Sant’Eufemia, heute selten Santa Eufemia della Giudecca, ist eine der ältesten Kirchen Venedigs. Das Bauwerk, dessen heutige Erscheinung aus dem 18. Jahrhundert stammt, befindet sich auf der gleichnamigen Teilinsel der Giudecca und wird seit 2012 restauriert.

Geschichte

Folgt man der ‚Tradition‘, so wurde die Kirche im Jahr 856 unter dem Dogen Orso Particiaco durch die tribunizischen Familien der Iscoli oder Iesoli, der Selvi und Barbolani errichtet. Sie gehörten zu den ersten Bewohnern der seinerzeit angeblich noch „Spinalunga“, jedoch wohl eher „Spinale“, später Judeca oder Zueca, heute Giudecca genannten Insel, nachdem sie aus dem Exil zurückgerufen worden waren. Nach anderen Autoren wurde die Kirche von der Familie Dente erst 952 errichtet. Aus einer Inschrift in einer der Seitenwände geht hervor, dass sie 1371 geweiht wurde, und zwar am 3. September. Bei dieser Gelegenheit wurden der Gemeinde, folgt man dieser Überlieferung, von Seiten des (angeblichen) Patriarchen von Aquileia, Giovanni Conte, Reliquien der Heiligen Euphemia, Dorothea, Thekla und Erasma geschenkt.

Wegen einer gewissen Mina, die der Kirche ihr gesamtes Vermögen vermacht hatte, kam es 1437 vor der Quarantia criminal zu einem Prozess, da deren Eltern in Armut lebten. Die sterbende Frau hatte geglaubt, ihre beiden „nicht sichtbaren“ Söhne würden dereinst Papst und Kaiser werden. Andrea Davanzago, der Pfarrer von Sant’Eufemia, wurde dazu verurteilt, den Eltern das verbliebene Vermögen zu erstatten. Nach Errichtung des Patriarchats von Venedig und vor allem nach einigen Synodalbeschlüssen wurden 1461 bis 1462 die ältesten überlieferten Visitationen durchgeführt. Am 4. August 1461 fand eine solche Visitation durch den seit 1457 amtierenden Bischof von Chioggia, Nicolò dalle Croci, in Sant’Eufemia statt, deren Akten überliefert sind. Er stand spätestens 1460 zur Verfügung des Patriarchen, den er bei der Visitation vertrat. Die aufgeführten 27 Fragen bezogen sich auf die praktischen Kenntnisse der Gottesdienstordnung und die Organisation des Kapitels, die Sorge für die Seelen, die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Frage der Moral und des Geschlechtsverkehrs mit Frauen sowie des Konkubinats – dabei war auch Raum für Denunziationen vorgesehen –, nach Vorkommnissen von Blasphemie, der Residenzpflicht usw., aber auch des Zustands der Werkstätten, der Utensilien für den Gottesdienst sowie der Akzeptanz der Synodalbeschlüsse. Die Kirche war einer der großen Grundbesitzer auf der Giudecca.

Als die Nonnen von San Cosma e Damiano auf ihrem Grund eine neue, größere Kirche errichten wollten (südlich der Kirche), gelang dies erst nach Jahrzehnten, in denen das Kapitel von Sant’Eufemia den Verkauf der umfangreichen Grundstücke mitsamt den darauf befindlichen Häusern, in denen auch die Priester wohnten, ablehnte. Erst mit Hilfe des Senats gelang es, diesen Plan 1541 durchzusetzen. Nach Flaminio Corner bestand dieses Kapitel aus dem besagten Pfarrer, zwei Titularpriestern, einem Diakon und einem Subdiakon. Bereits 1481 hatte Papst Sixtus IV. der Äbtissin Marina Celsi des Benediktinerklosters Sant’Eufemia di Mazzorbo den Umzug der Nonnen auf die Giudecca gestattet.

