Eine Wertpapierleihe (bei Aktien auch Aktienleihe oder selten auch Aktiendarlehen) ist im Bankwesen ein Geschäft, bei dem der Verleiher einem Entleiher ein Wertpapier für eine begrenzte Zeit zur Nutzung überlässt, wofür er normalerweise eine Gebühr erhält.
Im weiteren Sinn fasst man unter den Begriff Wertpapierleihe (englisch Securities Lending) zusätzlich die verwandten Geschäftsarten Wertpapierpensionsgeschäft (englisch Repurchase Agreement, Repo) und Sell-Buy-Back.
Begriff
Bei einer Wertpapierleihe handelt es sich im juristischen Sinne entgegen dem Namen nicht um eine Leihe, sondern um ein Sachdarlehen in Wertpapieren. Im Gegensatz zu einem üblichen Leihgeschäft wird der Entleiher zum Eigentümer der Wertpapiere und muss nicht die ursprünglich entliehenen Papiere, sondern nur solche gleicher Art und Güte zurückgeben. Allerdings hat sich der Begriff Wertpapierleihe eingebürgert, und wirtschaftlich entsprechen die Geschäfte normalerweise Leihgeschäften.
Üblicherweise wird vereinbart, dass der Entleiher dem Verleiher entgangene Erträge (d. h. Erträge, die während des Leihgeschäftes anfallen und deshalb wegen des Eigentumsübergangs dem Entleiher zustehen, also Zinszahlungen, Dividenden) erstattet. Dies entspricht der Pflicht eines Entleihers im juristischen Sinne, bei Rückgabe das entliehene Gut „mit Früchten“ zurückzugeben. Die Tatsache, dass nicht dieselben Wertpapiere zurückgegeben werden, ist wirtschaftlich bedeutungslos, da Wertpapiere derselben Wertpapiergattung vertretbare Sachen sind. Eine Rückgabe derselben Papiere wäre oft auch sehr aufwendig oder gar unmöglich (beispielsweise bei girosammelverwahrten Papieren oder Wertrechten).
Markt für Leihegeschäfte
Verleiher sind im Regelfall große Wertpapier-Händler, Banken, Fonds und Großaktionäre. Üblicherweise verlangt der Verleiher eine Kreditsicherheit in Form von Geld oder anderen Wertpapieren (besicherte Leihe, englisch collateralised lending).
Man unterscheidet Principal- und Agent-Geschäfte. Beim Principal-Geschäft übernimmt ein Marktteilnehmer, wie eine große Depotbank, die Abwicklung des Leihegeschäftes und tritt dabei selbst als Kontraktpartner ein. Derselbe Marktteilnehmer kann aber auch nur als Agent fungieren; in diesem Fall ist er bloß Vermittler zwischen Verleiher und Entleiher und übernimmt die Abwicklung des Geschäftes.
Der Verleiher erwirtschaftet über die Leihegebühren zusätzliche Erträge. Der Entleiher kann die entliehenen Papiere für verschiedene Zwecke einsetzen.
Wertpapierleihe zur Optimierung der Rendite
Institutionelle Anleger und Investmentgesellschaften mit großen Portfolios können durch den Verleih ihrer Wertpapiere an Banken gegen Gebühr ihre Rendite verbessern und ihre Depotkosten senken.
Wertpapierleihe für Leerverkäufe und Lieferschwierigkeiten
Wertpapierleihen werden genutzt, den bei Leerverkäufen entstehenden Lieferverpflichtungen nachzukommen. Bei einem Weiterverkauf gerade erworbener Wertpapiere können Leihegeschäfte verwendet werden, um Unterschiede in der Valuta oder Lieferschwierigkeiten des ursprünglichen Verkäufers zu überbrücken.
Wertpapierleihe zur Refinanzierung
Geliehene Wertpapiere können auch der Refinanzierung dienen. So ist die Wertpapierleihe besonders im Rentenmarkt eine weit verbreitete Praxis, dank der sich Marktteilnehmer durch den Verkauf geborgter Titel Liquidität beschaffen können. Statt die geborgten Titel im Markt zu verkaufen, können diese auch für Liquiditätsaufnahmen bei Zentralbanken im Rahmen von Offenmarktgeschäften oder im Repomarkt eingesetzt werden.
