Die Systematik der Rabenvögel umfasst die Beziehungen der Familie der Rabenvögel (Corvidae) sowohl zu anderen Vogelgruppen als auch der Arten dieser Familie untereinander. Während Körperbau, Lautäußerung und Lebensweise der Rabenvögel als gut erforscht gelten, war ihre Systematik lange Zeit umstritten.

In der Frühphase der Taxonomie wurden von Carl von Linné alle bekannten Arten der Rabenvögel in die Gattung Corvus gestellt. Erst nach und nach setzten sich differenzialistischere Konzepte durch, die dazu führten, dass zunehmend mehr Gattungen aufgestellt und anerkannt wurden. Dean Amadon stellte 1944 eine umfassende Systematik der Rabenvögel auf, die viele Jahrzehnte lang einflussreich blieb, aber den tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnissen kaum entsprach.

Die Methodik zur Untersuchung der Verwandtschaftsverhältnisse beschränkte sich lange Zeit auf Gefiedermerkmale, die oberflächliche Körper- und Schnabelform sowie Lautäußerungen. Die Folge waren aus heutiger Sicht kaum zutreffende Systematiken, da diese Merkmale bei den Rabenvögeln meist Ergebnis konvergenter Evolution waren und andere Eigenschaften wie der Bau der Organe kaum Berücksichtigung fanden. Auch osteologische Vergleiche lieferten meist keine eindeutigen Ergebnisse, sondern stellten vielmehr die Ähnlichkeit aller Rabenvögel unter Beweis. Klarheit brachten erst in jüngerer Zeit molekularbiologische Studien, die die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Gattungen schlüssig darstellen konnten. Die Basis für die heutige Systematik der Rabenvögel bildet vor allem eine Untersuchung verschiedener DNA-Sequenzen durch Per Ericson, Anna-Lee Jansen, Ulf S. Johansson und Jan Ekman aus dem Jahr 2005, die die Ergebnisse früherer Studien kombinierte und ergänzte.

Für die äußere Systematik und die Beziehungen innerhalb der einzelnen Gattungen fehlen aber nach wie vor umfassende Untersuchungen: Weder für die Gattung der Raben und Krähen (Corvus) mit rund 50 Arten noch für die meisten kleineren Gattungen existieren Systematiken auf molekularbiologischer Basis. Lediglich die Neuwelthäher, insbesondere die Blauraben (Cyanocorax), sind relativ gut erforscht. Nächste Verwandte der Rabenvögel sind wahrscheinlich die Würger (Lanidae), die Schlammnestkrähen (Corcoracidae) und die Paradiesvögel (Paradisaeidae). Der Ursprung der Rabenvögel liegt sehr wahrscheinlich in Südostasien, wo die meisten Gattungen beheimatet sind.

Äußere Systematik

Die Rabenvögel sind eine eher ursprüngliche Familie der Singvögel. Charles Gald Sibley und Jon Edward Ahlquist wählten die Rabenvögel 1990 als Typus der Corvida, einer von zwei großen Entwicklungslinien in der nach ihnen benannten Sibley-Ahlquist-Taxonomie. Die Corvida standen in der Sibley-Ahlquist-Taxonomie den kleineren, sperlingsähnlichen Passerida gegenüber und umfassten vor allem große, kräftige Singvögel, die mehrheitlich in Südostasien und Australien verbreitet sind. Zwar blieben Korrekturen an der Sibley-Ahlquist-Taxonomie in der Folge nicht aus: Unter anderem stellte sich heraus, dass die Corvida paraphyletisch sind, also nicht alle Nachkommen eines gemeinsamen Vorfahren umfassen. Grundsätzlich wurde die Grundaussage von Sibleys und Ahlquists Studie aber insofern bestätigt, als dass die Rabenvögel und die nahe verwandten Familien die Schwestergruppe der kleinen Passerida bilden. Der Vorfahr dieser Gruppe war australischen Ursprungs und besiedelte Südostasien, nachdem der australische Kontinent sich vor 53 Millionen Jahren von der Antarktis gelöst hatte und nach Nordosten driftete.

