Unter dem Begriff Spektralsatz versteht man verschiedene miteinander verwandte mathematische Aussagen aus der Linearen Algebra und der Funktionalanalysis. Die einfachste Variante macht eine Aussage über die Diagonalisierbarkeit einer bestimmten Klasse von Matrizen. Die weiteren hier betrachteten Spektralsätze übertragen dieses Prinzip auf Operatoren zwischen unendlichdimensionalen Räumen. Der Name leitet sich vom „Spektrum“ der Eigenwerte her.
Spektralsatz für Endomorphismen endlichdimensionaler Vektorräume
Aussage
Für einen endlichdimensionalen unitären -Vektorraum (z. B. oder ) existiert genau dann eine Orthonormalbasis von Eigenvektoren eines Endomorphismus, wenn dieser normal ist und alle Eigenwerte zu gehören.
In Matrixsprechweise bedeutet dies, dass eine Matrix genau dann unitär diagonalisierbar ist, wenn sie normal ist und nur Eigenwerte aus hat. Eine weitere gebräuchliche Formulierung ist, dass eine Matrix genau dann normal ist, wenn sie unitär diagonalisierbar ist, also eine unitäre Matrix (gleicher Dimension) existiert, so dass
mit , eine Diagonalmatrix mit den Eigenwerten von auf der Hauptdiagonalen, ist.
Bemerkungen
- Für ist die Bedingung, dass alle Eigenwerte in liegen, stets erfüllt ( ist algebraisch abgeschlossen nach dem Fundamentalsatz der Algebra), also sind hier alle normalen Matrizen unitär diagonalisierbar. Für gilt dies nicht.
- Ein selbstadjungierter Endomorphismus bzw. eine hermitesche Matrix hat nur reelle Eigenwerte. Der Spektralsatz besagt also, dass alle hermiteschen Matrizen diagonalisierbar sind und ein Endomorphismus genau dann selbstadjungiert ist, wenn es eine Orthonormalbasis von Eigenvektoren gibt und alle Eigenwerte reell sind. Insbesondere sind reelle symmetrische Matrizen stets diagonalisierbar.
- Der Spektralsatz ist Grundlage für die Spektralzerlegung.
Spektralsatz für kompakte Operatoren
Aussage
Sei ein -Hilbertraum und ein linearer kompakter Operator, der im Fall normal beziehungsweise im Fall selbstadjungiert ist. Dann existiert ein (eventuell endliches) Orthonormalsystem sowie eine Nullfolge in , so dass
sowie
für alle gilt. Die sind für alle Eigenwerte von und ist ein Eigenvektor zu . Außerdem gilt , wobei die Operatornorm ist.
Projektionsversion des Spektralsatzes
Man kann den Spektralsatz für kompakte Operatoren mit Hilfe von Orthogonalprojektionen umformulieren. Sei wieder ein -Hilbertraum und ein linearer kompakter Operator, der im Fall normal beziehungsweise im Fall selbstadjungiert ist. Mit wird die Orthogonalprojektion auf den zu gehörenden Eigenraum bezeichnet. Der Operator hat also die Darstellung , wobei die Dimension des Eigenraums und eine Orthonormalbasis des Eigenraums ist. Dann kann der Spektralsatz umformuliert werden: Es existiert eine Nullfolge von Eigenwerten in , sodass
für alle gilt. Diese Reihe konvergiert nicht nur punktweise, sondern auch bezüglich der Operatornorm.
Spektralsatz für beschränkte Operatoren
Aussage
Sei ein Hilbertraum und ein selbstadjungierter stetiger linearer Operator. Dann existiert ein eindeutig bestimmtes Spektralmaß mit kompaktem Träger in mit
Dabei bezeichnet die borelsche σ-Algebra von , die Menge der beschränkten Operatoren auf und das Spektrum von .
Zusammenhang zu den vorigen Spektralsätzen
- Ist endlichdimensional, gilt also , so besitzt der selbstadjungierte Operator die paarweise verschiedenen Eigenwerte und es gilt wie im Artikel schon dargestellt
wobei die Orthogonalprojektion auf den Eigenraum von ist. Das Spektralmaß von ist dann für alle durch
gegeben. Daher reduziert sich der Spektralsatz für beschränkte Operatoren mit auf den Spektralsatz aus der linearen Algebra. - Sei ein linearer kompakter Operator, so wurde im Artikel ebenfalls dargestellt, dass für solche Operatoren ein Spektralsatz existiert. Sei die Folge der Eigenwerte von und wählt man wieder als Spektralmaß, wobei die Summe dann im Allgemeinen abzählbar viele Summanden hat und punktweise, aber nicht bezüglich der Operatornorm, konvergiert, dann vereinfacht sich der Spektralsatz für beschränkte Operatoren zu
Daher umfasst der Spektralsatz für beschränkte Operatoren auch den Spektralsatz für kompakte Operatoren.
