Die Schleswig-Tegelnoor-Wracks sind Reste einer kleinen Bootsflotille des 17. Jahrhunderts, die in den Sedimenten des ehemaligen Tegelnoores bei Schleswig erhalten geblieben sind. Das Tegelnoor, eine kleine Bucht der Ostseeförde Schlei, ist seit 1969 vom größeren Gewässer abgeschnitten und verlandet. Die Wracks wurden erstmals 1822 beschrieben, 1859 untersucht und kartiert und schließlich 1996 wiederentdeckt und datiert. Die Fundstelle liegt bei 54° 30′ 20,2″ N,  32′ 46,8″ O.

Die erste Beschreibung 1822

Bereits in den Jahren 1818 und 1822 waren diese Schiffswracks bei extremen Wetterlagen sichtbar geworden. Im Jahr 1818 hatte man vier Schiffe gesehen und von einem von ihnen eine eiserne Schiffskanone abgeborgen. Der Schleswiger Chronist und Instrumentenbauer Johann Christian Jürgensen (1744–1823) hatte die Funde im Jahre 1822 beschrieben.

Untersuchung und Kartierung 1859

„Der ungewöhnlich starke Südweststurm, der hier (in Schleswig) am 11. Januar (1859) raste, trieb das Wasser so stark aus der Schlei, daß die in Jürgensens Beschreibung von Schleswig erwähnten Schiffe, die beim sogenannten Öhr versenkt sind, zum Teil zum Vorschein kamen“. So beginnt der in dänischer Sprache verfasste Bericht des Landvermessers und Rittmeisters Wilhelm von Sommer, der in Diensten der königlich dänischen Armee stand. Von Sommer legte an jenem Tag eines der Schiffe frei und dokumentierte in der Art seiner Zeit den Befund. Es war die erste schiffsarchäologische Untersuchung in Nordeuropa.

Die Berichte von 1822 und 1859 überlieferten eine Fülle von Details. Es waren zunächst vier Schiffe gesichtet worden. Der Büchsenschmied Gätke hatte im Jahre 1818 von dem „zunächst am Lande liegenden Schiff“ ein erhaltenes Deck aufgebrochen, eine kleine Bootskanone gefunden und geborgen. Soweit Gätke den Laderaum freilegen konnte, habe man allein Ziegelsteine als Ladung angetroffen, und man vermutete deshalb, das Schiff sei „mit Fleiß damit versenket worden“. Vier Jahre später untersuchten Holmer Fischer die vier Wracks und fanden wiederum Ziegelsteine, dazu auch einige Fliesen. Nach den Angaben der Beteiligten handelte es sich um Fahrzeuge von etwa 15 Metern Länge und vier Metern Breite.

Von Sommer beschrieb im Jahre 1859 die Bauweise des dem Lande nächsten Schiffes „a“ und stellte eine maßstabsgenaue Zeichnung des 11 Meter langen und knapp 4 Meter breiten Schiffswracks her. Er gab auch eine Angabe der Fundtiefe: Das Wasser war „fünf Fuß“ also rund 1,5 Meter gefallen, und die Spantenköpfe ragten aus dem Weichsediment heraus. Das Wrack soll vierzig Jahre zuvor noch „nach Aussagen alter Leute“ die mit „Kopf und Schwanz einer Schlange“ verzierten Steven gehabt haben. Der Landvermesser zeichnete aber schließlich noch eine Karte des Fundortes, in die er die Position und Anordnung der Schiffe eintrug. Man erkennt auf dieser Karte zwei Reihen von in Kiellinie liegenden Schiffen, die sich quer über den Noorzugang erstrecken. Die obere, nördliche Reihe besteht aus vier, die südliche aus drei Schiffen. Von Sommer hatte also drei weitere Schiffe erkannt. Vermutlich war der Wasserstand in der Schlei tiefer gefallen als 1818/1822, sodass zum Westufer hin weitere Wracks sichtbar werden konnten. Dort seien die Wracks auch tiefer gelegen und nur knapp erkennbar gewesen. Es ist somit gut möglich, dass am westlichen Ufer des Noores noch weitere Wracks gelegen haben oder noch liegen.

