Yusuf Ziya Özcan (* 15. März 1951 in Ankara) ist ein türkischer Sozialwissenschaftler und war von Ende 2007 bis 2011 Präsident des Türkischen Hochschulrats (YÖK). Er stand dabei im Zentrum von politischen Kontroversen um die Hochschulpolitik und den türkischen Laizismus. Özcan wurde 2008 unter die fünfzig einflussreichsten Personen in der Türkei gezählt.

Leben

Özcan wuchs in Erbaa im Dorf Hacı Ali bei seiner Großmutter auf, da seine Mutter jung verstarb. Als Offizierssohn absolvierte er Grundschule und Gymnasium in verschiedenen Städten der Türkei. Im Jahre 1973 schloss er sein Soziologiestudium an der Universität Ankara ab und arbeitete einige Jahre als wissenschaftlicher Assistent. Anschließend ging er als Staatsstipendiat an die Universität von Chicago und promovierte dort. Özcan kehrte aus den USA zurück, nahm 1981 seine Lehrtätigkeit an der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara (ODTÜ) auf und erlangte dort den akademischen Grad „doçent“ (Assoc. Prof. 1989). Von 1992 bis 1994 unterrichtete Özcan an der International Islamic University Malaysia, wo zu diesem Zeitpunkt auch der spätere türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu (AKP) lehrte, und leitete ein empirisches Forschungsprojekt, das das Verhältnis von Entwicklung und traditionellen islamischen Werten in ländlichen Gebieten der Provinz Kelantan untersuchte.

Als Soziologieprofessor an der ODTÜ in Ankara leitete er 2003 und 2004 auch die Fakultät Soziologie. In zahlreichen Publikationen hat Özcan zu einem breiten Themenspektrum veröffentlicht, von Moscheebau, Wahlanalyse, Polizei, jugendlichem Rauchen, Armut, Gleichstellung der Geschlechter bis hin zu Lebensqualität in der Türkei.

Er war ein Berater des Präsidenten von TÜBITAK, dem wichtigen Wissenschafts- und Forschungsrat der Türkei. Özcan war von ihrer Gründung 2004 bis 2008 auch Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der "Organisation für Internationale Strategieforschungen" USAK (Uluslararası Stratejik Arastirmalar Kurumu); einer Denkfabrik die glaubt, die Studiendisziplin Internationale Beziehungen leide an dem "begrenzten okzidentalo-zentrischen Verständnis und brauche mehr andere Ansätze." Darüber hinaus war Özcan 2003 einer der Gründer der Pollmark Marktforschungsgesellschaft, die von Recep Tayyip Erdoğan mit Meinungsumfragen vor den türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen beauftragt wurde.

Hochschulpolitik

Im Dezember 2007 wurde Özcan von Staatspräsident Abdullah Gül zum Präsidenten des Türkischen Hochschulrats (YÖK) ernannt. In seinen ersten Äußerungen nach der Ernennung betonte Özcan sein Eintreten für die Freiheit und gegen alle Verbote, was allgemein als Hinweis auf das seit 1982 geltende Kopftuchverbot an türkischen Universitäten verstanden wurde. Außerdem kündigte er an, die bereits dem YÖK berichteten Probleme der Universitäten anzuschauen, eine Prioritätenliste zu machen und sie dann anzugehen.

Im Februar 2008 wurde vom Parlament eine hoch kontroverse Änderung der Artikel 10 und 42 der türkischen Verfassung beschlossen, welche die Gleichheit vor dem Gesetz und das Recht auf höhere Bildung behandeln. Özcan erklärte, nach der Änderung der Verfassung seien für eine Freigabe des Kopftuches keine weiteren Gesetze nötig, während andere meinten, die Verfassungsänderung reiche nicht aus, auch das Hochschulgesetz müsse adaptiert werden, das die Richtlinien für Universitäten festlegt. Özcan bezichtigte andersdenkende Rektoren des Verfassungsbruchs und drohte mit strafrechtlicher Verfolgung. Die Rektorenkonferenz forderte daraufhin einstimmig Özcans Rücktritt. Das Verwaltungsgericht entschied wenig später, der YÖK-Präsident habe in dieser Sache seine Kompetenzen überschritten. Am 5. Juni 2008 annullierte das türkische Verfassungsgericht die Verfassungsänderungen, da sie gegen das in der Verfassung verankerte Gebot einer Trennung von Staat und Religion verstießen. Der Streit um das Kopftuch und die Verfassungsänderung steht in engem zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dem Parteiverbotsverfahren gegen die Regierungspartei AKP, welches im März 2008 eingeleitet und im Juli 2008 abgelehnt wurde.

2009 beschloss der YÖK unter Özcan umstrittene Änderungen an der Hochschulzugangsprüfung Öğrenci Seçme Sınavı.

Özcan erklärte in einem Interview im Dezember 2009, dass die Türkei Kapazität für 200 Universitäten habe und dass die Gründung von privaten Hochschulen jenseits von staatlichen Universitäten und Stiftungsuniversitäten erlaubt werden müsse.

2011 wurde Özcan als Präsident des Türkischen Hochschulrats (YÖK) von Gökhan Çetinkaya abgelöst.

Von 2012 bis 2016 war Özcan Botschafter der Türkei in Polen.