Mit der Auflösung der Gemeinde durch Napoleon im Jahr 1810 – noch 1808 vermerkt Giovanni Battista Albrizzi, dass die Eufemiakirche die Gemeindekirche der gesamten Giudecca sei, dass auf der Inselkette jedoch weitere acht Kirchen existiert hätten – wurde sie Teil der größeren Gemeinde des Santissimo Redentore. Doch bereits 1822 wurde die Gemeinde wiederhergestellt. Die Enciclopedia ecclesiastica von 1862 gibt im 7. Band an, die Gemeinde habe 2847 Mitglieder gehabt. Dem Bau der Stuckymühle fiel 1884 die benachbarte Biagio-Kirche zum Opfer, die dortigen Säulen im Atrium wurden nach Sant’Eufemia verbracht.

Fassade, Glockenturm

Die Nordseite der dreischiffigen Kirche, die auf den Canale della Giudecca blickt, sticht durch einen Portikus von Michele Sanmicheli mit dorischen Säulen hervor. Der Portikus wurde von der einstigen benachbarten Gemeindekirche Santi Biagio e Cataldo hierher versetzt. In einer darunter befindlichen Nische befindet sich eine Darstellung des Santo Vescovo in gotischem Stil, in einer Lünette eine Crocifissione e donatori aus dem 14. Jahrhundert in byzantinischem Stil.

Der Glockenturm stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist etwa 10 m hoch. Er wurde 1883 restauriert. Ein Gemälde von Canaletto zeigt einen deutlich höheren Turm mit einer spitzen Haube.

Innenausstattung

Das heutige dreischiffige Bauwerk hat die ursprüngliche Grundstruktur bewahrt, ebenso wie die tragenden Säulen und deren Kapitelle. Hingegen stammen die Stuckarbeiten an den Wänden des Hauptschiffes und unter der Decke aus dem 18. Jahrhundert, ebenso wie der Altaraufsatz Gesù fra i Dottori von Francesco Cappella und die Visitazione della Vergine von Giambattista Canal, ein Werk aus dem Jahr 1771. Eine dritte Pala, wie man hier Altaraufsätze nennt, die Nascità di Cristo e l’adorazione dei Magi (Geburt Christi und die Verehrung durch die drei hl. Könige oder Zauberer) von Jacopo Marieschi wurden aus der Kirche entfernt.

Die Decke, ebenfalls von Canal im Stil des Giambattista Tiepolo gehalten, erzählt Legenden aus dem Leben der hl. Eufemia, darunter ihre Taufe im linken Seitenschiff, dann Sant’Eufemia in gloria im Haupt- sowie eine Episode aus ihrem Leben im rechten Seitenschiff.

Die marmorne Skulpturengruppe La Vergine col Cristo sulle ginocchia (Die Jungfrau mit Christus auf den Knien) auf dem hintersten Altar des linken Seitenschiffes stammt von Gianmaria Morlaiter (1700–1781). Auf dem ersten Altar des rechten Seitenschiffes befindet sich das Triptychon San Rocco e l’angelo (der hl. Rochus und der Engel), darüber eine Lünette mit Vergine col Putto (Jungfrau mit Kind) von Bartolomeo Vivarini, das er 1480 schuf. Im Presbyterium befindet sich eine Abendmahlsszene, signiert von Alvise Benfatto Dal Friso aus der Schule des Paolo Veronese.