Die Wiederentdeckung im Jahre 1996

Im Januar 1996 unternahm der Schleswiger Archäologe Willi Kramer bei starkem Frost eine Suche nach den 140 Jahre zuvor zuletzt gesehenen Wracks. Hierfür wurde mit einem Pürckhauer-Bohrstock ein enges Netz von Bohreinschlägen angelegt. Die Vermessungsskizze des Landvermessers von Sommer erwies sich als erstaunlich genau: Bereits nach wenigen Stunden Suche auf der Ostseite des ehemaligen Noores stieß man in 1,90 Meter Tiefe auf einen festen Widerstand. In der Folge gelang es dann, die Umrisse eines Schiffes (Schleswig-Tegelnoor-Wrack 1) von mindestens neun Metern Länge und etwas über drei Metern Breite zu ertasten. Die Kontaktstellen wurden durch Holzpflöcke markiert und auf die Landeskoordinaten eingemessen; auch die Auftrefftiefen wurden berücksichtigt. Am darauffolgenden Tag wurde das Wrack eines zweiten Schiffes entdeckt, das mit gleicher Ausrichtung nur drei Meter neben dem ersten Bootsfund liegt (Schleswig-Tegelnoor-Wrack 2). Das Schiff war ursprünglich mindestens 15 Meter lang und um vier Meter breit. Dieses Wrack ist allerdings nur über eine Länge von acht Metern erhalten.

Archäologische Untersuchung und Datierung

An einer stevennahen Stelle von Schleswig-Tegelnoor-Wrack 1 wurde eine kleine, 1,20 × 1,50 Meter große Ausgrabungsfläche angelegt. Bei strengem Forst, der die Grubenseiten gefrieren ließ, gelang es, 1,40 Meter unter der Oberfläche (= 1,20 Meter unter Normalnull) Teile eines aus Eiche gebauten Schiffes zu erreichen.

Der Bodenaufbau an der Fundstelle zeigte, dass die beiden Schiffe an einem alten Ufer versenkt worden sind. Sie liegen in der Längsachse leicht geneigt. In der Querachse dürften sie mehr oder weniger auf ebenem Kiel stehen. Die erfassten Schiffsteile liegen zwischen 2,25 und 1,20 Meter unter NN, was mit von Sommers Angaben („Wasser war um fünf Fuss unter den normalen Stand gesunken“) übereinstimmt. Der Bodenaufbau ließ überdies erkennen, dass diese beiden Schiffe 1859 nicht entdeckt worden waren; die Bodenschichten waren nämlich ungestört. Von Sommers Bericht bestätigt dies auch: Zum einen hat er seine Wracks „a“ und „b“ über die gesamte Länge intakt angetroffen, was für Schleswig-Tegelnoor-Wrack 2 nicht zutrifft. Zum anderen war Wrack „a“ aus Kiefernplanken gebaut, und nur die Spanten und das durchgehende Kielschwein bestanden aus Eiche. Schleswig-Tegelnoor-Wrack 1 und 2 sind dagegen, so zeigen es jedenfalls die Bohrungen, voll aus Eiche gebaut. Die Anzahl der versenkten Schiffe erhöht sich damit von sieben auf neun Schiffe, wobei auf der Westseite des Noores durchaus noch ebenfalls unter alter Ufermudde verborgene Wracks liegen können.

Es konnten insgesamt vier Holzproben entnommen werden, die nach Untersuchungen des Dendrochronologischen Labors Göttingen – DELAG (Dr. Leuschner) alle vom selben Baum stammen: Die für dendrochronologische Arbeiten sehr ungünstig tangential zugesägten Planken ergaben Wachstumszeiten von 1506 bis 1608; es fehlten allerdings Splint oder Waldkante, sodass eine Datierung nur mit der Aussage „nach 1608“ angegeben werden kann. Dies ist eine ziemlich vage Angabe. Es können weitere Wachstumsjahren vergangen sein, bis das beprobte Bauholz geschlagen und verarbeitet worden ist. Mit einer Holzdatierung erhält man ohnehin nur eine Bauzeit des Schiffes, nicht aber die Zeit, in der das Schiff zum Wrack wurde. Das Ereignis von Versenkung oder Untergang kann in diesem Fall also nur in einem größeren Zeitrahmen gesucht und vermutet werden. Dieser Zeitrahmen dürfte mit der Angabe „erste Hälfte des 17. Jahrhunderts“ vorsichtig genug beschrieben sein.

