Malliavin-Kalkül
Der Malliavin-Kalkül (auch stochastische Variationsrechnung) ist ein Teilgebiet der stochastischen Analysis und ein unendlich-dimensionaler Differentialkalkül auf einem gaußschen Wahrscheinlichkeitsraum (beispielsweise einem abstrakter Wiener-Raum). Mit Hilfe der Techniken des Malliavin-Kalküls können die Existenz und Glattheit von Wahrscheinlichkeitsdichten von Wiener-Funktionalen bewiesen werden, dies können zum Beispiel Lösungen von stochastischen Differentialgleichungen oder stochastische Integrale sein. Der Malliavin-Kalkül wird auch als stochastische Variationsrechnung für Wiener-Funktionale bezeichnet.
Der Malliavin-Kalkül hat seinen Ursprung in zwei Publikationen des französischen Mathematikers Paul Malliavin von 1976. Im Kern ist der Malliavin-Kalkül ein unendlich-dimensionales Analog der Sobolew-Theorie. Der Malliavin-Kalkül kann auch im Rahmen der White-Noise-Analysis formuliert werden, einem Analog der Distributionstheorie auf unendlich-dimensionalen Räumen.
Neben der Anwendung in der Theorie der stochastischen Differentialgleichungen etablierte sich der Malliavin-Kalkül auch erfolgreich in weiteren Gebieten, darunter in der Finanzmathematik, in der Theorie der stochastischen Filterung sowie in der Theorie der partiellen stochastischen Differentialgleichungen. In der Finanzmathematik wird der Kalkül unter anderem zur Berechnung von Hedging-Strategien und der Sensitivität des Optionspreises (in der Finanzwirtschaft auch die Griechen genannt) verwendet. Insbesondere findet der Kalkül auch Anwendung bei Finanzmärkten mit Sprüngen.
Malliavin lieferte als Anwendung seiner Techniken einen probabilistischen Beweis des Satzes von Hörmander über Hypoelliptizität von Differentialoperatoren. Da eine Verbindung zwischen partiellen Differentialgleichungen und stochastischen Differentialgleichungen existiert (Feynman-Kac-Formel), bestand damals ein Interesse unter Stochastikern einen rein probabilistischen Beweis zu entwickeln.
Sei eine -dimensionale brownsche Bewegung, die Stratonowitsch-Integration und das Wiener-Maß. Die zugrundeliegende Idee von Malliavin war es, die Übergangswahrscheinlichkeit einer Lösung einer stochastischen Differentialgleichung
als Bildmaß des Wiener-Maßes einer nicht-linearen Transformation (auch Itō-Abbildung genannt) zu verstehen, welche durch die stochastische Differentialgleichung generiert wird. Damit überträgt sich die Untersuchung der Regularität in den Wiener-Raum, wo man die partielle Integration gegen ein gaußsches Maß anwenden kann. Das Problem an diesem Ansatz ist, dass eine solche Transformation in der Regel weder differenzierbar (im Sinne von Fréchet und Gâteaux) noch stetig ist, weshalb ein neuer Differentialkalkül benötigt wird. Unter Ausnützung der Quasi-Invarianz des gaußschen Maßes unter Translationen eines geeigneten Unterraumes, definierte Malliavin einen schwachen Ableitungsbegriff und dazugehörige Sobolew-Räume. Man kann nun zeigen, dass eine Abbildung von einem Wiener-Raum existiert, welche glatt im Sinne der neuen Ableitung ist, die jedoch keine stetige Modifikation bezüglich der zugehörigen Banach-Norm besitzt.
Mathematiker erkannten das mächtige Potential der von Malliavin eingeführten Methoden und entwickelten sie daraufhin in verschiedene Richtungen weiter, darunter der funktionalanalytische Ansatz von Daniel Stroock (durch einen symmetrischen linearen Operator) und der Ansatz über den Satz von Girsanow von Jean-Michel Bismut. Weitere Entwicklungen erfolgten durch Shigeo Kusuoka, Shinzō Watanabe, Ichirō Shigekawa, Paul-André Meyer, Moshe Zakai, David Nualart und viele weitere.