Erhält der Verleiher für die entliehenen Wertpapiere eine Barsicherheit, stellt dies für ihn eine Liquiditätsbeschaffung dar. Wirtschaftlich sind eine besicherte Leihe und ein Wertpapierpensionsgeschäft nicht zu unterscheiden.
Wertpapierleihe als Instrument zur Steuervermeidung
Da zum Beispiel Banken nicht der Steuerbefreiung für Dividenden gem. § 8b KStG unterliegen, war die Verleihung von Wertpapieren an begünstigte Unternehmen eine leichte Methode, um Steuern zu vermeiden. Der Entleiher bekam die zu 95 % steuerfreie Dividende und bezahlte im Gegenzug eine Leihgebühr an die Bank, die seine Steuerlast minderte. Der Vorteil für die Bank war, dass die Leihgebühr etwas höher war als die Dividende.
Dieses Modell wurde durch § 8b Abs. 10 KStG ab dem Jahr 2007 abgeschafft. Die Leihgebühr ist für den Entleiher keine Betriebsausgabe mehr, wodurch sich keine Gesamtsteuerersparnis mehr ergibt.
Wertpapierleihe bei Kapitalerhöhungen
Besonders auch bei Kapitalerhöhungen wird oft auf das Instrument der Wertpapierleihe zurückgegriffen. Da Junge Aktien zunächst im entsprechenden Registergericht eingetragen werden müssen und bis zu dieser Eintragung letztendlich eine Restunsicherheit besteht, dass diese nicht erfolgt oder sich verzögert, werden oft zunächst entsprechend geliehene Aktien als „junge Aktien“ emittiert, obwohl sie im eigentlichen Sinne alte Aktien sind und die eigentlichen jungen Aktien, sobald diese zugelassen wurden, der verleihenden Partei als Rückzahlung zugeteilt werden.
Da jeder Zulassungsantrag Junger Aktien eine entsprechende Veröffentlichung bedingt, es aus taktischen Gründen jedoch oft nicht erwünscht ist, die Öffentlichkeit schon Tage vorher über den genauen Zeitpunkt der Kapitalerhöhung zu informieren, ist der Umweg über die Wertpapierleihe eine oft gewählte Variante, die Kapitalerhöhung erst unmittelbar vor deren Termin definitiv anzukündigen.
Durch das neue FRUG wurden die Veröffentlichungspflichten diesbezüglich ein wenig gelockert, so dass Kapitalerhöhungen mittlerweile bei Kapitalerhöhungen bis 10 % erst nach der Eintragung erfolgen können.
Situation in Deutschland
In Deutschland gibt es die Wertpapierleihe seit dem Jahr 1990. Fondsgesellschaften unterliegen in Deutschland bezüglich Verleihungen aus ihren Sondervermögen gesetzlichen Einschränkungen.
Siehe auch
Literatur
- Georg Acker: Die Wertpapierleihe – Grundlagen, Abwicklung und Risiken eines neuen Bankprodukts. 2. Auflage. Wiesbaden, 1995.
- Jörg Ambrosius, Andreas Franz: Wertpapierleihe – Aufschwung durch neue gesetzliche Freiheiten. In: Zeitschrift für das ganze Kreditwesen. Band 61, Heft 5/2008, S. 196–198.
- Siegfried Kümpel: Die Grundstruktur der Wertpapierleihe und ihre rechtlichen Aspekte. In: Wertpapiermitteilungen Teil IV. Heft 23/Jg. 44, Nr. 23, 9. Juni 1990, S. 909–916.
- Mike Rinker: Kommentierung der §§ 200 (Wertpapierdarlehen), 201 (Wertpapier-Darlehensvertrag) und 202 (Organisierte Wertpapier-Darlehenssysteme) KAGB. In: Beckmann, Scholtz, Vollmer: Investment – Ergänzbares Handbuch für das gesamte Investmentwesen, Erich Schmidt Verlag, Berlin, ISBN 978-3-503-13811-1 (Elektronische Ressource).
- Johannes Weninger: Wertpapierleihe in Österreich. In: Bank-Archiv. Heft 11/Jg. 42, November 1994, S. 859–867.
Einzelnachweise
- ↑ Neue Pflichten für Kapitalmarkttransaktionen
- ↑ Hamburger Abendblatt – Hamburg: Aktienleihe: Ein Geschäft für Fondsgesellschaften. 29. Oktober 2008, abgerufen am 19. April 2019 (deutsch).