Zuordnung der versenkten Boostflotille

Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges war es 1627 und 1629 zu einer Besetzung der Herzogtümer Schleswig und Holstein durch kaiserliche Truppen gekommen. Der Liga-General Wallenstein hatte 1627 Jütland innerhalb von sechs Wochen erobert. Der dänische König Christian IV. musste auf die Insel Seeland flüchten. Versenkung und Verlust der Bootsflottille kann in diesem Rahmen geschehen sein. Das Ereignis kann aber auch mit der Belagerung von Schloss Gottorf im Jahre 1629 in Zusammenhang stehen. Die Belagerung war Höhepunkt eines Zangenangriffs dänischer Truppen. Dieser Angriff war von der Westküste und von der Schleimündung her ausgegangen. Er richtete sich gegen den Gottorfer Herzog Friedrich III., der mit Wallenstein ein Zweckbündnis eingegangen war, um die Besatzungslasten für sein Land zu mildern.

Einzelnachweise

  1. Willi Kramer: Eine Bootsflottille der Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Schleswiger Tegelnoor. In: Führer zu Archäologischen Denkmalen der Schleiregion 49, 2007,124-127; ders.: Bericht über die Auffindung von Schiffswracks im Tegelnoor bei Schleswig. In: Nachrichtenblatt Arbeitskreis Unterwasserarchäologie 3, 1996/97, 8 – 9; ders.: Eine Bootsflotille der Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Tegelnoor. In: Beiträge Schleswiger Stadtgeschichte 44, 1997, 36–41.
  2. Johann Christian Jürgensen: Nicolaus Helduaders Chronik der Stadt Schleswig von 1603 bis 1822 fortgeführt und mit Anmerkungen und Ergänzungen begleitet. Schleswig 1822, 13: „Dies kleine Noor erregte Ao. 1818, den 15ten Januar, die allgemeine Aufmerksamkeit. Durch einen starken Westwind, der sich am Ende in einen Sturm verwandelte, ward das Wasser aus der Schley so stark heraugetrieben, daß tief auf dem Grunde liegende Sachen sichtbar wurden. Hier entdeckte nun der Büchsenschmidt Gaetke, der nicht weit davon wohnet und sehen wollte, wie weit das Ufer entblösset worden, 4 im Morast liegende Schiffe, die ihre Masten und theils den Bord verloren, aber noch die Decken behalten hatten. Er eilte nach Hause, holte seine Leute, die mit Eisenstangen, Brechwerkzeugen und Schaufeln kamen, entblößete das zunächst am Lande liegende Schiff vom Fuß hoch darauf liegendem Schlick, brach einen Theil der Decke ab, um auch das Inwendige zu sehen, und fand neben dem Mast ein von Eisen gegossenes Geschütz in Form eines Mörsers zum Kugel- oder Steine-Werfen. Da ihn dieses ganz besonders interessierte, brachte er in größter Eile mehrere Hülfe zusammen, erhielt auch von dem Herrn Kammerherrn von Hedemann die nöthigen Pferde, um das Geschütz an Land zu bringen und die Ladung des Schiffs noch vor der Wiederkehr des Wassers etwas untersuchen zu können. Man fand, daß der ganze Raum, soweit man nachsuchen konnte, dicht mit Ziegelsteinen so beladen war, als wenn das Schiff mit Fleiß damit versenket worden. Die anderen 3 Schiffe konnten nicht untersuchet werden, weil der Sturm nachließ und alles bald wieder unter Wasser lag. Ao. 1822 den 3ten Febr. war wieder ein starker Südwestwind, der die Schiffe abermals etwas entblößte. Der Herr Polizeimeister ließ damals einige Fischer vom Holm kommen mit Kähnen und allerley Geräth. Diese untersuchten und fanden die Schiffe fast von einerley Größe und Bau, brachen etwas Holz davon los und fanden auch nur Ziegelsteine von der größten Art, so wie sie zur Mauer der Domkirche gebraucht sind, und einige Fliesen darin. Das Wasser kam aber bald wieder zurück. Die Schiffe waren ungefähr 50 Fuß lang, 12 Fuß breit und wie die itzigen Schiffe von solchen Dimensionen proportioniert. Es sollen am Mevenberg auch 2 solche Schiffe gesehen worden sein.“