Literatur

  • Francesco Basaldella: Santa Eufemia. Chiesa delle sante Eufemia, Dorotea, Tecla ed Erasma, Venedig 2000.
  • Patrizia Vio: Nobili e popolani nella Giudecca dell’Età moderna : la parrocchia di Sant’Eufemia tra 16. e 17. secolo, unveröff. Laurea triennale, Padua 2011.
  • Johann Christoph Maier: Beschreibung von Venedig, Bd. 3, Christian Gottlieb Hertel, Frankfurt und Leipzig, 1791, S. 11 f. (Digitalisat)
Commons: Sant’Eufemia – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Nicht zu verwechseln mit dem um 900 gegründeten Kloster Sant’Eufemia auf Mazzorbo.
  2. Francesco Basaldella: Santa Eufemia. Chiesa delle sante Eufemia, Dorotea, Tecla ed Erasma, Venedig 2000, S. 97.
  3. Nach Lucio Zara: Da SPINALONGA alla ZUECA. Sulle origini di un’isola veneziana e del suo nome, wird Spinalunga oder Spina lunga erst von Chronisten des 15. und 16. Jahrhunderts aufgebracht (academia.edu).
  4. Flaminio Corner führt in seinen Notizie storiche delle Chiese e Monasteri di Venezia, e di Torcello tratte dalle chiese veneziane, e torcellane illustrate da Flaminio Corner senator veneziano, Giovanni Maufrè, Padua 1758, S. 437 beide Erklärungen auf, wobei er sie auf Francesco Sansovino zurückführt. Bei der Bezeichnung des Giacomo Conte als Patriarch von Aquileia habe er sich allerdings geirrt (Digitalisat).
  5. Traghetto di Sant’Eufemia sul Canale de la Giudecca, va a San Trovaso, Conoscere Venezia.
  6. Pascal Vuillemin: «Pro reformatione dicte ecclesie» : visites pastorales vénitiennes à la fin du Moyen Âge, in: Mélanges de l’école française de Rome 119 (2007) 221–251, hier: S. 229 und 234 (Digitalisat).
  7. Benjamin Paul: Nuns and Reform Art in Early Modern Venice. The Architecture of Santi Cosma e Damiano and its Decoration from Tintoretto to Tiepolo, Routledge, 2017.
  8. Flaminio Corner: Notizie storiche delle Chiese e Monasteri di Venezia, e di Torcello tratte dalle chiese veneziane, e torcellane illustrate da Flaminio Corner senator veneziano, Giovanni Maufrè, Padua 1758, S. 437.
  9. Marcello Brusegan: La grande guida dei monumenti di Venezia. storia, arte, segreti, leggende, curiosità, Newton & Compton, 2005, S. 340.
  10. Giovanni Battista Albrizzi: Forestiero illuminato intorno le cose piu’ rare e curiose antiche, e moderne della città di Venezia e dell’isole circonvicine. Con la descrizione delle Chiese Monisteri, Ospedali, Tesoro di s. Marco, Arsenale, Fabbriche pubbliche, Pitture celebri, Funzioni e Divertimenti e di quante v’è di più riguardevole, Teil 1, Giacomo Storti, Venedig 1806, S. 278 (Digitalisat).
  11. Pietro Pianton et al.: Enciclopedia ecclesiastica in cui trattasi della Sacra Scrittura, della dogmatica, morale, ascetismo, passioni, vizii, virtu’, diritto canonico, liturgia, riti, storia ecclesiastica, missioni, concilii, eresie, scismi, biografia e bibliografia ecclesiastiche, archeologia e geografia sacre. ecc. ecc., Bd. 7, Venedig 1862, S. 908 (Digitalisat).
  12. Jürgen Julier: Il Mulino Stucky a Venezia, Venedig 1978, S. 10 (online, PDF). Die Inschrift am neuen Standort lautet demnach (Anm. 14.): „ECCL. SS. BLASII ET CATALDI IN INS. ATRIVM / B. IVLIANAE A COLL. V. PRODIGIIS CLARVM / ADM. R. D. L. L. LIZZA AVSV / IOH. EQV. STUCKY AMPLISS. CIVIS LARGITIONE /A.MDCCCLXXXII / HVC TRANSLATVM / EIVSD. MVNIFICENTIA / ERECTVM ABSOLVTVM POSTERITATI SERVATVM / A. MCIM“.

Koordinaten: 45° 25′ 36,8″ N, 12° 19′ 25″ O

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