Sephardim, deutsch Sepharden (hebräisch סְפָרַדִּים Sfaradim, spanisch sefardís), ist die Bezeichnung für Juden und ihre Nachfahren, die sich nach ihrer Vertreibung von der Iberischen Halbinsel (Spanien 1492 und Portugal ab 1496) zum größten Teil im Herrschaftsgebiet des Osmanischen Reiches und in Nordwestafrika (Maghreb) niederließen. Ein kleiner Teil siedelte sich auch in Nordeuropa an sowie in den Seehandelsstädten der Niederlande, in Norddeutschland und in England, aber auch in Frankreich und Italien, in Amerika, Indien und Afrika. Kultur und Sprache beruhen weiterhin auf ihrer iberischen Geschichte. Darin unterscheiden sich Sephardim von den mittel- und osteuropäisch geprägten Aschkenasim. 2019 wurde die Anzahl der Sephardim auf 3,5 Millionen Menschen geschätzt.

Namensherkunft und Schreibung

Der Name Sephardim leitet sich von der im biblischen Buch Obd 20  genannten Ort- oder Landschaft Sepharad oder Sefarad (ספרד) ab, wo zur Entstehungszeit des Buches Angehörige der Verlorenen Stämme des Nordreichs Israel gelebt haben sollen. Der Name wurde im Mittelalter auf die Iberische Halbinsel, das westliche Land im Mittelmeer (insbesondere Spanien), und die von dort stammenden Juden übertragen.

In der Neuen Rechtschreibung, die normalerweise – besonders bei griechischstämmigen Fremdwörtern – dem Ersetzen des Ph durch F gegenüber tolerant ist, wird „Sephardim“ geschrieben, da das „ph“ das hebräische „Pe“ wiedergibt, das nach Vokalen, außer im Falle der Gemination („pp“), regelmäßig wie „f“ ausgesprochen wird.

Geschichte

Die iberischen Juden im Mittelalter

Die als „Goldenes Zeitalter“ bezeichnete Epoche der bereits vor dem 1. Jahrhundert n. Chr. auf der Iberischen Halbinsel ansässigen jüdischen Bevölkerung beginnt mit der Wirkungszeit von Chasdai ibn Schaprut, einem jüdischen Diplomaten, der im 10. Jahrhundert im Dienst des in Córdoba residierenden umayyadischen Kalifen Abd ar-Rahman III. stand. Ihm folgten bedeutende jüdische Gelehrte und Künstler, wie Moses und Abraham ibn Esra oder Jehuda Halevi.

Im Verlauf der Reconquista, die zum territorialen und politischen Machtzuwachs christlicher Herrscher geführt hatte, verschlechterten sich im ausgehenden Spätmittelalter die Lebensbedingungen der iberischen Juden, deren Geschichte zuvor meist durch pragmatische Koexistenz bestimmt gewesen war. Ausgelöst von den antisemitischen Predigten des Ferrand Martinez, der als Erzdiakon von Sevilla bereits in den 1380er Jahren zur Zerstörung jüdischer Synagogen aufgerufen hatte, kam es am 6. Juni 1391 in Sevilla zu einem Massaker unter den Bewohnern des Jüdischen Viertels, dem weitere Pogrome in zahlreichen Städten des Königreichs Kastilien und der Krone von Aragonien folgten.

Vertreibung der Juden aus Spanien und Portugal

Nachdem die Reconquista durch die Eroberung Granadas, des letzten maurischen Herrschaftsgebiets auf der iberischen Halbinsel, zum Abschluss gekommen war, erließen Ferdinand II. und Isabella I. als Königspaar von Aragonien und Kastilien am 31. März 1492 das gegen die Juden gerichtete Decreto de la Alhambra. Diese Verfügung des unter dem 1496 verliehenen päpstlichen Ehrentitel „Katholische Könige“ in die abendländischen Geschichtsbücher eingegangenen Herrscherpaares war nicht ausschließlich religiös, sondern insbesondere seitens der Krone von Aragonien auch wirtschaftlich und moralisch motiviert. Das Edikt ließ den Juden Spaniens nur die Wahl zwischen der Konversion zum Christentum und dem Exil, anderenfalls drohten Todesstrafe und Beschlagnahmung aller Güter. Viele zogen den Gang ins Exil der Taufe vor, auch weil sich die Lebensbedingungen der iberischen Juden seit den Pogromen des Spätmittelalters kontinuierlich verschlechtert hatten. Ein Teil der Vertriebenen ließ sich in Nordafrika nieder, vor allem in den Städten Fès und Meknès in Marokko, aber auch in Algerien und Tunesien. Ein weiterer Teil folgte der Einladung ins Osmanische Reich, die auf einen persönlichen Erlass des Sultans zurückging. Sie ließen sich vor allem in Thrakien, Bosnien und Makedonien nieder, dessen Hauptstadt Thessaloniki noch in der Zwischenkriegszeit einen jüdischen Bevölkerungsanteil von etwa 20 Prozent aufwies. Als Zentren der sephardischen Diaspora galten neben Fès und Thessaloniki die Städte Istanbul, Jerusalem, Safed, Kairo, Ancona, Edirne und Venedig.