  3. Bericht Wilhelm von Sommer. Kopie im KM (Archäologisches Landesmuseum Schleswig-Holstein)-Archiv.
  4. „Als ich dies erfuhr, begab ich mich mit den nötigen Arbeitern dorthin. Als das Wasser um 11 Uhr um fünf Fuß unter den normalen Stand gesunken war, war es uns möglich, mit Hilfe von auf den Schlamm gelegten Planken zu dem dem Land am nächsten gelegenen Schiff hinauszukommen. Das ich reinigen ließ, teils um genaue Kenntnis über seine Bauweise zu erhalten, und um es eventuell flott und an Land zu bekommen. Ich meinte nämlich, daß sachkundige Männer mit Hilfe der Bauweise zu einem Resultat hinsichtlich der Zeit kommen könnten, zu der diese Schiffe versenkt wurden, worüber man meines Wissens noch im Ungewissen ist. Sofern meine Untersuchungen richtig sind, liegen hier sieben Schiffe, von denen insgesamt nur vier vollständig sichtbar sind (der beiliegende Plan zeigt ihre Lage). Das mit a bezeichnete Wrack, das eingebohrt im Schlamm saß, nur mit den Enden der Spanten oberhalb desselben, konnte ich vollkommen reinigen, vermessen und zeichnen, und ich gestatte mir zugleich mit dem beigelegten Riß eine Beschreibung desselben zu geben. Das Wrack ist noch fast ganz, mit Ausnahme einzelner Löcher in der Außenwand sowie der Enden des Vorder- und des Achterstevens, die nach Aussagen alter Leute noch 1818 mit Kopf und Schwanz einer Schlange verziert gewesen sein sollen. Das Wrack hat eine Länge von 36 Fuß bei 12 Fuß Breite in der Mitte. Die Spanten haben voneinander einen Abstand von 11 Zoll, aber die mittelsten waren aus mehreren Stücken zusammengesetzt. Vom Vorder- bis zum Achtersteven lag oben auf den Spanten eine Eichenplanke, 12 Zoll breit und 3 Zoll dick. Das ganze Skelett war von Eiche, wogegen die Außenwand, die zu einem Teil durchgedrückt und von den Spanten gelöst ist, aus Kiefernholz besteht. Die Außenwand war an den Spanten mit Holzpflöcken befestigt, und das einzige Eisen, das ich gefunden habe, war ein Bolzen im Achtersteven. Mittschiffs standen die Planken hochkant, und zwischen ihnen waren Ziegelsteine zusammengemauert. Diese Steine waren von den feineren roten Kirchensteinen, aber der Kalk war sehr lose. Das hier beschriebene Wrack ist nun völlig gereinigt, und ich halte es für möglich, daß man es, falls gewünscht, bei eintretendem Hochwasser heben und an Land bekommen kann. Der erwähnte Eisenbolzen sowie zwei Spanten des mit b bezeichneten Wracks sind in meinem Gewahrsam und stehen der zuständigen Behörde zur Verfügung. Schleswig im Januar 1859, Wlh. v. Sommer, Rittmeister, Königlicher Landvermesser“
  5. Johann Christian Jürgensen: Nicolaus Helduaders Chronik der Stadt Schleswig von 1603 bis 1822 fortgeführt und mit Anmerkungen und Ergänzungen begleitet. Schleswig 1822, S. 13.
  6. Hamburger Abendblatt vom 17. Juli 1998: „Einzigartiger Fund: Kanonenboote aus 30jährigem Krieg“. Abgerufen am 3. November 2015.
  7. Hermann Kellenbenz: Schleswig in der Gottorfer Zeit 1544–1711.Schleswig 1985, 26 f.
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