Reichssammelschiene
Als Reichssammelschiene wurde in der Zeit des Nationalsozialismus das geplante Höchstspannungsnetz bezeichnet, das im Verbundbetrieb mit Kohle- und Wasserkraftwerken kriegswichtige Anlagen mit elektrischer Energie versorgen sollte. Heute wird dieser Begriff meist für die zwischen 1938 und 1941 durch die VIAG-Tochtergesellschaft Elektrowerke AG (EWAG) gebaute Drehstrom-Hochspannungsfreileitung für 220 kV Spannung verwendet, die von Helmstedt über Magdeburg, Halle und Nürnberg nach Ernsthofen in Niederösterreich führte. Diese Leitung, die als einzige von den Verbundnetzplänen der Reichssammelschiene realisiert wurde, entstand aus ursprünglich zwei verschiedenen Projekten, nämlich der Anbindung der mitteldeutschen Braunkohlekraftwerke im Versorgungsgebiet der EWAG und der nach dem Anschluss Österreichs realisierten Verbindung zwischen mitteldeutschen Braunkohle- und österreichischen Pumpspeicherkraftwerken. In einigen Dokumenten wird letztgenannte auch als Nord-Süd-Leitung bezeichnet.
Nach Vorbild und als Ergänzung zu der von 1924 bis 1930 gebauten Nord-Süd-Leitung des RWE sollte durch die Kopplung der Kohle- und Wasserkraftwerke elektrische Energie zwischen Norden und Süden ausgetauscht werden. Das NS-Regime beabsichtigte darüber hinaus, mit ihr als kriegswichtig erachtete Industrieanlagen mit Strom zu versorgen. Der Verbundbetrieb zwischen den Braunkohlekraftwerken im mitteldeutschen Revier und den Wasserkraftwerken in den Alpen hielt aufgrund der Kriegsentwicklungen nur wenige Jahre aufrecht. Auch kam es zu keinem weiteren Ausbau des einst geplanten, reichsweiten Höchstspannungsnetzes durch die VIAG bzw. EWAG im Norden und Osten des deutschen Reiches mehr.
Im Zuge der Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Leitung, die nun zweimal die Grenze zur sowjetischen Besatzungszone querte, unterbrochen, die anderen Teilstücke wurden Bestandteil des westdeutschen (PreussenElektra, Bayernwerk), ostdeutschen (VEB Energieversorgung bzw. ab 1963 VEB Verbundnetz) und österreichischen (VERBUND) Übertragungsnetzes. Die Leitungsabschnitten auf dem Gebiet der sowjetischen Zone bildeten das Kernstück des 1950er Jahren entstehenden Verbundnetzes der DDR.
Seit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung wurden viele der verbliebenen Teilstücke der Leitung durch 380-kV-Leitungen ersetzt. Zwischen Elsenberg nördlich von Nürnberg und dem Umspannwerk Ernsthofen ist die Leitung noch heute in Betrieb. Auf dem Abschnitt auf österreichischem Staatsgebiet wurden zwischen 2018 und 2020 die Originalmasten durch Neukonstruktionen ersetzt, die restlichen verbliebenen Teilstücke sind nach wie vor auf den Originalmasten verlegt.