2009    2012 
Wahl des Bundespräsidenten
durch die 14. Bundesversammlung
(1244 Mitglieder – absolute Mehrheit: 623)
Berlin, 30. Juni 2010

Christian Wulff (CDU)
Erster Wahlgang 600  
Zweiter Wahlgang 615  
Dritter Wahlgang 625  
50,2 %
Joachim Gauck (parteilos)
Erster Wahlgang 499  
Zweiter Wahlgang 490  
Dritter Wahlgang 494  
39,7 %
Luc Jochimsen (Die Linke)
Erster Wahlgang 126  
Zweiter Wahlgang 123  
Dritter Wahlgang -  
0,0 %
Frank Rennicke (NPD)
Erster Wahlgang 3  
Zweiter Wahlgang 3  
Dritter Wahlgang -  
0,0 %

Bundespräsident
vor der Wahl
Jens Böhrnsen (geschäftsführend)
SPD
Sitzverteilung in der 14. Bundesversammlung
Insgesamt 1244 Sitze

Am 30. Juni 2010 wählte die 14. Bundesversammlung im Reichstagsgebäude in Berlin Christian Wulff (CDU) als zehnten Bundespräsidenten zum Nachfolger des zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler.

Hintergrund und Wahltermin

Am 31. Mai 2010 trat mit Horst Köhler zum ersten Mal ein deutscher Bundespräsident mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurück. Nach Art. 54 Abs. 4 Grundgesetz (GG) hatte die Bundesversammlung zur Neuwahl des Bundespräsidenten spätestens 30 Tage nach dem Rücktritt zusammenzutreten. Sie wurde demgemäß von dem dafür nach § 1 BPräsWahlG zuständigen Bundestagspräsidenten, Norbert Lammert, zum 30. Juni 2010 einberufen.

Kandidaten

Zum Bundespräsidenten wählbar ist nach Art. 54 Abs. 1 GG, wer als deutscher Staatsangehöriger das Wahlrecht zum Bundestag besitzt und mindestens 40 Jahre alt ist. Wahlvorschläge kann jedes Mitglied der Bundesversammlung einreichen; die schriftliche Zustimmungserklärung des Vorgeschlagenen ist beizufügen, § 9 Abs. 1 BPräsWahlG.

Im Vorfeld der Wahl wurden Meinungsumfragen in der Bevölkerung zu den Kandidaten durchgeführt, obwohl der Bundespräsident nicht in einer direkten Wahl durch das Volk gewählt wird. Diese Umfragen fanden eine große mediale Aufmerksamkeit. Bei einer Befragung von Infratest dimap am 14. und 15. Juni 2010 präferierten 43 Prozent der Befragten Joachim Gauck, 37 Prozent Christian Wulff und 2 Prozent Luc Jochimsen. Nach dem vierten Kandidaten, Frank Rennicke, wurde nicht gefragt.

Bundesversammlung

Die Bundesversammlung wurde gemäß § 8 BPräsWahlG von dem Präsidenten des Bundestages, Norbert Lammert, geleitet.

Nach Art. 54 Abs. 5 GG ist gewählt, wer im ersten oder zweiten Wahlgang „die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung erhält“. 2010 waren hierzu 623 Stimmen notwendig. In dem weiteren 3. Wahlgang ist der Kandidat mit den meisten Stimmen gewählt. Die die Bundesregierung tragenden Parteien CDU, CSU und FDP stellten 644 der 1244 Mitglieder der Bundesversammlung, die sich im Einzelnen wie folgt zusammensetzte:

ParteiMitglieder
gesamtBundLänder
CDU/CSU 496 239 257
SPD 333 146 187
FDP 148 93 55
Bündnis 90/Die Grünen 129 68 61
Die Linke 124 76 48
Freie Wähler 10 0 10
NPD 3 0 3
SSW 1 0 1
Summe 1244 622 622

Wahlergebnis

Im ersten und zweiten Wahlgang erzielte kein Kandidat die notwendige absolute Mehrheit. Danach kandidierten Luc Jochimsen und Frank Rennicke nicht mehr. Die Linke kündigte an, dass sich die Mehrheit ihrer Wahlleute im dritten Wahlgang enthalten werde. Die drei NPD-Wahlmänner kündigten an, nun für Gauck zu stimmen. Im dritten Wahlgang erreichte Christian Wulff mit 625 Stimmen die absolute Mehrheit (bei 494 Stimmen für Gauck und 121 Stimmenthaltungen). Mit Rücksicht auf Art. 55 Abs. 1 GG legte er daraufhin sein Amt als niedersächsischer Ministerpräsident nieder, bevor er die Annahme der Wahl erklärte. Seine Vereidigung als Bundespräsident erfolgte am 2. Juli 2010.

