Schatten von gestern (engl. Originaltitel: Call for the Dead) ist die deutsche Übersetzung des 1961 erschienenen Debütromans von John le Carré. Hier wird George Smiley eingeführt, der spätere Meister-Spion aus le Carrés Karla-Trilogie. Die deutsche Übersetzung von Ortwin Much erschien 1963.

Die Anfänge George Smileys

In Schatten von gestern ist Smiley noch nicht der geniale Spion der anderen Romane, sondern ein rangniedriger Abwehr-Agent. Die Geschichte beginnt mit einem „Curriculum Vitae“, einem kurzen Lebenslauf von Smiley, aus dem wir erfahren, dass er „klein, dick, und von ruhiger Gemütsart“ ist, „eine Menge Geld für wirklich miserable Anzüge auszugeben“ scheint, "die auf seinem Gestell wie die Haut einer verschrumpelten Kröte wirkten." Er kann "weder Schule, Eltern, Regiment oder Beruf noch Reichtum oder Armut aufweisen;" seine Frau Lady Ann Sercomb hat ihn nach zwei Jahren wegen eines kubanischen Autorennfahrers verlassen.

Smiley pflegt eine Vorliebe für Deutschland und die „weniger bekannten deutschen Poeten“, vor allem des 17. Jahrhunderts, aber auch ältere deutsche Literatur wie die Werke von Grimmelshausen. Die zeitgenössischen deutschen Schriftsteller und Philosophen sind ihm ebenfalls vertraut. Er zitiert in Englisch zum Beispiel aus Schillers Gedichten. Deutsch ist seine zweite Muttersprache. Er hat seine Kindheit in Hamburg verbracht und kennt den Schwarzwald gut (aus Smiley’s People). Er besuchte eine bescheidene Mittelschule, ein bescheidenes College in Oxford und wurde „an einem wunderschönen Morgen des Monats Juli im Jahre 1928 von der Prüfungskommission des Komitees für Akademische Forschung in Übersee“ vernommen – um ihm einen Posten beim Geheimdienst anzubieten.

Zuerst arbeitet er zwei Jahre als englischer Lektor an einer kleinen deutschen Universität und hält dabei Ausschau nach potentiellen Agenten. „In dieser Rolle war Smiley der internationale gekaufte Söldner seines Berufes, unmoralisch und ohne anderes Motiv als das seines persönlichen Vorteils.“ Als die Nazis in Deutschland die Macht übernehmen, beginnt er, „die großmäulige hinterhältige Invasion des neuen Deutschland zu hassen, das Stampfen und Gebrüll,“ dann muss er die Bücherverbrennungen des Jahres 1937 mitansehen, „und zugleich mit dem Haß überwältigte ihn der Triumph, daß er seinen Gegner kannte.“

1939 kommt er nach Schweden, dann 1943 zurück nach England, wo er neue Leute schulen soll. Nach dem Ende des Krieges kommt die große Wende und eine schwierige Zeit. „Die NATO und alle verzweifelten Maßnahmen, die von den Amerikanern ins Auge gefaßt wurden, änderten gänzlich die Art von Smileys Dienst ... die amateurmäßige Inspiration einer Handvoll hochqualifizierter, schlecht bezahlter Männer war der betriebsamen Leistungsfähigkeit, dem Bürokratismus und den Intrigen einer großen Ministerialsektion gewichen... Das war alles für Smiley eine ganz neue Welt. Die taghell beleuchteten Korridore, die smarten jungen Männer. Er kam sich hausbacken und altmodisch vor.“ Nach wenigen Seiten reicht er bereits sein Gesuch um Entlassung ein. Am Ende des Romans wird er zwar rehabilitiert, lehnt aber einen ihm angebotenen neuen Posten im Bereich Satellitenspionage ab. Zwei Jahre später wird man ihn wieder aktivieren, denn die Geschichte nimmt in le Carrés drittem Roman Der Spion, der aus der Kälte kam eine Fortsetzung.

