La Cumparsita
La Cumparsita (spanisch für „kleiner Straßenumzug“) heißt das musikalische Meisterwerk des uruguayischen Architekturstudenten und Komponisten Gerardo Hernán Matos „Becho“ Rodríguez (1897–1948). In der internationalen Tango-Szene wird La Cumparsita superlativisch «el tango de los tangos», „der Tango aller Tangos“, genannt.
Neben Villoldos El Choclo, Edgardo Donatos A media luz und Sanders Adiós muchachos ist La Cumparsita „der bekannteste, meistgespielte und weltweit meistverbreitete“ rioplatensische Tango.
Der jugendliche Uruguayer Gerardo Matos Rodríguez komponierte dieses Musikstück im Jahre 1917 zunächst als instrumentalen Karnevals-Marsch für einen studentischen Straßenumzug, für eine Murga.
Im gleichen Jahr arrangierte der argentinische Pianist und Orchesterleiter Roberto Firpo diese Komposition von Rodríguez und verlieh dem ursprünglichen Marsch einen Tango-Rhythmus. Dazu benutzte er ein Fragment aus einem seiner eigenen Werke, dem Tango La gaucha Manuela. Firpo führte sein Tango-Arrangement von La Cumparsita im Gran Café La Giralda (Montevideo) noch im gleichen Jahr erstmals in der Öffentlichkeit auf. In den darauffolgenden Jahren wurden dem Tango La Cumparsita fünf verschiedene Liedtexte unterlegt.
Nur zwei davon konnten sich durchsetzen:
Zum einen das musikalische Plagiat der Tangopoeten Pascual Contursi und Enrique Pedro Maroni unter dem neuen Titel „Si supieras“ aus dem Jahre 1924 und
zum andern die anspruchsvolle, tragödienhafte Poesie, die der Komponist Gerardo Matos Rodríguez in Reaktion auf das Plagiat Si supieras im Jahre 1925 selber dichtete: „La Cumparsa De miserias sin fin Desfila“.
Die plagiierte Fassung von Contursi/Maroni aus dem Jahre 1924 wurde durch Carlos Gardel im Umweg über Paris und unter dem neuen Titel „Si supieras“ mit verändertem musikalischem Arrangement international bekanntgemacht. In diesen am Schluss schelmisch-pikaresken Versen drückt ein sitzengelassener Mann seine depressiven, nostalgischen Gefühle aus und beklagt einen allgemeinen Liebesverlust, und zwar nicht nur den der Partnerin:
V21 Y aquel perrito compañero
V22 Que por tu ausencia no comía,
V23 Al verme solo, el otro día
V24 También me dejó.
Und jenes Schoßhündchen,
Das wegen Deiner Abwesenheit nicht mehr fraß,
Als es mich neulich alleine vorfand,
Hat es mich ebenfalls verlassen.
Für die uruguayische Identität hat dieses Musikstück eine ganz besondere Bedeutung, denn dieses kleinere Nachbarland Argentiniens erhebt den Anspruch, in der Tango-Geschichte dem größeren Nachbarn Argentinien in nichts nachzustehen:
„Ob der erste Tango in Buenos Aires oder aber in Montevideo getanzt wurde, ist seit langem Gegenstand lokalpatriotischer Polemik, in welche einzustimmen nicht ratsam ist. Generell scheint der uruguayische Beitrag zu diesem Musikgenre weitaus bedeutender als bisher bekannt.“
So fühlen sich Uruguayer durch die Bezeichnung Tango Argentino gekränkt und sprechen stattdessen vom Tango Rioplatense, weil der Tango eben beiden Río-de-la-Plata-Staaten seine Entstehung verdankt. Es schmeichelt dem uruguayischen Nationalstolz, dass der Komponist des weltweit bekanntesten Tangos ein Montevideaner ist. So wurde im Jahre 1998 La Cumparsita per Gesetz zur Volks- und Kulturhymne, zum «Himno Popular y Cultural», der Republik Uruguay erhoben. Zur Hundertjahrfeier des „Tango de los tangos“ fanden 2017 in Uruguay das ganze Jahr über große Festivitäten statt.
Auf Milongas kommt der Cumparsita, dem „Tango aller Tangos“, eine rituelle Bedeutung zu. Traditionell wird La Cumparsita – in allen möglichen Arrangements – als letzter Tango aufgelegt und kündet somit das nahende Ende der Tango-Tanzveranstaltung an.