Einzelnachweise

  1. Die Türkei in der Hand dieser 50 Personen / Türkiye'yi bu 50 kisi yönetiyor (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2018. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. VorarlbergOnline (Vorarlberger Medienhaus) 12. Juli 2008
  2. 1 2 CURRICULUM VITAE YUSUF ZİYA ÖZCAN (Memento vom 7. Juni 2010 im Internet Archive) ODTÜ February 2004
  3. Here are Malaysias Turkish Brothers by Tolga Tanis (Hürriyet) Turkish Press Review 15. Dezember 2007
  4. Islamisierung der Soziologie oder Soziologisierung des Islam? Indigenisierungsansätze in Malaysia, Iran und der arabischen Welt (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2018. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF; 1,9 MB) Dissertation Edipoglu 2006
  5. 1 2 CV Yusuf Ziya Özcan (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2018. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  6. CV Yusuf Ziya Özcan (Memento vom 2. Januar 2009 im Internet Archive) USAK
  7. Yusuf Ziya Özcan, "Mosques in Turkey: Quantitative Analysis" (türk.) (Memento vom 21. August 2010 im Internet Archive) (PDF; 241 kB), Intellectual Discourse, 1994, Vol. 2, No 1, pp. 19–40.
  8. Determinants of Political Behavior in Istanbul / Turkey (Memento des Originals vom 5. September 2008 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Yusuf Ziya Özcan, Party Politics Vol.6 (4) 2000. pp. 505–518
  9. Police and Politics in Turkey (PDF; 136 kB) Yusuf Ziya Özcan and Recep Gültekin. The British Criminology Conference: Selected Proceedings. Volume 3. Papers from the British Society of Criminology Conference, Liverpool, July 1999. This volume published June 2000. Editors: George Mair and Roger Tarling. ISSN 1464-4088
  10. "DETERMINANTS OF YOUTH SMOKING—EVIDENCE FROM TURKEY" Yusuf Ziya Özcan and Kivilcim Metin Özcan, Substance Use & Misuse 2002, Vol. 37, No. 3, Pages 313–336. doi:10.1081/JA-120002481.
  11. Özcan, Y. und K. , “Measuring Poverty and Inequality in Turkey, 2001” (PDF; 278 kB), Topics in Middle Eastern and North African Economies, electronic journal, Volume 5, Middle East Economic Association and Loyola University Chicago, September 2003
  12. Wage Differences By Gender, Wage And Self Employment In Urban setting in Turkey (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive) (PDF; 139 kB) Y.Z. Özcan, 2003
  13. First European Quality of Life Survey: Quality of life in Turkey (PDF; 997 kB) Richard Rose/Yusuf Ozcan. European Foundation for the improvement of living and working conditions, February 2007. ISBN 978-92-897-0800-5
  14. 1 2 3 4 5 6 YÖK's New President: Yusuf Ziya Özcan Gökce Gündüc, bianet 12 December 2007
  15. A new chapter in Turkish higher education (Memento vom 11. August 2010 im Internet Archive) İBRAHİM KALIN Today’s Zaman 13 December 2007
  16. "As ISRO, we believe that international relations discipline suffers from the limited Western-centric understanding and needs more different approaches." About Us, Mission (Memento vom 2. Januar 2009 im Internet Archive) USAK / ISRO
  17. Gül, YÖK Başkanlığı'na Prof. Yusuf Ziya Özcan'ı atadı (Memento vom 27. März 2008 im Internet Archive) BETÜL KOTAN Radikal (Zeitung) 11/12/2007
  18. Turkey in 2007 (Memento vom 6. Januar 2011 im Internet Archive) Turkey Analyst (publication of the Central Asia-Caucasus Institute & Silk Road Studies Joint Center), 22 February 2008
  19. Türkisches Parlament für Aufhebung von Kopftuch-Verbot Neue Zürcher Zeitung vom 9. Februar 2008
  20. Erste Studentinnen mit Kopftuch (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2019. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Süddeutsche Zeitung vom 25. Februar 2008
  21. Türban-Turbulenzen an türkischen Universitäten Wiener Zeitung 27. Februar 2008 (abgerufen am 15. November 2013)
  22. Türkische Opposition klagt gegen Kopftuch (Memento vom 29. September 2009 im Internet Archive) Von Kai Strittmatter Süddeutsche Zeitung vom 28. Februar 2008
  23. Verbotsantrag gegen Regierungspartei (PDF; 886 kB) Friedrich-Ebert-Stiftung Newsletter Türkei Nr. 11 März 2008
  24. Anayasa Mahkemesi'nin 2008/116 nolu kararı (türk.) Verfassungsgericht der Republik Türkei, Urteil vom 5. Juni 2008
  25. YÖK President Özcan pledges to resolve coefficient issue (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2018. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. ABDULLAH BOZKURT, Today’s Zaman 12 Dec 2009
  26. YÖK’s new coefficient plan a move to eradicate impact of Feb. 28 (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2018. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. İBRAHIM ASALIOĞLU Today’s Zaman 19 December 2009
  27. TURKEY HAS CAPACITY FOR 200 UNIVERSITIES (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2018. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Turkish press on December 29, 2009
VorgängerAmtNachfolger
Reşit UmanBotschafter in Warschau
2012–2016
Tunç Üğdül
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