Inhalt: Der Fall Samuel Fennan

Smiley geht routinemäßig einem anonymen Hinweis nach, wonach Samuel Fennan, ein Beamter des Auswärtigen Amtes, der Kommunistischen Partei angehört haben soll. Nach einem Verhör versichert er Fennan, entlastet zu sein. Fennan bringt sich daraufhin jedoch um, und da Zweifel an diesem vorgeblichen Selbstmord bestehen, begibt sich Smiley an die Aufklärung. Nach einem Gespräch mit Fennans Frau Elsa weisen für Smiley einige Indizien auf Mord hin; er stellt zusammen mit dem Polizeibeamten Mendel Nachforschungen an, wird allerdings von seinem Vorgesetzten zurückgepfiffen. Als er nachhause zurückkehrt, bemerkt er, dass sich jemand in seiner Wohnung aufhält. Bei Recherchen nach den Haltern der Autos, die zu dem Zeitpunkt in seiner Straße geparkt sind, wird Smiley zusammengeschlagen und landet im Krankenhaus.

Mendel geht den Hinweisen auf Elsa Fennans Theaterbesuch am Abend des Selbstmordes ihres Mannes nach, stößt auf einen mysteriösen Fremden, mit dem sie sich dort regelmäßig zu treffen scheint, und für Smiley deutet alles langsam auf Spionageaktivitäten Fennans für den DDR-Geheimdienst hin, obwohl einige Fragen offenbleiben.

Bei weiteren Recherchen stößt Smiley auf einen alten Bekannten aus Deutschland, Dieter Frey, den er während der Nazizeit in Dresden als Spion angeworben hatte. Frey hatte sich damals als exzellenter Agent und Saboteur erwiesen, jetzt allerdings arbeitet er offensichtlich für den Geheimdienst der DDR. Frey „war noch immer der gleiche unwahrscheinliche Romantiker mit dem Zauber eines Scharlatans... unerbittlich am Ziel festhaltend, satanisch in den Mitteln, dunkel und schnell wie die Götter des Nordens ... Seine Schlauheit, seine Ideen, seine Stärke und seine Träume - alles war größer als das Leben selbst und nicht durch den mäßigen Einfluß der Erfahrung gemildert. Er war ein Mann, der nur in absoluten Begriffen dachte und handelte, ein Mann ohne Geduld oder Kompromiß.“

Smiley stellt Frey eine Falle im Theater, dieser fällt darauf herein, tötet dabei jedoch Elsa Fennan. Bei seiner Flucht fällt er in die Themse und ertrinkt. Wie sich schnell herausstellt, war nicht Samuel Fennan für die DDR tätig, sondern seine Frau Elsa. Der Roman endet mit einer Art Kurzzusammenfassung der ganzen Geschichte, den Smiley bei seinem Vorgesetzten einreicht. Smiley geht mit gebrochenen Fingern, rasenden Kopfschmerzen und einem quälenden Schuldgefühl wegen Dieter Freys Tod aus der Geschichte hervor, gönnt sich aber letztendlich eine Reise in der Schweiz.

Thema: Totalitarismus vs. Freiheit

Le Carré thematisiert in Schatten von gestern den zentralen politischen Gegensatz des 20. Jahrhunderts zwischen den totalitären Ideologien – Nationalsozialismus und Kommunismus – und den liberalen, demokratischen Gesellschaften des Westens. Smiley steht für die Idee der Freiheit und des Individualismus: Er „haßte diese Massenmedien, die ganzen rücksichtslosen Suggestionsmittel des zwanzigsten Jahrhunderts. Alles, was er liebte, war das Produkt eines ausgeprägten Individualismus. Deshalb haßte er jetzt Dieter und das, wofür er eintrat, stärker als jemals vorher. Es war die unerträgliche Anmaßung, die Masse vor das Individuum zu stellen. Wann hatten Massenphilosophien je Segen oder Erkenntnis gebracht?“

