenbeinfarben lackiert und besaß rote Verzierungen und Anschriften, etwas zur damaligen Zeit außergewöhnliches.
Nach der Übernahme durch die Erben erfolgte neben einigen Umgestaltungen im Inneren (nun herrschten eher dunklere Farben und Holztöne vor) die Änderung der Außenlackierung auf eine dezentere (und wohl auch pflegeleichtere) blaue Farbgebung. Die äußeren Anschriften waren in deutscher und französischer Sprache. Die reichhaltige Ausstattung bedingte auch ein für damalige Zeit hohes Wagengewicht von 42,5 Tonnen.
Nach der Übernahme durch die Tschechoslowakei erfolgten zwei weitere Umbauten, die die Bettenzahl von sechs auf neun erhöhten. Auf einem Übersichtsplan aus dieser Zeit fehlt die Sitzbadewanne im Hauptabteil bereits, dafür erhielt dieses ein eigenes Bad mit WC und das Bett lag nun in Fahrtrichtung und war größer ausgeführt. Auch das kurze Laternendach über dem Salon und die Küche verschwanden im Zuge dieser Umbauten.
1947 zeigte sich die Raumaufteilung wie folgt: Links des mit einem Notbett versehenen Salonabteils befanden sich entlang des Seitengangs das große Hauptabteil sowie zwei ein Dienstabteile mit jeweils zwei Betten (inkl. Waschraum und WC). Rechts vom Salonbereich sind zwei Abteile mit jeweils einem Bett und einem Waschtisch sowie einer gemeinsamen Toilette dazwischen angeordnet. Der Waggon besaß zu dieser Zeit eine Radioanlage mit Antenne, ein Telefon und war mit einem Kabel zum Anschluss an eine elektrische Zugheizung ausgestattet. Über spätere Umbauten ist nichts bekannt.
Bilder
- Das Hauptabteil mit Sitzbadewanne im Ursprungszustand
- Küche mit Kohlenherd und Badeofen (links)
- Korridor (nach der Umgestaltung, ca. 1906)
- Das Hauptabteil nach der Umgestaltung (ca. 1906)
- Einstiegsplattform mit Schaffnerplatz und aufklappbarer Liege (nach der Umgestaltung, ca. 1906)
- Der Salon nach der Umgestaltung (ca. 1906)
Literatur
- Paul Dost: Wie der Kaiser reiste. Geschichte der Staatszüge und Salonwagen. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1998, ISBN 3-440-07571-0.
- Maximilian Rabl, Johann Stockklausner: Österreichische Personenwaggons. Entwicklung, Konstruktion und Betrieb seit 1832, 2. Auflage, Slezak-Verlag, Wien 2003, ISBN 3-85416-066-6.
Weblinks
Einzelnachweise
- 1 2 3 4 Rabl/Stockklausner: Österreichische Personenwaggons. S. 149.
- 1 2 3 Dost: Wie der Kaiser reiste. S. 278–280.
- 1 2 3 4 5 6 7 Vozy salonní a společenské. Abgerufen am 21. März 2023.
- 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Publikation des NTM Praha: https://www.ntm.cz/data/shop/i600/e5reburber.pdf
- ↑ Digitales Archiv des Landesarchivs in Opava. Abgerufen am 21. März 2023.