Nachdem Zehntausende spanischer Juden in Folge des Edikts von 1492 zunächst ins Königreich Portugal geflohen waren, kam es auch hier nach Intervention des spanischen Herrscherhauses im Jahre 1497 zum Verbot des jüdischen Glaubens. Nur wenigen gelang es, sich der von Manuel I. angeordneten und rigoros durchgesetzten Konversion durch Flucht zu entziehen. Nach der Einführung der Inquisition in Portugal im Jahr 1536 versuchten viele Konvertiten (Conversos) das Land zu verlassen, da sie in besonderem Maße unter der Kontrolle der neuen Institution standen und Verfolgungen befürchten mussten. Bevorzugte Ziele der Flüchtlinge waren vor allem Hafenstädte, da viele von ihnen bereits vorher im Großhandel tätig waren. Zu diesen Städten zählten Casablanca, Bayonne, Bordeaux, Livorno, später auch Fès, Hamburg, London und Amsterdam, wo am 2. August 1675 sogar eine Portugiesische Synagoge eingeweiht wurde. Im Gegensatz zur ersten Auswanderergeneration sprachen die Mitglieder dieser großstädtischen Gemeinden nicht mehr Judenspanisch (Sephardisch, Ladino), sondern neben der jeweiligen Landessprache meist Portugiesisch oder Spanisch, was sie zu wichtigen Vermittlern im Geschäftsverkehr zwischen den großen Handelsmächten der damaligen Zeit machte.

Die sephardische Diaspora im 20. Jahrhundert

Im griechischen Thessaloniki befand sich bis zu ihrer nahezu vollständigen Auslöschung während der Besetzung der als „Jerusalem des Balkans“ bezeichneten Stadt durch deutsche Truppen (1941 bis 1944) die wohl größte sephardische Gemeinde auf europäischem Boden. Die meisten thessalonikischen Juden wurden zwischen dem 14. März 1943 und dem 7. August 1943 in das KZ Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Die letzte große Einwanderungswelle erreichte Marokko während der Schoah im Zweiten Weltkrieg, oft als Zwischenstation ins überseeische Exil, zuweilen jedoch auch als ein Ziel der Emigration. Sultan Sidi Mohammed Ben Jussuf (König Mohammed V.) weigerte sich, die „Ausnahmegesetze“ des französischen Vichy-Regimes über die „Behandlung der Israeliten“ zu unterzeichnen. Die algerischen Juden hatten 1870 mit dem Décret Crémieux das französische Bürgerrecht erhalten und stellten einen bedeutenden Teil der europäisierten Bevölkerung, waren jedoch in den Jahren 1940 bis 1944 antisemitischer Verfolgung ausgesetzt.

Nach der Entkolonialisierung französischer Kolonien in Nordafrika ab 1960 begann, auch wegen der zunehmenden antisemitischen Haltung der muslimischen Bevölkerung, die Auswanderung: Viele sephardische Juden verließen die neuen Nationalstaaten in Richtung Israel oder Frankreich. So besitzt die jüdische Gemeinde von Paris (ca. 200.000 Mitglieder) heute zum größten Teil Wurzeln in Nordafrika.

Sephardisches Hebräisch

Die Hebraistik folgt in der Aussprache des masoretischen Textes hinsichtlich der Vokale der sephardischen Tradition. Die sephardische Aussprache zeichnet sich durch Realisierung des Qames als langes a aus, während man im Aschkenasischen ein kurzes o setzt.

Im gesprochenen Neuhebräisch (Ivrit) folgt die Aussprache der Vokale der sephardischen Tradition, während die Aussprache der Konsonanten stark europäisiert ist, das heißt unter anderem auf die emphatischen Laute verzichtet.

Sephardim in Israel

Die religiöse Schas-Partei in Israel versteht sich insbesondere auch als Wahrer der sephardischen Glaubensausprägung. Neben den Aschkenasim stellen die Sepharden in Israel einen eigenen Oberrabbiner.

Spanische und portugiesische Staatsangehörigkeit

Wie das Beispiel der Familie de Toledo, den Gründern der Genfer Pharmacie Principale zeigt, gab es schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wiedereinbürgerungen von Sephardim. 1924 trat unter der Diktatur von Miguel Primo de Rivera ein Gesetz in Kraft, das allen sephardischen Juden weltweit den Zugang zur spanischen Staatsbürgerschaft ermöglichte und das Vertreibungsedikt von 1492 offiziell aufhob.