Die heutige Verbreitung der Rabenvögel legt eine Entstehung der Familie im südostasiatischen Raum nahe: Außer den evolutionär sehr jungen Raben und Krähen (Corvus) kommen keine Rabenvögel östlich der Wallace-Linie vor, während die ursprünglichsten Gattungen der Familie alle südöstlich des Himalayas anzutreffen sind. Die nächsten Verwandten der Rabenvögel sind wahrscheinlich die Würger (Lanidae). Sie teilen einige Merkmale mit den Corvidae, etwa den sogenannten „Würgerzahn“, die hakenförmige Spitze des Oberschnabels, oder auch die Zusammensetzung der Proteine des Eiklars. Dies wird auch durch eine Revision der Sibley-Ahlquist-Taxonomie aus dem Jahr 2005 gestützt, die die Würger als Schwestergruppe der Rabenvögel ausweist. Die gemeinsamen nächsten Verwandten dieser beiden Familien sind die australischen Drosselhäher (Corcoracidae) und die Paradiesvögel (Paradisaeidae).

Innere Systematik

Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der rezenten Rabenvögel nach Ericson et al. 2005
  Rabenvögel (Corvidae) 


 Bergkrähen (Pyrrhocorax)


   

 Baumelstern (Dendrocitta)


   

 Rakettschwanzelstern (Crypsirina)


   

 Trauerelstern (Platysmurus)


   

 Leiterschwanzelstern (Temnurus)






   


 Grünelstern (Cissa)


   

 Kittas (Urocissa)



   


 Blauelstern (Cyanopica)


   

 Unglückshäher (Perisoreus)



  Neuwelthäher 

 Dohlenhäher (Cyanolyca)


   

 Blauraben (Cyanocorax)


   

 Nacktschnabelhäher (Gymnorhinus)


   

 Buschhäher (Aphelocoma)


   

 Schopfhäher (Cyanocitta)






   


 Echte Elstern (Pica)


   

 Akazienhäher (Zavattariornis)


   

 Piapias (Ptilostomus)


   

 Saxaulhäher (Podoces)





   

 Garrulus


   

 Nussknacker (Nucifraga)


   

 Raben und Krähen (Corvus)


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Erste fossile Formen der Rabenvögel tauchen erstmals im Miozän auf: Zunächst Miocorvus im mittleren Miozän Frankreichs, später dann Miopica (Ukraine) und Miocitta (USA) jeweils im oberen Miozän. Die große Formenvielfalt in Südostasien legt nahe, dass sich die Rabenvögel dort als erstes in verschiedene Formen aufspalteten: Von 25 Gattungen kommen sechs ausschließlich in Südostasien vor, fast alle Altweltgattungen sind darüber hinaus dort anzutreffen. DNA-Studien stützen diese Hypothese: Demnach stammen die ursprünglichsten Gattungen der Rabenvögel aus Indonesien und der Region südöstlich des Himalayas.

Die basalste Gruppe innerhalb der Rabenvögel besteht aus den vier in Südostasien endemischen Gattungen der Baumelstern (Dendrocitta), Rakettschwanzelstern (Crypsirina), Leiterschwanzelstern (Temnurus) und Trauerelstern (Platysmurus) sowie den Bergkrähen (Pyrrhocorax) mit paläarktischer Verbreitung. Während die ersten vier Gattungen alle Baum- und Waldbewohner sind, stellen die Bergkrähen eine erste Anpassung an offenes Gelände dar. Sie nisten in Felsen und kommen auch in Hochgebirgen oberhalb der Baumgrenze vor.

Einen weiteren Seitenzweig bilden die Kittas (Urocissa) zusammen mit den Grünelstern (Cissa). Auch sie sind auf Südostasien beschränkt und stehen einer großen Klade von Gattungen mit weltweiter Verbreitung als Schwestergruppe gegenüber.

Innerhalb dieser Gruppe existieren drei große Zweige: Der erste umfasst die Blauelstern (Cyanopica) in Südwesteuropa und Ostasien sowie die holarktischen Unglückshäher. Beide Gattungen sind an trockenenere Habitate als die ursprünglicheren Rabenvögel angepasst. Den zweiten Zweig stellen die Neuwelthäher dar. Ihr Vorfahr wanderte vor 8–10 Millionen Jahren im Miozän über eine damals bestehende, mit subtropischen Laubwäldern bedeckte Landbrücke nach Nordamerika ein. Im Pliozän vor 5,3–3,6 Millionen Jahren stießen sie anschließend über den entstehenden Isthmus von Panama nach Südamerika vor.

