Das in chinesischer Lackkunst (?) auf der Platte eines Wandtisches gemalte Bild (ursprünglich natürlich farbig) hat original keinen Titel. Als rare authentische Darstellung eines Barockorchesters der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigt es Wilhelmine von Bayreuth und ihr orchestre. Das von drei vergoldeten Beinen gestützte Möbelstück war ein Geschenk Wilhelmines für den Musiksaal ihres Bruders Kronprinz Friedrich, in den Jahren, als sich beide eigene Hofstaaten in Rheinsberg und Bayreuth einrichteten. Zuletzt bis zum Zweiten Weltkrieg im Hohenzollernmuseum Berlin ausgestellt, ist es seit Kriegsende verschollen und nur noch ein Schwarzweißfoto davon erhalten.

Zum Bild

Hintergrund

Frisch verheiratet mit Erbprinz Friedrich von Brandenburg-Bayreuth war die preußische Prinzessin Wilhelmine 1732 aus Berlin in die fränkische Residenz gekommen, wo sie 1735 Markgräfin wurde. 1737/38 begann sie mit der Gründung eines Hoforchesters und organisierte in der Nebenresidenz Erlangen erste Opernaufführungen. Das ihrem Bruder Kronprinz Friedrich im Oktober 1739 nach Rheinsberg überschickte Gemälde davon stelle ihren inzwischen „kleinen hiesigen Parnaß“ dar, obwohl er dieses Namens noch nicht würdig sei, wie sie betonte.

Beschreibung

Die 4-stimmige Streichergruppe – Violine I und II, Bratsche, Violoncello/Kontrabass – zeigt im Ansatz die zur Aufführung barocker Bühnenwerke nötige chorische Besetzung. Der Generalbass, Grundlage im Barockorchester, wird von Violoncello und Violone gebildet, dem so genannten „Continuo“, wobei der extrem lange Hals des Kontrabasses auffällt, der hier mit „Obergriff“ der Bogenhand gespielt wird. Sogar eine klanglich differenzierte Generalbass-Begleitung kann, dem Bilde nach, von drei Fagotten (auf der linken Seite) verstärkt oder alternativ solistisch ausgeführt werden. Das Cembalo, das mit seinen mitlaufenden Akkorden die harmonische Klangverstärkung gibt, wird von Wilhelmine gespielt.

Auffällig: Den Mittelpunkt des Bildes bildet das Notenbuch des Cellisten, auf dem neben doppelten Notenliniensysthemen ein Musiktitel (sehr schwach) zu erahnen ist. Etwas überzeugender wirkt der Eindruck eines Titels beim Notenbuch des Kontrabassisten (das ja mit dem des Cellisten gleichläuft), wo bei weitgehender Vergrößerung immerhin ein doppelstrichiger Initialbuchstabe „A“ zu verifizieren ist.

Trotz fotografischer Verkleinerung und trotz bedauernswerter Ermangelung der Farben fällt des (unbekannten) Malers differenzierte Charakterisierung der Musizierenden auf. Der Cellist schaut konzentriert zur Leiterin am Cembalo, die das „orchestre“ im Tutti zu einer aus den Noten singenden Solistin anführt, während Markgraf Friedrich (links neben dieser) mit obligater Flöte die Melodien umspielt. Vier Notenpulte für sechs hohe Streicher sind auf dem geschlossenen Deckel des Cembalos postiert, die anderen Musiker spielen vor Stehpulten. Ein Umblätterer rechts neben der Cembaloklaviatur verharrt – konzentriert mitlesend – griffbereit am Ende einer Notenseite. Hinter ihm zwei Hofdamen und rechts dahinter eine auf ihren Auftritt wartende weitere Sängerin, vor sich die Noten. Im Gegensatz zu ihrer singenden, schwarzhaarigen Kollegin tragen alle Perücken. Die Sängerinnen ersetzen in dieser Probe die hohen Stimmen der männlichen Kastraten, die im bald folgenden neuen Jahr erwartet werden. Dass es sich um eine Probe zur Oper Argenore der Komponistin Wilhelmine handelt, die ein neues „Theatre de l’opera“ am Geburtstag ihres Mannes einweihen soll, ist dem Briefwechsel der Geschwister zu entnehmen. Die festlichen Verzierungen der Türöffnungen im Proberaum (?) weisen bereits auf das Ereignis hin.

Das Gemälde zeigt nicht nur das Bayreuther Markgrafenpaar in Aktion, sondern präsentiert auch die Adressaten dieser Bild-Botschaft, Kronprinz Friedrich mit seiner Frau, als Supraporten über den Türen, gemalt von Antoine Pesne. Im Vordergrund vor Wilhelmine posiert ein Gast mit Degen, als ob er gerade angekommen sei. Das dürfte ein „Neuengagierter“, der Italiener, sein, den Wilhelmine „mehrere Personen von Ruf“, darunter der berühmte Opernkomponist Johann Adolph Hasse, als „sehr großen Musiker“ empfohlen haben, der Sänger Giovanni Carestini, der hier bei der Probe zuhört. Im nächsten Jahr ist er als Solist im Hochfürstlich Brandenburgisch-Culmbachischen Addreß-und Schreib-Calender namentlich aufgeführt. Alle Mitwirkenden hier sind in festlicher Robe und alle, einschließlich der beiden sich unterhaltenden Hofbeamten an der linken Seite des Bildes, tragen Perücke (wie gesagt, nur die singende Solistin, die ihr schwarzes Haar zeigt, „fällt aus der Rolle“, ebenso übrigens Wilhelmine). Wie Wilhelmine dem Bruder schreibt, beruht das Bild auf ihrem eigenen Entwurf.