Spanien und Portugal vergeben heute wieder die Staatsangehörigkeit an die Nachkommen der Sephardim. Im Februar 2014 legte die spanische Regierung einen Gesetzentwurf zur Wiedereinbürgerung von Nachfahren sephardischer Juden vor. Mehr als 130.000 sephardische Juden haben in den vier Jahren bis September 2019, dem Ablauf der festgelegten Frist, die spanische Staatsbürgerschaft beantragt. Spanien hatte den ausländischen Sephardim seit 2015 die Möglichkeit gegeben, die spanische Staatsbürgerschaft zu beantragen, ohne ihre aktuelle Staatsbürgerschaft aufgeben zu müssen. Die meisten Anträge kamen aus Lateinamerika, hauptsächlich Mexiko, Kolumbien und Venezuela. Aus Israel habe es etwa 3000 Anfragen gegeben. Neben dem Nachweis über den sephardischen Ursprung der Familie mussten die Anträge den Familiennamen, den Nachweis von Sprachkenntnissen und möglichst einen Stammbaum enthalten. Ein prominentes Beispiel ist der russisch-israelische Oligarch Roman Abramowitsch. Er erhielt 2021 aufgrund des betreffenden portugiesischen Gesetzes die Staatsbürgerschaft Portugals.

TV-Beiträge

Siehe auch

Literatur

  • Simon Dubnow: Die Zerstreuung der Sephardim und die Hegemonie der Aschkenasim (1498 - 1648), in: Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Band 6, Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit: Das 16. und die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts, Jüdischer Verlag, Berlin, 1927, Inhaltsverzeichnis in der Deutschen Nationalbibliothek
  • Sylvia Alphéus, Lothar Jegensdorf: Komm in den Myrtengarten! Lyrik der Sepharden aus al-Andalus. Jüchen 2023, ISBN 978-3-96229-470-0.
  • Amor Ayala, Stefanie von Schmädel: Identitätsdiskurse und Politisierung der Sepharden in Wien am Beispiel des Studentenvereins „Esperanza“ 1896–1924. In: Transversal. Schwerpunktheft Jüdischer Widerstand im NS. Centrum für Jüdische Studien der Karl-Franzens-Universität, 11. Jg., Heft 2. Studienverlag, Graz 2010, ISSN 1607-629X, S. 83–102.
  • Georg Bossong: Die Sepharden. Geschichte und Kultur der spanischen Juden. Beck’sche Reihe, 2438. C. H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56238-9.
  • Predrag Bukovec: Sephardische Juden in der Frühen Neuzeit. In: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2013, urn:nbn:de:0159-2013040312
  • Sabine Kruse, Bernt Engelmann (Hrsg.): Mein Vater war ein portugiesischer Jude … Die sefardische Einwanderung nach Norddeutschland um 1600 und ihre Auswirkungen auf unsere Kultur. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum in Rendsburg und im Burgkloster von Lübeck 1992/1993. Steidl, Göttingen 1992, ISBN 3-929076-11-X.
  • Michael Studemund-Halévy: Biographisches Lexikon der Hamburger Sefarden. Christians, Hamburg 2000, ISBN 3-7672-1293-5.
  • Michael Studemund-Halévy (Hrsg.): Die Sefarden in Hamburg. Zur Geschichte einer Minderheit. Die Grabinschriften des Portugiesenfriedhofs an der Königstraße in Hamburg. Buske, Hamburg.
    • Band 1. 1994, ISBN 3-87548-048-1.
    • Band 2. 1997, ISBN 3-87548-099-6.
  • Schlomo Svirsky, Devorah Bernstein, Karlheinz Schneider: Sefarden in Israel. Zur sozialen und politischen Situation der Jüdisch-Orientalischen Bevölkerung. Deutsch-Israelischer Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten, Hamburg 1999, ISBN 3-925031-02-2.
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Wiktionary: Sepharde – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Sephardi – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. 3.000 Israelis beantragen spanische Staatsbürgerschaft. In: Israelnetz.de. 2. Oktober 2019, abgerufen am 5. Oktober 2019.
  2. Maya Soifer Irish: Toward 1391: The anti-Jewish preaching of Ferrant Martinez in Seville. In: Johnathan Adams, Cordelia Hess (Hrsg.): The Medieval Roots of Antisemitism: Continuities and Discontinuities From the Middle Ages to the Present Day. Routledge, London 2018, ISBN 978-0-367-59304-9, S. 306–319.
  3. 1 2 Enrico Deaglio: La banalità del bene – Storia di Giorgio Perlasca (= Collana Universale Economica Feltrinelli. Nr. 8307). 6. Auflage. Giangiacomo Feltrinelli Editore, Milano 2018, ISBN 978-88-07-88307-1, S. 126.
  4. Hubert Kahl: Vertriebene Juden aus Spanien und Portugal: Ein Pass für die Nachfahren. Spiegel Online, 3. Februar 2015
  5. Michael Borgstede, Ute Müller: Gerechtigkeit für sephardische Juden. In: Welt. 11. Februar 2014, abgerufen am 5. August 2021.
  6. Redaktion: Zweiter Pass für Sephardim-Nachkommen: "Sie sind keine Herde mehr". In: Süddeutsche Zeitung. 8. März 2014, abgerufen am 1. Juni 2023.
  7. 3.000 Israelis beantragen spanische Staatsbürgerschaft. In: Israelnetz.de. 2. Oktober 2019, abgerufen am 5. Oktober 2019.
  8. Sabine Brandes: Weltraum, Medaillen, Helikopter. Kurzmeldungen aus Israel. In: Jüdische Allgemeine. 23. Dezember 2021, abgerufen am 26. Dezember 2021.
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