Der dritte Zweig spaltet sich in zwei große und relativ junge Gruppen auf: Eine kleinere besteht aus den Echten Elstern (Pica) einerseits und den Akazienhähern (Zavattariornis), den Piapias (Ptilostomus) und den Saxaulhähern (Podoces) andererseits. Die letzteren drei Gattungen sind an steppen- bis wüstenartige Habitate angepasst, während die Echten Elstern gemäßigte, halboffene Landschaften bevorzugen. Die Schwestergruppe dieser Gattungen besteht aus den in der Paläarktis entstandenen Gattungen der Nussknacker (Nucifraga) und Garrulus sowie den Raben und Krähen (Corvus). Nucifraga und Garrulus sind Waldbewohner und stark an Nadelbäume beziehungsweise Eichen als Nahrungsquellen angepasst. Die sehr jungen Raben und Krähen entwickelten sich hingegen wohl aus einem häherartigen Vorfahren, der offene und halboffene Landschaften zu besiedeln wusste. In der Folge differenzierten sich die Raben und Krähen sehr schnell aus und stießen in viele verschiedene Lebensräume wie Gebirge, Wüsten, Tropenwälder, Savannen und menschliche Siedlungen vor. Auf diese Weise besiedelten sie auch Ozeanien, Australien, Neuseeland und die Karibischen Inseln; allesamt Gebiete, die bis dahin nicht zum Verbreitungsgebiet der Rabenvögel gehört hatten.

Quellen

Literatur

  • Dean Amadon: The Genera of Corvidae and their Relationships. In: American Museum Novitates 1251, Januar 1944. S. 1–21.
  • Josep del Hoyo, Andrew Elliott, David Christie (Hrsg.): Handbook of the Birds of the World. Volume 14: Bush-shrikes to Old World Sparrows. Lynx Edicions, Barcelona 2009. ISBN 9788496553507.
  • Per G. P. Ericson, Anna-Lee Jansen, Ulf S. Johansson, Jan Ekman: Inter-generic Relationships of the Crows, Jays, Magpies and Allied Groups (Aves: Corvidae) Based on Nucleotide Sequence Data. In: Journal of Avian Biology 36, 2005. S. 222–234.
  • Urs N. Glutz von Blotzheim, K. M. Bauer: Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Band 13/III: Passeriformes. 4. Teil. AULA-Verlag, Wiesbaden 1993, ISBN 3-89104-460-7.
  • Derek Goodwin: Crows of the World. 2. Auflage. The British Museum (Natural History), London 1986, ISBN 0565009796.
  • Peter Jeffrey Higgins, John M. Peter & S. J. Cowling (Hrsg.): Handbook of Australian, New Zealand and Antarctic Birds. Volume 7: Boatbill to Starlings. Oxford University Press, Melbourne 2006. ISBN 978-0195539967.
  • Knud A. Jønsson, Jon Fjeldså: A Phylogenetic Supertree of Oscine Passerine Birds (Aves: Passeri). In: Zoologica Scripta 35, 2006. doi:10.1111/j.1463-6409.2006.00221.x, S. 149–186.
  • Steve Madge, Hilary Burn: Crows & Jays. Princeton University Press, Princeton 1994. ISBN 0-691-08883-7.
  • John M. Marzluff, Tony Angell: In the Company of Crows and Ravens. Yale University Press, New Haven und London 2005. ISBN 0-300-10076-0.
  • Richard Meinertzhagen: Introduction to a Review of the Genus Corvus. In: Novitates Zoologicae 33, 1926. S. 57–121. (Online)

Einzelnachweise

  1. Jønsson & Fjeldså 2006, S. 152.
  2. 1 2 del Hoyo et al. 2009, S. 494.
  3. Jønsson & Fjeldså 2006, S. 161.
  4. 1 2 3 4 Ericson et al. 2005, S. 232.
  5. Madge & Burn 1994, S. XVI.
  6. del Hoyo et al. 2009, S. 495.
  7. del Hoyo et al. 2009, S. 505.
  8. Glutz von Blotzheim & Bauer 1993, S. 1653–1654.
  9. del Hoyo et al. 2009, S. 515–516.
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