Kandidat 1. Wahlgang 2. Wahlgang 3. Wahlgang
Stimmen Anteil Stimmen Anteil Stimmen Anteil
Christian Wulff 600 48,2 % 615 49,4 % 625 50,2 %
Joachim Gauck 499 40,1 % 490 39,4 % 494 39,7 %
Luc Jochimsen 126 10,1 % 123 9,9 % Kandidaturen
zurückgezogen
Frank Rennicke 3 0,2 % 3 0,2 %
Enthaltungen 13 1,0 % 7 0,6 % 121 9,7 %
Mögliche Stimmen 1.244 100,0 % 1.244 100,0 % 1.244 100,0 %
  davon abgegebene Stimmen 1.242 99,8 % 1.239 99,6 % 1.242 99,8 %
  davon gültige Stimmen 1.241 99,8 % 1.238 99,5 % 1.240 99,7 %
  davon ungültige Stimmen 1 0,1 % 1 0,1 % 2 0,2 %
  nicht abgestimmt haben 2 0,2 % 5 0,4 % 2 0,2 %
Anmerkungen:
  1. 1 2 Bei der Berechnung der Stimmenanteile sind im ersten und im zweiten Wahlgang die Anzahl der Mitglieder der Bundesversammlung maßgeblich.
  2. Im dritten Wahlgang ist derjenige Kandidat gewählt, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt (Relative Mehrheit). Ungültige oder nicht abgegebene Stimmen bleiben genau wie Enthaltung dabei unberücksichtigt. Die Angabe der Stimmenanteile in Prozent wird zur besseren Vergleichbarkeit mit den Angaben für die beiden ersten Wahlgänge auf die Gesamtzahl der Mitglieder der Bundesversammlung (= 1244) bezogen.

Debatte zur Wahl

Mit Joachim Gauck wurde von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein Kandidat nominiert, der auch im Lager von CDU/CSU und FDP großes Ansehen genießt.

Holger Zastrow, Torsten Herbst und Tino Günther aus der sächsischen FDP-Landtagsfraktion sowie der Bremer FDP-Chef Oliver Möllenstädt kündigten offen an, in der Bundesversammlung für Joachim Gauck zu stimmen. Drei Abgeordnete der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag stimmten bei der Wahl der Vertreter in der Bundesversammlung für die Liste der Opposition, zwei blieben der Abstimmung fern und einer gab eine ungültige Stimme ab. Deshalb konnten SPD und B’90/Grüne jeweils einen Wahlmann mehr entsenden als prognostiziert.

Mehrere hohe CDU-Politiker bekundeten offen ihren Unmut darüber, dass die Regierungskoalition nicht selbst Joachim Gauck nominiert habe, kündigten aber an, dennoch für Wulff zu stimmen. Vor diesem Hintergrund wurde der Fortbestand der Regierungskoalition aus Union und FDP von Kommentatoren mehrfach von der Wahl Wulffs zum Bundespräsidenten abhängig gemacht. Dies führte zu Debatten über die Zulässigkeit einer Verknüpfung der Wahl mit Fragen der Parteipolitik und über die Gewissensfreiheit der Mitglieder der Bundesversammlung. Der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf forderte die Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Zeitungsbeitrag auf, den CDU-Mitgliedern freie Wahl zu lassen. Auch Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker forderte, bei der Wahl den Fraktionszwang aufzuheben. Alt-Präsident Roman Herzog äußerte im SWR, er verstehe Biedenkopfs Forderung nicht, weil die geheime Abstimmung und die Zusammensetzung der Bundesversammlung von vornherein sicherstelle, dass die Wahlentscheidung jedes einzelnen Mitglieds „völlig frei“ sei. Fraktionszwang sei in der Bundesversammlung nicht praktikabel.