Beispiel
Der Operator definiert durch ist selbstadjungiert mit und besitzt keine Eigenwerte. Das Spektralmaß mit ist ein Spektralmaß mit kompaktem Träger. Es stellt dar, denn es gilt
Messbarer Funktionalkalkül
Sei ein selbstadjungierter Operator. Der messbare Funktionalkalkül ist ein eindeutig bestimmter, stetiger, involutiver Algebrenhomomorphismus . Mit Hilfe der Spektralzerlegung erhält man eine einfache Darstellung dieser Abbildung. Es gilt nämlich
Spektralsatz für unbeschränkte Operatoren
Ist ein dicht definierter normaler Operator auf einem komplexen Hilbertraum , so existiert ein eindeutig bestimmtes Spektralmaß auf den Borel-Mengen von , so dass folgendes gilt ( sei das Spektrum von ):
- Für eine Menge mit gilt .
- Für eine offene Menge mit gilt .
Ein selbstadjungierter Operator ist normal mit reellem Spektrum; man kann das obige Integral also auf reelle Zahlen beschränken.
Der Definitionsbereich ist gegeben durch
und der quadratische Formenbereich durch
- .
Letzterer ist offensichtlich der maximale Definitionsbereich für die zugehörige quadratische Form , die in der Quantenmechanik besonders wichtig ist.
Eine äquivalente Formulierung des Spektralsatzes lautet, dass unitär äquivalent zu einem Multiplikationsoperator über einem Raum (für einen Maßraum ) mit einer komplexwertigen messbaren Funktion ist; ist selbstadjungiert, so ist reellwertig.
Ein normaler Operator im Komplexen kann in der Regel als Summe zweier mit der reellen bzw. der imaginären Einheit multiplizierter, miteinander vertauschbarer selbstadjungierter Operatoren geschrieben werden („Realteil“ + „Imaginärteil“), Ferner gilt – wegen der Vertauschbarkeit der –, dass der Operator und der Operator dieselben Eigenvektoren haben (trotz ggf. verschiedener Eigenwerte). So könnte eine Funktion des selbstadjungierten Operators sein, mit geeignetem . Dann käme es letztlich nur auf eine einzige (reelle!) Spektraldarstellung an, etwa die von , und es würde zum Beispiel gelten, dass
und ist.
Rolle in der Quantenmechanik
In der Quantenmechanik hat der Spektralsatz („Entwicklungssatz“) eine zentrale Bedeutung, da messbare physikalische Größen, sogenannte „Observablen“, durch selbstadjungierte Operatoren auf einem Hilbertraum dargestellt werden.
Die möglichen Messwerte einer Observablen entsprechen ihrem Spektrum, welches in Punktspektrum (oder „diskretes Spektrum“) und kontinuierliches Spektrum zerfällt. Die Elemente des Punktspektrums werden auch Eigenwerte genannt. Für eine diskrete Observable, d. h. eine Observable ohne kontinuierliches Spektrum, ist die Wahrscheinlichkeit, für einen gegebenen quantenmechanischen Zustand den Messwert zu erhalten, gegeben durch das Betragsquadrat des Skalarproduktes , wobei die Eigenfunktion zum Eigenwert ist.
Geschichte
Der Spektralsatz für kompakte selbstadjungierte Operatoren und der für beschränkte selbstadjungierte Operatoren gehen insbesondere auf Arbeiten von David Hilbert zurück. Er veröffentlichte 1906 in seiner 4. Mitteilung einen Beweis für diese Aussagen. Hilberts Darstellung der Sätze unterscheidet sich freilich stark von der heutigen Darstellung. Anstatt des Spektralmaßes verwendete er das Stieltjes-Integral, das Thomas Jean Stieltjes erst 1894 zur Untersuchung von Kettenbrüchen eingeführt hatte. Nach Hilbert wurden für den Spektralsatz für beschränkte und unbeschränkte Operatoren Beweise unter anderem von Riesz (1930–1932) und Lengyel und Stone (1936) und für den unbeschränkten Fall auch von Leinfelder (1979) gefunden.
Siehe auch
Literatur
- Gerd Fischer: Lineare Algebra, Vieweg-Verlag, ISBN 3-528-03217-0
- John B. Conway: A Course in Functional Analysis (Springer, 2. Aufl. 1990)
- Michael Reed, Barry Simon: Methods of Modern Mathematical Physics, 4 Bände, Academic Press 1978, 1980
- Dirk Werner: Funktionalanalysis, Springer-Verlag, Berlin, 2007, ISBN 978-3-540-72533-6
- Gerald Teschl: Mathematical Methods in Quantum Mechanics; With Applications to Schrödinger Operators, American Mathematical Society, 2009 (Freie Online-Version)
Einzelnachweise
- ↑ Dirk Werner: Funktionalanalysis, Springer-Verlag, Berlin, 2007, ISBN 978-3-540-72533-6, Kapitel VII.6