Bruder Friedrich reagierte auf dieses Bildgeschenk mit einem Gedicht:

Dies Werk, schöner als Indiens Lackarbeit
Stellt dich und deiner Nympfen Schar
Und den Parnass, wo du gebietest, dar.
Apoll in aller seiner Herrlichkeit
Verblasst vor Dir, wie vor der Wahrheit Lichte.
Die Lüge wird zunichte.

Die mythischen Bezeichnungen Parnass und Apollo weisen auf den künstlerischen Geschmack der Geschwister im Rokoko.

Geschichte

In den Jahren ab etwa 1736 richteten sich die Geschwister Wilhelmine in Bayreuth und Kronprinz Friedrich II. in Rheinsberg eigene Hofstaaten ein und machten sich gegenseitig Geschenke für ihre Wohnungen. Im Februar 1736 wünschte Wilhelmine ein Porträt ihres Bruders Friedrich, als Kniestück und von der Hand Antoine Pesnes. In original chinesischer Lackmalerei hatte Bruder Friedrich seinerseits Wilhelmine bereits ein vierteiliges Wandbild geschenkt, das bis heute im Japanischen Cabinett der Bayreuther Eremitage erhalten ist und ein Beispiel für die farbliche Wirkung dieser Malerei gibt. Für Wilhelmine hatte inzwischen eine produktive Opernphase begonnen.

Im Oktober 1739 übersandte Wilhelmine den hier beschriebenen Lacktisch nach Rheinsberg, dessen Gemälde ihre Oper Argenore ankündigt. Der Kunsthistoriker Paul Seidel beschrieb diesen Tisch erstmals Ende des 19. Jahrhunderts im Jahrbuch der Königlich Preussischen Kunstsammlungen. Richard Fester veröffentlichte das Tisch-Bild dann im Hohenzollern-Jahrbuch 6 (1902). Nach Fester war das Möbel im Hohenzollernmuseum ausgestellt, ohne dass dort die Bayreuther Herkunft ersichtlich war. Er lokalisierte den „lacquirten Tisch“ nach einem Inventar von 1742 ins „rote Zimmer“ der Kronprinzessin Elisabeth Christine im Rheinsberger Schloss. Auf die Maltechnik nach der jahrtausendalten chinesischen Mal-Tradition ging Fester nicht ein.

Einzelfiguren

Siehe auch

Literatur

  • Richard Fester: Markgräfin Wilhelmine und die Kunst. In: Paul Seidel (Hrsg.): Hohenzollern-Jahrbuch. 1902, S. 147–174 (zlb.de).Richard Fester: Markgräfin Wilhelmine und die Kunst am Bayreuther Hofe. Hohenzollern-Jahrbuch, Berlin 1902.
  • Irene Hegen: Wilhelmines Oper „L'Argenore“. In: Archiv für Geschichte von Oberfranken, Band 83, Bayreuth 2003.
  • Gustav Berthold Volz (Hrsg.): Friedrich der Große und Wilhelmine von Bayreuth. Jugendbriefe 1728–1740. Aus dem Französischen von Friedrich von Oppeln-Bronikowski. Leipzig 1924.

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. 1 2 3 Richard Fester: Markgräfin Wilhelmine und die Kunst. In: Paul Seidel (Hrsg.): Hohenzollern-Jahrbuch. 1902, S. 150 (zlb.de).
  2. Brief Nr. 455, 23. Oktober 1739.
  3. Das könnte auf die Musikpflege des wegen seiner Instrumentensammlung inklusive eines extrem großen Bassinstrumentes „Geigenherzog“ genannten und Gambe spielenden Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg (1688–1731) deuten. Nach seinem Tod 1731 nahm Wilhelmine Verbindung mit seiner verwaisten Kapelle auf.
  4. Für solistische Gesangsstimme mit Bassbegleitung.
  5. Das könnte auf Wilhelmines Oper Argenore weisen.
  6. Das weist auf eine (der beiden) in Argenore komponierten Arien mit obligater Flöte.
  7. Hochfürstlich Brandenburgisch-Culmbachischer Addreß- und Schreib-Calender 1740. S. Irene Hegen Argenore, S. 331.
  8. Volz S. 441, 25. März 1740.
  9. Jugendbriefe S. 429, 29. November 1739.
  10. Mit Schreibfehler: „Canestini“. Diese jährlichen Kalender bringen die gedruckten Künstlernamen immer zeitversetzt im folgenden Jahr.
  11. Jugendbriefe S. 425. Deutsch von Friedrich von Oppeln-Bronikowky, dem Übersetzer der ursprünglich französischen Briefausgabe. Ob die Maltechnik als chinesische Lackkunst zu bezeichnen ist, dafür fehlen Belege.
  12. Die Literatur sprach damals variierend von „chinesischer, japanischer“ oder auch „indischer“ Lackkunst.
  13. Zu den Geschenken der Geschwister im Jahr 1736 siehe Arnold Hildebrand: Das Bildnis Friedrich des Großen. Zeitgenössische Darstellungen. Zweite, um 16 Tafeln (84 statt 68) vermehrte und mit einem Nachwort versehene, verbesserte Auflage. Nibelungen, Berlin, Leipzig 1942, S. 105 f., Tafeln 25, 26.
  14. Altes Eremitage-Schloss, Bayreuth
  15. Gustav Berthold Volz: Friedrich der Große und Wilhelmine von Baireuth: Jugendbriefe, Berlin 1724, hier ab Nr. 372, Dezember 1737, S. 365.
  16. Hildebrand 1942, S. 106; dort weitere Informationen.
  17. Paul Seidel: Friedrich der Grosse als Kronprinz in Rheinsberg und die bildenden Künste. In: Jahrbuch der Königlich Preussischen Kunstsammlungen, 9. Band, Berlin 1888, S. 112.
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