Mit Zentralität wird abstrakt der Grad der Konzentration struktureller oder steuernder Elemente eines Systems auf nur einen (Zentrum) oder nur wenige Orte (Polyzentrisch) bezeichnet. Diese Elemente werden auch als zentralörtliche Einrichtungen bezeichnet. Zentralität kann durch zentralörtliche Einrichtungen auf verschiedenen Sektoren erzeugt werden (z. B. auf den Sektoren Verkehr, Handel, Versorgung, Verwaltung, Dienstleistung, Freizeit, Kultur, Bildung und Gesundheitswesen). In diesem Kontext bezieht sich Zentralität auf die Wirtschaftsgeographie bzw. Raumordnung. Der Begriff findet dabei vorrangig Verwendung bei Untersuchungen, in denen sich Ökonomie, Soziologie und Geografie überschneiden, teilweise auch für Logistik und Dienstleistungen. Hierzu sei auch auf das in der Bundesrepublik Deutschland für die Raumordnung wichtige System der Zentralen Orte verwiesen.
Erhebliche Bedeutung hat der Begriff der Zentralität für den Einzelhandel in Form der Kennziffer der Einzelhandelszentralität (Zentralitätskennziffer): Diese drückt aus, ob einer Region (z. B. Stadt) Kaufkraft zufließt oder nicht. Zu beobachten ist aber, dass das theoretische System der zentralen Orte, auf das die Zentralitätskennziffer reflektiert, dem realen Einkaufsverhalten der Konsumenten in weiten Teilen nicht entspricht. Die Konsumenten richten ihre Versorgungstätigkeit nur zum Teil nach dem Kriterium der Nähe eines Versorgungsangebotes aus. Eine zunehmende Rolle spielen für die Konsumenten der Angebotsmix (z. B. die Kombination von Einzelhandel, Kultur- und Freizeitangeboten), Sauberkeit, Sicherheit und Bequemlichkeit des Angebotes sowie der Preis und die Spezialisierung eines Angebotes (Angebotstiefe). Daher sind die Konsumenten (insbesondere für den Erwerb von Waren, die nicht der Deckung der Grundversorgung dienen) bereit, nicht nur das nächstgelegene Zentrum aufzusuchen, sondern darüber hinaus weite Fahrten in Kauf zu nehmen. Diese Fahrten orientieren sich zum großen Teil nicht am System der zentralen Orte. Gerade in Verdichtungsräumen, in denen sich die Einzugsbereiche der Zentren und ihrer zentralörtlichen Einrichtungen komplex und funktionsteilig, jedoch kaum hierarchisch überlagern, ist das System der zentralen Orte nicht geeignet, das reale Versorgungsverhalten der Bevölkerung zutreffend abzubilden.
Die Werte einer Zentralitätskennziffer (besser: Kennziffer der Einzelhandelszentralität) liefern der Stadtplanung und Regionalplanung dennoch gewisse Anhaltspunkte für Felder mit Handlungsbedarf. Ferner prüft der Einzelhandel (z. B. vor Realisierung von Agglomerationen oder Einkaufszentren) diese und andere Daten ebenfalls, um die wirtschaftliche Tragfähigkeit von Einzelhandelsflächen zu beurteilen.
Angesichts der eingangs dargelegten Breite des Begriffs Zentralität können aus der hier beschriebenen Zentralitätskennziffer (die sich auf die Zentralität in dem Sektor Einzelhandel/Versorgung beschränkt) nur begrenzte Schlussfolgerungen gezogen werden. Eine umfassende Ermittlung der Zentralität eines Standortes setzt auch die Erfassung und die Bewertung der Zentralität auf den anderen Sektoren voraus.
In der politischen Netzwerkanalyse können durch den Zentralitätsgrad inhaltliche Positionen der Akteure analysierbar gemacht und Lagerbildung identifiziert werden.
Siehe auch
- Polyzentrismus
- Zentrierung - Begriffsklärungsseite (BKS)
- Zentrismus - Begriffsklärungsseite (BKS)
- Zentrum - Begriffsklärungsseite (BKS)
Literatur
- Peter Schöller (Hrsg.): Zentralitätsforschung (= Wege der Forschung. Band 301). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1972.
Einzelnachweise
- ↑ Dana R. Fisher, Philip Leifeld: The polycentricity of climate policy blockage. In: Climatic Change. Band 155, Nr. 4, August 2019, ISSN 0165-0009, S. 469–487, doi:10.1007/s10584-019-02481-y (springer.com [abgerufen am 14. Juni 2022]).