Frey ist ein geradezu prototypisches Opfer einer totalitären Ideologie, das vom Vorkämpfer zum Fanatiker wird. Smiley hat ihn noch als Kämpfer für die Freiheit gekannt, jetzt muss er mit ihm den Kampf der Gegensätze ausfechten. Frey und Smiley „waren aus verschiedenen Hemisphären der Nacht hereingekommen, aus verschiedenen Welten, in denen man verschieden dachte und handelte. Dieter, der schnell Urteilende, der Absolute, hatte gekämpft, um eine neue Welt zu bauen. Smiley, der gründlich Überlegende, der Bewahrer, hatte gekämpft, um ihn daran zu hindern.“ Und le Carré fügt mit dem Humor des Briten und der Ironie des Künstlers hinzu: „Welcher war nun der Gentleman?“

Verfilmung

Die Rolle des George Smiley musste für diesen Film in Charles Dobbs umbenannt werden, da die Paramount, die im Jahr zuvor Der Spion, der aus der Kälte kam produziert hatte, die Namensrechte hielt.

Der Film wurde 1968 für fünf British Film Academy Awards nominiert (Bester Schauspieler, beste ausländische Schauspielerin, beste Kamera, bestes Drehbuch und bester britischer Film).

Ausgaben

Die antiquierte deutsche Übersetzung aus dem Jahre 1963 weist einige Kuriositäten auf, so wird z. B. ein Puzzle noch mit "Zusammenlegspiel" übersetzt oder das typische Weihnachtsspiel des britischen Theaters, die „pantomime“, mit einer Pantomime verwechselt.

  • 1963 Deutsche Erstausgabe, gebunden, dt. von Ortwin Much, Wien/Hamburg : Zsolnay
  • 1965 Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, rororo 798, ISBN 3-499-10789-9
  • 1983 Taschenbuch, Bergisch Gladbach : Lübbe, Bastei-Lübbe 10332, ISBN 3-404-10332-7
  • 1989 kartoniert, München : Heyne, Heyne-Bücher 7921, ISBN 3-453-03630-1
  • 1995 Neuausgabe, gebunden, Wien/Hamburg : Zsolnay, ISBN 3-552-04710-7
  • 1996 Taschenbuch, München : Dt. Taschenbuch-Verlag, ISBN 3-423-12164-5
  • 2002 Taschenbuch, München : Ullstein-Taschenbuchverlag, List-Taschenbuch 60265, ISBN 3-548-60265-7
  • 2007 gebunden, Berlin : List-Verlag (im Rahmen der le Carré-Gesamtausgabe), ISBN 3-471-79569-3
  • 2019 Neuausgabe, Taschenbuch, Berlin, Ullstein Buchverlage, ISBN 978-3-548-06164-1

sowie Lizenzausgaben bei Bechtermünz-Verlag (2000) und Deutsche Buchgemeinschaft (1987)

Literatur

  • Helen S. Garson: Enter George Smiley: Le Carré's Call for the Dead. Harold Bloom (Hrsg.): John le Carré. Chelsea House, New York NY u. a. 1987, ISBN 0-87754-703-3, S. 73–80.
  • Jost Hindersmann: Der britische Spionageroman. Vom Imperialismus bis zum Ende des Kalten Krieges. Wissenschaftliche Buchgesellschaft WBG, Darmstadt 1995, ISBN 3-534-12763-3 (Zugleich: Universität Osnabrück, Dissertation 1994: Britischer Spionageroman und Zeitgeschichte.).
  • Rudi Kost: Über George Smiley. (Biographische Skizzen). Poller, Stuttgart 1985, ISBN 3-87959-227-6
  • Ruth von Ledebur: Lockvögel, Luder und Ladies: Frauen im englischen Spionageroman. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht. 19, 1980 ISSN 0024-4643 S. 284–300

Verweise

  1. alle Zitate aus: Schatten von gestern, dt. von Ortwin Much, Wien/Hamburg : Zsolnay, 1963, S. 9ff.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.