Luc Jochimsen sprach in einem Interview im Hamburger Abendblatt vom 17. Juni 2010 davon, Gauck sei als Befürworter des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan und als jemand, der, im Umgang mit Bürgern der ehemaligen DDR nicht versöhnlich, die Linke für überflüssig halte, für diese ebenso wenig wählbar wie Wulff. „Das würde sich in einem dritten Wahlgang nicht plötzlich ändern.“

Commons: Bundespräsident (Deutschland) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Christian Wulff als Bundespräsident nominiert (Memento vom 9. September 2011 im Internet Archive) auf liberale.de
  2. Bundespräsidenten-Wahl: Gauck ist überparteilicher Kandidat (Memento vom 7. Juni 2010 im Internet Archive) auf spd.de
  3. Ein Präsident für alle (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im November 2018. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. auf gruene.de
  4. Bundesversammlung: Der SSW wählt Joachim Gauck. (Nicht mehr online verfügbar.) Südschleswigscher Wählerverband, archiviert vom Original am 12. November 2011; abgerufen am 28. Juni 2010.
  5. Mehrheit der Freien Wähler favorisiert Gauck. Welt.de, abgerufen am 28. Juni 2010.
  6. Sächsische FDP wird für Gauck stimmen. sächsische.de, 18. Juni 2010, abgerufen am 23. November 2018.
  7. Rechtsextreme Liedermacher und Balladensänger – Zum Beispiel Frank Rennicke auf der Internetseite des IDA-NRW
  8. Ein völkischer Bundespräsident? auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung
  9. Frage: „Wenn man den Bundespräsidenten direkt wählen könnte, für welchen der drei Kandidaten würden Sie sich entscheiden?“, 1000 telefonisch Befragte im Rahmen des ARD-Deutschlandtrends von Infratest dimap (Memento des Originals vom 22. Juli 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  10. Zusammensetzung der 14. Bundesversammlung 2010, wahlrecht.de
  11. Wulff nach Zitterpartie Bundespräsident (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im November 2018. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., heute.de, 30. Juni 2010.
  12. Das kleinere Übel: Gauck statt Türken-Wulff. In: NPD-Fraktion Sachsen. 30. Juni 2010, abgerufen am 3. Februar 2020 (deutsch).
  13. „Das Amt des Bundespräsidenten beginnt mit dem Ablauf der Amtszeit seines Vorgängers, jedoch nicht vor Eingang der Annahmeerklärung beim Präsidenten des Bundestages.“ § 10 BPräsWahlG. Da die Amtszeit des Vorgängers bereits beendet war, begann Wulffs Amtszeit sofort mit Annahme der Wahl.
  14. Protokolle sämtlicher Bundesversammlungen von 1949 bis 2010 (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive) (PDF; 5,3 MB)
  15. Bundespräsidentenwahl: Gauck freut sich über Stimmenzuwachs. focus.de, 17. Juni 2010, abgerufen am 27. Juni 2010.
  16. Gauck-Lager kann auf zwei unverhoffte Zusatzstimmen zählen. otz.de, 16. Juni 2010, abgerufen am 27. Juni 2010.
  17. Wahl des Bundespräsidenten: Gauck macht sogar die Sachsen zu Revoluzzern. ftd.de, 17. Juni 2010, archiviert vom Original am 18. Juni 2010; abgerufen am 27. Juni 2010.
  18. Wolfgang Böhmer nennt Joachim Gauck „honorig“. welt.de, 27. Juni 2010, abgerufen am 27. Juni 2010.
  19. Bundespräsidentenwahl: Gauck treibt Keil in die Koalition. ftd.de, 5. Juni 2010, archiviert vom Original am 7. Juni 2010; abgerufen am 27. Juni 2010.
  20. Seehofer knüpft Zukunft der Koalition an Wulff-Wahl. (Nicht mehr online verfügbar.) heute.de, 8. Juni 2010, ehemals im Original; abgerufen am 27. Juni 2010. (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  21. Kurt Biedenkopf zur Präsidentenwahl – Gebt die Wahl frei! faz.net, 17. Juni 2010, abgerufen am 4. März 2015.
  22. DIE ZEIT vom 27. Juni 2010
  23. Jochen Gaugele und Karsten Kammholz: Luc Jochimsen: Gauck ist nicht versöhnlich. 17. Juni 2010, abgerufen am 3. Februar 2020 (deutsch).
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